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Dreißigster Brief

 

Paris, Donnerstag, den 27. Januar 1831

Sie fragen mich, ob denn die hessische Konstitution wirklich so gar arg wäre, als ich behauptet? Was arg! Das ist das Wort gar nicht. Es ist die unverschämteste Prellerei, die mir je vorgekommen. Die Erzjuden hier auf den Boulevards, wenn sie sie läsen, würden mit Neid ausrufen: nein, das können wir nicht! Gewährte die Konstitution noch so wenig oder auch gar nichts von dem, was heute die Völker von einer erwarten, dagegen ließe sich nichts sagen. Die Freiheit wurde von einem Fürsten nie geschenkt noch verkauft; ein Volk, das sie haben will, muß sie rauben. Dem Geduldigen gibt man nichts, dem Drohenden wenig, dem Gewalttätigen alles. Die Hessen haben nur etwas gedroht. Aber diese Konstitution ist eine Betrügerei, man hat das schlechte Zeug gelb gemacht, daß man es für Gold halte, und so dumm ist unser Volk, daß unter hundert Käufern nur einer merkt, daß er betrogen worden. Was ist das für eine Konstitution, die den Satz enthält: Das Briefgeheimnis ist unverletzlich, für nötig hält, ausdrücklich zu erklären, die Regierung dürfe keine schlechten Streiche machen? Es heißt: Die Presse ist vollkommen frei, ausgenommen, wo sie die deutsche Bundesversammlung beschränkt; die deutsche Bundesversammlung aber hat sie in allem beschränkt. Es heißt: Alle Religionen sind gleich vor dem Gesetze, und gleich darauf: die Rechte der Juden werden unter den Schutz der Konstitution gestellt. Das heißt: einem, der in Ketten liegt, zu seiner Beruhigung eine Wache zur Seite stellen, damit ihm ja niemand seine Ketten stehle! Die Juden haben es jetzt viel schlimmer als vorher. Früher konnte doch der Fürst die Rechte der Juden erweitern, sie den übrigen Staatsbürgern ganz gleich stellen. Jetzt kann er aber das nicht mehr, da der rechtlose Zustand der Juden unter dem Schutze der Konstitution steht, die von dem Fürsten nicht übertreten werden kann. Und so die Wahlen, so alles. In der ganzen Konstitution sind die Rechte zwischen Regierung und Volk so geteilt, wie jener Jude mit einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemeinschaftlich gemieteten Pferdes teilte: »Eine Stunde reite ich, und du gehst, die andre Stunde gehst du und ich reite.«

– Warum wundert Sie, daß es dem *** in Wien gefallen, und warum wundert das ihn selbst? Wien ist ein ganz hübscher Ort, und ich möchte wohl dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre und kein magerer Cassius. Wenn er sagt, er habe es dort ganz anders und besser gefunden, als er erwartet, so ist das seine Schuld; er hat falsch gesucht und falsch gefunden. Er glaubte wahrscheinlich, in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von Politik spräche, und man fände dort keine anderen Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber so ist es nicht. Campe schrieb mir neulich, daß meine Schriften in Österreich am meisten Abgang hätten. Das muß aber keinen irremachen. *** ließ sich täuschen, wie sich die Wiener selbst täuschen lassen. Die glauben auch, daß sie sich eine Freiheit nehmen, die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber diese klug genug ist, sich anzustellen, als ließ' sie sie nehmen, weil sie weiß, daß verbotene Früchte am süßesten schmecken. Der österreichische Staat ist eine seelenlose Dampfmaschine, aber keine mit hohem Drucke. Sie wissen dort genau zu berechnen, wie weit man es treiben darf, ohne daß der Kessel platze, und lassen darum zuweilen Rauch aus dem Schornsteine – nach oben, in den höhern Ständen, in der Residenz; nach unten nie.

– Ich habe herzlich darüber lachen müssen, daß die hannövrischen Soldaten beim Einzuge in Göttingen den Marseiller Marsch gespielt. Ich glaube, die Spitzbuben haben das mit Bedacht getan. Sie wollten sich wohl über die Revolutionärs lustig machen. Vielleicht war es auch Gutmütigkeit. Sie dachten, da habt ihr euern Marseiller Marsch, ihr wollt ja nicht mehr. Und vielleicht wollten sie wirklich nicht mehr. Haben Sie aber auch die Unterwürfigkeitsakte der Stadt Göttingen gelesen, den Brief, den sie an den General geschrieben. Das ist zu schön. Vor lauter Demut und Zerknirschung wissen sie nicht genug Hochgeburt und Hochwohlgeburt aufzutreiben. Sie kriechen unter die Erde. So ist der gute Deutsche! Wenn einmal ein müder Bürger seinen schweren Bündel Untertänigkeit abwirft, gleich hebt ihn sein Nachbar auf und hockt die Last zu seiner eigenen. Und in dieses Land soll ich zurückkehren! Hätten sie nur wenigstens eine italienische Oper wie hier! Aber keine Freiheit und keine Malibran, keinen Styx und keinen Lethe!

– Ich schrieb Ihnen neulich von einem Gemälde, die Schlachttage im Juli darstellend, das ich gesehen. Da war aber doch mehr der Stoff, der mir Freude gemacht, die Phantasie mußte sich das übrige erst selbst verschaffen; denn vieles fehlte, das Gemälde hatte keinen großen Kunstwert. Jetzt ist aber im Diorama ein Gemälde gleicher Art aufgestellt, das alles selbst leistet und von der Phantasie nichts fordert. Die Verteidigung und Eroberung des Stadthauses wird vorgestellt, und die Täuschung ist auf das Höchste getrieben. Es ist ganz ein Schlachtfeld, nur ohne Gefahr. Die Sonne liegt heiß auf dem Pflaster und brennt auf dem Gesichte der Streitenden. Die Luft ist so rein, daß man durch den zarten Pulverdampf sieht. Menschen und Pferde bluten und verbluten. In der Mitte des Platzes sieht man einen Zögling der Polytechnischen Schule, in der linken Hand die dreifarbige Fahne, in der rechten den Degen haltend. Er steht mit dem linken Fuße auf einer Kiste, mit dem rechten auf einem höheren Fasse, und ist eben im Begriffe, sich hinaufzuschwingen, um oben die Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatralischeres als diese Stellung, und doch hat sie der Maler gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben es die Franzosen gut, daß sie vermögen, mit jeder Großtat im weiten Felde zugleich das Drama zu dichten, das jene Großtat im engen Felde darstellt. Sie sind zugleich Helden und Schauspieler. Man sieht es ganz deutlich an diesem Jüngling mit der Fahne, wie er seiner Kühnheit und seiner theatralischen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere schöne Gruppe zeichnet sich aus. Ein Mann aus dem Volke, Brust und Schultern nackt, kniet auf die Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hinsinkenden Knaben haltend, die linke Faust gegen die hintenstehenden Soldaten ballend, die den Knaben wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hauses liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mitten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer unerschrocken weilen, um den Verwundeten beizustehen, hat mich weniger gewundert (sie trieb das Mitleid), als daß andere ohne Furcht zu den Fenstern hinaussehen. Im Hintergrunde, am Wasser, stehen die königlichen Soldaten. Jenseits schießen die Studenten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder gute Röcke gesucht, vornehme und reiche Leute, die mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wähler sein können – ich habe aber keine gefunden. Ich will den Herren nicht unrecht tun, vielleicht hatten sie an jenen Tagen, ihre guten Kleider zu schonen, diese zu Hause gelassen und schlechte Röcke für die Schlacht angezogen. Aber auch die Hemden waren schwarz und grob; haben sie die auch gewechselt?

 

Freitag, den 28. Januar

Soeben komme ich vergnügt aus dem Lesekabinette – vergnügt, weil ich mich geärgert habe. Sooft mir dergleichen Ärgerliches begegnet, halte ich es gleich fest und mache mir den Ärger ein; denn in Paris ist er nicht alle Tage frisch zu haben; die deutschen Zeitungen kommen so unregelmäßig hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen einen Widerspruch mit meiner Klage finden; Sie werden meinen, über französisches Wesen hätte ich mich doch oft genug geärgert. Das ist aber etwas ganz anders. Das war nicht Ärger, das war Zorn; Ärger aber ist zurückgetretener Zorn. Man ärgert sich nicht, wenn einem der Gegner an Macht überlegen ist – das merkt und berechnet man in der Leidenschaft nicht –, sondern wenn uns der Gegner entweder an Unverschämtheit überlegen ist, so daß er uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an Autorität, so daß er uns das Sprechen verbietet und wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber ist wohlgemut, stark und darf seine Kraft gebrauchen. Darum gerate ich in Zorn über das Treiben hier; denn ich darf dagegen eifern, und hundert Gleichgesinnte tun es für mich alle Tage; darum ärgere ich mich über deutsches Treiben, weil ich dulden und schweigen muß. Nun, es war ein Artikel in der »Allgemeinen Zeitung« mit einem Kreise, der einen Mittelpunkt hat, bezeichnet – so: . Wahrscheinlich hat das der Redakteur vorgesetzt, um zu verstehen zu geben, sein Korrespondent habe das Schwarze in der Scheibe getroffen. Schon lange sitze ich an der Wiege des guten lieben deutschen Kindes und warte, daß es einmal die Äugelein aufschlage. Endlich erwacht es und greint sanft wie ein Kätzchen. Jener Korrespondent macht einen Katzenbuckel und sagt leise, leise: er müsse ganz gehorsamst bemerken, es wäre doch endlich einmal Zeit, auch ein deutsches Wort über Krieg und Frieden zu sprechen, und er werde sich die untertänige Freiheit nehmen, dieses zu tun, und auch, wenn man es ihm gnädigst erlauben wolle, darauf hindeuten, wie unser Vaterland in gegenwärtige Angelegenheit verwickelt sei und wie es sich herauswickeln könne. Ich machte große Augen und dachte: der Kerl hat Courage! Jetzt tappt er hin und her, herüber und hinüber, spricht im allgemeinen von jenem Staate, von diesem Staate; der noch ungelesene Teil des Artikels wird immer kürzer, die letzte Zeile rückt immer näher, und noch kein Wort von Deutschland. Endlich kommt die letzte Zeile, und da ruft unser Held: von Deutschland ein andermal! und läuft, was er laufen kann. Ich spuckte ganz sanft auf Deutschland, die »Allgemeine Zeitung« und den heroischen Artikel und nahm den Ärger mit zu Tische. Ärger, in gelinden Gaben genommen, das weiß ich aus Erfahrung, befördert die Verdauung ungemein.

 

Samstag, den 29. Januar

Über die Briefe eines Verstorbenen werde ich Ihnen meine Meinung sagen, sobald ich sie fertig gelesen ... Ich höre, das polnische Manifest habe in Frankfurt nicht gedruckt werden dürfen. Der Frankfurter Bürgermeister und Anstett haben Gott ein Bein gestellt; das ist doch recht unartig.


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