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Neuntes Kapitel.
Lafayette.

Gegen Mitternacht blitzen auf dem Hügel Lichter auf, die Lichter Lafayettes! Das Wirbeln seiner Trommeln hört man schon die Avenue herauf. Bringt es Frieden oder Krieg? Geduld, Freunde! keines von beiden. Lafayette ist da, die Katastrophe ist noch nicht da.

Er hat auf dem Marsche so oft anhalten lassen und so oft gesprochen, daß er zu vier Wegmeilen neun Stunden gebraucht hat. Zu Montreuil in der nächsten Nähe von Versailles mußte das ganze Heer Halt machen und im Dunkel der Nacht mit erhobener Rechten bei dem strömenden Himmel feierlich schwören, des Königs Wohnstätte zu achten, dem König und der Nationalversammlung treu zu sein. Die Wut ist während des verlangsamten Marsches entschwunden, der Rachedurst durch Müdigkeit und durchnäßte Kleider gelöscht. Flandern 276 rückt wieder in Waffen aus, – das so patriotisch gewordene Flandern braucht man nicht mehr »auszurotten.« Die erschöpften Bataillone halten in der Avenue; im Augenblick hegen sie keinen sehnlicheren Wunsch als den nach Obdach und Ruhe.

In Ängsten sitzt Präsident Mounier auf seinem Platze, in Ängsten ist das Schloß. Eine Botschaft kommt aus dem Schlosse, M. Mounier möge gefälligst mit einer neuen Deputation rasch wieder erscheinen und so wenigstens die zwiefache Angst zu einer machen. Aus eigenem Antriebe läßt der geängstigte Mounier den General benachrichtigen, Seine Majestät habe in Gnaden geruht, die unbedingte Annahme zu gewähren. Der General, der mit einer kleinen Avant-Kolonne heranrückt, will im Vorbeimarsch antworten; er wechselt mit ihm einige, allgemein gehaltene Worte, wirft einen Blick auf die buntgemischte Versammlung und setzt seinen Weg zum Schlosse fort. Zwei Pariser Munizipalräte, die von den Dreihundert zu diesem Zwecke erwählt wurden, begleiten ihn. Lafayette erhält durch verschlossene und verriegelte Gitter, durch Schildwachen und Thürhüter, Einlaß in die Gemächer des Königs.

Der Hofstaat, Herren wie Damen, drängen sich auf seinen Weg, um ihr Schicksal auf seinem Gesichte zu lesen, das, wie die Geschichtsschreiber berichten, eine merkwürdige Mischung »von Sorge, Eifer und Mut« sehen läßt. Mémoire de M. le Comte de Lally-Tollendal (Janvier 1790), p. 161-165. Der König mit Monsieur, Minister und Marschälle erwarten ihn. »Er ist da,« sagt er in seiner hochfliegenden ritterlichen Weise, »um seinen Kopf für die Sicherheit Seiner Majestät anzubieten.« Die beiden Munizipalräte bringen die Wünsche von Paris zum Ausdruck, vier Punkte ganz friedlichen Inhalts: erstens, daß die Ehre, die geheiligte Person des Gesalbten zu bewachen, den patriotischen Nationalgarden, d. h. den Centralgrenadieren übertragen werde, die schon als Gardes Français dieses Vorrecht hatten; zweitens, daß nach Möglichkeit Lebensmittel beschafft werden; drittens, daß man in die mit politischen Häftlingen überfüllten Gefängnisse Richter sende; viertens, daß es Seiner Majestät gefallen möge, nach Paris zu kommen und dort zu wohnen. Auf die drei ersten Wünsche antwortet der König bereitwillig mit Ja oder kann beinahe sagen, daß er schon geantwortet habe. Auf den vierten Wunsch kann er nur mit Ja oder Nein antworten, so gern er Ja 277 und Nein sagen möchte. Aber sind nicht für jeden Fall, dem Himmel sei Dank dafür, ihre Gesinnungen durchaus friedlich? Man hat Zeit zum Überlegen; die höchste Gefahr scheint vorüber zu sein.

Lafayette und d'Estaing verteilen die Wachen. Die Central-Grenadiere haben wieder ihre Wachstube zu beziehen, die sie als Gardes Français inne gehabt hatten; die Gardes du Corps, die letzten übelberatenen Inhaber, sind schon zum größten Teile nach Rambouillet fortgezogen. So lautet die Ordre für diese Nacht, und das daraus hervorgegangene Unheil genügt auch vollauf für eine Nacht. Dann verabschieden sich die beiden Munizipalräte und Lafayette in hochfliegender ritterlicher Art. So kurz war diese Zusammenkunft, daß Mounier und seine Deputation noch nicht herausgekommen waren, so kurz und so zufriedenstellend. Jedem ist ein Stein vom Herzen gefallen. Die holden Palastdamen erklären öffentlich, so abscheulich Lafayette sonst sein möge, diesmal sei er ihr Retter; sogar die alten saueren Tanten, des Königs Tanten, die alte Graille und ihre Schwestern, die wir schon von früher her kennen, geben dies zu. Die Königin Marie Antoinette hat oft das Gleiche gesagt. Sie war überhaupt unter all den Herren und Damen die einzige, die an diesem Tage Mut, erhabene Ruhe und Entschlossenheit zeigte. Sie allein sah klar, was sie thun wollte, und Theresias Tochter wagt zu thun, was sie will, mag auch ganz Frankreich sie bedrohen: sie wagt zu bleiben, wo ihre Kinder und ihr Gatte bleiben.

Gegen drei Uhr morgens ist alles geordnet, die Wachen sind aufgestellt, die Centralgrenadiere haben ihre frühere Wachstube bezogen; sie, die Schweizer und die wenigen zurückgebliebenen Leibgardisten haben noch eindringliche Worte über ihre Pflichten angehört. Die müden Pariser Bataillone dagegen, die der »Gastfreundschaft von Versailles« empfohlen sind, schlafen in Gastbetten, Reserve-Kasernen, Kaffeehäusern oder leeren Kirchen. Ein Trupp weckte auf dem Wege zur St. Ludwigskirche in der Rue Sartory den armen Weber aus seinen unruhigen Träumen. Weber hat den ganzen Tag seine Westentasche voll Kugeln gehabt, »zweihundert Kugeln und zwei Pulverbirnen;« damals waren nämlich die Westen förmliche Leibröcke mit Schößen, die bis auf die halben Schenkel hinabreichten. So viele Kugeln hat er den ganzen Tag bei sich getragen, aber keine Gelegenheit gehabt, von ihnen Gebrauch zu machen; jetzt wendet er sich im Bette um, 278 verwünscht die unloyalen Banditen, spricht als Stoßgebet einen oder zwei Flüche und schläft sofort wieder ein.

Zuletzt folgt noch eine Ansprache an die Nationalversammlung, darauf unterbricht sie auf Mirabeaus Antrag die Debatte über das Strafgesetz und geht für diese Nacht auseinander. Die Mänaden und Sansculotten haben sich in Wachthäusern, in der Kaserne des Regiments Flandern und um das Licht freundlicher Feuer gelagert; was nicht hier Raum fand, verbrachte die Nacht in Kirchen, Nebengebäuden, Schilderhäusern, kurz überall, wo das Elend eine Lagerstätte findet. Der lärmvolle Tag hat sich selbst zur Ruhe geschrien; noch ist kein Leben als das eines einzigen Kriegspferdes zu beklagen. Das Chaos der Empörer liegt schlummernd um das Schloß herum wie der Ocean um eine Taucherglocke, – an der sich noch kein Spalt entdecken läßt.

Tiefer Schlaf hat sich ohne Unterschied auf Hoch und Nieder gesenkt und hat das Meiste, sogar Hunger und Wut, zur Ruhe gebracht. Finsternis hüllt die Erde ein; aber im fernen Nordosten wirft Paris seinen großen, gelben Schein weit hinein in die feuchte, schwarze Nacht. Dort ist heute, ebenso wie in den verflossenen Nächten alles beleuchtet, die Straßen sind wegen des Kriegslärms verödet; alle Munizipalräte wachen; die Patrouillen rufen ihr heiseres: Wer da? Gerade um diese Zeit langt dort, wie wir sehen, unsere arme, schlanke Louison Chabray, natürlich mit ganz zerrütteten Nerven, an: eine Stunde später »gegen vier Uhr morgens« wird auch der Gerichtsbote Maillard eintreffen. Sie berichten nacheinander dem wachenden Hôtel de Ville alles Tröstliche, was sie sagen können, und dies alles wird bei Tagesgrauen durch große Anschlagzettel allen Bewohnern zur Kenntnis gebracht werden.

Lafayette sitzt nun nach glücklicher Beendigung aller Ansprachen im Hôtel de Noailles, das nicht weit vom Schlosse entfernt liegt, und berät sich mit seinen Offizieren; um fünf Uhr erklären sie einstimmig, der beste Rat für einen durch vierundzwanzig Stunden oder noch länger gehetzten und abgemüdeten Mann sei der, sich aufs Bett zu werfen und kurze Zeit Ruhe zu suchen.

So endete der erste Akt des Weiberaufstandes. Wie wird es morgen gehen? Das Morgen liegt wie immer im Schoße der Schicksalsgöttinnen. Doch darf man hoffen, daß Seine Majestät edelmütig einwilligen werde, nach Paris zu kommen; jedenfalls kann der König Paris besuchen. Antinationale 279 Leibgarden müssen hier und anderswo den Bürgereid schwören und der Trikolore Genugthuung leisten; Flandern wird schwören. Es dürfte noch viele Eidesleistungen, sicherlich viele öffentliche Ansprachen geben, und so wird vielleicht unter Reden und Schwüren die Sache noch glimpflich ablaufen.

Ach, wird es vielleicht ganz anders, wird es schlimm gehen? Wird die Einwilligung des Königs nicht edelmütig gewährt., sondern schmählich erzwungen sein? Das unendliche Chaos des Aufruhrs umschließt jetzt schlummernd den Palast wie der Ocean eine Taucherglocke und kann durch jede Lücke eindringen. Laßt nur einmal diesen massenhaft angesammelten Aufruhr einen Eingang finden! Es gliche dem Einbrechen unermeßlicher Wasserfluten, oder vielmehr einer Flut brennbarer, sich selbst entzündender Flüssigkeit, z. B. einer Mischung von »Terpentin- und Phosphoröl,« jener Mischung, die Spinola Santerre so wohl kennt.

 


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