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Zweites Kapitel.
Der Götterbote de Brézé

Jetzt wäre es nun gewiß an der Zeit, daß ein Deus ex machina erschiene; der tragische Knoten für ihn ist vorhanden. Es ist nur die Frage: »Welcher Gott?« Soll es der Kriegsgott de Broglie mit seinen hundert Kanonen sein? – Noch nicht, antwortet die Klugheit, antwortet der nachgiebige, unentschlossene König Ludwig. Sei es drum unser Oberceremonienmeister de Brézé als Götterbote Merkurius.

Am Morgen des nächsten Tages, den 20. Juni, wollen jene hundertneunundvierzig Priester, die sich von Seinen Gnaden von Paris nicht länger zurückhalten lassen, wie ein Mann desertieren: de Brézé trete also dazwischen und schaffe – geschlossene Thüren! Es soll nicht nur eine königliche Sitzung in jener Salle des Menus stattfinden, sondern es soll auch bis dahin keine Versammlung, kein Arbeiten geben, außer dem Arbeiten von Zimmerleuten. Durch diesen Kunstgriff soll sich der dritte Stand, der sich selbst den Namen Nationalversammlung beilegt, plötzlich von Zimmerleuten aus seiner Halle ausgeschlossen und genötigt sehen, nichts zu thun, nicht einmal zusammenzukommen, um seinen Klagen Ausdruck zu geben, – bis Seine Majestät mit der Séance Royale und 163 anderen neuen Wundern fertig ist! So soll also de Brézé als Deus ex machina sich ins Mittel legen und, wenn anders sich das Oeil de Boeuf nicht täuscht, den Knoten lösen.

Von dem armen Brézé können wir nur bemerken, daß er in der Art seines Verkehres mit den Gemeinen bisher kein Glück hatte. Als sie vor fünf Wochen Seine Majestät die Hand küßten, erfuhr sein Vorgehen nur Tadel; und wie wurde seine »aufrichtige Ergebenheit« unter Hohn und Spott abgethan! Heute abend schreibt er vor dem Nachtmahl an Präsident Bailly einen neuen Brief, der diesem morgen bei Tagesanbruch im Namen des Königs übergeben werden soll. Diesen Brief zerknittert jedoch Bailly im Stolze seiner Amtswürde und steckt ihn in die Tasche wie eine Rechnung, die man nicht zu zahlen gedenkt.

So verkünden denn am Samstag, den 20. Juni, schrilltönende Heroldsrufe auf den Straßen von Versailles, daß nächsten Montag eine Séance Royale, bis dahin aber keine Versammlung der Generalstände stattfinden werde. Und doch sehen wir, wie Präsident Bailly, obwohl er dies hört und den Brief de Brézés in der Tasche trägt, wie vordem an der Spitze der Nationalversammlung zur Salle des Menus hinschreitet, als ob de Brézé und die Herolde eitel Wind wären. Der Saal ist geschlossen und von französischen Garden besetzt. »Wo ist euer Kapitän?« Der Kapitän weist seinen königlichen Befehl vor und bedauert sagen zu müssen, Handwerker seien eben damit beschäftigt, ein Podium für die Séance Royale aufzuschlagen; daher sei leider der Eintritt niemand gestattet, höchstens dem Präsidenten und den Sekretären, um Papiere wegzunehmen, welche die Zimmerleute beschädigen könnten. Präsident Bailly geht mit den Sekretären hinein und kommt mit den Papieren zurück; drinnen, ach, ertönt an Stelle patriotischen Redeflusses nur der Lärm von Hammer und Säge, das Kreischen und Poltern der Arbeit. Eine beispiellose Entweihung!

Die Deputierten stehen in Gruppen auf der Pariser Straße und in der schattigen Avenue de Versailles, laut klagend über die ihnen angethane Schmach. Dabei sehen, wie es ihnen vorkommt, die Hofschranzen von ihren Fenstern herab und lachen sich ins Fäustchen. Der Morgen ist nicht der freundlichste: die Luft ist rauh, und es geht sogar ein leichter Sprühregen nieder. Bailly, Mémoires, I, 185-206. Gleichwohl bleiben alle 164 Vorübergehenden stehen; Patrioten von den Galerien, eine buntgemischte Menge von Zuschauern verstärken die Gruppen. Tolle, leidenschaftliche Ratschläge folgen einander. Einige Hitzköpfe schlagen vor, hinzugehen und die Sitzung auf der großen Freitreppe in Marly, gerade unter den Fenstern des Königs zu halten; denn Seine Majestät ist, wie es scheint, dort hinübergefahren. Andere sprechen davon, den Schloßhof, Place d'armes genannt, zum Runnymede und neuen Maifelde der freien Franzosen zu machen, ja das Oeil de Boeuf selbst von den Entrüstungsrufen des empörten Patriotismus wiederhallen zu lassen. – Da kommt die Nachricht, daß Präsident Bailly unter Beihilfe des praktischen Guillotin und anderer im Ballhause Rue St. François einen Versammlungsraum gefunden habe. Dahin ziehen nun zornentbrannt die Gemeinen, heiser krächzend, in langgedehnten Reihen wie Kraniche auf ihrem Wanderzuge. –

Ein seltsames Schauspiel, das Alt-Versailles hier in der Rue St. François bietet! Ein kahler Ballplatz, wie ihn Bilder aus jener Zeit darstellen: vier kahle Wände, oben eine Art ärmlichen Schirmdaches aus Holz, und eine herumlaufende, bedeckte Zuschauergalerie. Im Innern erschallt jetzt kein müßiges Jauchzen, kein Aufschlagen von Ball und Ballholz, sondern das tobende Lärmen einer entrüsteten Volksvertretung. die man, o der Schmach, hierher verbannt hat! Indessen schaut eine förmliche Wolke von Zeugen vom hölzernen Wetterdache, von der Mauerkrönung, vom anstoßenden Dach und Schornstein des Nachbarhauses auf sie herab, während ihnen aus allen Stadtvierteln unter leidenschaftlichen, lauten Segenswünschen immer neue Zeugen zuströmen. Ein Tisch zum Schreiben läßt sich herbeischaffen; ebenso ein Stuhl, nicht zum Sitzen, sondern, um darauf zu stehen. Die Sekretäre lösen die Schnüre von ihren Aktenbündeln; Bailly hat die Versammlung eröffnet.

Der erfahrene Mounier, kein Neuling in solchen Angelegenheiten, d. h. in parlamentarischen Revolten, die er als Augenzeuge erlebt oder von denen er gehört hat, hält es für angezeigt, daß man sich in anbetracht der traurigen und drohenden Umstände durch einen Schwur verbinde. – Allgemeiner Beifall folgt, als ob das in aller Herzen glimmende Feuer Luft bekäme. Der Eid wird aufgesetzt und vom Präsidenten Bailly verlesen, – und zwar mit so volltönender Stimme, daß die Wolke von Zeugen, ja selbst die Außenstehenden ihn vernehmen und brüllend erwidern. Sechshundert 165 Hände, die des Präsidenten mit eingeschlossen, erheben sich, um Gott im Himmel zum Zeugen zu nehmen, daß sie sich um keines Menschen auf Erden willen trennen, sondern aller Orten, unter allen Umständen, wo immer zwei oder drei zusammenkommen könnten, versammeln wollten, bis sie die Verfassung zustande gebracht hätten. Ja, Freunde, bis die Verfassung fertig ist. Das ist eine langwierige Aufgabe. Inzwischen unterzeichnen sechshundert Hände, was sie geschworen haben; sechshundert bis auf eine, die des einen königstreuen Abdiel, der durch diesen einzigen Lichtpunkt noch heute nennens- und bemerkenswert bleibt; es ist die Hand des armen »M. Martin d'Auch aus Castelnaudary in Languedoc.« Man gestattet ihm zu unterschreiben oder die Unterschrift zu verweigern, ja man schützt ihn vor der »Zeugenwolke« durch die Erklärung, »sein Verstand habe gelitten.« Um vier Uhr sind alle Unterschriften beigefügt; eine neue Versammlung wird auf Montag früh vor der Séance Royale festgesetzt; damit unsere hundertneunundvierzig Deserteure von der Geistlichkeit nicht unberücksichtigt bleiben, wollen wir »in der Barfüßerkirche oder sonstwo« zusammenkommen und hoffen, daß die Hundertneunundvierzig sich uns anschließen, – und nun ist es Zeit zum Speisen zu gehen.

Das ist die Sitzung im Ballhaus, jene berühmte Séance du Jeu de Paume, deren Ruf in alle Länder gedrungen ist, das ist Merkur de Brézés Auftreten als Deus ex machina und die Frucht, die es trägt. Das Lachen der Hofschranzen in der Versailler Allee hat sich in kleinmütiges Schweigen verwandelt. Glaubte denn der wahnwitzige Hof samt dem Siegelbewahrer Barentin, samt Triumvirat und Compagnie, daß sie sechshundert Nationaldeputierte, die mit einer National-Verfassung schwanger gehen, mit dem weißen oder schwarzen Stabe eines Oberceremonienmeisters auseinanderjagen könnten, wie ebensoviel Federvieh an der Scheunenthür, das so gut wie mit nichts schwanger geht? Das Federvieh dort fliegt gackernd davon, aber Nationaldeputierte wenden ihr Löwenantlitz ab und schwören mit erhobener Rechten einen Eid, der die vier Enden Frankreichs erzittern macht.

Präsident Bailly hat sich mit Ehren bedeckt, die nicht unbelohnt bleiben sollen. Die Nationalversammlung ist nun doppelt und dreifach die Versammlung der Nation, nicht nur als Streiterin und Märtyrerin, sondern auch als Siegerin, die man zwar beschimpfen, aber nicht entehren kann. Paris ergießt sich noch einmal hinaus, um grimmen Blickes Zeuge 166 der Séance Royale zu sein, Arthur Young, Travels I, 115-118. A. Lameth etc. die durch einen neuen glücklichen Zufall bis Dienstag verschoben wird. Die Hundertneunundvierzig, darunter sogar Bischöfe, haben Muße gehabt, alle wie in Prozession abzuschwenken und sich feierlich mit den Gemeinen zu vereinigen, die ihrer harrend in der Kirche sitzen. Die Gemeinen begrüßen sie mit Jubelrufen, Umarmungen, ja, unter Thränen; Dumont, Souvenirs sur Mirabeau cap. 4. steht doch ein Kampf auf Leben und Tod bevor.

Was die Sitzung betrifft, so scheinen die Tischler zwar das Podium vollendet zu haben, alles übrige aber bleibt unvollendet. Kleinlich, ja verhängnisvoll war das Ganze. König Ludwig tritt durch ein Meer des grimmig schweigenden, über so manches erbitterten Volkes herein – herrscht doch auch bitteres Regenwetter – und tritt zu dem gleichfalls grimmig schweigenden dritten Stand herein, der beim Warten unter den niederen Thüren der Rückseite naß geworden ist, während Hof und Privilegierte vorn hereingekommen sind. Der König und der Siegelbewahrer (Necker ist nicht erschienen) geben nicht ohne Langatmigkeit die Entschließungen der königlichen Brust bekannt. Die drei Stände sollen getrennt abstimmen. Dagegen kann Frankreich bedeutender konstitutioneller Segnungen, die einzeln in den fünfunddreißig Artikeln aufgezählt sind, gewärtig sein; bei ihrer Verlesung wird unser Siegelbewahrer ganz heiser. Können sich die drei Stände, fügt der König noch einmal aufstehend hinzu, über die Durchführung dieser fünfunddreißig Artikel unglücklicherweise nicht einigen, so will ich es allein thun: » seul je ferai le bien de mes peuples,« Worte, denen man auch den Sinn unterlegen kann: Ihr streitsüchtigen Deputierten der Generalstände, ihr werdet voraussichtlich nicht lange mehr hier sein. Histoire Parlementaire, I, 13. Für heute aber soll sich alles zurückziehen und morgen früh jeder Stand in seinem besonderen Zimmer fleißig an die Arbeit gehen. So lautet die königliche Entscheidung: markig und klar. Und dann ziehen König, Gefolge, Adel und die Mehrheit des Klerus hinaus, als wäre alles aufs Schönste erledigt.

Diese also ziehen durch die grimmig schweigenden Massen des Volkes hinaus; die Deputierten der Gemeinen aber ziehen nicht mit, sondern stehen unschlüssig, was sie thun sollen, in düsteres Schweigen versunken da. Ein Mann unter ihnen ist 167 aber entschlossen, einer unter ihnen hat Mut und Urteil. Es ist König Mirabeau, der in diesem Augenblick die Tribüne besteigt und seine Löwenstimme erhebt. Fürwahr ein Wort zu rechter Zeit; denn in solchen Fällen ist der Augenblick die Mutter von Jahrhunderten! Wäre Gabriel Honoré nicht hier gewesen, – so hätten die Gefahren, die sich gähnend ringsum aufthaten, die Gemeinen in Schrecken gesetzt, die Blässe des einen hätte auch den anderen erbleichen gemacht, einer nach dem anderen hätte sich hinausgeschlichen, und die ganze europäische Geschichte hätte eine andere Wendung genommen. – Er ist aber da. Horcht auf das Brüllen dieser königlichen Urwaldsstimme, die zuerst mit leisem Bedauern anhebt und dann schnell zum Sturmesbrausen anschwillt. An dem Feuer seiner Augen entflammen sich die Augen aller anderen: – Nationaldeputierte seien von der Nation entsandt, sie hätten einen Schwur gethan, sie . . . – doch siehe, während des Löwen Stimme am lautesten brüllt, was für eine Erscheinung taucht da auf? Es ist der Götterbote de Brézé, der irgend etwas murmelt. »Heraus mit der Sprache!« rufen mehrere. »Meine Herren« kreischt sich wiederholend de Brézé, »Sie haben die Befehle des Königs vernommen.« Mirabeau blitzt ihn mit seinen feuerflammenden Augen an und schüttelt die schwarze Löwenmähne: »Ja, mein Herr, wir haben gehört, was man dem König zu sagen geraten hat; Sie aber, Sie können nicht den Dolmetsch seiner Befehle gegenüber den Generalständen spielen; Sie, der Sie hier weder Sitz noch Stimme haben, Sie sind nicht der Mann, uns daran zu erinnern. Gehen Sie, mein Herr, und sagen Sie Ihren Auftraggebern, daß wir hier durch den Willen des Volkes sind und daß nur die Gewalt der Bajonette uns von hier fortbringen wird.« Moniteur (Hist. Parlem. II, 22). – Darauf verschwindet schlotternd und zitternd der arme de Brézé aus der Nationalversammlung und zugleich (abgesehen von einem ganz vorübergehenden Auftauchen wenige Monate später) endgültig auch aus der Geschichte! – Unglückseliger de Brézé, verurteilt im Gedächtnisse der Menschheit noch Jahrhunderte hindurch als eine solche Jammergestalt, mit dem weißen Stabe in der zitternden Hand, fortzuleben! Er hing an der Etikette, die sein irdisches Glaubensbekenntnis ausmachte, er war ein Märtyrer des Personenkultus. Kurze wollene Mäntel durften der Majestät so lange nicht die Hand küssen, als es die sammetenen Mäntel 168 thaten. Ja, war er nicht kürzlich, als der arme kleine Dauphin tot dalag, und eine der feierlichen Abordnungen kam, so gewissenhaft, sogar dem Leichnam des Dauphins die Meldung zu erstatten: »Monseigneur, eine Deputation der Generalstände!« Montgaillard II, 38. Sunt lacrimae rerum. –

Was thut aber das Oeil de Boeuf jetzt, da de Brézé zitternd zurückkehrt? Entsendet es jene Gewalt der Bajonette? Mit nichten. Gespannt auf das, was vorgeht, haben sich die Fluten der Volksmenge noch nicht verlaufen, ja sie stürzen und ergießen sich unter lautem Wogenschwall selbst in die Schloßhöfe; denn das Gerücht ist entstanden, Necker solle entlassen werden. Das Allerschlimmste aber ist, daß die Gardes français zum Eingreifen nicht Lust zu haben scheinen: »zwei Compagnien von ihnen schießen nicht trotz des erteilten Befehles.« Hist. Parlem. II, 26. Necker wird für sein Wegbleiben aus der Séance mit stürmischen Rufen verlangt und im Triumph heimgeführt werden; man darf ihn nicht entlassen. Seine Gnaden von Paris dagegen muß mit eingeschlagenen Kutschenfenstern fliehen und verdankt sein Leben nur dem rasenden Fahren. Es wäre wohl besser, die Gardes-du-Corps, die ihr ausmarschieren ließet, wieder einrücken zu lassen; Bailly, I, 217. an ein Entsenden von Bajonetten ist gar nicht zu denken.

Statt Soldaten sendet das Oeil de Boeuf Zimmerleute, um das Podium zu entfernen. Vergebliche List! In wenigen Minuten hören sogar die Zimmerleute auf, an dem Gerüste herumzuschrauben und zu klopfen: den Hammer in der Hand, stehen sie darauf und lauschen offenen Mundes. Histoire Parlem. II, 23. Der dritte Stand erklärt, daß er nichts anderes sei, gewesen sei und sein werde als eine Nationalversammlung, die überdies unverletzlich sei, da alle ihre Mitglieder unverletzlich seien: »daß alle Einzelnen oder Genossenschaften, Tribunale, Höfe oder Ausschüsse, die jetzt oder in Zukunft, während oder nach der gegenwärtigen Sitzungsperiode es wagen wollten, einen Deputierten zu verfolgen, zur Rede zu stellen, zu verhaften oder verhaften zu lassen, einsperren oder einsperren zu lassen« &c. &c. der Befehl dazu möge kommen, woher er wolle, Montgaillard, II, 47. ehrlos, Verräter an der Nation und eines Hauptverbrechens 169 schuldig seien. Nach diesem Beschluß kann man mit der tröstlichen Versicherung des Abbé Sieyès auseinandergehen: »Messieurs, Sie sind heute, was Sie gestern waren.«

Die Hofleute mögen schreien, so viel sie wollen, es ist und bleibt nun einmal so. Ihr gutgeladenes Geschütz hat sich durchs Zündloch entladen und sie selbst mit Brandwunden, Verwirrung und häßlichem Ruß bedeckt. Armes Triumvirat, arme Königin, vor allem armer Gemahl der Königin, der es gut meint, hätte er nur überhaupt eine feste Meinung! Thorheit ist die Weisheit, die erst hinterdrein klug ist. Vor wenigen Monaten noch hätten diese fünfunddreißig Konzessionen Frankreich mit einem Jubel erfüllt, der vielleicht einige Jahre angehalten hätte. Jetzt haben sie keinen Zweck; schon ihre erste Ankündigung wird geringschätzig aufgenommen, und der ausdrücklichen Befehle des Königs achtet man nicht.

Ganz Frankreich ist im Aufruhr; ein Meer von Menschen, wohl »an die Zehntausend,« wogt »den ganzen Tag im Palais Royal auf und ab.« Arthur Young, I, 119. Der Rest des Klerus und außerdem achtundvierzig vom Adel, unter ihnen Orléans, sind zu den siegreichen Gemeinen übergegangen, – die sie natürlich »mit Beifall« empfangen.

Der dritte Stand triumphiert, die Stadt Versailles umjubelt ihn; »die Zehntausend« wirbeln »den ganzen Tag im Palais Royal,« ja ganz Frankreich steht auf den Zehen und ist auch schon dem Wirbel nahe. Das Oeil de Boeuf mag sich in acht nehmen. Was König Ludwig anbelangt, – der wird den Schimpf ruhig hinnehmen, wird Zeit zu gewinnen suchen und schweigen; denn für den Augenblick will er um jeden Preis Frieden haben. Man schrieb Dienstag, den 23. Juni, als er im entschiedensten Tone seinen königlichen Befehl aussprach; – die Woche ist noch nicht um, und schon hat er an den noch übrigen halsstarrigen Adel geschrieben, auch er möge ihm den Gefallen thun und nachgeben. D'Espréménil hat seinen letzten Zornausbruch, Tonne Mirabeau »zerbricht seinen Degen« und thut ein Gelübde, – das er wohl hätte halten können! Die »dreigliedrige Familie« ist jetzt also vollzählig, nachdem sich auch der dritte irrende Bruder, der Adel, mit ihr vereint hat; – sein Irren war verzeihlich, und er wird durch die schmeichelnde Beredsamkeit des Präsidenten Bailly so weit als möglich besänftigt.

So triumphiert der dritte Stand; die Generalstände werden 170 zur Nationalversammlung, und ganz Frankreich kann ein Tedeum anstimmen. Durch kluge Unthätigkeit und kluges Aufgeben der Unthätigkeit ist ein großer Sieg errungen. Es ist die letzte Juninacht; auf den Straßen von Versailles begegnet man die ganze Nacht hindurch nur Leuten, die »jubelnd und jauchzend mit brennenden Fackeln umherlaufen.« Vom 2. Mai an, da man die Hand der Majestät küßte, bis zu diesem 30. Juni, da man mit Fackeln umherläuft, zählen wir acht Wochen und drei Tage. Acht Wochen lang stand der Nationalcarroccio weithin sichtbar und gab gar manches Glockensignal; jetzt, da sich so vieles um ihn gesammelt hat, darf er hoffen, seinen Platz zu behaupten.

 


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