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Achtes Kapitel.
Sie erobern ihren König.

Am nächsten Morgen ist schon eine vierte Deputation unterwegs nach dem Schloß; sie trägt einen noch ernsteren feierlicheren, um nicht zu sagen drohenderen Charakter; denn abgesehen von den Orgien in der Orangerie sind, wie es 203 scheint, »alle Kornfuhren angehalten worden,« und Mirabeaus Donner hat auch nicht geschwiegen. Diese Deputation ist eben im Begriff abzugehen, – doch sieh, da tritt der König, nur von seinen beiden Brüdern begleitet, herein, kündigt in seiner ganz väterlichen Weise an, alle Truppen und alle Steine des Anstoßes seien entfernt, und von nun an solle nur Vertrauen, Versöhnung und guter Wille herrschen; er ermächtigt, ja bittet sogar die Nationalversammlung, Paris in seinem Namen dessen zu versichern. Lauter Jubel, wie von Menschen, die plötzlich vom Tode erlöst sind, ist die Antwort. Die ganze Versammlung erhebt sich aus freien Stücken, um seine Majestät zurückzugeleiten, bildet mit den Armen eine Kette, um das übergroße Gedränge von ihm abzuhalten; denn ganz Versailles drängt sich jubelnd heran. Die Schloßmusiker spielen, einer glücklichen Eingebung folgend, das Lied: » Au Sein de sa famille; « die Königin erscheint auf dem Balkon mit dem Dauphin und ihrer kleinen Tochter, »die sie wiederholt küßt;« weit und breit erbrausen nicht endenwollende Vivats, – und plötzlich ist es, als wäre ein neuer Himmel auf Erden erschienen.

Achtundachtzig hohe Senatoren, darunter Bailly, Lafayette und unser reuiger Erzbischof, fahren, von endlosen Segenswünschen begleitet, mit der großen Botschaft nach Paris. Vom Platze Ludwigs XV., wo sie absteigen, bis zum Stadthause ist der ganze Weg ein Meer von dreifarbigen Kokarden, von blanken Nationalmusketen; ein Sturm von Hurras und Händeklatschen, in den sich zeitweilig Trommelwirbel mischen; Reden werden mit dem entsprechenden Feuer gehalten, besonders von Lally Tollendal, dem pietätvollen Sohne des unglücklichen gemordeten Lally; dafür drückt man eine Bürgerkrone (aus Eichenlaub oder Epheu) auf sein Haupt, die er wieder Bailly aufnötigt.

Aber vor allem muß doch die Nationalgarde einen General haben. Moreau de Saint-Méry, der Mann der dreitausend Befehle, wirft einen bedeutungsvollen Blick auf Lafayettes Büste, die schon seit dem amerikanischen Freiheitskriege dastand, worauf unter jubelndem Zuruf Lafayettes Ernennung erfolgt. Ferner soll Präsident Bailly Nachfolger des erschossenen Verräters oder Quasi-Verräters Flesselles werden, – aber nicht als Vorsteher der Kaufmannschaft, – nein, als Bürgermeister von Paris! So sei es! Maire de Paris! Maire Bailly, General Lafayette; es lebe Bailly, es lebe Lafayette! Das war die jubelnde Zustimmung, mit der die ganze außen 204 stehende Menge das Himmelsgewölbe zu erschüttern drohte. Und nun laßt uns zum Schluß in die Notre-Damekirche gehen und das Te Deum anstimmen!

So ziehen denn in freudiger Prozession und unter dem Jubel des Volkes diese Regeneratoren des Vaterlandes in brüderlicher Eintracht zur Kathedrale Notre-Dame. Abbé Lefèvre, noch schwarz von seiner Arbeit im Pulvermagazin, geht Arm in Arm mit dem Erzbischof in weißer Stola. Der arme Bailly begegnet unterwegs den Findelkindern, die man geschickt hatte, daß sie vor ihm knieten, und »weint.« Das von unserem Erzbischof celebrierte Te Deum aber wird nicht nur gesungen, sondern auch geschossen, d. h. mit blinden Patronen; denn unsere Freude ist ebenso grenzenlos, wie es unser Leid zu werden drohte. Paris hat mit seiner eigenen Pike und Muskete, mit seinem eigenen tapferen Herzen selbst die Kriegsgötter bezwungen, – und dies jetzt sogar zur Zufriedenheit der Majestät. Noch in der Nacht macht sich ein Kurier zu Necker auf den Weg; der Volksminister, vom König, von der Nationalversammlung und vom Volke zurückberufen, wird unter Jubelrufen, unter dem Schall von Pauken und Trompeten Frankreich durchreisen.

Dieser Lauf der Dinge zeigt den Messeigneurs des Hoftriumvirates, den Herren des totgeborenen Ministeriums Broglie und anderen ihresgleichen ganz klar, was sie zu thun haben: sich auf den Weg zu machen! Fort, ihr hyperloyalen Broglies, Polignacs und Prinzen von Geblüt, fort, solange es noch Zeit ist! Hat nicht das Palais Royal bei einem seiner letzten Stürme einen besonderen Preis auf euere Köpfe gesetzt? (Die Zahlstelle ist leider nicht genannt.) Unter Vorsichtsmaßregeln, unter dem Schutze von Kanonen und verläßlichen Regimentern erreichen Messeigneurs zwischen dem Abend des sechzehnten und dem Morgen des siebzehnten ihre verschiedenen Straßen, nicht ohne Gefahr; den Prinzen Condé wenigstens verfolgen wirklich oder angeblich Reiter in gestrecktem Galopp, offenbar in der Absicht, ihn bei Pont-Sainte-Mayence in die Oise zu werfen. Weber, II, 126 Die Polignacs reisen verkleidet; Freunde, nicht Diener sitzen auf dem Bock. Broglie aber hat seine besonderen Schwierigkeiten in Versailles, gerät in seine besonderen Gefahren in Metz und Verdun, gelangt jedoch nichtsdestoweniger mit heiler Haut nach Luxemburg und bleibt daselbst.

205 Das ist die sogenannte erste Emigration, die, wie es scheint, im vollzähligen Hofconclave in Anwesenheit Seiner Majestät beschlossen wurde. Der König für seine Person zeigte sich bereit, jedem Rate zu folgen. »Drei Söhne Frankreichs und vier Prinzen vom Blute des hl. Ludwig,« sagt Weber, »konnten den Bürgern keine größere Demütigung zufügen, als indem sie gleichsam aus Furcht für ihr Leben vor ihnen flüchten.« Ach, die Bürger von Paris ertragen diese Demütigung mit überraschend stoischem Gleichmut! Der Mensch d'Artois ist allerdings fort; hat er aber auch das Land Artois mitnehmen können? Nicht einmal sein Landhaus Bagatelle (das als Wirtshaus noch gute Dienste leisten soll), ja kaum seine »Viermännerhosen;« denn der Hosenschneider ist ja zurückgeblieben! Was den alten Foulon betrifft, so geht das Gerücht, er sei gestorben. Wenigstens wird ein »prunkvolles Leichenbegängnis« veranstaltet, wodurch ihm, wenn schon kein anderer Mensch, so doch wenigstens die Veranstalter die letzte Ehre erweisen. Sein Schwiegersohn, der Intendant Berthier, ist zwar noch am Leben, hält sich aber versteckt. An jenem Eumenidensonntage (damals schien er die Sache noch leicht zu nehmen) schloß er sich Besenval an, jetzt ist er geflohen, und niemand weiß, wohin.

Unsere Emigranten haben noch nicht viele Meilen zurückgelegt, Prinz Condé ist kaum über die Oise gekommen, als Seine Majestät der Verabredung gemäß – denn auch die Emigration hat es für zweckmäßig erklärt – ein etwas kühnes Wagestück unternimmt: Paris zu besuchen. Mit etwa hundert Mitgliedern der Versammlung, mit gar keiner oder nur kleiner Militärbegleitung, die er schon an der Sèvresbrücke entläßt, macht sich der arme Ludwig auf den Weg und läßt einen verödeten Palast und eine weinende Königin zurück, welcher Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gleich unhold sind.

An der Barrière von Passy überreicht ihm Maire Bailly in großer Gala die Stadtschlüssel und begrüßt ihn mit einer im akademischen Stile gehaltenen Anrede. Der heutige Tag, sagt er, sei ein großer Tag; im Falle Heinrichs IV. habe der König sein Volk erobern müssen, im gegenwärtigen, glücklicheren Falle habe das Volk seinen König erobert ( a conquis son roi). Der so glücklich eroberte König fährt langsam durch ein Volk in Waffen, welches entweder schweigt oder nur in den Ruf ausbricht: Vive la Nation! Am Stadthause halten Moreau, der Mann der dreitausend Befehle, der königliche Prokurator M. Ethys de Corny, Lally Tollendal und andere Ansprachen 206 an den König, der nicht weiß, was er davon halten und was er dazu sagen soll; er vernimmt, er sei der Wiederhersteller der französischen Freiheit, und sein Standbild, das man an Stelle der Bastille errichten wolle, werde dies vor aller Welt bezeugen. Zum Schluß zeigt man ihn mit einer dreifarbigen Kokarde vom Balkon aus dem Volke, das ihn vom Platze und von der Straße, von allen Fenstern und Dächern stürmisch begrüßt; unter frohem Jubel, in dem sich die Rufe Vive le Roi! Vive la Nation! verbinden, sozusagen vermählen, kehrt der König müde, aber wohlbehalten zurück.

Sonntag war es, als die glühenden Kugeln über unseren Köpfen in der Luft flogen, jetzt ist erst Freitag, und »die Revolution ist sanctioniert.« Die hohe Nationalversammlung soll die Verfassung schaffen, und weder fremde Panduren und einheimische Triumvirate mit schußbereiten Kanonen, noch Guy-Faux-Pulververschwörungen (denn auch davon wurde gesprochen) noch irgend eine Tyrannenmacht auf oder unter der Erde soll ihr sagen dürfen: »Was thust du da?« So jubelt das Volk, dem nunmehr eine Verfassung gewiß ist; den halbverrückten Marquis Saint Huruge aber hört man unter den Fenstern des Schlosses nur etwas von wohlberechnetem Verrat murmeln. Campan, II, 46-64.

 


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