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Siebentes Kapitel.
Gegenseitige Vernichtung.

Welches Bild bietet Frankreich in den Wintermonaten des Jahres 1787! Sogar im Oeil de Boeuf herrscht Schwermut und ein Gefühl der Unsicherheit, und die armen Unterdrückten 95 dort meinen alle, man könnte selbst in der Türkei schöner leben. Die Wolfshunde, die Bärenhunde sind abgeschafft; geradeso wie die Stellen der Herzoge von Coigny und Polignac. Im kleinen Himmel von Trianon nimmt eines Abends Ihre Majestät Besenvals Arm und fragt ihn um seine wirkliche, aufrichtige Meinung. Der unerschrockene Besenval, (der, wie er hofft, nichts von einem Sykophanten an sich hat) gesteht freimütig, daß bei einem Parlament, welches revoltiert, und einem Oeil de Boeuf, das man unterdrücken wolle, des Königs Krone in Gefahr sei; – darauf aber gab Ihre Majestät unvermutet und, wie es schien, verletzt dem Gespräche eine andere Wendung » et ne me parla plus de rien.« Besenval, III, 264.

Ja, mit wem kann denn die arme Königin sprechen, sie, die hier nur das Chaos wild umtobt und die wie keine andere Sterbliche eines weisen Rates bedarf? Ihre Wohnstätte, die vor dem Auge im hellsten Glanze zu strahlen scheint, verdüstern Unruhe und finstere Sorgen; die Sorgen der Fürstin, die Sorgen des Weibes ziehen in schweren Wolken gegen sie heran und hüllen sie immer dichter ein. Die Halsbandgräfin Lamotte ist in den letzten Monaten aus der Salpêtrière entsprungen, vielleicht hat man sie entspringen lassen. Eitel war die Hoffnung, Paris werde sie darin vergessen, und jene immer wachsende Lüge, jener Berg von Lügen werde endlich in sich zusammensinken. Die Lamotte mit ihrem auf beiden Schultern eingebrannten V ( Voleuse) ist nach England gegangen und wird von dort Lügen auf Lügen in die Welt hinausschicken, Lügen, die den hehren Namen der Königin schänden werden; wahnwitzige Lügen, Mémoires justificatifs de la Comtesse de Lamotte (London, 1788). Vie de Jeanne de St. Rémi Comtesse de Lamotte etc. – Siehe Diamond Necklace (wie oben). denen Frankreich in seiner gegenwärtigen Stimmung nur allzuwillig Glauben schenken wird.

Im übrigen ist es sonnenklar, daß unser successives Anlehen keinen Markt findet; es war auch nicht zu erwarten, daß sich unter solchen Umständen ein Anlehen, das man nur durch Ausmerzen von Verwahrungen registrieren konnte, an den Mann bringen lasse. Die Klagen über die Lettres de cachet und über den Despotismus im allgemeinen lassen nicht nach; denn die zwölf Parlamente und die 1200 Pasquillanten, Bänkelsänger und Pamphletisten sind nicht müßig. Paris ist, 96 bildlich gesprochen, von Pamphleten förmlich überschwemmt ( regorge de brochures), überflutet und wie von einem Wirbel erfaßt: eine heiße Sündflut; denn die vielen patriotischen Schnellschreiber, die alle auf dem Schmelz- oder Siedepunkte stehen, gleichen jetzt in der Stunde der Gefahr lauter isländischen Geysern! Was kann dagegen unser bedächtiger Freund Morellet, was ein Rivarol oder der ungefüge Linguet (der dafür gut bezahlt ist) thun, was können sie thun, sie, – die kalt speien?

Jetzt kommt endlich das Protestantenedikt zur Verhandlung, aber nur, um neuen Zwist heraufzubeschwören und durch Pamphlete und Gegenpamphlete den Wahnsinn der Menschen zu vermehren. Selbst die Orthodoxie wird, so krank sie scheint, bei dieser Verwirrung ihre Hand im Spiele haben. In der Gestalt des Abbé l'Enfant, »bei dem Prälaten vorfahren, um ihn zu besuchen und zu beglückwünschen,« rührt sie wieder einmal von der Kanzel herab vernehmlich ihre Trommel. Lacretelle, III, 343. Montgaillard etc. Oder seht, wie D'Espréménil, der immer seine absonderlichen Wege zu wandeln pflegt, während einer Parlamentsrede im richtigen Momente ein Taschenkruzifix hervorzieht und ausruft: »Wollt ihr diesen noch einmal kreuzigen?« Diesen, Espréménil, ohne alle Bedenken, zumal wenn wir erwägen, aus welch armseligem Stoff, aus etwas Silberdraht und Elfenbein, er gemacht ist.

Zu alledem kommt noch hinzu, daß der arme Brienne erkrankt ist; die heftigen Stürme seiner sündigen Jugend haben an ihm ebenso gerüttelt und geschüttelt wie jetzt die gewaltigen und unaufhörlichen Aufregungen seines thörichten Alters. Gehetzt und angekläfft von unzähligen Kehlen, liegt Seine Eminenz erbittert, ja beinahe verzweifelt an einer entzündlichen Krankheit ( humeur de dartre) darnieder; er zehrt ab, ist auf Milchdiät gesetzt und bedarf absoluter »Ruhe:« gerade das Unmöglichste, die Ruhe, hat man ihm als unerläßlichstes Heilmittel verordnet. Besenval, III, 317.

Was bleibt also der armen Regierung übrig, als noch einmal unverrichteter Sache den Rückzug anzutreten? Der königliche Schatz geht zur Neige, und Paris ist von einer Flut von Pamphleten überschwemmt. Man muß daher jedenfalls abwarten, bis sich diese ein wenig verlaufen hat. Der Herzog von Orléans geht nach Rainey zurück, das Paris und seiner 97 zarten, holden Buffon näher liegt, und kehrt endlich nach Paris selbst zurück. Auch Sabatier und Fréteau bleiben nicht für immer in der Verbannung. Das Protestantenedikt wird zur Freude von Boissy D'Anglas und des guten Malesherbes registriert, über das successive Anlehen geht man, da alle Proteste ausgemerzt oder zurückgezogen sind, hinweg und dies um so mehr als ja ohnehin niemand oder nur wenige kommen und danach fragen. Die Generalstände, nach denen das Parlament geschrien hat, und die nunmehr die ganze Nation laut und ungestüm fordert, sollen in fünf Jahren oder schon früher einberufen werden. O Parlament von Paris, was für ein Geschrei war das! »Meine Herren,« sagte der alte d'Ormesson, »Sie werden Generalstände bekommen und werden es bereuen,« wie das Pferd in der Fabel, das den Menschen zu Hilfe rief, um sich an seinem Feinde zu rächen. Der Mensch saß auf, züchtigte zwar schnell den Feind, aber wollte leider nicht mehr absteigen. Laßt statt fünf Jahren nur drei vergehen, und dieses schreiende Parlament wird zwar seinen Feind zu Boden geworfen sehen, aber auch selbst lahm geritten oder vielmehr um der Haut und der Hufe willen erdrosselt sein und tot im Graben liegen.

Unter solchen Anzeichen beginnt der Frühling des Jahres 1787. Die Regierung des Königs findet nirgends einen Ausweg, sondern wird vielmehr überall schmählich zurückgewiesen. Von zwölf revoltierenden Parlamenten, die jetzt zu Organen einer erbitterten Nation geworden sind, belagert, kann sie auf keiner Seite vorgehen, kann nichts zustande bringen, nichts erlangen, nicht einmal soviel Geld, um davon zu leben; sie muß zusehen und warten, bis sie, wie es scheint, vom Deficit verschlungen wird.

Ist denn das Maß der seit Jahrhunderten angehäuften Ungerechtigkeit und Lüge sozusagen voll? Das Maß des Elends wenigstens ist voll. Das Elend ist seiner Natur gemäß aus den armseligen Hütten der 25 Millionen immer weiter und höher gedrungen, bis es sogar das Oeil de Boeuf von Versailles erreicht hat. In seiner Qual erhebt blindwütend die Hände der Mensch gegen den Menschen, der Niedere gegen den Höheren, aber auch der Höhere gegen den Höheren; der Landadel ist erbittert gegen den Hofadel, die Robe gegen das Schwert, das Rochet gegen die Feder. Giebt es auch nur einen Einzigen, der nicht erbittert wäre – gegen des Königs Regierung? Sogar ein Besenval ist es jetzt. Der Regierung stehen alle Menschen, alle Körperschaften 98 feindlich gegenüber, sie ist das Centrum, gegen welches aller Zank und Hader vereint seine Angriffe richtet. Welch neue, allgemeine, schwindelerregende Bewegung hat alle Institutionen, socialen Ordnungen und individuellen Anschauungen, die sonst einträchtig zusammenwirkten, so erfaßt, daß sie sich wie in einem tollen Wirbel drehen und aneinander prallen? Es ist der unaufhaltsame Zerfall eines Weltsolöcismus, der sich erschöpft und schließlich zum Geldbankerott geführt hat!

Und darum lehnen sich alle übrigen Solöcismen gegen den armen Hof von Versailles als Haupt- und Centralsolöcismus auf und stehen vereint in Reih und Glied gegen ihn. Ganz natürlich. Denn euer menschlicher Solöcismus, mag er nun in einem Individuum oder in einer Vereinigung von Individuen verkörpert sein, fühlt sich naturgemäß stets unbehaglich; geht es aber dem Bankerott zu, dann fühlt er sich sogar elend. Wann aber wäre selbst der allererbärmlichste Solöcismus bereit, sich selbst zu tadeln oder zu bessern, so lange noch ein anderer zu bessern übrig bleibt?

Diese drohenden Zeichen schrecken einen Loménie nicht, noch weniger belehren sie ihn. Obwohl von schwächlicher Natur, besitzt Loménie doch einen gewissen Mut. Haben wir denn nicht auch gelesen, daß die schwächsten Geschöpfe, abgerichtete Kanarienvögel, mit brennenden Lunten munter umherflogen und Kanonen, ja Pulvermagazine zur Explosion brachten? Ruhig dazusitzen und am Deficit zu sterben, das stimmt nicht zu Loménies Plan. Wohl ist das Übel bedeutend; aber kann er es nicht beseitigen oder ihm wenigstens zu Leibe rücken? Zum mindesten kann er dessen Symptom angreifen: die revoltierenden Parlamente, die kann er angreifen, vielleicht sogar beseitigen. Vieles ist Loménie dunkel, aber zwei Dinge sind ihm klar: erstens, daß ein solcher Zweikampf zwischen Parlament und Königtum gefährlich wird, ja zur gegenseitigen Vernichtung führen kann, und zweitens, daß vor allem Geld geschafft werden muß. Denke nach, wackerer Loménie, und du, Großsiegelbewahrer Lamoignon, der du Ideen hast. Seid ihr auch oft geschlagen und grausam enttäuscht worden, wenn ihr die goldene Frucht schon zu greifen wähntet, vereint euch doch wieder zu neuem Kampfe! Das Parlament zu zähmen, die Kassen des Königs zu füllen, das sind jetzt Fragen, die über Leben und Tod entscheiden.

Parlamente hat man schon mehr als einmal gezähmt; ein Parlament läßt sich schon zur Vernunft bringen, wenn man es auf steile Felsenspitzen pflanzt, »die nur mit Tragsesseln 99 erreichbar sind.« O Maupeou, du böser, unerschrockener Mann, hätten wir doch dein Werk, so wie es war, unberührt gelassen! Aber giebt es außer Verbannung und anderen gewaltsamen Methoden nicht noch eine Methode, die alles, selbst Löwen zahm macht? – Giebt es nicht eine Hungermethode? Wie, wenn man dem Parlamente die Zufuhr, nämlich die Einkünfte aus den Prozessen, abschnitte?

Man könnte zur Erledigung der schweren Menge kleinerer Rechtsstreitigkeiten niederere Gerichtshöfe unter dem Namen Grand-baillages einrichten. Das Parlament, das darin eine Schmälerung seiner Beute sähe, würde mit gelbem Neide, das Publikum aber, das eine billige Rechtspflege liebt, mit hoffnungsfreudigem Wohlwollen darauf blicken. Warum sollten nicht für die Finanzen, für das Registrieren der Edikte Würdenträger aus unserem eigenen Oeil de Boeuf, unsere Prinzen, Herzoge und Marschälle einen neuen Gerichtshof – nennen wir ihn Cour plénière – bilden, in dem wir das Registrieren sozusagen uns selbst besorgen könnten? Auch der heilige Ludwig hatte seinen aus den Großen des Reiches Montgaillard, I, 405. zusammengesetzten Plenarhof, der ihm ganz vortreffliche Dienste leistete: unsere Großen sind ja noch da (wenigstens ihr Name lebt noch), und unsere Not ist größer, als die seine war.

Das ist der Plan Loménies und Lamoignons, den der Rat des Königs wie einen Lichtstrahl in tiefer Finsternis freudig begrüßt. Der Plan scheint ausführbar und ist äußerst notwendig: welche Erlösung, wenn er einmal richtig ausgeführt ist! Darum nur Verschwiegenheit und Festigkeit; jetzt oder nie! Die Welt soll noch eine neue historische Schaubühne sehen, und Loménie de Brienne, dieser merkwürdige Mann, wird noch immer Bühnenleiter sein.

Seht also, wie bei diesem vielversprechenden Frühlingswetter der Minister des Inneren Bréteuil in der friedlichsten Weise »Paris verschönert!« Die alten Hütten und Buden verschwinden von den Brücken, als hätte auch der Staat halcyonische Tage und nichts anderes zu thun, als Verschönerungen durchzuführen. Das Parlament scheint als anerkannter Sieger weiterzutagen. Brienne spricht nichts über die Finanzen oder sagt und läßt sogar drucken, es gehe alles gut. Woher diese halcyonische, friedliche Ruhe, obgleich das successive Anlehen noch immer nicht begeben ist? In dem siegreichen Parlament beklagt sich Rat Goeslard de Monsabert 100 sogar über »die Einhebung des zweiten Zwanzigstels nach strenger Schätzung« und setzt ein Dekret durch, die Schätzung solle nicht streng sein, wenigstens nicht bei den privilegierten Klassen. Und dies duldet Brienne und erläßt keine Lettre de cachet? Wie kommt das?

Ein solches Frühlingswetter lächelt uns zwar freundlich an, aber es trügt; denn es ändert sich plötzlich. So hören wir z. B. flüstern, »alle Intendanten in den Provinzen hätten den Befehl erhalten, an einem bestimmten Tage auf ihren Posten zu sein.« Und, was noch mehr auffällt, was hat dieses unausgesetzte Drucken hinter versperrten Thüren im königlichen Schloß zu Versailles zu bedeuten? Wachen halten Thüren und Fenster besetzt, die Drucker dürfen sich nicht entfernen, sie schlafen sogar in ihren Arbeitsräumen, ja selbst das Essen bringt man ihnen hinein. Weber, I, 276. Das siegreiche Parlament wittert eine neue Gefahr. D'Espréménil hat Pferde nach Versailles bestellt; er umschleicht die bewachte Druckerei, späht und schnüffelt herum, ob nicht menschliche Findigkeit und Klugheit eindringen könnten.

Ein Goldregen kann fast überall eindringen. D'Espréménil läßt sich also in Gestalt von »500 Louisdor« auf den Schoß einer Druckersdanae herab. Danaes Gatte schmuggelt ihr einen Lehmballen zu, den sie dem goldenen Parlamentsrat ausliefert. In dem Ballen stecken hineingeknetet gedruckte Probebogen: – beim Himmel. Es ist das königliche Edikt über die selbstregistrierende Cour plénière und über jene Grand-baillage, die uns unsere Prozesse wegnehmen soll! An einem und demselben Tage soll das Edikt in ganz Frankreich kundgemacht werden.

Das ist also, worauf die Intendanten dem Befehle gemäß auf ihren Posten zu warten hatten; das ist das verwünschte Basiliskenei, über dem der Hof brütete; darum wollte er sich trotz aller Herausforderungen nicht eher rühren, als bis die Brut ausgeschlüpft wäre. Eile damit nach Paris zurück, d'Espréménil, berufe sofort eine Sitzung ein, auf daß Parlament und Himmel und Erde den Frevel erfahren! 101

 


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