Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsunddreißigster Brief

 

Paris, Montag, den 21. Februar 1831

Es lebe Italien! Es geht alles prächtig her; es kann in keiner Oper schöner sein. Die Herzogin von Parma, Marie Louise, die kleine Frau des großen Mannes, die nicht wie einst Brutus' Gattin Feuer schluckte, sondern sich wie eine Witwe von Ephesus betrug, bekam, als sie beim Frühstück saß, von einer Bürgerdeputation die höfliche Einladung, sie möchte sich aus dem Lande begeben. Und als sie sich bedenken wollte, sagte man ihr, das sei gar nicht nötig, die Wagen ständen schon angespannt im Hofe. Der Herzog von Modena hatte den Henkersknecht von Reggio kommen lassen, die Verschwornen hinzurichten. Man hat den Henkersknecht zusammengehauen und den Kerkermeister fortgetrieben. Was fehlt? Ein bißchen Musikstaub von Auber daraufgestreut, und die Oper ist fertig. Bologna, Ferrara, Modena, Faenza, – ich möchte das alles von der Malibran singen hören. Die zehen Plagen Ägyptens werden über die neuen Pharaonen kommen, und die fronenden Völker werden sich befreien. Ach! ihr Weg geht auch über ein Rotes Meer, über ein Meer von Blut; aber es wird sie hinübertragen, und ihre meineidigen Verfolger werden darin ihr Grab finden.

– Jawohl habe ich gelesen und gehört von den frühzeitigen, unzeitigen und überzeitigen Dummheiten, die in Bayern vorgehen. Das hat mich betrübt, aber nicht gewundert. Der König von Bayern hat zunächst an seinem Throne eine vertraute Person, die verblendetste, wo sie selbst ratet, die bestechlichste, wo sich jemand findet, der sie lenkt, um ihren Herrn zu lenken – seine Phantasie. Dümmere Fürsten handeln bei weitem klüger. Nichts ist gefährlicher als Geist ohne Charakter, als das Genie, dem es an Stoff mangelt. Hat das Feuer einmal sein Holz gefunden, bleibt es ruhig, und man braucht sich ihm nur nicht zu nähern, um sicher zu sein. Aber die Flamme ohne Nahrung streicht hungrig umher, leckt hier, leckt dort und entzündet vieles, ehe sie ihre Beute festhält und die Beute sie. Die Poesie macht keinen Fürsten satt, und hat er ein schwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann, wird er selbst schwach werden. Der König von Bayern sieht zu weit. Solche Fürsten sind wie die Augen; sie zucken mit den Wimpern, sobald nur ein Stäubchen von Gefahr sich ihnen nähert, und während der Sekunde, daß sie die Augen verschließen, werden sie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch bekümmern wir uns um keine Fürsten, sie haben nichts zu verantworten. Es ist eine Krankheit, einen König haben, es ist eine schlimmere, einer sein. Wir wollen sie heilen und nicht hassen. Ihre heillosen Ratgeber, die müssen wir bekämpfen.

– Von welch einem erhabenen Schauspiele kehre ich eben zurück! Und welch eine Stadt ist dieses Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich ihre Wunder feilbieten! Ich stand auf dem höchsten Gipfel des menschlichen Geistes und übersah von dort das unermeßliche Land seines Wissens und seiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des menschlichen Gebietes, da wo die Herrschaft der Götter beginnt – ich habe eine Seeschlacht gesehen. Der Himmel war blau wie an Feiertagen und mit der schönsten Sonne geschmückt. Das Meer schlummerte und atmete sanft und ward nur von Zeit zu Zeit vom Donner des Geschützes aufgeschreckt. Es war ein Tag zu lieben, und nicht zu morden. Es muß weit sein vom Himmel bis zur Erde; denn könnte die Sonne die Greuel der Menschen sehen, sie flöhe entsetzt davon und kehrte nie zurück! Eine Schlacht auf dem Lande ist ein Liebesspiel gegen eine Schlacht auf der See. Dort stirbt der Mensch nur einmal und findet dann Ruhe in seiner mütterlichen Erde; hier stirbt er alle Elemente durch, und keine Blume blühet auf seinem Grabe. Dort trinkt die Erde warm das verschüttete Blut; hier auf dem dürren Boden der Schiffe stehet es hoch, dick, kalt. Die Menschen werden zerquetscht, zerrissen; nicht Kälber, die man schlachtet, werden so grausam zugerichtet. Das französische Linienschiff, der Scipion, auf dem ich mich befand, war in einer schrecklichen Lage; wir waren von Feuer und Rauch umgeben. Ein feindlicher Brander hatte sich angehängt, und jede Minute brachte uns dem Untergange näher. Wir erwarteten, in die Luft gesprengt zu werden. Die ganze Mannschaft eilte nach dem Verdeck und bemühte sich, durch Beile das Schiff vom Brander loszumachen. Drei Böte stachen in die See und suchten durch Seile den Brander ab- und ins Weite zu ziehen. Auf dem Schiffe und in den Böten standen Offiziere, hoch aufrecht, als fürchteten sie eine Kanonenkugel zu verfehlen, und kommandierten so ruhig, wie der Kapellmeister im Orchester kommandiert. Und jetzt rundumher, nah und fern in einem weiten Kreise, die französische, englische und russische Flotte, und diesen gegenüber die türkische. Aus den Mündungen der Kanonen stürzten Feuerströme hervor. Das Schiff des Admirals Codrington, halb in Trümmern mit zerrissenen Segeln, hat soeben ein türkisches Linienschiff in den Grund gebohrt. Es sinkt, es ist schon halb gesunken, die ganze Besatzung geht zugrunde. Die Türken mit ihren roten Mützen, roten Kleidern und mit ihren blutenden Wunden gewähren einen schauderhaften Anblick; man weiß nicht, was Farbe, was Blut ist. Viele stürzen sich in das Meer, sich durch Schwimmen zu retten. Andere rudern Böte umher und fischen Tote und Verwundete auf. Mehrere Schiffe fliegen in die Luft. Himmel und Erde lächeln zu diesen Schrecken wie zu einem unschuldigen Kinderspiele! Rechts sieht man auf einer Anhöhe Stadt und Zitadelle von Navarin, und eine Wasserleitung, die über den Berg hinzieht, erinnert an die altgriechische Zeit. Das war ein Anblick! Ich werde ihn nie vergessen. Man schwebt zwischen Himmel und Erde, man wird zwischen Schrecken und Bewunderung, zwischen Abscheu und Liebe gegen die Menschen hin- und hergeworfen. Und wie die Leute sagen, ist dieses alles nur gemalt; es ist das Panorama von der Schlacht bei Navarin. Ich mußte es wohl glauben; denn man kann nicht von dem Schiffe herunter, um alles mit den Händen zu betasten. Aber das Schiff, auf dem man sich befindet, das gesteht man ein, ist nicht gemalt, sondern von Holz und Eisen. Es ist ein Kriegsschiff von der natürlichen Größe, und in allen seinen Teilen genau eingerichtet wie der Scipion, der in der Schlacht von Navarin mitgekämpft. Man tritt in das Gebäude des Panoramas und gelangt über einen schmalen dunkeln Gang an eine Treppe. Diese steigt man hinauf und kommt in ein großes Zimmer, das zwar mit allen Möbeln häuslicher Bequemlichkeit, aber auch mit Beilen, Pistolen, Flinten, Fernrohren, Kompassen und Schiffsgerätschaften aller Art versehen ist. Das ist das Zimmer der Offiziere. Die bretterne Wand, welche dieses Zimmer von einer Batterie trennt, ist, da die Schlacht begonnen, weggenommen. Man sieht eine Reihe von Kanonen und im Hintergrunde Matrosen beschäftigt, einen verwundeten Kameraden vom Verdecke in den unteren Schiffsraum herabzulassen. Dann geht man die zweite Treppe hinauf und gelangt in die Wohnung des Kommandanten, Speisezimmer, Galerie, Schlafzimmer, Küche. Das Bisherige müssen Sie sich denken als die zwei untern Stockwerke des Schiffsgebäudes. Endlich führt eine dritte Treppe zum Verdecke des Schiffes, und von dort oben sieht man das Meer, die Schlacht und was ich Ihnen beschrieben. Die Zuschauer stehen auf dem Hinterteile des Schiffes, der leer ist, weil die ganze Mannschaft wegen des Brandes sich nach dem Vorderteile gedrängt. Neulich hatte der König mit seiner Familie das Panorama von Navarin besucht und war von den Admiralen Codrington und Rigny, die in jener Schlacht kommandiert hatten, begleitet. Wer dabei hätte sein können, wie die Admirale dem König alles erklärten, der hätte eine recht genaue Vorstellung von der Schlacht bekommen. Lebhaft ist das Schauspiel auch ohne Erklärung.

– In meinem vorigen Briefe sagte ich Ihnen viel Gutes von Rossinis Oper »Zelmira« und nannte die Musik eine stählerne. Heute lese ich im Constitutionnel. La belle musique de la Zelmira, qui gagne tant à être souvent entendue, cette musique si cuivrée, et faite pour les oreilles allemandes,... Ich mußte lachen über das sauersüße Lob! Schöne Musik – das ist der Zucker; Deutsche Musik – das ist der Essig; und cuivrée – das ist das Gemisch von beiden; cuivrer heißt eigentlich »falsch vergolden«, »mit Kupfer vergolden«. Bitte, meine Herren Franzosen! den Rhein mögt ihr uns nehmen; aber unsere Musik werdet ihr so gut sein, uns zu lassen. Die gehört nicht dem Deutschen Bunde, die gehört uns, und wir werden sie zu verteidigen wissen.

 

Dienstag, den 22. Februar

– Die italienische Revolution greift um sich wie ein Fettfleck, und nicht mit der ganzen Erdkugel wird Österreich das reinigen können. Savoyen, Tiroler rühren sich. Was wird Immermann dazu sagen? Das sind ja seine treuen Tiroler, die »wie Hunde geheult an Österreichs Grabe!«...

– – Daß Sie die »Briefe eines Verstorbenen« so unaufhörlich gegen mich in Schutz nehmen! Ich habe dem Manne nicht im geringsten unrecht getan und habe ganz nach Gewissen geurteilt. Was am Buche zu loben ist, habe ich gelobt; was am Verfasser zu tadeln, getadelt. Sein aristokratischer Hochmut war Ihnen entgangen, mir nicht, und jetzt ist die Zeit heiß, man muß sie schmieden, ehe sie wieder kalt wird. – Man sagt, Don Miguel sei verjagt, Donna Maria in Lissabon als Königin ausgerufen. Es ist ein Herbst der Tyrannei, und die dürren Blätter fallen. – Über die Salons habe ich Ihnen meine Meinung schon gesagt. Ich habe mehr Neigung für Massen, für das öffentliche Leben. Ich liebe die Kerzen nicht. Vergnügen fand ich nicht viel in den Salons, in welchen ich noch war. Bleibt das Belehrende. Aber jedes Wort, das in den Salons gesprochen wird, besonders über Politik, kommt den folgenden Tag in die öffentlichen Blätter, da die Redakteure überall ihre Agenten haben, die ihnen alles berichten. Ein Salon in Paris ist nichts anders als eine Zeitung mit Himbeersaft. Der Himbeersaft wäre freilich gewonnen; aber ändern Sie mich trägen Menschen! – Die Kammer wird aufgelöst, das Ministerium wahrscheinlich geändert im liberalen Sinne, und dann wird alles besser gehen und schneller, und die Revolution wird ihre Früchte tragen – auch für uns. Körbe herbei!


 << zurück weiter >>