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Neunundfünfzigster Brief

 

Paris, Freitag, den 25. November 1831

Lange hat mir nichts so viele Freude gemacht als die Schrift des Dr. Eduard Meyer in Hamburg. Man schrieb mir von dort, er wäre ein langer Mensch mit ganz unerreichbarem Kopfe: aber ich will ihn schon erreichen, und wenn ich einmal mit ihm zusammentreffe, steige ich auf einen Stuhl und küsse ihn herzlich. Er hat seinen Nachfolgern alle großen und schweren Steine weggenommen, und wenn noch einer nach mir werfen will, muß er leichten Kies dazu gebrauchen. Gesteinigt zu werden – es ist wenigstens ein heiliger, biblischer Tod. Nie hätte ich gedacht, daß die deutsche Sprache eine solche Kraft besitzt; man könnte damit den Montblanc in Staub verwandeln. Hören Sie nur, was ich in der Schrift des Dr. Meyer alles bin, wie ich genannt werde. Elend-seicht – greulich – ruchlos – lächerlicher Tor – superkluger Schreier – ditto eingebildeter – heilloser Gesell – Haupträdelsführer einer jämmerlichen Skriblerbande – Mensch – ditto gottloser – Kerl – jämmerlicher Wicht – entarteter Bursch – Mordbrenner – schamloser Bube – Jude. – »Eduard, Eduard! warum ist dein Schwert so rot?« Verglichen mit dem, was ich bin, habe ich sehr wenig, wie es allen edlen Naturen zu gehen pflegt. Ich habe nichts als: Anmaßung – Frechheit – Unverschämtheit – ditto unerhörte – grundschlechte Gesinnung – Schaudererregende Naivität. Daß mich Herr Dr. Meyer wenigstens Herr nennte, daß er Herr Mordbrenner, Herr jämmerlicher Wicht zu mir sagte! Aber nicht ein einziges Mal tut er das. Diese Herrnlosigkeit gibt seiner Schrift ein ehrwürdiges deutschamtliches Ansehen. Auch schrieb mir einer von Hamburg, sie wäre auf Befehl des Mufti verfaßt worden.

Nach allen seinen unvergleichlichen Kraftäußerungen hat Eduard Meyer noch die Bescheidenheit, zu fürchten, man möchte seine Art, sich auszudrücken, mit »gemeinen Schmähungen« verwechseln, und er bittet seine Leser, dieses nicht zu tun. Er meint: man wundere sich vielleicht, daß er, als zahmer Deutscher, mit einem Male so wild geworden; aber man kenne die Deutschen noch gar nicht. »Der Deutsche ist geduldig, aber doch nur bis zu einem gewissen Grade. Wenn die Geduld ihm reißt, wenn er das Schweigen bricht und einen Entschluß gefaßt hat, so wird sich mancher wundern über die scheinbare Verwandlung seiner Natur. Und ich fühle es, daß auch ich ein Deutscher bin.« Anch'io sono pittore! Er habe nie Freude an literarischen Streitigkeiten gefunden, aber » was zu arg ist, ist zu arg«. Man müsse »dem Gesindel einmal auf die Finger klopfen, daß etwas Furcht hineinfährt«. Aber, guter Gott! was hilft da etwas, was hilft selbst viel? Es mag noch soviel Furcht in die Finger hineinfahren, ein tapferes Herz jagt sie wieder in die Schlacht zurück. Vor die Brust hätte er mich stoßen, auf den Kopf hätte er mir klopfen sollen, daß da Furcht hineinfährt. Der Mann ist zu gutmütig.

Er sagt: In meinem Buche wäre keine neue Idee. »Nichts als leeres, langweiliges Kaffeehaus- und Zeitungsgeschwätz, von der Oberfläche geschöpfte Bemerkungen, wie tausend vorlaute Räsonärs sie täglich machen.« Da haben Sie den alten Deutschen wieder! Neue Ideen wollen sie haben! Eine Idee, wenn sie sie achten sollen, muß eine Handschrift sein, auf Pergament geschrieben, in Schweinsleder gebunden, und als einziges Exemplar in einer einzigen Bibliothek verwahrt werden. Was in tausend Jahrbüchern der Geschichte gedruckt zu lesen, was der Himmel selbst herabgedonnert, was drei Weltteile widerhallten, was der Lastträger auf der Gasse wie der Denker in seinem Zimmer, was der Bürger in seiner Werkstätte, der Bauer hinter dem Pfluge, der Soldat unter seinem Joche, der Bettler in seinen Lumpen spricht, denkt, fühlt, klagt, wünscht und hofft – das verschmähen sie, das ist ihnen Kaffeehaus- und Zeitungsgeschwätz! Was alle wissen, verdiente keiner zu lernen! Gut, ihr sollt neue Ideen haben: zeigt nur erst, daß ihr deren würdig seid; gebt Rechenschaft, wie ihr die alten verwendet.

Mein Eduard ist zwar ein bescheidener junger Mensch, aber an Welterfahrung scheint ihm noch viel zu fehlen. Er sagt: er müsse sich gegen den Vorwurf verwahren, als hasse er die Sache einer gesetzmäßigen Freiheit, doch deren Verteidigung müsse man dem Himmel überlassen. »Wenn Fürsten ihre Zeit und ihre Völker verkennen oder gar der Schlechtigkeit huldigen, wird gerechte Vergeltung ihrer Mißgriffe sie selbst am schwersten treffen. Dies wünsche, hoffe und weiß ich.« Dieses wünsche, hoffe und weiß ich auch. Aber, mein lieber Eduard, wer soll denn jene gerechte Vergeltung an den Fürsten vollziehen? Selten schickt Gott ein himmlisches Strafgericht herab, die Verwaltung seiner Stellvertreter zu untersuchen, und sooft es noch geschah, wurde nichts dadurch gebessert. Die himmlischen Kommissäre waren auf der Erde fremd, gingen irre oder ließen sich wohl gar bestechen. Das haben wir ja kürzlich erst an der Cholera Morbus gesehen, die, statt die Unterdrücker, die Unterdrückten züchtigte. Nur dem hilft Gott, der sich selbst hilft; Aide-toi, et le ciel t'aidera.

Noch ein anderer Herr hat gegen mich geschrieben, Wurm genannt, in den » Kritischen Blättern der Börsenhalle«. Der ist aber sehr sanft in Vergleich mit Dr. Meyer und gebraucht nur milde Adjektive und Nominative, und diese nur in geringerer Zahl. Fadäsen, Niäserien, politisches Geschwätz, Effronterie, sanskulottischer Witz, Geselle, Auswürfling – und das ist alles! Einmal neckt er mich mit einem schönen Milchmädchen, das ich in England hätte heiraten wollen, das mir aber einen niedlichen Korb gegeben. Auf Ehre, ich weiß nicht, worauf sich das bezieht; ich will aber in der Chronik meines Lebens nachschlagen. Herr Wurm schließt seinen Artikel – doch gewiß nur in der Absicht, daß man trotz seiner Freiheit merke, es habe ihn ein Deutscher geschrieben – mit folgenden Worten: »Wenn dieser Löwe [i. O: Börne], oder wie er sonst heißen möchte, auf guten Rat hören will, so wird er bleiben, wo er ist, wo man ihn nicht kennt. Ob eine deutsche Regierung von seinen politischen Lästerungen Notiz nehmen würde, wissen wir nicht. Aber laßt ihn keinen Versuch machen, sich in gute Gesellschaft einzudringen. Er wird aus jeder Gesellschaft, in der man auf Ehre hält, auf beschimpfende, und wenn es not tut, denn dieses Geschlecht ist zudringlich, auf physisch empfindliche Weise entfernt werden. Das ist die Sprache, die man mit diesen Gesellen reden muß: eine andere verstehen sie nicht.« ... Daß diese Toren mich noch daran erinnern, daß sie mir unter die Augen bringen, was mich vergessen zu lassen ihnen noch wichtiger sein müßte, als es mir gleichgültig ist, ob sie selbst es vergessen oder nicht! Wenn ich nicht kämpfte für das geschändete Recht und die mißhandelte Freiheit aller Menschen, dürfte ich ein Herz haben für die Leiden eines Volks, eines Geschlechts, für meine eignen allein; dürfte ich mir nach den Tagesmühen saurer Gerechtigkeit einen Feierabend süßer Ruhe verstatten; dürfte ich das, wollte ich das; wollte ich meine Kraft gebrauchen diesem Zwerggeschlechte gegenüber – wahrlich, es bliebe nichts von ihm übrig, es als kleines Siegeszeichen an den Hut zu stecken. Manchmal überschleicht es mich; aber dann, die menschliche Schwachheit an mir selbst erfahrend, lerne ich sie an andern verzeihen, und ich ermanne mich wieder. Diesen Sommer in Baden, als ich unter meinen Papieren suchte, fiel mir ein altes Blatt in die Hand, das mich auf das heftigste bewegte. Das Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die Feder – nach fünf Minuten legte ich sie weg; ich konnte nie zu meinem Vorteile schreiben. Es war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß ausstellen, um über Mainz nach Heidelberg zu reisen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit, kehrte in dasselbe zurück und berührte das Land der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Römer, der den Paß ausfertigte, war eine Mißgestalt, mit einem giftigen Krötengesichte. Als ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin: Juif de Francfort. Mein Blut stand stille; doch durfte ich nichts sagen noch tun; denn mein Vater war gegenwärtig. Damals schwur ich es in meinem Herzen: Wartet nur! ich schreibe euch auch einmal einen Paß, euch und allen! ... Und nicht wahr, nicht wahr, ich habe meinen Schwur gehalten?

 

Sonntag, den 27. November

Lyon hat mich günstiger rezensiert als Hamburg – doch davon später. Ich will zuerst auf Ihren gestrigen Brief antworten. Das Buch ist noch nicht hier angekommen, doch schrieb mir Campe, es wäre abgeschickt worden. Aber auf die hiesigen Urteile brauchen Sie nicht begierig zu sein. Die wenigen Deutschen meiner Bekanntschaft werden mir wohl ihre Meinung nicht immer aufrichtig sagen; Franzosen lesen es nicht; da kann sich also keine öffentliche Meinung bilden und höchstens eine individuelle laut werden. Campe schreibt mir: »Sonderbar sind die Elemente in diesem Augenblicke angeregt, angeregt durch diese Briefe. Die Aristokraten werden keck und rücken heraus und kämpfen ... Ich kann Ihnen die Bemerkung über den Eindruck, den Ihre Briefe bei vielen der Bessern gemacht haben, nicht verhehlen, die aufrichtig bedauern, daß Sie sich so ganz rücksichtslos haben gehen lassen, so daß Sie den Platz als Zuschauer verließen und selbst Akteur wurden! Dadurch haben Sie einen beträchtlichen Teil ihres wohlerworbenen Ruhms eingebüßt, der Ihnen schwer wieder zu erringen sein möchte. Dieses Urteil ist die allgemeine Stimme, und Sie werden von vielen Seiten so zurechtgewiesen werden, daß dieses der Refrain durchweg bleiben wird. Das Volk ist gläubig und sagt Amen!« Wie mich dieser Mann kennt! Ich habe nie für meinen Ruhm, ich habe für meinen Glauben geschrieben. Ob ich den Lesern gefalle oder nicht – will ich denn gefallen? Ich bin kein Zuckerbäcker, ich bin ein Apotheker. Es ist wahr, daß ich den Platz als Zuschauer verlassen und unter die Handelnden getreten, aber war es nicht Zeit, dem faulen Leben eines Theaterkritikers endlich zu entsagen? Sie sehen, wie ich wirke, an meinen Gegnern am meisten. Ich habe den zähen deutschen Boden aufgewühlt; es ziehe jeder seine Furche wie ich; für die Saat wird Gott sorgen. Wenn nun eine aufgebrachte Scholle an meinen Füßen, an meinem Pfluge hängen blieb und sie beschmutzte – was schadet mir das?

Campe war wegen des Buches in einer Woche viermal vor Gericht. Man legte ihm ein Exemplar vor, worin mehr als fünfzig verdammliche Stellen mit Bleistift angestrichen waren. Eine Stelle, worin es vom Bundestage heißt: der sei toll geworden, war doppelt und noch einmal so dick als die übrigen angestrichen. Die Stelle war im Buche mit einem Papierstreifen bezeichnet. Diesen ließ Campe, als er das Buch in die Hand nahm, wie zufällig herausfallen, so daß der Untersuchungsrichter die toll gewordene Stelle nicht mehr finden konnte. Das muß recht komisch gewesen sein.

Ein Kaufmann namens ***, den ich in Hamburg vor einigen Jahren kennen gelernt, hat mir die zwei gegen mich gerichteten Artikel zugeschickt. Er schreibt unter andern: »... Die Hamburger Kaufleute erklärten darauf, ohne gerade die Skribler zu loben, daß in den Börneschen Briefen zerstörende Ideen enthalten sind, die nur ein Aufwiegler oder Sansculotte ans Tageslicht befördern kann. Dies hat das Verbot der Briefe herbeigeführt.«

– Sehen Sie doch, von dem Brillantring, den ich vor einigen Jahren vom Herzog von Weimar erhalten haben soll, etwas Näheres zu erfahren. Das Ding kann schön werden. »Ringe sind es, die eine Kette bilden« – sagt Königin Elisabeth. Aber ein Ring! Was kann der nützen? Zum Halseisen ist das doch zu eng, und meine Feder zu erwürgen viel zu weit.

Den *** bedaure ich; es gibt wenige Menschen, die den Mut haben, anders als der Pöbelausschuß zu denken, der an jedem Orte, die öffentliche Meinung verwaltet. Eigentlich sind es weniger übelwollende als unwissende Menschen, die nicht zu rechnen verstehen. Für die Hälfte von Mühen und Sorgen, die es sie kostet, ihrem Geiste einen Ehrendienst bei der vornehmen Dummheit zu verschaffen, könnten sie dessen Freiheit behaupten und gewönnen dabei, selbst an sinnlichem Glücke. Die Frankfurter mögen nur schweigen und dem Himmel danken, daß einer unter ihnen lebt, der besser ist als sie. Die Zeit kann, die Zeit wird kommen, und bald vielleicht, wo man ihre Freiheit, so anspruchslos und demütig sie auch ist, in dem Edelmannsklubbe des Deutschen Bundes nicht länger wird dulden wollen, und dann werden wir sehen, wer von jenen Römerpatrioten, wer von jenen Zunfthelden, wer von jenen Stadtgerichts-Schreiern den Mut haben wird, sich den stolzen und mächtigen Räubern entgegenzustellen! Dann kommen sie vielleicht und streicheln meine Katzenpfote. Ich erwarte sie.


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