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Hundertfünfzehnter Brief

 

Paris, Sonntag, den 17. März 1833

Swift wollte eine Geschichte von England schreiben, gab aber sein Vorhaben wieder auf. Als ihn ein Freund um die Ursache seiner Sinnesänderung fragte, antwortete er ihm: alle meine Könige und Helden sind solche Schufte, daß ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben will. – Obiges schrieb ich gestern, als mich ein Besuch unterbrach, und heute habe ich vergessen, was ich damit in Verbindung setzen wollte ... Was ich in Verbindung damit setzen wollte? Ach, wie dumm! Ich hörte einmal meinen Freund seine Frau bitten, sie möchte seinen abgefallenen Rock wieder an den Knopf nähen.

Die kurzen Tage der langen Briefe sind jetzt vorüber. Ich danke euch, ihr Götter! Wie ich es satt bin! Übermorgen ist der 20. März, an welchem morgens 8 Uhr 16 Minuten der Frühling beginnt. Von da an will ich lieben, selbst den Teufel, und lieben, bis der Senne heimkehrt und die Blätter fallen. Nach der Traubenlese beginne ich meinen Kampf von neuem. Ach! Ich trinke ja keinen Wein mehr, und wenn es nicht die Freiheit wäre, was sollte mein altes Herz erwärmen in den kalten Wintertagen? Die Freiheit liebte ich immer; aber als ich noch jung war und den Becher liebte, da träumte ich von ihr, und da vermißte ich sie selten; denn ich trank oft. Jetzt wache ich und bin nüchtern wie ein Bach, und wenn ich dampfe, ist es nur, weil die Luft noch kälter ist als ich.

Den Tag meiner Abreise kann ich noch nicht bestimmen; das hängt von meinem Holze ab. Ja wahrhaftig von meinem Brennholze; das ist mein Kerbholz, mein Kalender. Ich habe geschworen, kein frisches mehr kommen zu lassen, sondern in den Wagen zu steigen, sobald der letzte Scheit im Kamin liegt. Nein, was ich diesen Winter Holz verbrannt habe, wage ich Ihnen nicht zu sagen; es möchte Ihrer Gesundheit schaden. Es ist greulich! Zehen brave deutsche Hausfrauen hätte das unter die Erde gebracht. Zum Glücke bin ich weder eine Frau noch häuslich noch brav, und ich habe es ausgehalten. Aber länger könnte ich es auch nicht ertragen. Was zu arg ist, ist zu arg!

Holz, Philosophie, Geld, Freiheit – malédiction! O das schöne malédiction! – Wie ich mich gefreut habe, als Heine gleich in seinem ersten Artikel über die deutsche Literatur, gleich in dem ersten Blatte der Europe littéraire – in dem frommen heiligen Blatte, welches das Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams abgelegt, und in seiner Vignette die Raubtiere aller fürstlichen Wappen Europens als seine Herren zur Anbetung aufgestellt – daß Heine gleich in den ersten Zeilen einen gefährlichen politischen Anfall bekommen und malédiction! geschrien hat über die ewige Armut der deutschen Schriftsteller! Malediction! und doch ... Darum eben ist ja der hohe deutsche Adel uns Liberalen so entgegen, weil er fürchtet, bei einer liberalen Staatsverfassung sein Monopol der Verkäuflichkeit zu verlieren. Er wäre also töricht, wenn er uns kaufte, um uns zu gewinnen; denn dieses Mittel, eine Revolution zu verhüten, wäre ja die Revolution selbst, die verhütet werden soll. Keiner von uns wird es, auch nicht mit der allerlegationsrätlichsten Gesinnung, je dahin bringen, daß man ihm für seine Ehre auch nur das nötige Brennholz liefere. Der Ehren-Handel ist kein freies bürgerliches Gewerbe; er ist ein Regal wie das Salz und wird nur wenigen Generalpächtern überlassen. Unsere vornehmen Freunde, und hätten sie auch »Gedanken, groß wie die Welt«, teilen doch nur ihre überirdischen Gedanken mit uns; ihre unterirdischen, die mit Metallen vermischt sind, behalten sie für sich allein. Ich sagte einmal gegen Heine: wenn ich nicht ehrlich wäre aus Dummheit, wäre ich ehrlich aus Klugheit. Er hat das nicht verstanden. Später wird er es verstehen lernen und meine Erfahrung teuer bezahlen müssen, die ihm von mir unentgeltlich angeboten wurde ... Ich hätte die größte Lust, wieder einmal zu sagen: »Ich bin der einzige gescheite Mensch in Deutschland« – aber ich fürchte mich vor den Rezensenten.

Es gibt noch mehrere solcher geistreichen Ochsen in Deutschland, die gar nicht begreifen, wie die Vollblütigkeit des monarchischen Prinzips mit ihrer eignen Bleichsucht, und wie die häufigen Indigestionen der Diplomaten mit dem schriftstellerischen Hunger zusammenhängen. Ich wollte wetten, es ist dem dramatischen Dichter Raupach in Berlin noch nie durch den Sinn gegangen, daß, wenn in Preußen eine Staatsverfassung gleich der französischen wäre, er eine jährliche Rente von zehntausend Taler hätte, statt daß jetzt vielleicht sein ganzes Vermögen, die Ersparnis dreißigjähriger Arbeit, nicht mehr beträgt! Und dabei könnte er dichten, wie es ihm sein Herz eingibt und nicht, wie es der Hof verlangt ... malédiction!

 

Dienstag, den 19. März

Die zwei jungen Leute, welche eines Mordversuches gegen den König angeklagt waren, sind gestern abend freigesprochen worden. Ich müßte noch Holz auf vier Wochen haben, um mich gehörig über alle die Schändlichkeiten der geheimen Polizei auszusprechen, die bei dieser Gelegenheit wieder an den Tag gekommen. Sie werden die Verhandlungen in den Zeitungen lesen. Wie wohl muß sich ein Deutscher in einem Lande fühlen, wo er unter dem Schutze des Volkes steht und wo ihn weder die giftigen Blicke noch die Fußtritte eines erbosten Königs erreichen können! Wahrlich, in Frankreich fühlt sich selbst ein Verbrecher im Kerker freier als in Bayern ein Unschuldiger selbst in der Freiheit. Der französischen Regierung war es natürlich nicht darum zu tun, zwei unschuldige junge Leute auf das Schafott zu bringen – von dieser Grausamkeit ist sie weit entfernt, und noch entfernter ist sie von jener Pedanterie, die in Deutschland den Despotismus so furchtbar macht. Die Angeklagten wären, selbst schuldig befunden, ganz gewiß mit dem Leben begnadigt worden. Es lag der Regierung nur daran, der öffentlichen Meinung die Ansicht aufzudringen, daß man wirklich den König ermorden wollte und daß der Pistolenschuß keine Polizeikomödie war, aufgeführt, um bei Eröffnung der Kammern dem Ministerium eine schwankende Majorität fest zu machen. Aber selbst nur diese Ehrenrettung zu erlangen, verlor die Regierung alle Hoffnung, und sie gab den Kampf freiwillig auf. Gewöhnlich werden den Geschwornen zwei Fragen vorgelegt. Erstens: Ist das Verbrechen begangen worden? Zweitens: Sind die Angeklagten des begangenen Verbrechens schuldig? Diese erstere Frage wurde gestern gar nicht vorgelegt, sondern bloß die andere: Sind die Angeklagten des Mordversuchs gegen den König schuldig?

Es ist bewundrungswürdig, mit welcher Kühnheit, Geistesgegenwart und mit welcher Zuversicht des Rechts die Angeklagten vor dem Gerichte gesprochen haben. Der königliche Prokurator, um die Angeschuldigten den Geschwornen verdächtig zu machen, wies auf deren bekannte republikanische Gesinnung hin. Sie aber suchten diese Gesinnung gar nicht zu verbergen, sondern bekannten sich laut und frohlockend zu ihr. Der eine sagte: »Wir Republikaner achten den König viel zu wenig, um ihn zu töten. Haben wir ihn einmal vom Throne gestürzt, dann schicken wir ihn zum Lande hinaus, und das ist alles.« Solche Äußerungen sind nach den französischen Gesetzen nicht strafbar; denn es darf jeder seine Meinung haben und aussprechen. Wenn sich einmal in Deutschland ein Republikaner gelüsten ließe, sich auf solche Weise vor einem Kriminalgerichte zu verteidigen – ich glaube, er würde auf der Stelle mit dem Federmesser des Aktuars geköpft werden.


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