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Sechzehnter Brief

 

Paris, Mittwoch, den 8. Dezember 1830

– Es ist entsetzlich mit Goethes Sohn! Ich hätte weinen mögen. Wie hart mußte ein Schicksal sein, das diesen harten Mann mürbe machte. Nach dem letzten Berichte war er hoffnungslos, und jetzt ist er wahrscheinlich tot. Es ist mir, als würde mit Goethe die alte deutsche Zeit begraben, ich meine, an dem Tage müsse die Freiheit geboren werden. – – Heute stehen wieder schöne Lügen im Constitutionnel. In Berlin und in den Rheinprovinzen hätten aufrührerische Bewegungen stattgefunden, und die preußischen Truppen kehrten von den Grenzen zurück. Und in Metz hätten zwei Deutsche 2000 französische Kokarden gekauft, und das alles, wird versichert, käme aus achtungswerter Quelle. Aber in der Schweiz geht es ernsthaft her. Das wäre ein großer Schritt für Deutschland, wenn sich die Schweizer frei machten von ihren Aristokraten, die schlimmer sind als die Könige und gefährlicher. Dann hätte das südliche Deutschland einen Stützpunkt, und es könnte handeln. Auch wäre gewonnen, daß man in der Schweiz dann freie Zeitungen schreiben und von dort nach Deutschland verbreiten könnte: Aber was hilft mich alle Freiheit, wenn ich keinen Tabak habe? Ich bin überzeugt, daß wenn mir noch sechs Monate der Tabak fehlte, ich ein vollkommener Aristokrat würde. Ich fühle leider schon, wie ich täglich sauberer und höflicher werde.

– Der Artikel im Constitutionnel: Le Faubourg St.-Germain ist freilich nicht versöhnlicher Art; aber das will und soll er auch nicht sein. Die Regierung und ihre Anhänger werden durch die halsstarrigen edlen Vorstädter in wirkliche Verlegenheit gesetzt, und sie sind ärgerlich darüber, weil sie es nicht ändern können. Die Ultras haben sich fast alle aus Paris zurückgezogen und wohnen diesen Winter auf ihren Gütern. Dadurch (und das ist ihre edle Absicht) leiden die Gewerbsleute ganz ungemein. Man hat berechnet, daß durch die Abwesenheit der Ultras und eines Teiles von der gewöhnlichen Anzahl der Fremden, der durch die Revolution verscheucht worden ist, Paris in diesem Jahre fünfundsiebenzig Millionen verliert und daß, wenn nicht glücklicherweise der reiche B. angekommen wäre, der Verlust auf hundert Millionen steigen würde. Der Constitutionnel ärgert sich darüber, und das macht ihn bitter. Es amüsiert mich sehr, daß mich der Constitutionnel, sonst mein lustiger Rat, seit der Revolution so sehr ennuyiert. So auch die andern Kameraden. Sie sind erschöpft, ihre Zeit ist aus, und ihr fortgesetztes Liberal-Tun stehet ihnen so lächerlich wie alten Weibern das Kokettieren an. Man muß sich an die jungen Zeitungen halten; Le Temps, National, La Révolution. Selbst der Figaro ist nicht mehr so witzig als ehemals: Es geschehen nicht Dummheiten genug mehr. Warum geht er nicht nach Deutschland? – – H. hat mir gesagt, seine Mutter hätte ihm geschrieben, die St... hätte ihr gesagt, Sie hätten ihr gesagt, ich hätte Ihnen geschrieben, ich ginge in Paris noch nachts zwei Uhr auf der Straße herum. Ist das wahr? das ist ja ein schöner Klatschknäul.

– Sie haben Angst vor den zwölf Löwen und Tigern? Das wundert mich gar nicht, Sie haben schon vor weniger Angst gehabt. Hören Sie, was neulich dem Dr. *** begegnete. Er wird abends zu einer Kranken gerufen. Die Frau lag im Bette, und der Schirm vor dem Lichte machte das Zimmer unhell. Während nun *** seine Kranke ausfragte, fühlte er auf seiner herunterhängenden Hand den heißen Kuß einer breiten stechenden Zunge. Er blickt hin und gewahrte einen lieblichen großen Tiger. Behutsam zieht er die Hand zurück. Dann erhebt sich der freundliche Tiger, stellt sich auf die Hinterfüße und legt seine Vorderfüße auf ***'s Schultern. »Fürchten Sie sich nicht« – sagte die kranke Frau – »Der Tiger ist zahm.« Die Kranke war die Frau eines gewissen Martin, der hier eine Menagerie zeigt und durch die Kühnheit, mit welcher er mit seinen Bestien spielt, vieles Aufsehen macht. Ich glaube, er war früher auch in Frankfurt. Der zahme Tiger, den er in seinem Wohnzimmer frei herumlaufen läßt, gehörte früher dem Marineminister. Ich, an Dr. ***'s Stelle hätte große Angst gehabt. Er erzählte folgendes: »Der verstorbene B. in Rom glaubte die Gabe zu besitzen, jedes Menschen künftiges Schicksal aus dessen Gesichtszügen zu erkennen. Dabei wurde er wie von einer dämonischen Gewalt wider seinen Willen angetrieben, allen seinen Bekannten ihr Schicksal vorherzusagen.« Dr. *** bat ihn oft, ihn mit solchen Sachen zu verschonen, er wolle sein Schicksal nicht wissen. B. aber konnte sich nicht bezwingen und sagte ihm endlich: er solle sich vor wilden Tieren hüten. Ich habe Martins Menagerie noch nicht gesehen, habe mir aber vorgenommen, nur in Dr. ***'s Gesellschaft dahin zu gehen, damit wenn einer von uns gefressen werden soll, er es werde, wie es prophezeit worden.

– Sonntag habe ich einem Konzerte im Conservatoire beigewohnt. Ein junger Komponist namens Berlioz, von dem ich Ihnen schon geschrieben, ließ von seinen Kompositionen aufführen; das ist ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven steckt in diesem Franzosen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles sehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatische in fünf Akten, natürlich bloß Instrumentalmusik; aber daß man sie verstehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es ist die ausschweifendste Ironie, wie sie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Komponist erzählt darin seine eigene Jugendgeschichte. Er vergiftet sich mit Opium, und da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordet und würde zum Tode verurteilt. Er wohnt seiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unvergleichlichen Marsch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Teile stellt er den Blocksberg vor, ganz wie im »Faust«, und es ist alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die sich seiner unwürdig zeigte, erscheint auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen im »Faust«, sondern frech, hexenmäßig... In der Kunst und Literatur wie in der Politik geht die Frechheit der Freiheit voraus. Das muß man zu würdigen wissen, um die jetzigen französischen Romantiker nicht ungerecht zu verurteilen. Sie sind oft rein toll und schreiben Sachen, wie man sie im romantischen Deutschland niemals liest. Das wird sich geben. Sie werden wieder zurückpurzeln, es ist noch kein Franzose in die Sonne gefallen. Neulich bei der Macbethvorlesung fragte ich nach einem bekannten romantischen Dichter, und man sagte mir, er wäre gegenwärtig in Spanien. Das nämliche hörte ich von einigen andern. Es scheint, dies junge Volk geht nach Spanien, romantische Luft einzuatmen. Ich mußte darüber lachen.

– Gestern war ich bei Franconi. Da wurde ein neues Spektakelstück gegeben: L'Empereur; alle seine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu seinem Tode. Als ich diesen Morgen aufwachte, war ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe hatte und überhaupt noch lebte. Aus so vielen blutigen Schlachten ist noch keiner unverwundet gekommen. Denn es war kein Spiel, es war die Wirklichkeit. Ich saß hart an der Bühne in einer Loge, und da ich jetzt so sehr kriegerisch gestimmt bin, war ich ganz selig über das Kanonen- und Gewehrfeuer. Man kann wirklich die Täuschung nicht weiter treiben. Welche Szenerie! Welche Dekoration! mehr Soldaten als das ganze Frankfurter Militär beträgt; aber nicht übertrieben. Ich will Ihnen die wichtigsten Begebenheiten nennen, die man vorgestellt (nicht alle): wie Napoleon aus dem Hafen von Toulon nach Ägypten absegelt. In meiner Loge waren junge Leute, die Toulon kannten, die waren außer sich über die Ähnlichkeit. Die ganze Flotte, einige hundert Segel, sieht man vorbeifahren – die Schlacht bei den Pyramiden – die Höllenmaschine – die Krönung Napoleons – Szene aus Madrid – der Brand von Moskau – der Übergang über die Beresina; das war am graulichsten und zum Weinen. Die Armee im jammervollsten Zustand zieht über die Brücke. Nach und nach stopft sie sich. Gegenüber der Feind. Endlich stockt alles. Da gehen die übrigen, Reiter, Fußvolk, Weiber, über die gefrorene Beresina. Das Eis bricht, die Weiber kreischen, die Brücke stürzt zusammen, alles versinkt unters Eis. – Abschied in Fontainebleau – Napoleon am Bord des »Northumberland« – Napoleons Tod auf Helena. Er stirbt im Bette. – Außer den Chören, dem Volke, waren 103 Hauptrollen, alle berühmte Leute aus jener Zeit und alle naturtreu dargestellt. Napoleon, wie er lebte. Alle seine Manieren, alle seine Tics waren nachgeahmt. Und jetzt denken Sie sich dazu den Lärm der Zuschauer. Franconis Theater ist das größte in Paris, und der meiste Pöbel ist dort. Sieben Franken hat mich mein Platz gekostet. Erst ging ich hinein zu drei Franken, weil keine Loge mehr zu haben war. Die Galerie war aber schon ganz voll, und ich ging wieder fort. Vor dem Hause schrie ich laut: qui est-ce qui achète un billet de balcon? Ich ward von einem ganzen Trupp Billetthändler umringt. Da kam einer und bot mir einen Logenplatz an für mein Balkonbillett, und ich mußte noch 4 Fr. darauf legen. Ich ging wieder zurück, zankte mich zur Übung im Französischen mit einem Dutzend Menschen, die mir keinen Platz machen wollten, setzte es mit Unverschämtheit durch und saß und sah sehr gut. Aber wie höflich sind jetzt die Gendarmen! Früher wäre ich wegen meines Lärmens gewiß arretiert worden. Dies machen die Pflastersteine.


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