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Siebzehnter Brief

 

Paris, Samstag, den 11. Dezember 1830

Bis von uns einer auf den Brief des andern antwortet, verstreichen gewöhnlich neun Tage, so daß wir oft beide nicht mehr wissen, worauf sich die Antwort bezieht. Das ist verdrießlich, aber nicht zu ändern, wenn man weit voneinander entfernt lebt. Diderot in seinen Briefen ärgert sich auch oft darüber und sagt: es ist mir wie jenem Reisenden, der zu seinem Gesellschafter im Wagen sagte: »Das ist eine sehr schöne Wiese.« Eine Stunde darauf antwortete dieser: »Ja, sie ist sehr schön.«

Wissen Sie schon, daß Benjamin Constant gestorben ist? Morgen wird er begraben. Kränklich war er schon seit mehreren Jahren. Der Kampf für die Freiheit hielt ihn aufrecht, dem Siege unterlag er. Der Gram getäuschter Hoffnung hat sein Leben verkürzt; die Revolution hat ihm nicht Wort gehalten; die neue Regierung vernachlässigte den, der so viel getan, die alte zu stürzen. Benjamin Constant hatte unter allen Liberalen die reinste Gesinnung, und er war der gediegenste Redner. Es gab andere, die glänzender sprachen, aber es war doch nur alles vergoldetes Kupfer. Er hatte recht, durch und durch. Er hatte einen deutschen Kopf und ein französisches Herz.

Gestern sind die Minister nach dem Luxembourg gebracht worden. Sie sollen sehr niedergeschlagen aussehen und Polignac sehr mager geworden sein. Mittwoch geht der Prozeß an, und bis Weihnachten wird er geendigt sein. Ich durfte nicht daran denken, mir ein Billett für die Pairskammer zu verschaffen, es war nicht durchzusetzen. Der Plätze sind zu wenige. Vierzig Journalisten, die Diplomaten und andere solche Privilegierten müssen untergebracht werden. Wie wäre wohl einem deutschen Minister zumute, wenn er in einem Saale mit vierzig Zeitungsschreibern sitzen müßte. Er wäre lieber unter Menschenfressern. Es dürfen keine Frauenzimmer in die Pairskammer; man fürchtet, sie möchten den Mund nicht halten können. Große Ehre für das Geschlecht! Von Polen wußte ich schon seit gestern. Das geht gut. Es ist mir aber doch nicht ganz recht; es wäre besser, die Polen hätten noch gewartet mit ihrer Empörung. Ich wünsche Krieg, und ich fürchte, durch die polnische Revolution wird der Krieg mit Frankreich verhindert. Jetzt ist nicht allein Rußland beschäftigt und abgehalten, an Frankreich zu denken, sondern auch Österreich und Preußen, die auch Teile von Polen besitzen und fürchten müssen, daß sie sich ebenfalls insurgieren. Übrigens ist mir bange, die Polen möchten ihre Sache nicht so leicht durchsetzen als die Belgier. Die Russen sind zu mächtig. Es wird dort ein erschreckliches Gemetzel geben. Sie werden aber sehen, daß nach und nach alle Staaten sich frei machen werden, nur Deutschland wird in seinem miserablen Zustande bleiben. Solange der Bundestag besteht, ist keine Hoffnung zum Bessern. Die kleinen Staaten gingen vielleicht vorwärts; aber Österreich und Preußen dulden es nicht. Hat sich bei uns denn eine Stimme aus den höhern Klassen für die Freiheit erhoben? Man überläßt alles dem Pöbel. Ob sie in Braunschweig einen Wilhelm oder einen Karl zum Fürsten haben, das ist alles eins. Von der Schweiz schrieb ich Ihnen schon. Wenn dort die Zensur aufgehoben wird, kann die Zensur in Deutschland nicht viel mehr schaden. Dann könnte man wohl eine vernünftige Zeitung schreiben. Ich denke viel daran. Neulich im Palais Royal reichte ein Arbeitsmann dem Könige die Hand, der sie ihm freundschaftlich drückte. Der entzückte Maurer sagte: Quel brave homme! je jure de ne jamais la laver! Wenn mir einmal ein König die Hand drückte, im Feuer wollte ich sie reinigen, das kann gefährlich werden, wenn der Druck in das Blut übergeht.

Neulich war eine Auktion von den Möbeln, Kleidungsstücken und andern Hinterlassenschaften der Herzogin von Berry. Das hätte ich nicht versäumen sollen. Die treuen Royalisten waren alle da und kauften Reliquien zu ungeheuren Preisen. Für ein Paar Handschuhe, welche die Berry getragen, wurden sechzig Franken bezahlt. Gleich interessant waren auch die Versteigerungen der Sachen des Königs: der Krönungswagen unter andern; 7000 Flaschen Wein des königlichen Privatkellers, Weine enthaltend, welche seit fünfzig Jahren von allen Fürsten der Welt an Ludwig XVI., Napoleon, Ludwig XVIII., Charles X. geschenkt worden. Die Geschichte dieser Weine soll merkwürdig gewesen sein. Alle solche humoristische Stoffe für eine geschickte Feder werden aber von den hiesigen Blättern selten und ungeschickt benutzt. Es fehlt diesen Herren an deutscher Philosophie und Tiefe der Empfindung. Es ist wahr, der Figaro zum Beispiel hat angenehmen Witz und ist schön fassoniert: liest man ihn aber einige Zeit, so sieht man, daß alles nur plattiert ist; man braucht nur zu reiben, und das Gold geht ab. Nichts gediegen, nichts durchgehend. Eins der besten Journale ist die Revue de Paris. – Von Lafayette stand vor einigen Tagen in der Zeitung: er wäre krank; seitdem ist aber keine Rede mehr davon. Wenn der jetzt während des Prozesses der Minister krank würde, oder er stürbe, ich glaube, die Regierung wäre imstande und hielte das geheim. Er ist der einzige, der im Falle eines Aufruhrs das Volk im Zaum halten könnte. Ich glaube, daß es ruhig bleiben wird, aber die Regierung hat große Furcht und trifft alle möglichen Vorsichtsmaßregeln. Ganze Regimenter Nationalgardisten tun den Dienst, kein Nationalgardist, auch wenn er nicht die Wache hat, darf seine Uniform während des Prozesses ablegen; man wird also in den nächsten vierzehn Tagen nichts als Soldaten sehen, und Paris wird einem Lager gleichen. Sie glauben nicht, wie komisch das aussieht, wenn in den Läden die Krämer in Uniform Zucker wiegen, Stiefel anmessen. Ich habe oft darüber lachen müssen. – Ich bin begierig – welche neue Revolutionen zwischen diesem und meinem nächsten Briefe vorfallen werden. – Auf dem Bastillenplatz wird ein neues Theater gebaut. Adieu bis zur nächsten Revolution.


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