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Zweites Kapitel.
O Richard, o mon Roi!

Leider ist auch das Stadthaus selbst nicht frei von Befürchtungen. Die Unterwelt des Sansculottismus hat man bisher niedergehalten: aber nun die Oberwelt des Hofes! Anzeichen verraten, daß das Oeil de Boeuf sich wieder sammelt.

Mehr als einmal hat man im Rate des Stadthauses, oft genug in den freimütigen Queues vor den Bäckerläden den Wunsch geäußert: O, daß der Wiederhersteller der französischen Freiheit hier wäre, daß er mit seinen eigenen, nicht mit den falschen Augen von Königinnen und Kabalen sähe, und daß sein wirklich gutes Herz erleuchtet würde. Denn noch immer umgeben ihn Falschheit, der Ränke schmiedende Herzog de Guiche mit seiner Leibgarde, die Spione eines Bouillé: ein neuer Schwarm von Intriganten, nachdem der alte geflohen ist. Was bedeutet denn die Ankunft dieses Régiment de Flandre, das, wie wir hören, am 23. September mit zwei Kanonen in Versailles eingezogen ist? Versah nicht 246 die Versailler Nationalgarde den Dienst im Schlosse? Hatte man nicht Schweizer, Hundert Schweizer, Gardes du Corps, die sogenannte Leibgarde? Ja, wie es scheint, ist die Zahl der dienstthuenden Leibgarden durch irgend ein Manöver verdoppelt worden: das neue, zur Ablösung bestimmte Bataillon trifft zur bestimmten Stunde ein, aber das abgelöste Bataillon zieht nicht ab!

In der That geht durch die bestunterrichteten höheren Kreise ein Flüstern, oder was noch mehr sagt als Flüstern, ein Nicken und Winken von Seiner Majestät Flucht nach Metz, von einer bindenden Erklärung (ihm dabei behilflich zu sein), die Adel und Klerus in der unglaublichen Zahl von dreißig- oder gar sechzigtausend unterzeichnet hätten. Lafayette flüstert und behauptet es auch mit kalter Ruhe bei Tisch dem Grafen d'Estaing gegenüber; d'Estaing einer der tapfersten Männer, erbebt bis ins Innerste aus Furcht, ein Lakai könnte etwas erlauscht haben, und wälzt sich in sorgenvollen Gedanken schlaflos die ganze Nacht hin und her. Das Regiment Flandern ist, das steht außer Zweifel, angekommen. Man erzählt, Seine Majestät zögere, dem 4. August die Sanktion zu erteilen und mache sogar in frostigem Tone Bemerkungen über die Menschenrechte. Und können nicht alle Leute, selbst die Bäcker-Queues in den Straßen von Paris die auffallend große Zahl von Offizieren auf Urlaub, von Ludwigskreuzen und dergleichen mit eigenen Augen sehen? Manche schätzen sie auf tausend bis zwölfhundert. Offiziere aller Uniformen; eine ist darunter, die noch niemand gesehen hat, grün mit roter Einfassung. Die dreifarbige Kokarde sieht man nicht überall: aber, du lieber Himmel, was haben denn jene schwarzen Kokarden zu bedeuten, die einige tragen?

Der Hunger schärft alles, insbesondere den Argwohn und die Erbitterung. In diesem Paris ist jetzt selbst die Wirklichkeit unwirklich, übernatürlich geworden. Noch einmal spuken Gespenster im Gehirn des hungernden Frankreichs. O ihr trägen, feigen Memmen, schreien kreischende Weiberstimmen aus den Queues heraus, hättet ihr Männerherzen, ihr würdet eure Piken und alten Gewehre nehmen und selbst einmal Nachschau halten, ihr würdet nicht eure Frauen und Töchter dem Hunger, Mord und noch Schlimmerem preisgeben! – Ruhe, Weiber! Das Herz des Mannes ist schwer und verbittert; der vom Patrouillotismus hinausgehetzte Patriotismus weiß nicht, wozu er sich entschließen soll.

Die Wahrheit ist, das Oeil de Boeuf ist bis zu einer 247 gewissen noch unbekannten Stärke wieder beisammen, allerdings ein völlig verändertes Oeil de Boeuf mit Versailler Nationalgarden, die hier den Dienst versehen, ein Hof, an dem überall die Trikolore glänzt! Doch auch um einen trikoloren Hof kann man sich scharen. Auf denn, ihr königstreuen Herzen, ihr durch Feuer und Rauch vertriebenen Seigneurs, schart euch um eure Königin, sammelt euch mit Wünschen, die Hoffnungen, mit Hoffnungen, die Thaten zeugen werden!

Da nun einmal der Selbsterhaltungstrieb einem Naturgesetz entspricht, so kann doch der neugesammelte Hof nichts anderes thun als Anstrengungen, Versuche oder, wenn ihr es so nennen wollt, Verschwörungen machen so klug oder unklug, als er eben kann. Man will unter Bedeckung nach Metz fliehen, wo der tapfere Bouillé kommandiert, man will das königliche Banner aufrichten, aus den Unterschriften der Erklärung sollen bewaffnete Männer erstehen. Wäre der König nur nicht so mattherzig! Jene Erklärung muß, wenn sie überhaupt unterzeichnet wird, ohne sein Wissen unterzeichnet werden. Der unglückliche König! er hat nur einen Entschluß: einen Bürgerkrieg um jeden Preis hintanzuhalten. Im übrigen geht er noch immer auf die Jagd, nachdem er die Schlosserei aufgegeben hat, träumt dahin und verdaut noch immer, kurz er ist Thon in den Händen des Töpfers. Schlimm wird es ihm ergehen in einer Welt, in der jeder sich selbst helfen muß, in der, wie es geschrieben steht, »jeder, der nicht Hammer ist, Amboß sein muß, in der selbst der Ysop in jener Mauerspalte dort wächst, weil die ganze Welt sein Wachstum nicht hindern kann.«

Was aber das Heranziehen des Regiments Flandern betrifft, kann man diese Maßregel nicht mit Saint-Huruge-Petitionen und fortwährenden Kornaufständen begründen? Ob nun eine Verschwörung oder auch nur die ersten nebelhaften Pläne zu einer Verschwörung vorliegen, unverführte Truppen sind für jeden Fall gut. Hat nicht die Stadtbehörde von Versailles (noch eine alte monarchisch gesinnte, die noch nicht in eine demokratische umgegossen ist) diesen Vorschlag sofort unterstützt? Ja, sogar die Versailler Nationalgarde, ermüdet von dem beständigen Dienste im Schlosse, hat keine Einwendungen erhoben; nur der Tuchhändler Lecointre, jetzt Major Lecointre, schüttelt bedenklich den Kopf. Ja, Freunde, es war doch natürlich, das Regiment Flandern, das man haben konnte, kommen zu lassen; es war natürlich, daß im neugesammelten Oeil de Boeuf die Herzen beim Anblick des 248 militärischen Bandeliers freier schlugen, daß Ehrendamen und Ehrenkavaliere ermutigende Worte für ihre Verteidiger in Epauletten und füreinander hatten; es war auch natürlich und nichts anderes als gewöhnliche Höflichkeit, daß die Leibgarde, ein Regiment von Edelleuten, ihre flandrischen Waffenbrüder zu einem Begrüßungsmahle einladen mußte. – Diese Einladung ergeht denn auch in den letzten Septembertagen und wird angenommen.

Gastmähler gelten als »der letzte und höchste Akt der Gemeinschaft«; Leute, die sonst gar keine Gemeinschaft miteinander haben, können doch in guter Eintracht miteinander speisen, können sich bei Speis und Trank sogar zu einer gewissen Brüderlichkeit erwärmen. Das Festmahl wird für den 1. Oktober angesetzt, und man verspricht sich davon einen schönen Erfolg. Da ferner die Zahl der Teilnehmer an einem solchen Mahl einen größeren Umfang annehmen kann, zumal auch Unteroffiziere, ja selbst Gemeine als Zuschauer und Zuhörer Zutritt haben sollen, könnte man wohl Seiner Majestät Opernsaal, der seit dem Besuche Kaiser Josephs ohnehin ganz verlassen und still liegt, für diesen Zweck erlangen. Die Benutzung des Opernsaales wird bewilligt und der Herkulessaal als Empfangsraum ausersehen. Nicht nur die Offiziere des Regiments Flandern, sondern auch die der Schweizer, der Hundert-Schweizer, ja sogar der Versailler Nationalgarde, wenigstens jene, welche noch einige Loyalität zeigen, sollen an dem Feste teilnehmen: ja, es soll ein Gastmahl werden wie wenige zuvor.

Und nun denkt euch, dieses Mahl oder doch dessen solider Teil sei vorüber und die erste Flasche geleert; denkt euch, man habe auch schon die herkömmlichen Toaste: die Gesundheit des Königs, die Gesundheit der Königin unter betäubenden Vivats getrunken, die der Nation aber »unterlassen« oder gar »zurückgewiesen;« denkt euch, daß unter weinmutigen Reden und bei rauschender Musik der Champagner in Strömen fließe und leere Federbuschköpfe infolge der eigenen Hohlheit und des gegenseitigen Lärms immer lärmender werden. – Man sagt Ihrer Majestät, die heute abends trauriger als gewöhnlich aussieht (Seine Majestät sitzt abgespannt vom Waidwerk des Tages da), der Anblick des Festmahles werde sie aufheitern. – Seht, wie der Mond aus den Wolken, tritt sie, die holde, unglückliche Königin der Herzen, aus ihren Staatsgemächern, den königlichen Gemahl an ihrer Seite, den kleinen Dauphin auf ihren Armen. Von Glanz umgeben, 249 von jubelnden Zurufen empfangen, kommt sie von ihrer Loge herab und geht von Anmut begleitet, überall hin huldvoll grüßend, mit königlichem Adel um die Tafel; ihr Blick ist voll Sorge, doch auch voll Dankbarkeit und Mut, und Frankreichs Hoffnung ruht an ihrer Mutterbrust! Und als nun die Musik die Weise zu spielen begann: O Richard, o mon roi, l'univers t'abandonne; – konnte es da anders sein, als daß Mitleid und königstreuer Mut ihren höchsten Gipfel erreichten? Konnten junge helmbuschumflatterte Fähnriche etwas anderes thun als weiße Bourbonen-Kokarden aufstecken, die ihnen schöne Hände reichten, konnten sie etwas anderes thun als die Schwerter aus den Scheiden fliegen lassen, um das Wohl der Königin auszubringen, als die Nationalkokarden mit den Füßen treten und die Logen erklettern, aus denen unwilliges Murren zu kommen schien, mit einem Worte, konnten sie anders als durch Lärmen, Singen, Tanzen und tolles Rasen bezeugen, – in welchem Taumel von Trunkenheit und Gedankenlosigkeit sie sich befanden, bis Champagner und Tanz ihre Wirkung thaten, und sie alle schweigend ausgestreckt lagen, ruhig schlummerten und von Kampf und Lorbeer träumten.

Ein natürliches, in gewöhnlichen Zeiten auch ein harmloses Mahl, wurde es jetzt verhängnisvoll wie das des Thyestes oder wie das der Söhne Hiobs, »da ein großer Wind kam und auf die vier Ecken ihres Hauses stieß.« Arme, übelberatene Marie Antoinette mit der Leidenschaftlichkeit des Weibes, aber ohne die Voraussicht der Fürstin! Es war so natürlich und doch so unklug. Am nächsten Tage erklärt Ihre Majestät beim feierlichen Empfang, »sie sei vom Donnerstag entzückt.«

Das Herz des Oeil de Boeuf erglüht in Hoffnung und voreiliger Zuversicht. Von Abbés umschwärmt, nähen die wiederversammelten Ehrendamen »weiße Kokarden« und verteilen sie mit Worten, mit Blicken an die epaulettentragende Jugend, die zum Danke die Finger der schönen Näherinnen nicht ohne Feuer küssen dürfen. Hauptleute zu Pferde und zu Fuß tragen herausfordernd »riesige weiße Cocarden,« ja selbst ein Hauptmann der Versailler Nationalgarde hat eine solche aufgesteckt und seine dreifarbige abgelegt; so bezaubernd waren die Worte und Blicke! Wohl mag Major Lecointre seinen Kopf mit ernster Miene schütteln und seinem Zorn in lauten Worten Luft machen; aber ein Eisenfresser mit einer riesigen weißen Kokarde, der des Majors Worte angehört hat, fordert ihn augenblicklich und später an einem anderen 250 Orte noch einmal auf, zu widerrufen oder im Weigerungsfalle sich mit ihm zu schlagen. Major Lecointre erklärt, schlagen werde er sich nicht, wenigstens nicht nach irgend einem bekannten Duellkodex; doch werde er nach dem einfachen Naturgesetz jeden »elenden Gladiator« mit Dolch und Klinge »ausrotten,« der ihn oder die Nation beschimpfe; – darauf (denn der Major zieht wirklich vom Leder) trennt man die beiden, ohne daß eine Kehle geschlitzt wird. Moniteur (in Hist. Parl., III, 59); Deux Amis, III, 128-141; Campan, II, 70-85 etc.

 


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