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Dreiundfünfzigster Brief

 

Paris, Mittwoch, den 19. Oktober 1831

Es ist wieder von Stiftung einer deutschen Zeitung in Paris die Rede, und wenn sie zustande kömmt, werde ich wahrscheinlich besonders tätig dabei sein. Einflußreiche Franzosen fangen an einzusehen, wie wichtig für Frankreich selbst deutsche liberale Zeitungen werden können, und man zeigt sich geneigt, mit Geld und auf andere Weise zu unterstützen. Ich werde da freilich sehr vorsichtig sein müssen, daß ich meine Unabhängigkeit nicht verliere. Doch brauche ich nicht zu ängstlich zu sein; denn ich höre Ketten schon im siebenten Himmel rasseln und habe immer Zeit, meine Freiheit sicherzustellen. Wer von den hohen Personen die Sache angeregt, das weiß ich eigentlich noch gar nicht; denn was man mir zu verstehen gegeben, glaube ich nicht. Ich werde mich aber gewiß in nichts einlassen, bis ich die Hand gedrückt, die den ersten Ring faßt; sonst könnte geschehen, daß ich glaubte, mit dem Teufel zu tun zu haben, und hätte doch mit Beelzebub zu tun gehabt. Das wird der ganze Unterschied sein zwischen meinen verschiedenen Vermutungen. Doch das schreckt mich nicht ab; man muß leben und leben lassen, und wenn ich der guten Sache nützlich sein kann, mögen andere auch ihren persönlichen Vorteil dabei finden.

Intrigen, die ich in Baden schon geahndet, wurden mir hier bestätigt. Die Wohlfeilheit, bei einer an deutschen Zeitungen ungewöhnlichen Schönheit des Drucks und Papiers, der in München erscheinenden »Tribüne«, – der mysteriöse Umstand, daß ein Pforzheimer Kaufmann (württembergischer Untertan) aus Patriotismus die Fonds dazu hergibt – der Geist der Widersetzlichkeit gegen die bairische Regierung, der das Blatt beseelt – gab mir allerlei Vermutungen. In Paris, wo man alles erfährt, habe ich denn endlich erfahren, daß der König von Württemberg die »Tribüne« gestiftet und bezahlt, um sie als Waffe gegen Baiern zu gebrauchen. Baiern hat sich nämlich im künftigen Kriege gegen Frankreich an die heilige Allianz angeschlossen. Baden, Württemberg und andere kleine Staaten sollen ganz aufgelöst und zwischen Österreich, Preußen und Baiern geteilt werden. Und so weiter.

In Stuttgart läßt jetzt die Regierung auch eine Zeitung errichten, um der Opposition widerstehen zu können (so wird gesagt); wohl eigentlich aber mehr, sich der Despotie des Deutschen Bundes entgegenzusetzen. Sie hat zum Redakteur einen guten Schriftsteller, Professor Münch, berufen und gibt ihm dreitausend Gulden Gehalt. Lindner ist Mitredakteur. Auch an der »Tribüne« schreibt er viel. Wo auch immer im geheimen etwas Moralisches vorgeht, – er muß dabei sein.

Der König von Bayern, den man neulich fragte, welche Anstalten man für ihn und sein Haus gegen die Cholera treffen solle, hat darauf zur Antwort gegeben: » Gar keine. Bin ich nicht an den Ständen gestorben, wird mich auch die Cholera verschonen.« Also Freiheit und Pest sind einem Könige ganz einerlei! Auch der Freiheit Pest und König.

 

Donnerstag, den 20. Oktober

Ich war seit einer Woche zweimal im italienischen Theater und habe die Pasta und den vergötterten Rubini gehört, beide im »Othello« und »Tankred«. Die Pasta soll an dem einen Ende ihrer Stimme einige Töne verloren, dafür aber an dem andern einige Töne gewonnen haben. Ob oben oder unten, weiß ich nicht. Die Pasta singt immer noch herrlich, aber ihre Stimme drang mir nicht in das Herz. Ihr Vortrag ist höchst edel, aber kalt, plastisch, antik; sie singt nicht christlich. In Glucks Opern wäre sie an ihrer Stelle. Das ist mein Urteil. Die andern finden nichts an ihr zu wünschen übrig. Als Desdemona verglich ich sie mit meiner immer noch angebeteten Malibran, und diese Vergleichung konnte sie nicht ertragen. Rubinis verherrlichter Gesang ließ mich auch kalt; ich liebe diese stählernen Stimmen nicht, und dann hat seine Stimme etwas Räsonierendes, eine Art Echo hinter sich. Aber meine Ignoranz bleibt unter vier Augen. Als Tankred gefiel mir die Pasta besser; das Fra tanti palpiti hätten Sie hören sollen. Es war, närrisch darüber zu werden. O ihr armen deutschen Kleinstädter mit euern Achtzehn-Batzen-Primadonnas! Eine dicke deutsche Dame, und wahrscheinliche Berlinerin, die hinter mir saß und die ich, noch ehe sie Deutsch sprach, daran als Landsmännin erkannte, daß sie bravo statt brava schrie, – schwitzte Entzücken. Ich mußte ihr geradezu ins Gesicht lachen. Diesen Winter ist die italienische Oper auf allen Vorplätzen, Treppen, Korridors, von unten bis oben, mit scharlachrotem Tuche bedeckt. Man glaubt in einem Palaste zu sein. Das hat noch gefehlt, diesem adeligen Vergnügen völlig ein aristokratisches Ansehn zu geben. Zwischen den Akten habe ich, wie es die jungen Leute pflegen, in alle Logen hineingesehen. (Sie erinnern sich, daß die Logentüren Fenster haben.) Die Pracht und der Geschmack der weiblichen Anzüge gewährte wirklich einen herrlichen Anblick, selbst männlichen, alten und schon beschäftigten Augen, wie die meinen. Aber beim Ausgange aus dem Theater ließ ich alle die geputzten Damen die Musterung passieren, und es fanden sich nicht zwei schöne Gesichter darunter, – wahrhaftig nicht zwei!

Sagen Sie mir, was hat das für einen Grund, daß in der letzten Zeit der Frankfurter Senat einige außergewöhnliche Heiratserlaubnisse erteilt? Ist das kontagiös oder miasmatisch? Auf jeden Fall ist es eine kometenartige Erscheinung und Vorläufer der Cholera. Der Senat und der gesetzgebende Körper sollten sich Flanellbinden um den Kopf wickeln, vielleicht schwitzen sie die rostrote Philisterei aus und werden gesund.

*** [Der List] ist gestern nach Amerika zurückgereist. Das ist ein unordentlicher Mensch! So arg habe ich es doch nie getrieben. Um fünf Uhr wollte er abreisen, und um drei Uhr traf ich ihn ganz atemlos auf der Straße laufen, erst bei seinem Bankier das nötige Geld zu holen. Dann begleitete ich ihn nach Hause. Seine zwei großen Koffer wurden erst gepackt, und wie! Noch nasse Federn, mit denen er eben erst geschrieben, wurden im Koffer auf die Wäsche gelegt. Während gepackt wurde, schrieb er eine Vorstellung an den König. Kein Akzent im ganzen Briefe. Dann legte er ihn zusammen wie einen Wäschezettel und ließ die Besorgung an den König dem Portier zurück. Dazwischen kamen Rechnungen, Besuche – es war, den Schwindel zu bekommen. Wenn er den Postwagen nicht versäumt, hat er Glück gehabt. Denn er wollte auf dem Wege noch Seidenwaren für seine Familie einkaufen. Eine glückliche Natur! Bei Tische hätten Sie ihn sehen sollen, wenn ich und *** Witze machten. Da er nie weniger als ein halbes Pfund Fleisch auf einmal in den Mund nimmt, brachte ihn sein Lachen oft dem Ersticken nahe.

Warum ist denn der dumme *** nach *** zurück? Warum hat er sich fangen lassen? Hoffte er, seine Dummheit würde ihn vor Verfolgung bewahren? Dann kannte er wenig unsere Zeit. Dumm zu sein, auch ohne weiteres Vergehen, wird heute als ein Eingriff in die Majestätsrechte angesehen und als solches bestraft.

 

Montag, den 24. Oktober 1831

Seit der Revolution sind die Theater völlig frei, und alle Zensur der aufzuführenden Stücke ist aufgehoben. Nun hatte vorgestern das Theater des Nouveautés ein neues Drama Procès d'un maréchal de France angekündigt. Der Prozeß des Marschalls Ney sollte darin vorgestellt werden, die Pairskammer erscheinen, vollständiges Gericht gehalten und alle Pairs beim Namen aufgerufen werden, die für oder gegen Neys Tod gestimmt. Die Regierung fürchtete die üblen Folgen und daß hierdurch der Haß, den man hier gegen die Pairs hat, noch mehr angefacht werden möchte. Sie ließ also durch die Polizei die Aufführung des Stückes verbieten. Der Theaterdirektor erklärte, er werde sich an das Verbot nicht kehren, da es gesetzwidrig wäre, und ließ abends sein Haus öffnen. Da wurde aber das Theater von der Polizei umstellt, jedem der Eingang ins Haus verwehrt und so die Aufführung mit Gewalt verhindert. Gestern war das Stück abermals angekündigt und das Haus abermals gesperrt. Ich war beide Abende zugegen. Der ganze Börsenplatz war von der bewaffneten Macht und dem Volke besetzt; letzteres verhielt sich aber ruhig. Der Theaterdirektor hat gegen diese Gewalt protestiert und erklärt, er würde jeden Abend das Stück ankündigen lassen, die Polizei bei den Gerichten belangen und um Schadenersatz anhalten. Nun will ich zwar gerne glauben, daß das Drama skandalös sein, daß es Unruhe erregt haben mag, und daß die beleidigten Pairs Grund genug bekommen hätten, den Theaterdirektor und den Verfasser vor Gericht zu ziehen. Aber die Aufführung durfte nicht verhindert werden; denn durch die neue Charte ist alle vorhergehende Zensur aufgehoben, und die Regierung hat sich hierbei einer wahren Verletzung der Konstitution schuldig gemacht. Es ist eine Ordonnanzgeschichte in kleinem Fuße.


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