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Vierundzwanzigster Brief

 

Paris, Donnerstag, den 6. Januar 1831

Suchen Sie sich Diderots Briefe zu verschaffen. Ich bin jetzt mit dem zweiten Teile fertig. Daß so breite Briefe zugleich so tief sein könnten – ich hätte es nie gedacht. Sie nehmen kein Ende, und doch hört das Vergnügen, sie zu lesen, nur mit jeder letzten Zeile auf. Alles ist darin, das Schlechte und Gute, Schöne und Häßliche, Gift und Balsam, Gestank und Wohlgeruch, Ekel und Erquickung des achtzehnten Jahrhunderts. Denn man muß jene Zeit als die Apotheke betrachten und die französischen Schriftsteller als die Apotheker, welche unser Jahrhundert geheilt haben. Sollten Sie wohl glauben, daß ich Mensch, ein Vierziger, der alle sieben Farben durchgelebt hat, mehr als zwanzig Male dabei rot geworden bin? und ich war doch allein – aber allein mit Gott und der Natur. Ein Frauenzimmer darf das ohne Furcht lesen; kann sie das verstehen, kann sie nicht mehr erröten. Welche Unsittlichkeit. Es ist wahr, die französische Sprache ist eine Art Flor, der den häßlichen Anblick blässer und milder macht; aber der Deutsche, der sich beim Lesen das übersetzt, zieht den Flor weg und schaudert zurück. Jene Menschen hätten doch wenigstens aus Dankbarkeit die Zucht mehr schonen sollen, da sie ihnen das Vergnügen verschafft, sie zu verspotten und mit Füßen zu treten. Und wo sie recht haben, das ist am schrecklichsten! Den schönen Aberglauben der Unschuld, der eine irdische Freude zur himmlischen macht, zerstören sie, und von der ganzen Ewigkeit bleibt nichts übrig als eine Minute. Und so verfuhren sie mit der Tugend und mit der Religion. Waren jene Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts darum sittenlos, entartet, schlecht, gottlos? Gewiß nicht. Sie führten Krieg. Die Heuchelei hatte sich mit der Sittsamkeit umhüllt; sie mußten diese zerreißen, um jene in ihrer häßlichen Nacktheit zu zeigen. Die Priesterschaft hatte sich hinter der Religion verschanzt; sie mußten über die Religion wegschreiten, um zu den Pfaffen zu gelangen. Der Despotismus führte das Schwert der Gesetze; sie mußten ihn entwaffnen, um ihn zu besiegen. Daher jene Zeit der Sittenlosigkeit, des Unglaubens, der Anarchie. Sie ist vorüber, Frankreich gesunder als je gewesen, und Doktor und Apotheker sind verschmäht, vergessen.

 

Samstag, den 8. Januar

Heute ist es sehr kalt, ganz Winter. Wie geht es euch? Aber was liegt daran! Gegen Frost hat man Kamine und warme Kleider; wenn nur das Herz nicht friert. Die deutschen Frostkünstler (so übersetze ich sehr sauber das französische Glacier) mögen nur diesmal ihren Eiskeller recht reichlich versehen, hoch hinauf bis an das Gewölbe; denn es wird ein heißer Sommer werden. Und wer weiß, ob es im nächsten Jahre wieder friert. Ich denke, die Bären sollen es in unserm Lande nicht lange mehr aushalten können. – Haben Sie Victor Hugos Gedichte schon gelesen? Ich empfehle Ihnen auch seine Romane: le dernier jour d'un condamné; Bug-Jargal; Han d'Islande. Alles herrlich, voll Sonnenglut; aber man sehnt sich manchmal nach Schatten und Kühle, und die fehlen. Kaum geht die Geschichte auf, so steht sie schon im vollen Mittagsglanze da, geht im vollen Mittagsglanze unter; die Augen tun einem weh, und man verschmachtet vor Hitze. Hugo ist erst einige und zwanzig Jahre alt, aber das Alter kann ihn nicht ändern; denn die romantische Poesie (wie man das hier nennt) ist erst in ihrer Jugend, und das ganze Geschlecht wird darüber hingehen, bis sie besonnener wird und sich mäßigen lernt und lernt Gründe annehmen. Ich habe den Hugo etwas weniges gesprochen, bin aber gar nicht begierig, ihn näher zu kennen; denn es ist nicht nötig und nicht möglich. Dem geistreichsten französischen Schriftsteller liegt die ganze Seele vorne im Munde; sie hat kein geheimes Kabinett, keine Hintertüre, wozu man bloß nach genauerer Bekanntschaft dringt. Hugo ist mündlich nicht anders wie die andern. Das ist nicht wie bei uns. Ein deutscher Dichter ist ein frommer treuer Knecht der Poesie, und er trägt ihre Farbe. Aber ein französischer Dichter ist Herr der Poesie, sie trägt seine Livree und geht hinter ihm, wo er öffentlich erscheint.

Sie fragen, ob Frankreich den Polen beistehen wird; wahrscheinlich geschieht es. Frankreich wäre ja ganz von Sinnen, wenn es diese Gelegenheit, Rußland zu schwächen, die nicht zum zweiten Male wiederkehrte, ungebraucht vorübergehen ließe. Würden die Polen besiegt, dann kehrte sich Rußland gegen Frankreich. England hat gleiches Interesse, und ich hoffe, sie vereinigen sich, den Polen zu helfen. Sie können zwar Rußland nicht zu Lande, aber doch zur See angreifen und können es beschäftigen, indem sie durch Geld und Intrigen Unruhen auch in den andern russischen Provinzen anzetteln. Es ist zwar gegründet, daß die polnische Revolution von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben. Die Armee, die den größten Enthusiasmus zeigt, besteht ja aus Bauern, übrigens sind die Bürger in den Städten keine Leibeigne, und auf diese kömmt alles an. Denn die Polen können sich in keine Gefechte auf dem offnen Lande einlassen, sie müssen sich in den Städten verschanzen und wehren; tun sie das nur standhaft, sind die Russen, wenn auch noch so mächtig, verloren. Ich hoffe das beste; denn ich zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dummheit seiner sogenannten Stellvertreter. Hier geht es schlecht, man hat die Suppe kalt werden lassen, und dabei rufen die Väter des Volks demselben wie einem Kinde noch ganz ironisch zu: verbrenne dich nicht! Das gute Volk hat sich mit Blut und Schweiß die Freiheit erworben, und die spitzbübische Kammer, die in Pantoffeln in ihrem Comptoir saß, sagte ihm: Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir wollen es euch verwalten. Und ich sehe nicht, wie die Sache besser werden kann, außer durch eine Art neuer Revolution. Nach dem bis jetzt bestehenden Wahlgesetz wählen nur die Reichen, also die aristokratisch Gesinnten, und nur die Reichsten können Deputierte werden. Löst das Ministerium, welches lieberaler ist als die Kammer, diese auf, so werden die nämlichen Deputierten wieder gewählt. Um dieses zu verhindern, müßte das Wahlgesetz geändert, demokratischer gemacht werden. Allein die Kammer votiert die Gesetze und wird natürlich kein Wahlgesetz genehmigen, das ihnen die Macht aus den Händen zieht. Das Ministerium hat wirklich vor einigen Tagen ein demokratisches Wahlgesetz der Kammer vorgelegt, und diese wird es, wie man gar nicht zweifelt, verwerfen. Wo also der Ausweg? Der König müßte durch Ordonnanz ein Wahlgesetz promulgieren. Das wäre aber Gewalt, und die Franzosen sind zu gewitzigt, ihrem Fürsten eine solche zu erlauben, und wäre es auch für die Freiheit. Man sagt heute mit ziemlicher Bestimmtheit, der zweite Sohn des Königs von Bayern sei zum Könige von Belgien erwählt worden. Ist dieses wahr, kann das nur eine Folge von Frankreichs Verwendung sein, welches die belgischen Angelegenheiten nach Belieben leitet, und das würde dann beweisen, daß Bayern mit Frankreich einen geheimen Vertrag abgeschlossen, und daß es im Falle eines Kriegs gegen den Deutschen Bund auftreten würde. Und dann Baden und Württemberg auch. Es wäre recht komisch! Was würden Stein, Görres, Arndt und der alte Vater Rhein dazu sagen! Und zum Lohne für die Dienste, die jene Fürsten Frankreich leisten, wird dieses ihnen beistehen, ihre Untertanen in Gehorsam zu unterhalten. Wir bezahlen immer die Zeche. Der Tugendbund hat viel ausgerichtet! Jeder Mensch hat das Recht, ein Dummkopf zu sein, dagegen läßt sich nichts sagen; aber man muß selbst ein Recht mit Bescheidenheit benützen. Die Deutschen mißbrauchen es. Die Mittel, welche die Franzosen gebraucht, die Freiheit zu erwerben, werden von den deutschen Regierungen benutzt werden, um die Despotie zu verstärken. Ich muß nur lachen über die Unwissenheit der hiesigen Zeitungsschreiber. Sie erzählen es im Triumph: in Deutschland, in Österreich sogar, würden Nationalgarden eingeführt, und sie meinen, das wäre ein Fortschritt der Freiheit; die Esel begreifen nicht, daß das ein neues Werkzeug der Gewalt ist, das alte abgenutzte damit zu ersetzen. Die Deutschen! – nicht einzusehen, daß die Uniform eine Art Gefängnis ist, die Disziplin eine Kette an Händen und Füßen – nicht einzusehen, daß, wenn man Schildwache steht, man am meisten selbst bewacht wird – den sogenannten Pöbel im Zaum halten, das heißt die armen Leute, das heißt die einzigen, welchen das verfluchte Geld nicht die ganze Seele, allen Glauben abgehandelt; die einzigen, denen der Müßiggang nicht alle Nerven ausgesogen, und die einen Geist haben, die Freiheit zu wünschen, und einen Leib, für sie zu kämpfen – sich wie ein toter Ofenschirm vor der Glut des Volks zu stellen, damit die Großen hinter uns nicht schwitzen und gemächlich ihr Eis verzehren – und sich noch weismachen zu lassen, das geschähe für die Freiheit – sich so foppen zu lassen, ein solcher Tölpel zu sein – es ist unglaublich!

 

Montag, den 10. Januar

Kann man es besser haben als ich? Die Tage wachsen schnell und mit ihnen meine Hoffnungen. Das Wetter ist sehr gelinde; schon sind die Wandervögel dem Norden zugezogen; bald endet der Winter, bald taut der Deutsche Bund auf, bald blüh'n alle Veilchen; über meinem Kopfe Saphirs Fußtritte, und eine deutsche Küche. Ja, ich habe eine deutsche Köchin entdeckt, eine vortreffliche Augsburgerin, die eine Table d'hôte hält, wo man lauter vaterländische Gerichte und Gäste findet. Rindfleisch mit roten Rüben und Kräutersauce, Kartoffeln, Sauerkraut mit Schweinefleisch, Reisauflauf und Kommis in Menge. Man wird doch satt, und es kostet nicht viel. Was aber mein Glück stört, ist, wie man hier mit Bestimmtheit behauptet, daß Metternich das Ruder verliert. Darüber bin ich sehr verdrießlich; es ist ein Unglück. Metternich war eine reine Farbe, die, der feindlichen entgegengesetzt, es bald zu irgendeiner Entscheidung gebracht hätte; wenn aber nach ihm die graue Neutralität regiert, wird keiner wissen, wo seine Fahne ist, alle werden durcheinander laufen und keiner das Ziel finden. Metternich war starr, eigensinnig, und der Sturm hätte ihn bald gebrochen; sein Nachfolger wird auch nicht weichen, nur vielleicht sich etwas biegen, und alles wird krumm bleiben. Es ist sehr schlimm. Gott erhalte nur meinen Metternich!

Der Enthusiasmus der Polen soll ganz unbeschreiblich sein. In der heutigen Zeitung steht, die Vorsteherin eines Mädcheninstituts in Warschau habe mit ihren Zöglingen von Morgen bis Abend an den Festungswerken gearbeitet. In dem Schreiben eines Polen, worin die schändlichen Tyranneien der russisch-polnischen Regierung erzählt werden, heißt es unter andern: man habe eigens einen Kommissär nach Wien geschickt, um das System der österreichischen Regierung, wie man das Volk dumm erhalte (Stock-deutsch, heißt es wörtlich), in allen seinen Teilen zu studieren, um es dann in Polen einzuführen.


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