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Das Pikenfest.

Erstes Kapitel.
In den Tuilerien.

Wenn das Opfer einmal seinen Gnadenstoß erhalten hat, so kann man die Katastrophe fast schon als hereingebrochen betrachten. Wenig Interesse bietet es mehr, seinem langen, tiefen Stöhnen zu lauschen; beachtenswert sind nur seine heftigeren Todeszuckungen, die krampfhaften Anstrengungen, die es vielleicht noch macht, die Qual von sich abzuschütteln; schließlich das letzte Scheiden des Lebens selbst und der Anblick des Opfers, wie es vernichtet, entseelt daliegt, sei es wie Cäsar, würdevoll in die Falten seiner Toga gehüllt, oder, würdelos zusammengebrochen wie einer, der nicht einmal die Kraft hatte, mit Würde zu sterben.

War das französische Königtum, nachdem man es an jenem 6. Oktober 1789 so schmählich aus seinem Prunkrahmen herausgerissen hatte, ein solches Opfer? – Ganz Frankreich und die königliche Proklamation an alle Provinzen sind eifrig und ängstlich bemüht, mit einem Nein! zu antworten; gleichwohl kann man auf das Schlimmste gefaßt sein. Das Königtum war schon vorher gar lebensschwach, ja dem Sterben nahe und besitzt jetzt nicht mehr Lebenskraft genug, eine ihm geschlagene Wunde zur Heilung zu bringen. Wie viel an seiner Kraft, die lediglich nur mehr in der Einbildung vorhanden war, hat es eingebüßt seit dem Augenblicke, da der Pöbel dem König frech ins Gesicht schauen durfte, ohne sofort vom Tode niedergestreckt zu werden. Wenn eine Krähenversammlung ihre Vogelscheuche rupfen und ihr gebieten darf: hierher stellst du dich, nicht dorthin, wenn sie mit ihr unterhandeln und aus einer unbeschränkten, eine völlig beschränkte, konstitutionelle Vogelscheuche machen darf, was läßt sich dann noch erwarten? Nicht in der beschränkten, konstitutionellen Vogelscheuche liegt von nun an die Hoffnung, sondern in der noch ungemessenen, unbegrenzt scheinenden Kraft, die sich um 293 sie sammeln kann. Bleibt es doch ewig wahr, daß jede bestehende Autorität in ihren Grundlagen mystisch ist und »von Gottes Gnaden« kommt.

Unterhaltender als den Todeskämpfen des Royalismus zuzuschauen, wird es sein, den Sansculottismus als Kind und Springinsfeld zu beobachten. Denn in menschlichen Dingen, besonders in der menschlichen Gesellschaft, ist jeder Tod nur eine Geburt im Tode. Wenn darum das Scepter von Ludwig scheidet, so bedeutet das nur, daß in anderen Formen neue Scepter, wären es auch Pikenscepter, zur Herrschaft kommen werden. Wir werden sehen, wie der Sansculottismus in einem üppigen, an Nährstoffen reichen Elemente munter heranwächst und sogar in anmutigem Spiele herumtollt, denn alle jungen Geschöpfe lieben das Spiel! Ja, kann man nicht auch beobachten, daß zwar die alte Katze und die Katzenarten im allgemeinen das Grausamste sind, was wir kennen, während es nichts Possierlicheres giebt als gerade das Kätzchen oder die heranwachsende Katze?

Stellt euch nun vor, die königliche Familie habe am Morgen nach jenem tollen Tage ihre Rollbetten verlassen; denkt euch die Anfrage der Municipalität: »Wie werden Eure Majestät zu wohnen geruhen« und des Königs verdrießliche Antwort: »Jeder möge wohnen wie er will, ich bin zufrieden;« stellt euch vor, wie die städtischen Beamten, denen dienstbeflissene Tapezierer folgen, unter Bücklingen und ausdrucksvollem Grinsen darüber hinweggehen; wie dann das Tuilerienschloß frisch gemalt und zu einer goldenen königlichen Residenz ausstaffiert wird, während Lafayette mit seinen blauen Nationalgarden davor lagert und es, (in der Sprache der Dichter ausgedrückt) wie der blaue Neptun, der um ein Eiland wirbt, umkreist. Hier mögen sich die Trümmer der rehabilitierten Königstreue sammeln, wofern sie die Verfassung anerkennen wollen; denn der Konstitutionalismus denkt an nichts Böses; selbst der Sansculottismus freut sich am Anblick seines Königs. Der Schutt des Mänadenaufstandes wird weggeräumt, wie es in dieser ewig gütigen Welt mit jedem Schutt geschehen kann und muß; und so beginnen wir auf der gesäuberten Arena, unter neuen Verhältnissen, sogar mit einer Art neuer, prunkvoller Ausstattung einen neuen Gang der Handlung.

Arthur Young war Zeuge des seltsamsten Schauspieles: die Majestät geht ohne Begleitung im Tuileriengarten spazieren; buntgemischtes Volk in der Tricolore begrüßt sie 294 und macht ehrerbietig Platz; selbst die Königin nötigt mindestens respektvolles Schweigen und teilnahmsvolles Ausweichen ab. Arthur Young, Travels. I, 264-280. Gewöhnliche Enten betteln in den königlichen Wassern schnatternd um Brotkrumen aus jungen königlichen Händen; der kleine Dauphin hat ein umfriedetes Gärtchen, in dem man den flachshaarigen Lockenkopf mit geröteten Wangen graben sieht; dort ist auch eine kleine Hütte, wo er seine Gartengeräte aufbewahrt, oder bei Regenschauern Schutz finden kann. Welch friedliche Einfachheit! Ist es der Friede eines Vaters, der seinen Kindern wiedergegeben ist, oder der Friede eines Zuchtmeisters, der seine Peitsche verloren hat? Lafayette, der Gemeinderat und der ganze Konstitutionalismus versichern uns des ersteren und thun ihr Möglichstes es wahr zu machen. Knurrt ein Teil des Patriotismus gefährlich und fletscht die Zähne, so soll der Patrouillotismus ihn niederhalten, oder, besser noch, das Königtum soll dessen gesträubtes Haar durch sanftes Streicheln und am wirksamsten, durch reichlichere Nahrung glätten. Gewiß – Paris soll nicht nur Nahrung erhalten – man soll auch des Königs Hand bei diesem Werke deutlich sehen. Die verpfändete Habe der Armen soll bis zu einem gewissen Betrage durch königliche Huld ausgelöst und der unersättliche Mont de Pitié soll entleert werden; Fahrten durch die Stadt mit ihren offiziellen: Vive le Roi dürfen nicht fehlen, und so soll, wenn Menschenkunst es vermag, das Königtum durch wirkliche Mittel und durch äußeren Schein volkstümlich gemacht werden. Deux Amis III. 10.

Oder, ach, ist es weder ein wiedergegebener Vater noch ein Zuchtmeister ohne Peitsche, der hier lustwandelt, sondern eine von der Regel abweichende Mischung beider und anderer, ungleichartiger Bestandteile, die sich in keine andere Rubrik als in die neugeschaffene Rubrik einreihen lassen: König Ludwig, der Wiederhersteller der französischen Freiheit? Der Mensch – und König Ludwig nicht anders wie jeder Mensch – lebt in dieser Welt um aus dem Regellosen eine Regel zu machen; er soll durch seine lebendige Energie sogar das Widersinnige zwingen, weniger widersinnig zu werden. Wie aber wenn keine lebendige Energie vorhanden ist, sondern nur lebendige Passivität? Als Königin Schlange plötzlich in ihr Wasserreich geschleudert wurde, biß 295 sie wenigstens und bewies dadurch überzeugend, daß sie da war. Der arme König Klotz dagegen, ein Spielball tausendfältigen Zufalls und fremden Willens, konnte von Glück sagen, daß er wirklich von Holz war und daß er, wenn schon nichts thun, doch auch nichts sehen und leiden konnte. – Es ist eine verzweifelte Sache.

Für den französischen König ist es unterdessen das Schlimmste, daß er nicht jagen kann. Ach, von nun an giebt es kein Jagen mehr, nur ein verhängnisvolles Gejagtwerden. Nur in den nächsten Juniwochen soll er noch einmal die Freuden des Wildtöters genießen, – im nächsten Juni und dann nicht wieder. – Er läßt sich seine Werkzeuge kommen und macht untertags, sobald sein amtliches oder ceremonielles Tagewerk gethan ist, einige Striche mit der Feile ( quelques coups de lime). Le château des Tuileries ou récit etc. par Rousse (Hist. Parl. IV, 193-219.). Harmloser Bruder Sterblicher, warum warst du kein einfacher wirklicher Schlosser? Warum warst du dazu verdammt, in jenem anderen weithin sichtbaren Handwerk nur Weltthorheiten, Scheindinge und Dinge, die sich selbst zerstören, zu schmieden, Dinge, die kein Hammer eines Sterblichen zusammenschweißen konnte?

Der arme Ludwig ist nicht ohne Einsicht, ja auch nicht ohne die Elemente des Willens; hin und wieder bricht aus seinem lauen, trägen Charakter sogar eine gewisse Leidenschaftlichkeit hervor. Könnte harmlose Unthätigkeit ihn retten, dann wäre es gut; aber er wird nur schlummern und qualvoll träumen, doch irgend etwas zu thun, ist ihm nicht gegeben. Freunde des alten Royalismus zeigen noch die Zimmer, welche die Majestäten mit ihrem Hofstaat unter diesen außerordentlichen Umständen bewohnten: hier saß die Königin und las – denn sie hatte sich ihre Bibliothek bringen lassen, während der König die seinige abgelehnt hatte, – hier nahm sie leidenschaftlichen Rat von leidenschaftlichen Ratlosen an, grämte sich ob der Zeiten Veränderlichkeit und hoffte doch auf bessere: denn hat sie nicht in ihrem rosigen Knaben das lebendige Sinnbild der Hoffnung vor sich? Ihr Himmel ist trübe, von dahinjagenden Wolken umzogen; doch brechen goldene Strahlen hindurch; künden sie die Morgendämmerung oder eine finstere Gewitternacht an? Dort jenes Zimmer auf der anderen Seite des Haupteinganges 296 gehörte dem König: hier frühstückte seine Majestät und lag den Staatsgeschäften ob; hier empfing er täglich nach dem Frühstück die Königin, zumeist mit liebevoller Herzlichkeit, manchmal wohl auch mit menschlicher Übellaune; das Fleisch ist ja schwach. Und wenn sie Regierungsfragen berührte, antwortete er wohl »Madame, Ihr Geschäft ist bei den Kindern!« Nein, Sire, wäre es nicht besser, wenn Eure Majestät persönlich die Leitung übernähmen? So fragt die unparteiische Geschichte, unwillig, daß das gröbere Gefäß nicht auch das stärkere war, und voll Mitleid eher für den aus feinerer Porzellan- als aus gröberer Ziegelerde gebildeten Teil des Menschengeschlechtes – wenn auch beide zerbrochen wurden.

So sollen nun Frankreichs König und Königin in diesen Mediceischen Tuilerien einundvierzig Monate weilen und zusehen, wie das wildgährende Land an seinem und ihrem Schicksale arbeitet. Es sind rauhe, unfreundliche Monate mit rasch wechselndem Wetter, doch hie und da noch mit dem schwachen, milden Sonnenglanz eines Aprils, der zum laubreichen Sommer, oder eines Oktobers, der zu ewigem Frost führt. Mediceische Tuilerien, wie habt ihr euch verändert seit der Zeit, da ihr ein friedliches Ziegelfeld waret! Oder ruht auf dem Boden selbst ein Fluch, ein finsteres Fatum? Seid ihr ein Atreus-Palast? Noch ist ja in der Nähe jenes Fenster des Louvre, aus dem ein Capet, von Furien gepeitscht, mit seinem Schuß das Signal zum Blutbade der Bartholomäusnacht gegeben hat. Dunkel ist der Weg des Ewigen, wie er sich widerspiegelt in dieser Welt des Zeitlichen: Gottes Weg geht im Meere und Sein Pfad führt in großer Tiefe.

 


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