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Achtundachtzigster Brief

 

Paris, Montag, den 10. Dezember 1832

Le roi s'amuse; Fortsetzung. Vielleicht mache ich den Beschluß erst in einem dritten Briefe. Sie hätten es dann immer noch besser als die Leser des Abendblattes und Morgenblattes, die mit himmlisch deutscher Geduld vier Monate lang an einer Novelle buchstabieren und längere Zeit brauchen, die Geschichte zu lesen, als die Geschichte selbst brauchte, um zu geschehen. Ich bin heute noch etwas satirisch, ich habe noch Zahnschmerzen. Triboulet ist der Hofnarr des Königs. Er ist klug und boshaft, wie alle Hofnarren, und hat einen Buckel. Victor Hugo sagt (in der Vorrede), er sei auch kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er sagt ferner: Triboulet hasse den König, weil er König sei; die Hofleute, weil sie Vornehme wären; alle Menschen, weil sie keine Buckel hätten. Ich habe aber von dem allen nichts gemerkt, und ich halte es für Verleumdung. Es ist überhaupt merkwürdig, wie wenig der Dichter sein eignes Werk verstand, oder vielmehr, wie er es zu verkennen sich anstellt, um sich gegen die Beschuldigung der Unsittlichkeit zu verteidigen. Sooft Triboulet aufspürt, daß einer der Hofleute eine schöne Frau, Tochter oder Schwester hat, verrät er es dem Könige. Der Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vornehmen der damaligen, machte wenig Umstände. Franz geht verkleidet auf nächtliche Abenteuer aus, besucht die Weinschenken und garstigen Häuser und taumelt singend und betrunken in sein Louvre zurück. Aber der Dichter ließ dem Könige von seiner ganzen fürstlichen Natur nichts als die Schonungslosigkeit, und man begreift nicht, warum er seinen liederlichen jungen Menschen gerade unter den Königen wählte. Wie ganz anders hat Shakespeare es verstanden, als er einen liebenswürdigen Kronprinzen den kurzen Karneval vor der langen und traurigen königlichen Fastenzeit lustig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich ist die Gemeinheit eine Maske, bei Franz ist die Krone eine.

Die Hofleute hassen diesen Triboulet, weil er sie alle ungestraft necken und ihnen boshafte Streiche spielen darf. Da machen sie die Entdeckung, daß sich der Narr oft des Nachts verkleidet in ein abgelegenes Haus schleiche. Es kann nichts anders sein, meinen sie, Triboulet hat eine Geliebte, und sie nehmen sich vor, das lustige Geheimnis aufzudecken. Beim Lever des Königs war von nichts anderm die Rede: Triboulet hat ein Schätzchen. Der König und der ganze Hof wollen sich tot darüber lachen.

Eines Abends im Dunkeln macht Triboulet seinen gewohnten geheimnisvollen Gang und schleicht sich mit ängstlicher Vorsicht in ein Haus, zu dem er den Schlüssel hat. Wir wollen uns mit hineinschleichen; es muß schön sein, zu sehen, wie der bucklige und tückische alte Narr liebt. Schön war es auch, nur ganz anders, als die schurkischen Hofleute es sich vorgestellt. (Die Erde liege schwer auf ihnen, weil sie meinen Triboulet, den ich liebe, so unglücklich gemacht.) Nachdem Triboulet die Türe hinter sich verschlossen, setzt er sich im Hofe, der das Haus umgibt, auf eine Bank nieder und weint. Doch weint er nicht vor Schmerz, er weint vor Lust; das Weinen ist sein Feierabend, und er weint alle Tränen, die er zurückhalten muß, solange die Sonne scheint. Er klagt im Selbstgespräche, jeder Mensch, der Soldat, der Bettler, der Galeerensklave, der Schuldige auf der Folter des Gewissens, der Verbrecher im Kerker, diese Unglücklichen alle hätten das Recht, nicht zu lachen, wenn sie nicht wollten, das Recht zu weinen, sooft sie wollten, nur er hätte diese Rechte nicht. Er tritt in das Haus, ein junges holdes Mädchen kömmt ihm entgegen und wirft sich in seine Arme. Unter Weinen und Lachen drückt er sie an seine Brust. Es ist seine Tochter. Jeder weiß, wie ein Vater sein Kind liebt; wenn es aber in der ganzen großen Welt das einzige Geschöpf ist, das ihn, das er liebt; wenn er sonst überall nur Haß, Spott und Verachtung findet und austeilt – wie dann ein Vater seine Tochter liebe, das kann nur ein Dichter erraten. Diese Szene, gleich noch einigen andern des Dramas, ist herrlich, und man muß sie vergessen, um den Mut zu behalten, das Ganze zu verdammen. Triboulet ließ seine Tochter in stiller Verborgenheit aufblühen, um sie vor der bösen Luft in Paris zu schützen. Sie kennt die Welt nicht, kennt die Stellung nicht, die ihr Vater darin hat, weiß nicht einmal seinen Namen. Sie ahndet nur, er müsse unglücklich sein. Sie spricht:

»Que vous devez souffrir! vous voir pleurer ainsi,
Non, je ne le veux pas, non, cela me déchire.«

worauf der Vater antwortet:

»Et que dirais-tu, si tu me voyais rire.«

Darauf verläßt er das Haus, nachdem er seine Tochter gewarnt, sich nie in das Freie zu wagen. Auf der Straße hört er Geflüster mehrerer Menschen, er horcht, er kennt die Stimmen bekannter Hofleute, erschrickt, tritt endlich zu einem von ihnen und fragt, was sie vorhätten. Dieser nimmt Triboulet beiseite und vertraut ihm lachend an, sie wären gekommen, die Frau eines Hofmannes, die der König liebt, und deren Haus auf dem Platze stand, zu entführen und ins Schloß zu bringen. Triboulet fällt gleich in seine alte Bosheit zurück und erbietet sich schadenfroh, bei der Entführung behülflich zu sein. Alle waren vermummt, man legt Triboulet auch eine Maske auf und ist dabei so geschickt, ihm zugleich mit einem Tuche Augen und Ohren zu verbinden. Es ist dunkle Nacht, und Triboulet merkt nicht, daß er nichts sieht. Man gibt ihm die Leiter zu halten, auf der man in das Haus steigen wollte. Die Leiter wird an die Mauer gelegt, hinter welcher Triboulets Tochter wohnt, und diese geraubt. Triboulet wird endlich ungeduldig, reißt sich Maske und Binde vom Gesicht weg, findet die Leiter an seinem eignen Hause gelehnt, und zu seinen Füßen liegt der Schleier seiner Tochter. Die Räuber waren schon weg; sie brachten die arme Taube in ihres Königs Küche, aus der sie der unglückliche Vater gerupft wiederbekam. –

Triboulet ist seiner Sache noch nicht ganz gewiß, er vermutet nur erst, wohin man seine Tochter geführt. Am andern Morgen erscheint er im Louvre, zeigt sich wie immer, aber er lauert. Das Flüstern und Lachen der Höflinge wird ihm immer deutlicher, und bald weiß er, daß seine Tochter beim Könige ist. Er weint und fleht und droht, man solle ihm sein Kind zurückgeben. Es muß in den Tränen, den Bitten und dem Zorne eines Vaters etwas sein, was selbst den Spott und Übermut der Höflinge entwaffnet. Alle schweigen und sind bestürzt. Triboulets Mut steigt, und er kehrt mit seinen Blicken die ganze Rotte zum Saale hinaus. So drückt sich der Dichter aus. Bald stürzt Triboulets Tochter aus des Königs Zimmer und sinkt, unter Todesblässe errötend, in die Arme ihres Vaters. Sie will ihm alles erzählen, er erläßt ihr den Schmerz, er weiß schon alles. Er führt seine Tochter fort, kehrt zum Hofe zurück und macht den lustigen Rat wie vor. Er sinnt im stillen auf Rache.

Triboulet hatte früher schon einen Banditen kennengelernt, der um einen bestimmten Preis jeden Lusttragenden von seinen Feinden befreit. An diesen wendet er sich. Der Bandit hat zwei Manieren, zu morden: entweder im Freien der Straße oder in seinem Hause, wie man es wünscht. Für das Haus hat er eine junge schöne Schwester, eine liebliche Zigeunerin, welche die Schlachtopfer anlockt und sie unter Lächeln und Kosen dem Messer ihres Bruders ausliefert. Triboulet erfährt, daß der König verkleidet und ungekannt die schöne Zigeunerin besuche. Er kauft seinen Tod, bezahlt die eine Hälfte des Preises voraus und wird auf Mitternacht bestellt, wo ihm die Leiche des Königs in einem Sacke gesteckt ausgeliefert werden solle, daß er sie dann selbst in die nahe Seine werfe. Gegen Abend führt Triboulet seine Tochter (sie heißt Blanche) auf den Platz, wo das Haus des Banditen steht. Er sagt ihr, doch nicht ganz deutlich, die Stunde der Rache an ihrem Verführer nahe heran. Blanche liebt den König, der schon früher als unbekannter Jüngling in der Kirche ihr Herz gewonnen. Sie bittet ihren Vater um Schonung, schildert die Liebe des Königs zu ihr, wie heiß sie sei, und wie oft er das in schönen blühenden Worte zu erkennen gegeben. Triboulet, seine Tochter zu enttäuschen, führt sie an das Haus des Banditen, durch dessen zerrissene Mauern und unverwahrte Fenster man von außen alles hören und sehen kann, was sich innen begibt. Da sieht die unglückliche Blanche den König Franz mit der leichtfertigen Zigeunerin kosen, hört, wie er dem Mädchen die nämlichen süßen und schönen Worte schenkt, die er ihr selbst gegeben. Das betrübt sie, sie jammert und willigt schweigend in die Rache ihres Vaters. Triboulet heißt sie nach Hause eilen, sich in Männerkleider werfen, sich zu Pferde setzen und in das Land flüchten, wo er sie an einem bestimmten Orte einholen wolle. Vater und Tochter gehen fort.

König Franz sitzt im Hause und scherzt und tändelt mit der Zigeunerin. Müde und trunken, verlangt er ein Bett, sich auszuruhen. Man führt ihn in eine Dachkammer, wo er einschläft. Unten trifft der Bandit die Vorbereitungen zum Morde. Die Zigeunerin, gewöhnlich kalte Mitschuldige ihres Bruders, bittet dieses Mal um Schonung; denn der junge Offizier, von so seltenem edlen Anstande, hatte Eindruck auf sie gemacht. Der Bandit weist sie kalt zurück, sagt, er sei ein ehrlicher Mann, habe seinen Lohn erhalten und müsse den versprochenen Dienst leisten. Doch ließ er sich so weit bewegen, daß er versprach, den Offizier zu schonen, wenn unterdessen ein anderer käme, den er statt jenes ermorden und im Sacke gesteckt ausliefern könnte. Der Brotherr werde es ja nicht merken, da es Nacht sei und der Sack in den Fluß geworfen werde. Wo sei aber Hoffnung, daß noch um Mitternacht sich jemand hierher verirre?

Unterdessen hatte Triboulets Tochter über die dunkeln drohenden Worte ihres Vaters nachgedacht. Da wird ihr erst klar, der König solle in dieser Nacht ermordet werden. Schon zur Flucht gerüstet und als Offizier gekleidet, jagt sie die Angst vor das Haus des Banditen zurück. Sie will beobachten, was sich da begebe. Sie horcht, vernimmt das Gespräch zwischen dem Banditen und der Zigeunerin und entschließt sich, für den König zu sterben. Sie klopft an die Türe, sie wird geöffnet, und sobald sie eintritt, fällt sie unter dem Messer des Banditen.

König Franz taumelt singend zu seinem Louvre hin.

Unterdessen kömmt Triboulet, zahlt dem Banditen die andere Hälfte des bedungenen Lohnes aus und empfängt den Sack mit der Leiche. Der Monolog, der jetzt folgt, ist herrlich. Es ist grause dunkle Nacht, ein Gewitter tobt am Himmel. Der Sturm heult durch die Luft. Der Sack liegt auf der Erde, Triboulet, Racheglut und Freude im Herzen, setzt seinen Fuß auf den Sack, verschränkt stolz die Arme und triumphiert in die Nacht hinaus: wie er endlich, er, der schwache, verachtete, verspottete Triboulet, seinen Feind unter sich gebracht. Und welch einen Feind! einen König. Und welch einen König! einen König der Könige, den herrlichsten unter allen. Und wie jetzt die Welt aus allen ihren Fugen gerissen werde, und morgen werde die zitternde Erde fragen: wer denn das getan, und da werde er rufen, das habe Triboulet getan; ein kleiner schlechter Zapfen im Gebäude der Welt habe sich losgemacht von der Harmonie, und der Bau stürze krachend zusammen.

So zecht Triboulet fort, und immer trunkener durch seinen Sieg will er noch das Gesicht seines verhaßten Feindes sehen, ehe er ihn in den Wellen begräbt. Aber es ist finstere Nacht; er wartet auf einen Blitz, der ihm leuchten soll. Er öffnet den Sack, der Blitz kömmt, der ihn zerschmettern soll; er erkennt seine Tochter. Im Anfange hofft er, es sei ein Gaukelspiel der Hölle, aber ein zweiter Blitz raubt ihm diese Hoffnung. Er zieht seine Tochter zur Hälfte aus dem Sacke, mit den Füßen bleibt sie darin. Sie ist entkleidet, nur ein blutiges Hemd bedeckt sie. Sie röchelt noch, spricht noch einige Worte und verscheidet. Der Vater sinkt zu Boden, der Vorhang fällt. Beschluß morgen.


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