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Dreiundsechzigster Brief

 

Paris, Samstag, den 17. Dezember 1831

Meine Briefe, wie ich gestern hier vom Buchhändler hörte, werden besonders viel von Engländern gekauft. So wäre ja die Zeit schon gekommen, die ich vorhergesagt, wo die neugierigen Reisenden, ihre Antiquités de l'Allemagne in der Hand, unser Vaterland besuchen. Die Engländer sind hier wie immer voraus; ich bin ihr Vasari, sie kaufen mich und stecken mich in die Tasche.

Ich glaube es nimmermehr, daß Herr von *** [Nagler] gesagt hat: » Dieser Dr. Börne verdiente, daß man ihm fünfundzwanzig aufzählte.« Ich kenne Herrn von *** sehr genau; ich habe vor einigen Jahren in Schlangenbad ihm täglich das Essen bringen sehen; es ist nicht möglich, daß ein Edelmann die Gesinnung eines Lakaien habe, daß ein Minister wie ein Stallknecht spreche. Indessen habe ich doch für den möglichen Fall, daß es wahr sei, dem Herrn von *** die fünfundzwanzig Stockprügel in Rechnung gesetzt, und ich werde sie ihm früher oder später vergüten.

Die »Pariser Briefe« hat der Buchhändler hier schon alle verkauft. Sie werden in das Englische übersetzt. Dagegen habe ich nichts. Geist und Sprache der Engländer weiß sich mit allem Deutschen innigst zu verschmelzen. Aber die französische Übersetzung, an die man auch denkt, würde ich hintertreiben, wenn es in meiner Gewalt stünde.

In der »Nürnberger Zeitung«, ein Unter-Blättchen, wo die Hühneraugen und Frostbeulen der ärmsten Teufel von Schriftstellern sich versammeln, heißt es in einem Schreiben aus Berlin: »Börnes Briefe aus Paris, die hier großes Aufsehen gemacht, wurden allgemein mit Verachtung und Abscheu aufgenommen, und es ist erstaunlich, wie dieser Börne, der sonst bei den Berlinern so hoch gestanden, plötzlich so tief sinken konnte.« Sooft ich solchen Bettelvogt-Stil lese, bekomme ich die größte Lust, einmal gegen mich selbst zu schreiben, um den armen deutschen Ministerialkanzlisten zu zeigen, wie man lügen könne, ohne sich lächerlich zu machen. Ich weiß es besser, wie ich in Berlin gewirkt. Für gar viele war ich ein Pfropfenzieher, und mancher eingeschlossene Geist ist hoch hinauf bis an die Decke gesprungen, nachdem ich ihn von der Angst des Eisendrahts befreit.

 

Montag, den 19. Dezember

Neulich war ich im Theater de la Gaieté, welches ich früher noch nie besucht. Seitdem haben Wind und Frost meine Augen wieder getrocknet; denn wahrhaftig, gleich darauf hätte ich Ihnen gar nicht davon schreiben können. Nie in meinem Leben habe ich so viel geweint als in diesem Théâtre de la Gaieté. Ich hatte mich nicht vorgesehen, hatte meine Augen nicht verriegelt, und jetzt stürzte die spitzbübische Rührung herein und raubte allen Verstand in meinem Kopfe. Dieses Theater ist das vornehmste unter den gemeinen, unter den Boulevardtheatern. Das volle Haus gewährte einen wohltuenden, sanft erwärmenden Anblick, und nie habe ich mich zwischen den Akten so behaglich gefühlt als hier. Das Aufziehen des Vorhangs störte mich jedesmal. Die Zuschauer gehörten alle zu den niedern Bürgerklassen, die den Mittelstand von dem Pöbel trennen. Meistens Weiber und Mädchen, sehr wenige Männer. Sie trugen alle weiße Häubchen. Sie können sich nichts Lieblicheres denken. Alle Galerien rundumher, von oben bis unten, und das ganze Parterre waren weiß. Ich wußte vor lauter Wohlgefallen gar nicht, womit ich diesen schönen Anblick vergleichen sollte. Bald erschien es mir wie ein beschneiter Wald; bald wie ein Bleichgarten, wo die Wäsche zum Trocknen aufgehängt ist; bald wie eine Herde (aber gutmeinender) Gänse; bald wie eine Lilienflur, auf welcher die wenigen vornehmen und farbigen Hüte als Tulpen hervorstanden. Jetzt war zu bewundern der Fleiß und die Aufmerksamkeit dieser Zuschauerinnen den ganzen Abend. Diese guten Mütter und Töchter sind nicht abgestumpft, sie gehen selten in das Theater und sehen wohl nur einmal das nämliche Stück. Sie kommen mit einem tüchtigen Hunger und wollen sich satt hören und sehen. In der Mitte der ersten Galerie, ganz genau in der Mitte, wo bei uns die Prinzessinen sitzen, saß, wie ein Solitär in einem Ringe, ein Marktweib, fleischig, rotwangig, mit Armen wie junge Tannen. Ich konnte kein Auge von ihr abwenden. Sie hatte ihre verschränkten Arme auf die rotgepolsterte Lehne gelegt und starrte regungslos fünf Stunden lang mit durchbohrender Aufmerksamkeit nach der Bühne hin. Es war, als hätte sie die Worte schockweise gekauft und bezahlt und zählte ängstlich nach, ob sie keines zu wenig bekomme. Und jetzt das allgemeine Weinen! Nein, einen solchen Augenbruch habe ich nie gesehen. Wer Augen hatte, weinte; wer ein weißes Schnupftuch, trocknete seine Tränen; wer ein farbiges, (das ist keine Erfindung) ließ sie fließen. Ich selbst, als ich mich umhergesehen und wahrnahm, wie wenige Menschen im Hause waren, die das Recht hatten, mich auszulachen, weinte auch. Der Polizeikommissär des Theaters, der neben mir saß, sah mich recht freundlich und gutmütig an und dachte wohl bei sich: gäbe es doch keine schlimmere Volksbewegung als diese, dann wäre es ein Vergnügen, Polizeikommissär im Quartier du Temple zu sein! Warum haben wir so viel geweint? Sie sollen es erfahren. Vorher aber ziehen Sie auf eine Viertelstunde einen Überrock an, setzen einen runden Hut auf – kurz – ich bitte Sie, machen Sie mir durch weibliche Bedenklichkeiten die Arbeit nicht so sauer. Ich habe wenig Zeit; Europa wartet auf mich.

Das Drama heißt: Il y a seize ans, den Stoff mögen sie wohl aus Deutschland geholt haben; aber die Bearbeitung scheint eigentümlich. Sie ist gut genug und für Paris von einer seltenen Vollendung. Ich habe nie ein Schauspiel gesehen, das, ohne den geringsten Kunstwert zu haben, doch eine theatralische Wirkung hervorbringt, der man sich den andern Tag nicht zu schämen braucht. Hören Sie! Amalie, die Tochter des Grafen von Claireville, 32 Jahre alt – vergessen Sie dieses Alter nicht; sind es doch nur Jahre einer andern! – wird gleich bei ihrem ersten Auftreten als ein höchst liebenswürdiges, höchst achtungswertes Frauenzimmer erkannt. Sanft, bescheiden, von der zartesten weiblichen Sittsamkeit, hat ihr das reifere Alter nichts genommen als die Leidenschaftlichkeit, mit der man in der Jugend jedes Leid erträgt, und der unvermählte Stand ihr nichts gegeben als einen Reichtum von aufgesparter Liebe. An dem Tage, wo wir sie kennen lernen, erwartet sie den Baron von Saintval, den ihr bestimmten Gatten, um sich mit ihm zu verloben. Der Baron ist vierzig Jahre alt und ist nicht bloß ein untadelhafter Mann, sondern auch ein Mann von den angenehmsten und schätzenswertesten Eigenschaften. Die Gräfin erkennt seinen Wert, aber sie fühlt keine Liebe für ihn. Sie liebt nicht einen andern, sie hat nie geliebt. Doch sie hat eine tiefe Abneigung gegen die Ehe, und nur um ihren Vater vor Verarmung zu schützen, in die ihn ein erlittener Unglücksfall zu stürzen droht, reicht sie dem reichen Baron die Hand. Es ist aber hier keiner von den gemeinen Händeln, wo ein pflichtvergessener Vater das Glück und die Seligkeit seines Kindes seiner eigenen Behaglichkeit aufopfert, und wo ein unerfahrnes, pflichtmißdeutendes Kind ein solches Opfer bringt; sondern es findet ein edleres Verhältnis statt. Graf Claireville hatte im Jahre 1814, als der Feind nach Frankreich kam, von dem alten Baron Saintval eine halbe Million in Papieren anvertraut bekommen. Er verschloß das Portefeuille in eine geheime Schublade seines Sekretärs, und von dort wurde es ihm auf eine unerklärliche und unerklärt gebliebene Weise entwendet. Der alte Baron starb unterdessen; keiner wußte von dem anvertrauten Vermögen, nicht einmal der Sohn des Barons. Aber Graf Claireville verkannte keinen Augenblick die Stimme der Ehre und der Pflicht und beschloß, mit Aufopferung seines ganzen Vermögens dem Erben seines verstorbenen Freundes den Verlust zu ersetzen. Doch durfte ihn seine Verarmung in alten Tagen und die Hilflosigkeit seiner Tochter schmerzen und, als der Baron um deren Hand anhielt, ihm erlaubt sein, ihre Abneigung gegen die Ehe zu überwinden, um seine Pflicht mit seinem Vorteile zu vereinigen.

In dem Hause des Grafen Claireville, und unter dem Schutze der Tochter, lebte ein 16jähriger Knabe, Namens Felix. Die Gräfin hatte ihn als Findelkind aufgenommen und ihn erzogen. Sie war dem Knaben mit mütterlicher Liebe zugetan, und dieser hing an ihr mit der zärtlichsten Neigung eines Sohnes. An dem Tage, der zu ihrer Verlobung bestimmt war, sehen wir die Gräfin in der heftigsten Gemütsbewegung. Sie hat den unvermeidlichen Entschluß gefaßt, den Knaben vor Ankunft ihres Verlobten aus dem Hause zu entfernen. Sie ruft Felix herein, drückt ihn mit Schmerz und Liebe an ihre Brust und kündigt ihm an, er müsse sie verlassen. Der Knabe jammert verzweiflungsvoll. Die Gräfin kann nicht anders – den Knaben zu beruhigen, ihm die Notwendigkeit seines harten Geschicks zu erklären, ihr eigenes Herz zu rechtfertigen, muß sie ihm gestehen, daß sie seine Mutter sei. Jetzt vermähle sie sich; ihre Ehre, ihr Glück, ihre Ruhe hänge von dem Geheimnisse ab, das den achtsamen Blicken eines Gatten nicht lange verborgen bleiben könne. Sie müßten sich trennen. Felix ist entzückt, in der geliebten Pflegemutter seine wahre Mutter zu finden. Er hat alles verstanden, er begreift alles, mit männlicher Fassung erträgt er sein trauriges Geschick und ist zum Opfer entschlossen. Er verspricht seiner Mutter, er werde das Geheimnis ewig bewahren, ihre Ehre ihm heilig sein. Felix wird der Begleitung eines alten Pächters anvertraut, der von dem Geheimnisse weiß. Er soll nach Paris geführt werden, wo die Gräfin für ihn sorgen will. Bei der Trennung gibt sie ihm Diamanten von großem Werte und vieles Geld mit. Der Knabe geht, und der Verlobte kömmt an. Baron Saintval hat immer eine Art Kälte in dem Betragen der Gräfin gefunden, eine unerklärliche Zurückhaltung, und der versteckte Kummer in ihren Zügen war ihm nicht entgangen. War es Abneigung gegen ihn, war es etwas anderes – er wußte es nicht zu deuten. Jetzt im Begriffe, ein unauflösliches Band zu knüpfen, sucht er die Gräfin auf die liebevollste und zarteste Weise dahinzubringen, daß sie ihm ganz ihr Herz öffne. Aber selbst die edelste Frau kennt den engen Schmugglerpfad, der sich zwischen der Wahrheit und der Lüge hinschlängelt, und weiß sich durchzuschleichen. Der Baron ist beruhigt, ist glücklich und hofft, die Freundin werde ihn noch lieben lernen. Der Ehevertrag wird unterzeichnet. –

Im zweiten Akte sehen wir die Szene in einem Walde. Dort, zwischen Felsen, ist eine Bande jener Brandstifter versammelt, die im letzten Jahre der Regierung Karls X. einen Teil Frankreichs verwüsteten und deren Treiben man damals einer höllischen Politik der Regierung zuschrieb. Die Brandstifter waren benachrichtigt, daß sie von Soldaten verfolgt würden, und da der Weg zu ihrem Schlupfwinkel über eine schmale Brücke führte, die über einem Abgrund hing, sägten sie die Balken, welche die Brücke trugen, so durch, daß man es äußerlich nicht wahrnahm, damit sie unter den nacheilenden Soldaten einbräche. Jetzt kam Felix mit seinem Begleiter. Der alte Pächter betrat zuerst die Brücke, sie brach, und er stürzte in die Tiefe, rettungslos. Felix springt entsetzt zurück, schreit nach Hilfe und sinkt mit herzzerreißendem Jammer besinnungslos zu Boden. Ein alter Bettler von der Mordbrennerbande gibt dem Knaben liebreiche Worte und bietet sich an, ihn bei hereinbrechender Nacht in eine nahe Pächterswohnung zu bringen. Der Bettler wollte diese gute Gelegenheit zu einer Schandtat benutzen. Ihm war von seinen Obern der Auftrag erteilt worden, eben in jener Pächterswohnung Feuer anzulegen, und Felix mußte ihm dazu dienen, sich mit guter Art dort einzuführen. Er begleitet den Knaben dahin. Dort, bei dem reichen Pächter, war man gerade mit einem fröhlichen Erntefeste beschäftigt. Der Knabe, dessen Unglück der Bettler erzählt, wird aufs liebreichste aufgenommen; man sucht ihn zu beruhigen, man tröstet ihn. Um seine Herkunft, um seine Eltern befragt, schweigt Felix und weist sanft, doch entschlossen die Teilnahme zurück. Das befremdet; doch die guten Leute schreiben es dem Schrecken, der Verwirrung des Knaben zu. Der Bettler wird von den Pächtersleuten für seine gutmütige Sorge um den Knaben gelobt, beschenkt und eingeladen, die Nacht im Hause zuzubringen. Er lehnt das Anerbieten unter einem Vorwande ab und entfernt sich. Dem krankmüden Felix wird ein Lager bereitet. Als dieser eingeschlafen und alles im Hause ruhig war, schleicht sich der Bettler ins Haus zurück, wirft eine Brandbüchse auf ein Strohdach und eilt davon. Der Vorhang fällt.

Im folgenden Akte sehen wir die Pächterswohnung, noch den vorigen Tage ein Sitz des Wohlstandes, des Glücks und der Fröhlichkeit, in eine wüste Brandstätte verwandelt und hören das Jammergeschrei der zugrundegerichteten Landleute; Felix, von Gendarmen bewacht, bleich und zerstört, steht vor dem Maire und wird von ihm vernommen. Der Verdacht der Brandstiftung fiel auf ihn. Er war der einzige Fremde im Hofe, sein geheimnisvolles Wesen hatte gleich bei seinem Eintritt Aufmerksamkeit erregt, und übrigens war bekannt, daß Knaben zu solchen Brandstiftungen gebraucht wurden. Felix soll dem Untersuchungsrichter seinen Namen, Wohnort und seine Herkunft angeben; er sagt: das müsse er verschweigen. Man untersucht seine Taschen und findet Diamanten und Geld darin. Woher er sie bekommen, erklärt er nicht. Endlich wird er von einem der umherversammelten Landleute erkannt, der ihn früher auf dem Gute des Grafen Claireville gesehen. Felix behauptet standhaft, er kenne den Grafen Claireville nicht. Es wird ihm angekündigt, er würde dahin geführt werden. Der unglückliche Knabe, eingedenk seiner Mutter und ihres fürchterlichen Geheimnisses, gerät in Verzweiflung, fleht jammervoll, man möchte ihn nur nicht auf das Gut des Grafen Claireville bringen, er wolle alles eingestehen. Ja, er habe die Diamanten und das Geld dort gestohlen, er habe das Feuer angelegt. Nach diesem Geständnisse war es um so nötiger, ihn auf das Gut zu bringen, und Felix wurde unter Bewachung, von dem Maire begleitet, nach Claireville geführt. Dort wurde am nämlichen Morgen die Trauung der Gräfin Claireville mit dem Baron Saintval vollzogen. Die Neuvermählten kommen aus der Kirche, eine glänzende Gesellschaft war im Salon versammelt, die Zeit vor dem Hochzeitsmahle mit Spiel, Musik, Tanz zu verbringen. Die Gräfin war heiter, ihr Mann glücklich. Da wurde der Maire gemeldet, der in einer Sache, die das allgemeine Wohl beträfe, den Herrn und die Dame des Hauses sprechen müsse. Man läßt ihn eintreten (Felix, in einem Wagen bewacht, bleibt unten im Hofe). Der Maire wendet sich an die Gräfin und fängt seine Geschichte zu erzählen an. Diese begreift anfänglich nicht. Man hält ihr die Diamanten und den Geldbeutel vor Augen, die man bei Felix gefunden. Da wird es bei der Gräfin fürchterlich Tag; doch noch faßt sie sich. Sie erklärt, sie habe wirklich das alles dem Knaben geschenkt. Der Maire erwiderte: der Knabe selbst bekenne, es gestohlen zu haben. Die Gräfin begreift Felix' Edelmut, der, ihr Geheimnis nicht zu verraten, lieber freiwillig ein Verbrechen auf sich nahm. Der Maire erwidert, wie sie aus zartem Mitleide den Diebstahl, den der Knabe begangen, verschweige; aber die Gerechtigkeit dürfe sich nicht abwenden lassen; der Knabe habe sich auch der Brandstiftung schuldig gemacht, und er müsse ihn den Gerichten überliefern. Auf seinen Wink wird Felix in den Saal geführt. Die Gräfin drückt ihn leidenschaftlich, angstvoll an ihre Brust. Felix flüstert ihr zu, sie möge sich nicht verraten, er habe nichts ausgesagt. Sie aber kann ihr Herz nicht mehr bemeistern, ihre Mutterliebe bricht in lichte Flammen aus, und ihr Gatte, ihr Vater, die fremden Gäste alle vernehmen mit Entsetzen aus ihrem Munde den Schmerzensruf: » Felix ist mein Sohn!« Es war eine fürchterliche Szene. Ich erleichterte mir sehr das Herz, indem ich die alberne Figur betrachtete, die der frische Ehemann machte, als ihm die lebendige Mitgift seiner Frau vorgezählt wurde. Der alte Vater gerät in Verzweiflung. Er zieht den Degen und will seine Tochter durchbohren, die ihn entehrt hat. Er reicht den Degen dem Baron und bittet ihn, in seinem Blute die erlittene Beschimpfung abzuwaschen. Die Gräfin sinkt ohnmächtig nieder, und der Vorhang fällt. –

Im letzten Akte erscheint die Gräfin gefaßt. Sie hatte den Schmerz ausgeleert, und es blieb ihr nur noch ihre Pflicht übrig. Sie hat beschlossen, in ein Kloster zu gehen und von allen Sorgen des Lebens nur noch die für ihren Felix zu behalten. Sie schreibt ihrem Vater einen Brief, ihm die dunkle traurige Geschichte zu erklären. Sie erwartet den Besuch ihres Mannes, der schon alle Anstalten zu seiner Abreise hat treffen lassen und sie zum Abschied noch einmal sehen wollte. Es ist eine dumpfe Szene, wobei einem wehe wird. Der Baron liebt Amalie, aber hier war keine Rettung für sein Herz; es mußte entsagen. Die Gräfin erklärt: es werde ihren eigenen, es werde den Schmerz, den, wie sie hoffe, er selbst empfinde, mildern, wenn sie ihm die Überzeugung gebe und er sie mitnehmen könne, daß sie seiner Achtung nie unwürdig war. Sie wolle ihm darum ihre unglückliche Geschichte erzählen. Achtung! Der Baron macht ein Gesicht wie ein Schaf. Er bittet sie, um Gottes willen zu schweigen; er wolle nichts hören; er liebe sie, und es wäre ihm zu schmerzlich, erfahren zu müssen, daß, früher als er, schon ein anderer ihre Liebe besaß. Die Gräfin erwidert mit leidenschaftlicher Heftigkeit: »Liebe? ich geliebt? Jamais!« Der arme Baron wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Gräfin, von Schmerz und Scham niedergeworfen, fällt zu seinen Füßen und erzählt folgendes: Vor 16 Jahren, im Jahre 1814, als sich der siegende Feind Paris nahte, habe sie ihr Vater, sie in Sicherheit zu bringen, auf ein Gut eines seiner Pächter geführt. In einer Nacht wurde das Dorf überfallen; alles ging in Rauch und Flammen auf, alles wurde geplündert, niedergemetzelt. Der Pächter verbarg sie, das sechzehnjährige Mädchen, schnell in eine dunkle Höhle; kein Lichtstrahl drang hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug für die Erinnerung ... Die Gräfin hält sich die Hände vor die Augen – wir wissen alles. Felix, ihr Sohn, ist 16 Jahre alt. Die Gräfin erhebt sich und bricht in einen Strom von Tränen aus. Der aufhorchende Baron wird immer starrer und starrer, bis er wie zerschmettert zu den Füßen der Gräfin niedersinkt. Er wolle die Geschichte zu Ende erzählen. Er fragt nach dem Namen des Dorfes; sie nennt es ihm. Da zieht er einen Ring vom Finger. Die Gräfin, als sie ihn erblickt, schreit: »Es ist der Ring von meiner verstorbenen Mutter, den ich damals getragen.« Der Graf: » Ein Verbrechen hat dich vor sechzehn Jahren zu meiner Gattin gemacht! ...« Und nun dieses Gemisch von Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten und nicht zu spielen, aber es war zum Weinen. Felix tritt herein; der Baron durchwühlt seine Gesichtszüge, erkennt seine eigenen und drückt entzückt den Knaben an sein Herz, dem er kurz vorher das Herz hätte durchbohren mögen... Ist das nicht die schönste garstige Geschichte von der Welt, und muß man nicht erstaunen, daß der Mensch seine Phantasie foltert, um Leiden von ihr zu erfahren, die das boshafteste Geschick dem Menschen nie angetan?

 

Mittwoch, den 21. Dezember

Die Unglückseligen! Sie lassen uns ja keine Ruhe, sie verhöhnen unsere Friedlichkeit und fordern uns zu einem Kampfe heraus, den sie fliehen, sobald wir ihn angenommen! War ich doch vorgestern auf dem Wege, ein ordentlicher Mensch zu werden und ein Schriftsteller von Gerstenzucker. Ein Märchen hatte ich im Kopfe und eine Novelle, und beide – ich schmeichle mir gewiß nicht zu viel – hätten in der »Wiener Theaterzeitung« gedruckt werden dürfen. So war ich, und heute bin ich wieder ein schrecklicher Nußknacker. Alle zerbrochene Schalen mögen über die kommen, die mich verhindert, mein Märchen und meine Novelle zu vollenden. Montag ging ich um zwei Uhr aus dem Hause, um mein tägliches Bewegungspensum abzulaufen: die Boulevards entlang bis auf den Bastillenplatz, und von da am Wasser zurück. In der Passage de l'Opéra kaufte ich mir ein Zahnpulver, Poudre-Naquet, dentifrice balsamique, pour donner aux dents la blancheur de l'ivoire. Ich las im Gehen den Zettel, in den das Schächtelchen gewickelt war. Es war Wiegen-Eijapopeija für mein unruhiges Herz. Wie Herr Naquet sagt: »Als ich wegen herannahenden Greisenalters und meiner hinfälligen Gesundheit meinen Parfümeriehandel aufgab, wollte ich ein Kunstwerk zum Vorschein bringen, auf das ich die Sorgen meines ganzen Lebens verwendet, ohne doch je das gewünschte Ziel erreichen zu können ... Auf dem Lande, wohin ich mich zurückzog, im Schoße der Einsamkeit und des süßen Friedens, gelang es mir endlich, nach einer unzähligen Menge von Versuchen, ein balsamisches Zahnpulver zustande zu bringen ... Weder die glänzenden Anerbietungen meiner Nachfolger, weder die Sorgen noch die unermüdete Geduld, die ein so großes Werk erfordert, noch die große Zahl der angeblichen Philodentes, die man unter prächtigen Titeln der Welt darbietet – nichts, nichts konnte meinen Entschluß wankend machen. Und ich hatte recht ... Der Menschheit nützlich zu sein, den Frauen zumal, war immer mein einziger Wunsch und wird es immer bleiben ... Der Mund, die Wohnung der Grazien und der zauberischen Schönheit, zog schon von der frühsten Jugend an all mein Denken auf sich, ich weihte ihm meine Sorgen und meinen Eifer, und ich war glücklich genug, der Welt einige Erzeugnisse darzubieten, die mir ihren Beifall erwarben. Doch, ich darf es kühn behaupten, nie gab ich ihr ein Zahnpulver, das diesem gleicht; ein Zahnpulver, das, indem es die Zähne weiß macht, ihren Schmelz bewahrt, das Zahnfleisch befestigt und in dem Munde ein schimmerndes Hochrot und einen Balsamduft verbreitet ... Soll ich von der Allmacht jenes Zauberbüchleins sprechen, wenn es dem entzückten Blicke eine Doppelreihe von Perlen darbietet, die zwischen glänzenden Korallen schimmern? Nein, hochberühmte Dichter, anmutige Federn haben diesen Gegenstand behandelt, meine Farben werden bleich erscheinen neben jenen. Ich habe mehr getan. Ich habe mich mit etwas beschäftigt, das nicht weniger schwer, doch weit nützlicher ist als die Beschreibung eines schönen Mundes; ich habe das Mittel gesucht und nach langen mühevollen Arbeiten es gefunden, wie man den Mund immer schön erhalte. Die Schachtel kostet 3 Fr. 50 c, eine halbe 2 Fr. ...« Und so träumte ich mich in das Märchen hinein: Von der schönen holdseligen Fee Konferenz, deren Mund lächelte wie Morgenrot, deren Zähne glänzten wie Sonnenstrahlen, und wo sie vorüberschwebte, verwandelte sie Tag in Nacht. Die schlafenden Vögel erwachten und sangen ihr Morgenlied. Die Blumen neigten ihr Haupt vor ihr. Was lebte, zog ihr jubelnd entgegen. Und sie fesselte einen Königssohn, der sich in Liebe für sie verzehrte. Er ermordete seinen Vater, und dann führte sein eignes Volk ihn auf das Blutgerüste. Ehe sein Haupt fiel, rief der Unglückliche die Rache des Himmels an. Die Fee war eine böse giftige Zauberin. Da berührte sie ein guter Geist, der mächtiger war als sie, mit leichter Hand, und sie zerstiebte in ein blutrotes Pulver ... An der Ecke der Richelieustraße war das Märchen fertig.

Einige Schritte weiter, bei den Variétés, umgab ein großer dichter Menschenkreis ein Frauenzimmer von etwa vierunddreißig Jahren, in deren blassen Zügen Spuren einer großen Schönheit zu erkennen waren. Sie war nicht vornehm, aber anständig und reinlich gekleidet. Sie kniete auf dem regenfeuchten Boden und herzte einen alten garstigen Pudel, der frohlockend an sie heraufsprang. Was um ihr her gesprochen, gelacht wurde, kümmerte sie nicht, sie hatte die Welt vergessen über ihren Fund. Am Morgen hatte sie ihn auf der Straße verloren und nach einigen Stunden, an dieser Stelle – ein Wunder in Paris –, ihn wieder gefunden. Ich machte eine Novelle daraus. Von dem Hunde des treulosen Geliebten. Er kam nicht wieder. Am dritten Abend vergeblichen, schmerzlichen Erwartens scharrte es an Antoniens Türe. Sie öffnete sie und blieb mit sprachlosem Entzücken stehen. Es war der Hund des Geliebten. Sie horchte nach seinem Tritte, sie lehnte sich über das Treppengeländer und schaute hinab. Er kam nicht. Da verfiel sie in stillen Wahnsinn. Jeden Abend setze sie, wie sie es gewohnt war, zwei Gedecke auf den Tisch. Auf einem Stuhle neben ihr saß der Hund, dem sie den Namen Heinrich gab. Sie legte ihm das Essen auf den Teller. »Willst du denn davon nicht, Heinrich? das hast du ja immer gern gehabt«; dann brach sie in Tränen aus und warf sich jammernd auf die Erde. Der Hund sprang vom Stuhle und wimmerte zu ihren Füßen ...

Jetzt kam ich an die Montmartrestraße. Da sah es aus wie in einem Feldlager. Dragoner, Husaren, Gendarmen, Fußvolk, zahllose Scharen von Polizeiwachen hielten die Straßen besetzt, die von den Boulevards seitwärts führen. Große Soldatentrupps zogen auf und ab. Ich fragte einige aus dem zahlreich versammelten Volke, was das bedeute. Die Studenten hatten sich vereinigt, in feierlichem Zuge dem General Ramorino, der in der Straße Montmartre wohnte, eine Ehrenfahne zu überreichen. Die bewaffnete Macht jagte sie zurück und zerstreute sie mit unerhörter Mißhandlung. Da ergrimmte ich wieder, und fort Märchen, fort Novelle! Ich verstand das gleich. Wort für Wort wußte ich vorher, was Casimir Périer an diesem Tage (er sollte über die Lyoner Greuel Rechenschaft geben) in der Kammer sagen, was seine Papageien auf der Börse und in den Zeitungen ihm nachplaudern würden. Schon den Tag vorher waren die Studenten in gleich großer Zahl zu den polnischen Generalen gezogen. Die Polizei setzte sich nicht entgegen, und alles lief ruhig ab. Kein Bürger zeigte Furcht, kein Laden wurde geschlossen, der Verkehr nicht im geringsten gestört. Den folgenden Tag hatten die Minister sich gegen den vorausbekannten Angriff der Opposition zu verteidigen. Es tat ihnen not, ihren Söldnertrupp und ihr Angstgefolge enge zusammenzuziehen und zum Kampf anzufeuern. Der Zug der Studenten kam ihnen erwünscht entgegen. Man stellte sich, als habe man Furcht, um bei den Bürgern Furcht zu erregen. Man ließ die bewaffnete Macht auf den Straßen toben. Schrecken verbreitete sich. Die Läden wurden geschlossen. Das wollte man. Die Kaufleute, die gerade um diese Weihnachtzeit mehr verkaufen in einer Woche als sonst in ganzen Monaten, sollten gegen die Männer der Freiheit, der Bewegung, gegen die Unruhestifter murren und ihren Schmerz und ihren Zorn der Rache ihres Krämergottes, Casimir Périer, überlassen. Bei solchem schändlichen, kleinlich tückischen Treiben der Staatsgewalt – kann man da Novellen schreiben? Nein. Ich verfaßte eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie keine früher; zehn Galgen hoch. Nicht diesen Périer allein, alle Périers Europas hatte ich niedergeschmettert. Ich hatte mich abgekühlt und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde ich beschämt! Ich kam bis auf den Boulevard du Temple. Wie wurde ich da beschämt von einem Manne, der sprachlos dastand, aber mit einer einzigen Bewegung die Regierung beredsamer strafte, als ich mit tausend Worten es getan. Es war ein stattlicher kräftiger Mann aus dem Volke, mit sonnenbraunem Gesichte, feurigem Blicke, buschigen Augenbraunen. Er trug Beinkleider und Hausmütze eines Nationalgardisten; den Rock hatte er abgelegt, und die zurückgestülpten Hemdärmel zeigten nervige Arme, zum Dreinschlagen geübt und stets bereit. Dieser Mann war eine Wachsfigur. Erfahren Sie vorher, daß man hier seit einem Jahre die abgenutzten, altherkömmlichen Wachsfiguren vervollkommnet hat. Durch mechanische Vorrichtung hat man ihnen Bewegung gegeben; ob allen oder nur denjenigen, die außer den Buden zum Anlocken stehen, weiß ich nicht, da ich nie in eine solche eingetreten. Der Mann, von dem ich spreche, der Musterfranzose, stand, so wie ich ihn beschrieben, mit verschränkten Armen unter einem kleinen Zelte, dessen Inneres eine Landschaftsdekoration vorstellte. Es war eine Felsengegend, im Hintergrunde das Tor einer Stadt oder eines Dorfes. Der Mann schien aus der Fremde in die Heimat zurückgekehrt zu sein. Jetzt erhob er den Kopf und sah sich im Vaterlande umher. Trauer und Schmerz, Zorn und Verachtung malten sich in seinen schwarzen Augen. Jetzt senkte er Kopf und Blick zur Erde, und eine Bewegung des Mitleids zuckte ihm durch Arme und Schultern, leise und trübe wie der Schatten einer Wolke. Doch, hat vielleicht meine Phantasie das alles in den Mann hineingedichtet oder mein Spott hineingelogen? Nein, nein. Über seinem Kopfe hing eine Tafel, worauf mit großen Buchstaben: France geschrieben war. Hätte Louis-Philippe dieses trauernde Frankreich von Wachs gesehen, es wäre ihm durch Mark und Bein gedrungen – oder er wäre kein Mensch, und dann wäre nichts Menschliches von ihm zu fordern. Ich aber schämte mich meiner Rede aus Worten. Wäre sie geschrieben gewesen, hätte ich sie verbrannt; da sie nur gedacht war, warf ich sie in den Lethe.

 

Donnerstag, den 22. Dezember

Guten Morgen, ob Sie es zwar nicht verdienen. So heruntergebracht haben Sie mich, so demütig haben Sie meine Hoffnung gestimmt, daß ich nicht einmal heute einen Brief erwarte, ob es zwar der sechste Tag ist, daß ich Ihren letzten erhalten.

Also mein Eduard hat Ihnen so sehr gefallen, daß Sie ihn umarmt haben? Der glückliche Eduard! Er ist jünger als ich.

In der »Münchner Hofzeitung« wurde gestern wieder einmal gerasselt. Ich glaube, man sieht die deutschen Leser für Vögel an. Ach, daß es nicht wahr wäre! Es ist zum Erstaunen, wie gemein und schlecht jenes Aristokratenmanifest wieder geschrieben ist. Es scheint, die Minister dort lassen ihre Kriegsartikel von ihren Köchen verfertigen. So sehr hat die Macht allen Kredit verloren, daß sich nicht einmal ein Worttrödler findet, der, die Armut ihrer Gesinnung zu bedecken, ihnen auf einen Tag einen anständigen Rock leiht. Wie habe ich es diesmal getroffen, wie genau habe ich alles vorherberechnet! Es war mir klar, daß es jetzt darauf ankäme, jetzt, wo der Kampf in Deutschland beginnt, kein Justemilieu aufkommen zu lassen, das, die Streitenden trennend, sich bald dort, bald hier hinneigend, um von beiden Seiten Vorteil zu ziehen, einen sumpfigen Frieden bildet, der die Luft verpestet und nur den quakenden Fröschen wohltut. Die Franzosen haben kein Temperament zum Justemilieu. Was wir jetzt sehen, ist nur ein künstliches Schaukelsystem, das keine Dauer haben wird. Bald wird das Brett den Schwerpunkt verlieren und auf der einen oder andern Seite überschnappen. Die Deutschen aber bilden einen gebornen Mittelstand. Die schaukeln nicht, sie nageln den Wagebalken fest, schmieden eiserne Klammern darüber, legen noch Felsenstücke darauf, und zu größerer Beruhigung sich selbst mit ihrer ganzen Breite, und solche gutverwahrte, nichts entscheidende Gleichgültigkeit könnte noch manche zehn Jahre überdauern. Darum schien mir gut, meine Gesinnung und deren Ausdruck auf das Äußerste zu treiben, um meine Gegner zu verleiten, daß sie das nämliche tun. O, ganz prächtig ist mir schon mancher in die Falle gekommen! Es gibt keinen besseren Jagdhund, das Lager der Tyrannei aufzufinden, als ich einer bin; ich wittere sie auf hundert Stunden weit. Die Münchner Sau habe ich auch herausgestöbert. In meinen Briefen ereiferte ich mich darüber, daß kein Deutscher in Paris an den Kämpfen der Julitage teilgenommen. Von den deutschen Handwerksburschen, bemerkte ich, wundre mich das nicht. Diese hätten bei Freiheit und Gleichheit nichts zu gewinnen; denn während ihrer Jugend dürften sie betteln und im Alter die Zunfttyrannen machen. Das machte den bairischen Diplomaten-Lehrjungen den Kopf verlieren, und er schrie auf: »Seht ihr, seht ihr, wie töricht ihr seid mit eurer Staatsreform? Seht ihr, wie die Zunftverfassung gedankenlose, folgsame, leicht zu regierende Untertanen bildet? Und ihr wollt die Zünfte aufheben? ...« So haben sie früher nicht gesprochen. Das Zunftwesen war der Herrschsucht immer lieb gewesen; aber sie verteidigten es mit schönen Worten von Bürgerwohlstand, Flor der Gewerbe; das Geheimnis ihrer schlauen Staatskunst verrieten sie nie dem Volke. Ich werde Ihnen in meinem nächsten Briefe noch andere Geschichten erzählen, wie ich durch Feuer und Rauch die verborgene Schelmerei aus ihrer Höhle hervorgelockt. Die ministerielle Klatschliese in München, um meine Ehre zu verdächtigen, um meinen Mut herabzusetzen, erinnert mich an einen »gewissen Vorfall auf dem Frankfurter Komödienplatz« und meint, es käme mir nicht zu, den Deutschen ihre Feigheit in Paris vorzuwerfen. Wenn man etwas Beschämendes von mir wußte, warum erzählt man denn den Vorfall nicht? Sollte man etwa auf eine alte Geschichte mit dem Schauspieler Heigel anspielen? Aber damals hat sich das Christentum sehr hundsföttisch benommen; ich aber habe mich als tapferer Makkabäer gezeigt. Jude, Jude! das ist der letzte rote Heller aus der armseligen Sparbüchse ihres Witzes. Aber nach allem, ich wollte, es gäbe mir einer die drei Louisdor zurück, die ich für mein Christentum dem Herrn Pfarrer verehrt. Seit achtzehn Jahren bin ich getauft, und es hilft mich nichts. Drei Louisdor für ein Plätzchen im deutschen Narrenhause! Es war eine törichte Verschwendung.

 

Freitag, den 23. Dezember

Gestern bin ich gestört worden, den Brief zu endigen und abzuschicken, wie ich es gedachte. Erstens durch Ihren prächtigen fünfseitigen Brief. Dann gestört durch einen Brief, den ich gleichzeitig von Campe erhielt; dann durch überschickte Zeitungen; dann durch einen andern Zeitungsartikel aus Deutschland, den man mir mitgeteilt; endlich durch die Bewegung, die das alles in mir hervorgebracht. Es war eine freudige Bewegung, das schwöre ich Ihnen. Es geht ja alles herrlicher, als ich zu träumen gewagt. Wenn Sie hoffen, die Nachricht von der Entziehung meiner Pension würde ich nicht als eine persönliche Sache ansehen, sondern es zum großen Ganzen rechnen – lassen Sie meinem Herzen Gerechtigkeit widerfahren. Nicht genug Gerechtigkeit lassen Sie aber meinem Kopfe widerfahren, wenn Sie glauben, ich würde das zu den Unglücksfällen dieser trüben Tage zählen. Es ist ja keine Niederlage, es ist ein Sieg der guten Sache. Kann mir denn etwas willkommener sein, als daß ich ihre Leidenschaft entflammt, sie dahin gebracht, in ihre hölzerne mechanische Tücke Blut und Leben zu bringen und aus glühendem Hasse zu tun, was sie früher nur mit eiskalter Politik begangen? Die Frankfurter Regierung hatte gar nicht das Recht, mir die Pension zu entziehen; denn nicht sie, sondern die deutsche Bundesversammlung hatte mir, wie allen Staatsdienern des Großherzogtums Frankfurt, die Pension zuerkannt. Der Senat glaubte auch gewiß nicht, das Recht zu haben, dachte auch nimmermehr daran, es sich anzumaßen; aber irgendein Diplomat befahl, drohte vielleicht, und der feige Senat gehorchte angstzitternd wie immer. Daß man mir sagen ließ, ich solle nach Frankfurt kommen, um ein Amt zu übernehmen, das – ich glaube es gern, um meiner Verachtung eine Grenze zu setzen – war ein Vorwand, um, wenn ich der Einladung nicht folgte, mir die Pension nehmen zu können. Der Senat weiß recht gut, daß noch weniger, als ich mich dazu verstünde, in Frankfurt ein Amt zu bekleiden, er sich dazu verstehen würde, mir eins zu übertragen. Das glaube ich. Aber nimmermehr kann ich glauben, daß man mich nach Frankfurt hat locken wollen, um mich der Rache Österreichs oder Preußens auszuliefern. Es wäre zu schändlich, zu niederträchtig! Daß Herr von Guaita gleich nach Erscheinen meiner Briefe geäußert, man werde mir meine Pension entziehen, das war natürlich. Er konnte es früher wissen als der Senat, denn er ist das Sprachrohr der lispelnden Diplomatik, und was man in Wien flüstert, schreit er den alten Bürgern im »Römer« zu. Den Senator von Heyden, ich kenne ihn. Ja, ich sehe ihn rot werden; er ist ein edler Mensch. Ich selbst errötete darüber, ich, den doch die Schandtat getroffen, der sie nicht begangen. Ruhen lassen will ich die Sache gerade nicht. Helfen wird mir keine Klage; der Bundestag, der hier entscheidet, ist selbst Partei. Zuerst wäre abzuwarten, daß mir der Senat ein Dekret seines Beschlusses zukommen läßt. Reden Sie mit *** darüber, ob ein solches zu erwarten; wenn nicht, wie ich eine solche Mitteilung erzwingen kann. Er möge mir auf jeden Fall eine Vollmacht zum unterzeichnen schicken, dann wollen wir uns darüber besprechen. Die Sache soll öffentlich werden, das ist meine gute Absicht. Zu gewinnen ist unmöglich. Wenn die Frankfurter Advokaten etwas in Masse für mich täten, so wäre es schön; aber ich hoffe es nicht. Wenn es R. gut findet, will ich einen offenen Brief an die Advokaten drucken lassen und ihn nach Frankfurt schicken. Ich muß aber darin sprechen dürfen auf meine Weise. Das, fürchte ich, schüchtert ihren guten Willen zurück. R***s Rat werde ich auf keine Weise in dieser Sache verschmähen, sobald er mir nur frei läßt, meine Angelegenheit an die allgemeine zu knüpfen. Für meinen persönlichen Vorteil allein habe ich eine schwache Zunge und eine stumpfe Feder. – Die Angst für mein Nassauer Geld ist lächerlich. Wie können Sie denken, daß ein Staat aus einer kleinlichen Rache seinen ganzen Kredit umstoßen solle? Aber euere Furcht ist bezeichnend genug. Wie weit muß es in Deutschland gekommen sein, daß man solche Gewalttätigkeiten für möglich hält?

Aus Campes Brief teile ich Ihnen in meinem nächsten einiges mit. Heute nur, soviel das Papier verstattet. Menzel schrieb ihm: »Sie werden meine in diesen Tagen erschienene Kritik der Börneschen Briefe erhalten. Kein Verbot, keine Winkelkritik wird je imstande sein, Börne den wohlverdienten Lorbeerkranz zu entreißen. Sein Genie sichert ihm für alle Zukunft eine der ehrenvollsten Stellen unter den ersten unserer Literatur. Sein edles Zornfeuer macht ihn jedem wahren Patrioten im höchsten Grade achtungswert. Selbst das frivole Hundegebell, das sich gegen ihn erhebt, ehrt ihn, und die Nachwelt wird es erkennen.«

In einem neuen Zeitungsartikel gegen meine Briefe heißt es unter andern Merkwürdigkeiten: ich wäre erbost gegen alle Leute von Rang und Stand, weil ich selbst kein Hofrat wäre; erbost gegen die Reichen, weil ich arm sei; erbost gegen die Fürsten, weil ich keine Hoffnung hätte, je selbst ein Fürst zu werden. Ist das nicht himmlisch? Reden Sie. Ich arm? Ist mein Herz allein nicht eine Million wert? Ich lege die ganze Million zu Ihren Füßen. Verschmähen Sie sie nicht; ich kann doch noch einmal Fürst werden. In Versteigerungen kauft man oft die kostbarsten Sachen um weniges Geld.


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