Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Loménies Donnerkeile.

Wache auf, Loménie de Brienne! Die Zeit des Schwankens, der Lettres de jussion und der gütlichen Vergleiche ist vorbei. Siehst du, wie die ganze fluktuierende Bevölkerung von Paris (das heißt, alles, was nicht seßhaft und durch Arbeit gebunden ist) gleich brandenden Wogen einer zerstörenden Sündflut die äußeren Höfe überschwemmt? Hörst du, wie selbst die Schreiber der Basoche Aufruhr predigen? In diesem Zweikampfe von Autorität gegen Autorität, in dem ein Grieche den anderen zu erdrosseln sucht, haben die unteren Volksschichten aufgehört, die Stadtwachen zu respektieren. Man schreibt Polizeiagenten mit Kreide ein M auf den Rücken (das Mouchard, Spion bedeutet), man stößt, jagt und hetzt sie wie wilde Tiere ( ferae naturae). Unbedeutende Landtribunale senden Glückwünsche und Versicherungen der Zusammengehörigkeit. Die Quelle der Gerechtigkeit wird zur Quelle des Aufruhrs. Die Provinzialparlamente sehen mit aufmerksamen Blicken, atemloser Spannung und heißen Wünschen dem Ringen ihrer älteren Schwester in Paris zu: alle zwölf Parlamente sind ein Leib und eine Seele; der Sieg des einen ist der Sieg aller.

Es wird immer schlimmer: am 10. August wird über »Calonnes Verschwendungen« Klage geführt und die Erlaubnis erteilt, gegen ihn »vorzugehen.« Also kein Registrieren, nein, statt dessen nur Klagen über Verschleuderung und Unterschleif, und überdies immer wieder dasselbe lästige Lied: Generalstände! Giebt es denn in den königlichen Rüstkammern keinen Donnerkeil, den du, Loménie, mit deiner roten Rechten unter diese theatralischen Demosthenesse schleudern könntest, unter diese Donnerer, deren Donnern und Blitzen doch nicht viel mehr ist als leerer Schall und Kolophonium? Am Abend des 14. August schleudert Loménie in der That nicht einen Donnerkeil, sondern deren eine Handvoll. In der Nacht werden gegen 120 Lettres de cachet (Briefe, die ihren Namen vom Siegel haben), so viel als eben nötig sind, zugestellt, und schon am nächsten Morgen wird das ganze Parlament abermals zu Wagen gebracht und rollt ohne Aufenthalt nach Troyes in der Champagne, – »begleitet,« 86 wie die Geschichte meldet, »von den Segenswünschen des ganzen Volkes;« sogar die Wirte und Postillone bezeigen ihre Huldigung unentgeltlich. A. Lameth: Histoire de l'Assemblée Constituante (Int. 73). Es ist der 15. August 1787.

Was wird das Volk in seiner äußersten Bedrängnis noch segnen! Segenswünsche hat das Parlament von Paris bisher weder verdient noch empfangen. Es war eine isolierte Körperschaft, die sich, wie es bei Körperschaften zu geschehen pflegt, aus alten Wirren heraus (zu einer Zeit, da das Scepter des Schwertes unklar danach rang, ein Scepter der Feder zu werden) entwickelte, um einem unklaren Wunsche der Gesellschaft und vielen ganz klaren Wünschen Einzelner entgegenzukommen, die im Laufe der Jahrhunderte durch Konzessionen, Erwerbungen, Usurpationen zu dem heranwuchs, was wir jetzt sehen: zu einer sozialen Anomalie, die blüht und gedeiht, die Prozesse entscheidet, Gesetze sanktioniert oder verwirft und dazu ihre eigenen Stellen und Ämter um bares Geld verkauft: – eine Methode, die, wie der glatte Präsident Hénault beweisen will, noch immer die leidlich beste ist. Abrégé Chronologique, p. 975.

In einer solchen Körperschaft, die sich nur durch Kauf um bares Geld erhält, herrschte gewiß kein Übermaß an Gemeinsinn, eher ein übergroßes Verlangen nach Teilung der Gemeinbeute. Ehemals teilten Männer in Helmen die Beute – mit dem Schwerte, heute teilen sie Männer in Perücken – mit Federkiel und Tinte; und diese sind zwar friedlicher, aber noch hassenswerter, weil sich die Perückenmethode als die weit gemeinere und unwiderstehlichere erweist. Eine lange Erfahrung, sagt Besenval, beweist, daß es ein ganz vergebliches Bemühen ist, ein Parlamentsmitglied gerichtlich zu belangen; kein Diener der Gerechtigkeit wird ihn vorladen, Perücke und Robe sind eine undurchdringliche Rüstung, ein unsichtbar machender Zaubermantel.

Mit Recht kann sich das Parlament von Paris für unbeliebt halten; in politischer Beziehung hat es nie eine großherzige, sondern stets eine niedrige Gesinnung bewiesen. War der König schwach (wie eben jetzt), so hat ihm sein Parlament ganz im Sinne und Geiste der gerade herrschenden und bei der Menge beliebten Schlagwörter nachgebellt; war er stark, so bellte und jagte es als sein eifriger Spürhund vor ihm her. Es war eine ungerechte Körperschaft, deren Urteil mehr als einmal durch unlautere Machenschaften 87 schmählich beeinflußt und verderbt wurde. Schreit nicht gerade jetzt das Blut des gemordeten Lally laut um Rache? Man hat ihn gehetzt, umstellt und wie den Löwen in der Falle zum Wahnsinn getrieben, bis sein herzhafter Mut erlosch und der rachsüchtigen Chicane erlag. Seht ihn, den unglücklichen Lally, dessen düstere, wilde Seele aus seinen düsteren, wilden Zügen spricht, wie man ihn, um seinen Aufschrei der Verzweiflung zu ersticken, mit einem hölzernen Knebel im Munde zum Richtplatz schleift! Die wilde Feuerseele, die nur Gefahren und Mühsale gekannt, die sechzig Jahre lang inmitten von Unehrlichkeit, Feigheit und jämmerlicher Alltäglichkeit voll Geist und Mut des Schicksals Tücke und der Menschen Niedertracht unentwegt und vertrauensvoll bekämpft und erduldet hat: für diese Feuerseele hast du, o Parlament von Paris, keinen anderen Lohn als Knebel und Galgen? 9. Mai 1766: Biographie Universelle, § Lally. Sterbend vermachte Lally sein Andenken seinem Knaben, und jetzt erhebt sich der junge Lally und fordert Sühne im Namen Gottes und der Menschheit. Das Parlament von Paris aber thut sein Möglichstes, um die verabscheuungswürdige That, die sich nicht verteidigen läßt, zu verteidigen, und, was das Seltsamste dabei ist, sein erkorener Wortführer ist unser düsterglühender Aristogiton-D'Espréménil.

Und diese sociale Anomalie ist es, die jetzt von Frankreich gesegnet wird. Eine unlautere Anomalie, aber sie liegt jetzt im Zweikampfe mit einer anderen, die noch schlechter ist. Und darum glaubt man, das verbannte Parlament habe sich mit Ruhm bedeckt. Es giebt ja Fehden, in denen selbst Satan als Kampfgenosse nicht unwillkommen wäre, in denen sich selbst Satan durch Tapferkeit wenigstens für kurze Zeit mit Ruhm bedecken könnte.

Aber welche Aufregung herrscht in den äußeren Höfen des Palais, da Paris erfährt, daß sein Parlament nach Troyes in der Champagne abgeführt und niemand zurückgeblieben ist als einige schweigsame Archivare; das demosthenische Donnern ist verhallt, die Märtyrer der Freiheit sind verschwunden. Drohungen und verworrenes Wutgeschrei erschallen aus den Kehlen der Anwälte, Basocheschreiber, der Namenlosen und des anglomanen Adels; immer neue Massen von Müßiggängern, die sehen und hören wollen, drängen sich heran; der Pöbel, dessen Mut mit seiner Zahl wächst, macht Jagd auf Mouchards. Hier in diesen Räumen tost und tobt 88 eine wilde Brandung; das übrige Paris, das an seine Arbeit gebunden ist, verhält sich einstweilen noch ruhig. Freche Anschlagzettel sind zu lesen; aus allen Reden im Palais und dessen Umgebung spricht beinahe Aufruhr. Fürwahr, die Stimmung von Paris ist gar sehr verändert. Als drei Tage später (am 18. August) Monsieur und Monseigneur D'Artois nach altgewohntem Brauche in Staatskarossen kommen, um jene letzten verhaßten Beschlüsse ( arrêtés) und Proteste aus den Protokollen ausmerzen zu lassen, werden sie in einer sehr bezeichnenden Weise empfangen. Monsieur, der, wie man glaubt, zur Oppositionspartei gehört, mit Vivatrufen und einem Blumenregen; Monseigneur dagegen mit Schweigen oder Murren, das sich bis zum Zischen und zu höhnenden Zurufen steigert; ja, der aller Ehrfurcht bare Pöbel drängt sich in Massen und unter Zischen mit solcher Gewalt an ihn heran, daß der Kapitän der Garde kommandieren muß: » Haut les armes!« Bei diesem Donnerwort und dem Blitzen des blanken Eisens weicht allerdings der Pöbel gar schnell nach allen Seiten zurück. Montgaillard, I, 369. Besenval etc. Auch das sind neue Züge der Zeit, und treffend bemerkt der gute Monsieur de Malesherbes: »Dieser Streit mit dem Parlament ist ganz neuer Art;« kein vorübergehendes Funkensprühen wie beim Zusammenstoße harter Körper, es gleicht vielmehr den ersten Funken, die zum großen Brande werden, wenn man sie nicht löscht.« Montgaillard, I, 373.

Dieser gute Malesherbes sieht sich jetzt nach zehnjähriger Abwesenheit wieder im Rate des Königs; denn Loménie wollte, wenn auch nicht aus den Fähigkeiten, so doch aus dem Namen des Mannes Vorteil ziehen. Seine Meinung hört man nicht einmal an, – deshalb zieht er sich bald wieder zu seinen Büchern und Bäumen zurück. Was kann auch ein guter Mann in einem solchen Rate des Königs nützen? Turgot macht keinen zweiten Versuch: Turgot hat schon vor einigen Jahren Frankreich und diese Erde verlassen: ihm machen derartige Dinge keine Sorgen mehr. Wie merkwürdig! Turgot, unser Loménie und Abbé Morellet waren einst ein Trifolium junger Freunde, Studiengenossen an der Sorbonne. Vierzig weitere Jahre sind verstrichen, und jeder von ihnen hat es auf ganz verschiedene Art so weit gebracht.

Inzwischen hält das Parlament in Troyes täglich seine Sitzungen, setzt täglich Rechtsfälle auf die Tagesordnung; und 89 vertagt sie täglich, weil kein Anwalt erscheint, um zu plaidieren. Troyes zeigt sich so gastfreundlich, wie man es nur erwarten konnte; und doch ist das Leben hier verhältnismäßig eintönig. Hier giebt es keine Volksmenge, die euch auf den Schultern zu den unsterblichen Göttern emporhebt; höchstens fährt der eine oder der andere Patriot zu euch hinaus, um euch zu standhaftem Ausharren aufzufordern. Fern von der Heimat und eurer häuslichen Behaglichkeit wohnt ihr in fremden Räumen: ihr habt nicht viel mehr zu thun, als euch zwischen den reizlosen Feldern der Champagne zu ergehen, dem Reifen der Trauben zuzusehen und tausendmal Beratenes noch einmal in Beratung zu ziehen: eine Beute der Langenweile, lauft ihr noch Gefahr, von Paris vergessen zu werden! Boten kommen und gehen; denn der friedliebende Loménie ist unermüdlich im Unterhandeln und Versprechen, und d'Ormesson sowie die klugen älteren Mitglieder des Parlaments sehen im Streit kein Heil.

Nach einem traurigen Monat schließt das Parlament, wie es ja alle Parlamente thun müssen, halb nachgebend, halb fest bleibend, Waffenstillstand. Die Stempelsteuer wird zurückgezogen, die Subvention (die Grundsteuer) wird auch zurückgezogen; dagegen willigt es in eine »Prorogation der zweiten Zwanzigstelsteuer,« eigentlich auch nur eine Art Grundsteuer, die aber die maßgebenden Klassen nicht schwer drückt, weil sie hauptsächlich auf der stummen Klasse lastet. Überdies bestehen von Seiten der älteren Mitglieder geheime Zusagen, daß man den Finanzen durch ein Anlehen aufhelfen dürfe; des garstigen Wortes »Generalstände« solle keine Erwähnung geschehen.

Und so kehrt am 20. September unser verbanntes Parlament zurück. D'Espréménil sagte: »Ruhmbedeckt ist es ausgezogen, kotbedeckt ( de boue) ist es zurückgekehrt.« So nicht, Freund Aristogiton, oder wenn doch so, dann bist sicherlich du der Mann, es reinzuwaschen.

 


 << zurück weiter >>