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Hundertzwölfter Brief

 

Paris, Samstag, den 9. März 1833

Liebe Getreue! ... Wenn Sie jetzt erwarten, ich würde Ihnen hierauf etwas Schönes sagen, haben Sie sich jammervoll verrechnet. Liebe Getreue bedeutet nichts anders als Lieber Hund. Sie sind mein Stand und als solcher den deutschen Ständen gleich, mit welchen die Fürsten und Minister, so sehr sie Stände sind, nicht mehr Umstände machen als mit Hunden. Also: liebe Getreue! Lieber Hund! Du ... Du ist die einfache Zahl von Ihr wie Ihr die Mehrzahl ist von Du. Die deutschen Fürsten und Minister reden ihre Stände mit Ihr an. Wäre nur ein Deputierter in der Kammer, der im Namen des Volks dasäße, würden sie, weil er das Volk vorstellt, Du zu ihm sagen. Du ist der Kraftausdruck der Väterlichkeit und Schulmeisterlichkeit, das Band, welches Vater mit Kind, Schulmeister mit Schulbuben vereinigt ... Also: Liebe Getreue! Lieber Hund! Du hast in deinem heutigen Briefe uns einen Antrag deines Mannes mitgeteilt, des Inhalts: wir sollten erst im Mai zusammenkommen, statt, wie es früher verabredet war, schon im März. Und hoffe er, daß, ob dies zwar unsern neuesten Bundesbeschlüssen entgegen sei, wir doch geneigt sein könnten, von unserer legislativen Machtvollkommenheit ein klein wenig nachzulassen. Darauf tun wir dir zu wissen: Dieser Antrag ist eine Vermessenheit, welche Staunen erregen muß. Das monarchische Prinzip ist unser Glaubensartikel, wir werden uns niemals ändern, sondern fort und fort mit unsern getreuen Hunden verfahren, wie uns beliebt. Wir erwarten demnach, daß du, sollte sie wiederkehren, diese Motion mit verdientem Unwillen aufnehmen werdest. Übrigens, liebe Getreue, lieber Hund, bleiben wir dir in Gnaden gewogen.

– Fragt mich einer: aber was sollten sie tun? Sie sind Beamte, von der Regierung abhängig; sollten sie, die Ehre des deutschen Volks zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger sterben? Ich sage: nein, das fordere ich nicht, ich erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man sich nie, wie ist man auf seinen Vorteil, bei Tage und bei Nacht immer so wachsam, daß einen niemals die Tugend überrascht und man mit Aufopferung eine schmachvolle Beleidigung abwehrt? Erst vor einigen Tagen wurden hier zwei Staatsbeamte, weil sie den Tag vorher als Deputierte gegen die Minister gestimmt, ihrer Stellen entsetzt. Gleich in der folgenden Sitzung erhoben sich darauf eine Menge ministerieller Deputierten, die auch Beamte waren, und eiferten auf das heftigste gegen jene Absetzungen, gegen jenen schändlichen Seelenverkauf, den die Regierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht bereuten alle diese Männer ihre edle Aufwallung schon eine Stunde später; vielleicht, als sie nach Hause kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tisch saßen, riefen sie schmerzlich aus: morgen müssen wir hungern! und verwünschten dann ihre Übereilung. Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das sie so handeln ließ, sondern nur eine Phantasie des Tugendrausches. Doch genug, sie vergaßen sich. Wehe aber denen, die nie vergessen, daß sie schwache Menschen sind – Gott wird sie vergessen!

Und die bessern unter den deutschen Volksvertretern, die Unglückseligen! – sie verstehen den bösen Zauber mancher Worte nicht; sie vergessen, daß es ein Spott ist mit ihrer Freiheit, solange sie dulden, daß sie ihre Fürsten mit Liebe Getreue und mit Ihr anreden! Wie aufmerksam ist man hier auf solche Wortdespotie! Die mauvais sujets unter den französischen Ministern steifen sich, ihre Berichte an den König mit fidèle sujet zu unterzeichnen. Niemals lassen die Oppositionsblätter dieses ungerügt hingehen. Und bekümmert sich auch ein Minister nicht um den Tadel und kehrt zu seiner Kriecherei zurück, so wird doch durch die beharrliche Opposition der tägliche Straßenkot knechtischer Gesinnung weggekehrt, und er kann sich nicht bergeshoch anhäufen wie in Deutschland.


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