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Achtzigster Brief

 

Paris, Samstag, den 10. November 1832

Diesen Brief, vom Samstag datiert, fange ich heute Sonntag erst an. Ich habe mich einer Treulosigkeit gegen Sie schuldig gemacht; nicht wegen Mademoiselle *** [Carl] – denn diese besuchte ich erst um zwei Uhr, ich hätte also den ganzen Vormittag Zeit gehabt, Ihnen zu schreiben – sondern wegen eines Buches, das mich so angezogen. Ich empfehle Ihnen Scènes de la vie privée par Mr. Balzac. Ich glaube, es sind vier Bände. Ein moralischer Erzähler von seltener Vortrefflichkeit, und der die Tugend so liebenswürdig darzustellen weiß, daß man sie, zu seinem eignen größten Erstaunen, noch vierzig Jahre nach der Kindheit liebgewinnt. Sie hatten also einen ganzen Tag lang keine andere Nebenbuhlerin als die Tugend selbst.

 

Montag, den 12. November

Sie wundern sich gewiß, daß ich noch kein Wort Politik gesprochen in diesen sechs Briefen; ich wundere mich selbst darüber, und ich weiß nicht, wie es kömmt ... O! es ist so langweilig, so langweilig! ich knurre wie ein alter Hund, der unter dem Ofen liegt, und kann es vor lauter Bosheit nicht zum Bellen bringen. Bosheit gegen wen? Nicht gegen den bürgerfreundlichen Großherzog von Baden, der die Professoren Rotteck und Welcker abgesetzt; sondern gegen die letzteren, die aus Schafsgutmütigkeit ein aktives Verbum haben zum passiven werden lassen. Nicht gegen den Minister Winter in Karlsruh, der sich für einen freisinnigen Mann ausgegeben und den ich immer für einen Pascha von drei Fuchsschweifen gehalten; sondern gegen die Narren, die ihm das geglaubt. Nicht gegen die Schamlosigkeit der bayrischen Regierung, die Landeskinder nach Griechenland schickt, um deutsches zahmes Kuhpockengift in das edle griechische Blut zu bringen, damit ein Heldenvolk bewahrt werde vor dem Fieber und den Blatternarben der Freiheit und ein hübsches, weibliches, polizeiglattes Gesicht behalte; sondern gegen die Bayern, die ruhig und breit dastehen wie die Bocksbierfässer und, ohne sich zu rühren, sich anzapfen lassen von dem unersättlichen Gewaltsdurste ihres Königs. Nicht gegen die hessische Mätressenregierung, welche alle freisinnigen Deputierten mit Fächerschlägen aus der Kammer jagt; sondern gegen diese selbst, die sich wie Spatzen durch ein Husch! Husch! vertreiben lassen. Die in Kassel begreife ich nicht. Die Cholera ist dort, und, wie ich gelesen, haben sie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängnis und Geldstrafen fürchten? Aber der Deutsche hat ein großes Herz! Als einst Napoleon einen Offizier ausschmähte, antwortete dieser: »Ihr Zorn ist nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel« – und darauf schwieg der Kaiser und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutscher Wachtparadenfürst gewesen, er hätte den Offizier kassiert und ihn auf die Festung geschickt. Es ist doch etwas sehr Geheimnisvolles in der Furcht; den Heldenmut begreift man viel leichter. Hunderte von freisinnigen Bürgern in Frankfurt lassen sich dort von der Polizei schulbübisch examinieren und abstrafen und denken gar nicht daran, daß wenn sie Hunderte wie ihrer sind, sich alle in eine Reihe stellen, alle für einen für jeden sprächen und handelten, man ihnen ja gar nicht beikommen könnte, da Frankfurt nicht genug Gefängnisse hat, sie einzusperren.

So knurre ich; ich wollte aber, ich wäre im Ernste ein Hund. Wenn ein Hund von seinem Herrn geprügelt wird, so ist es doch ein höheres Wesen, das ihn beherrscht; der Mensch ist der Gott des Hundes, es ist seine Religion, ihm treu und gehorsam zu sein. Läßt sich aber je ein Hund von einem andern Hunde beißen, ohne sich zu wehren? Oder hat man gar je gesehen, daß tausend Hunde einem einzigen gehorchen? Der Mensch aber läßt sich von einem andern Menschen prügeln; ja tausend Menschen erdulden es von einem einzigen und wedeln dabei mit den Schwänzen! und Jarcke in Berlin ist an die Stelle von Gentz nach Wien gekommen. Erinnern Sie mich an diesen Jarcke, wenn ich ihn vergessen sollte. Ich habe etwas über ihn zu sagen. Zwar hat mich Heine gebeten, ich möchte ihm den Jarcke überlassen; aber ich denke, es ist genug an ihm für uns beide.

Die andere europäische Tyrannei gefällt mir weit besser als die deutsche. Ich weiß nicht – es ist etwas Genialisches, Großes darin. Es ist wenigstens eine hohe Mauer, die jeder sieht, der jeder ausweichen kann, und es müßte einer sehr zerstreut sein, mit dem Kopfe dagegen zu rennen. Unsere aber – das ist ein Scheitholz mitten auf dem Wege, in der Nacht und keine Laterne dabei; man fällt darüber und bricht das Bein. So fiel neulich der Geburtstag des Kaisers von Rußland ein, oder solch ein anderer heilloser Tag, und da befahl die Polizei in Warschau: es müßte jeder illuminieren, und für jedes Fenster, das dunkel bliebe, müßte man dreißig Gulden Strafe bezahlen. Das ist deutlich! Eine Dame in Neapel schrieb an ihren Sohn nach Marseille, sein alter Vater säße schon einige Monate im Kerker, weil er, der Sohn, liberale Artikel in eine Marseiller Zeitung schriebe! So weit bringt es der Bundestag in seinem Leben nicht. Doch wer weiß!

Schreiben Sie mir ja recht oft und viel und freundlich, daß mir gar nichts von meinem Herzen übrigbleibe; denn ich wüßte nicht, wie ich diesen Winter auch nur den kleinsten Rest verwenden sollte. Die Malibran ist nicht hier, und sie kömmt auch nicht. Ich wollte, ich wäre zwanzig Jahre jünger, daß ich darüber weinen dürfte. Während der Schneetage von Paris log sie mir den Sommer vor; wenn sie sang, sah ich blitzen, hörte ich donnern, und wo in meiner Brust noch ein altes Körnchen Pulver lag, da kam ihr Feuer hin und verzehrte es! Ihr armer Freund! Jetzt bleibt meine einzige Lust, die Seifenblasen der Bundesknaben steigen sehen und nach den Schuldoktrinairs mit Schneeballen werfen.


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