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Achtundfünfzigster Brief

 

Paris, Donnerstag, den 17. November 1831

In dem Buche Des cent-et-un ist auch ein Kapitel: La première représentation. Der Verfasser Merville, selbst ein dramatischer Dichter, beschreibt die Nöten und Ängste, die der Dichter während einer ersten Aufführung erleidet: die unberechenbare Laune des Publikums, der Eigensinn, die Willkür und der Unverstand der Schauspieler, die geheimen Schliche der Feinde, die Falschheit der Freunde – es ist wirklich schauderhaft. Ein Tor, wer nach Ruhm strebt und sein Glück den Winden, seine Ruhe dem Wasser anvertraut!

Nun, euere Allerheiligenrevolution ist ja schon wieder gedämpft! Du brauchst dich nicht zu schämen, Frankfurt; auch Warschau ist gefallen und war doch mehr als du. Die rätselhafte Geschichte war mir ganz klar, noch ehe ich in einem öffentlichen Berichte aus Mainz gelesen, daß man einen Teil der Bundesgarnison, um Platz zu gewinnen, nach Frankfurt verlegen wolle. Das ist's. Vierzig Jahre der Kriege und Revolutionen sind durch Frankfurt gezogen, und nicht einmal während solcher stürmischen Zeit hat dort das Militär eine Gewalttätigkeit, die Bürgerschaft sich eine Empörung gegen die Gesetze zuschulden kommen lassen. Ganz gewiß wurde hier oder dort der schwache Funke der Unzufriedenheit angeblasen und Brennmaterialien darauf geworfen. Das war leicht zu machen. Frankfurt ist ja seit 1814 das Hauptquartier der vaterländischen geheimen Polizei, und der Generalstab ist aus den vortrefflichsten Schurken zusammengesetzt. Unsere weise Regierung wird nun von den zehntausend Bücklingen, die sie seit fünfzehn Jahren der Bundesversammlung verehrt hat, nichts als die Rückenschmerzen übrigbehalten. Jetzt ist wieder die verdammte »Bockenheimer Zeitung« schuld an allem! Sie werden in Deutschland noch verrückt über die Zeitungen; es sind die Furien, die das Gewissen unserer Regierungen verfolgen. Ich las mit gespenstischem Grausen, daß der Senat den Schatten einer Verordnung von 1660 aus dem Grabe hervorgerufen, um die »Bockenheimer Zeitung« damit zu vertilgen; die Hexe von Endor hätte es nicht schauerlicher machen können. Aber die Naivität, die unbeschreiblich heitere Naivität: daß jene alte Verordnung von 1660 mit der jungen Gesetzgebung der deutschen Bundesversammlung in der liebevollsten Eintracht lebe – wie unser Senat erklärte –, verscheuchte alle Schrecken der Nacht von mir, und ich mußte laut auflachen. Hätte ich so etwas gesagt, hätte man es für frevelhaften Spott und Preßfrechheit erklärt. Alle Arretierungen in Frankfurt während der Unruhen würden bei Nacht vorgenommen. Was mich betrifft, so erkläre und entschuldige ich einen solchen schändlichen Friedensbruch leicht damit, daß dort die Regierung wie überall der Antipode des Volks ist und sie daher Tag hat, während jenes Nacht. Wie aber unsere Bürger, unsere Advokaten, die sich mit mathematischer Geographie und Moralphilosophie nicht viel beschäftigen, eine solche schauderhafte Gewalttätigkeit, einen solchen finstern Übermut aus dem Mittelalter ertragen – das begreife ich, das verzeihe ich nicht. In Frankreich ist man ja freier im Gefängnis als bei uns in der Freiheit. Der Polizei, die nur von Willkür lebt, die fürchterliche Gewalt zu geben, jeden, den sie anschuldigt, jeden, den sie beargwöhnt, aus seinem selbst bei jedem Mörder heiligen unverletztlichen Asyl, aus seiner Ruhestätte zu reißen, den Unschuldigen oft von dem einzigen Zeugen seiner Unschuld, vom Tageslicht zu trennen – ist eine Tyrannei so schändlicher Art, daß, wer sie schweigend duldet, noch strafbarer ist, als wer sie übt. Und das in einem Staate, wo die Gerichte im Dunkeln Recht sprechen, und wo die Presse unter der schmählichsten Sklaverei steht! Wenn eine solche nächtliche Arretierung einen Fremden trifft, dann ist er verschwunden von der Erde; denn kein Tagesblatt darf Nachricht geben von dem Werke der Finsternis, und der Tod gewährte dann einem solchen größere Sicherheit als die Gefangenschaft; denn einem Verstorbenen wird doch wenigstens ein öffentlicher Todesschein ausgestellt. Was machen denn in Frankfurt unsere jungen Gesetzgeber, unsere jungen Senatoren? Wie dulden sie solche Schändlichkeiten? Wozu denn haben sie die Universitäten des neunzehnten Jahrhunderts besucht? Wenn sie sich in Frankfurt mit einem Staatsrechte und einer Gesetzgebung aus dem sechzehnten Jahrhundert begnügen, hätten sie ihren Eltern die Studienkosten ersparen können. Das eben ist der Jammer – wir haben keine Jugend. Sobald sie in den gesetzgebenden Körper kommen, werden sie dickbäuchig; sobald in den Senat, werden sie grau; sie beginnen mit geheuchelter Sympathie und endigen mit aufrichtiger.

– Sind Sie heute bei Verstand? Diese Frage darf Sie nicht beleidigen; ich würde Sie nie fragen: Sind Sie heute bei Herz? Nun, wenn Sie bei Verstand sind, will ich Ihnen ein Rätsel aufgeben, das mich gestern abend eine halbe Stunde lang beschäftigt hat, und das der erste Philosoph in der rue de Provence nicht zu lösen vermochte. Beschämen Sie mich. In den hiesigen Blättern stand vor einigen Tagen folgende öffentliche Ankündigung, die aus der Gazette de la vallée Cherry entnommen war. Ob dieses Tal in Frankreich oder in der französischen Schweiz liegt, weiß ich nicht. »Il est dès à présent interdit à toute personne quelconque d'épouser ma fille Betzy. Unterzeichnet J. G. Miller.« Welche Ursache kann ein Vater haben, jedem ohne Ausnahme zu verbieten, seine Tochter zu heiraten? Eines der erwähnten Blätter zerbricht sich auch den Kopf darüber und stellt allerlei Vermutungen auf, von welchen aber eine immer dümmer ist als die andere. Selbst die letzte, die der Zeitungsschreiber festhielt, befriedigte mich nicht, ob sie zwar etwas für sich hat. Der Zeitungsschreiber sagt: nachdem er viele gelehrte Personen, unter andern Apotheker, Lastträger, Schriftsteller und Zahnärzte zu Rate gezogen, sei er endlich bei der Idee stehengeblieben: daß die Tochter des J. G. Miller ein Sohn sei. Diese Sache ist für einen Franzosen zu tief, in Deutschland wird man es leichter herausbringen. Machen Sie sich also an das Werk. Ich hätte große Lust, die Sache in eine Frankfurter Zeitung zu setzen, um die dortigen Gelehrten aufzufordern, sich mit dieser wichtigen Angelegenheit zu beschäftigen: aber die Zensur würde den Artikel streichen. Denn das Mädchen aus dem Tale heißt unglücklicherweise Betzy, und diesen Namen führt auch in Frankfurt ein Pastetenbäcker. Es wäre Preßfrechheit, so etwas drucken zu lassen.

Nichts Pikanteres gibt es zum Frühstücke als die täglich hier erscheinenden kleinen Blätter nichtpolitischen Inhalts. Es ist wie Austern und Kaviar. Mich wundert nur, daß bei dem großen Beifalle, den sie notwendig finden müssen, deren nicht mehrere herauskommen. Ich kenne nur drei: Der Figaro ist mit unendlich viel Geist geschrieben und hat das ganze Jahr durch aber auch nicht einen trüben Tag. Die beiden andern, ob sie zwar keinen solchen Luxus von Witz ausbreiten, lesen sich doch auf das angenehmste, und ich erinnere mich nicht, daß ich je eine einzige Zeile darin hätte übergehen mögen. Dabei kann ich mich nun nie enthalten, diese Blätter mit unsern deutschen ähnlicher Art zu vergleichen, und ich komme dann immer auf ein Resultat, das mir nicht ganz klar ist. Alles, was die hiesigen Blätter, den deutschen gegenüber, an äußern günstigen Verhältnissen voraushaben: die Freiheit der Presse, die ungestörte Benutzung der Politik, besonders der reich zusammengehäufte täglich wechselnde Stoff, den ihnen die große Hauptstadt in Kunst, Wissenschaft, Theater, Literatur, geselligem Leben und Tagsgeschichten darbietet – das alles stelle ich den deutschen Blättern zur Rechnung und bringe es in Abzug ihrer Schuld. Aber selbst nach dem allen haben sie mir wegen ihrer ewigen Einförmigkeit und unendlichen Langweiligkeit noch Rede zu stehen. Es liegt eben eine Monatssammlung von einem der erwähnten Blätter vor mir auf dem Tische; es heißt L'Entr'acte und ist das unbedeutendste von allen. Ich nehme die ersten acht Blätter zur Hand, um deren Inhalt zu zählen, zu messen und zu wiegen. Das Blatt ist gleich dem »Morgenblatte« in Quart gedruckt, aber etwas weitläufiger, so daß es weniger enthält als jenes. Von den vier Seiten des Blattes fallen erstens zwei Seiten weg, die ganz mit den Anzeigen der Theaterstücke des Tages und den Namen der darin auftretenden Personen ausgefüllt sind. Von den zwei übrigen Seiten bringe ich täglich eine Spalte in Abzug, welche sogenannte Miszellen, hier causeries genannt, enthalten. Gegen diese könnte man freilich einwenden, daß die unbeschränkte satirische Freiheit ihnen zustatten komme. Hier darf man die Übermütigen und die Narren mit Nadeln stechen, in Deutschland nur zuweilen mit dem Kopfe eines Nagels tüpfen. Bleiben also für jedes nur noch drei Spalten übrig. Und in dem engen Raume dieser drei Spalten enthalten die acht ohne Wahl herausgerissenen Blätter: 5 Bücherkritiken, 3 Theaterkritiken, 2 Romane und 12 Aufsätze, deren Titel ich Ihnen mitteile, damit Sie daraus sehen, daß es freigewählte Formen sind, allgemeine Stoffe, die den deutschen Schriftstellern der kleinsten Stadt auch zu Gebote ständen. Die Musik wie ich sie liebe. Der Tag nach der Hochzeit. Erörterungen unter Freunden. Der finstere Mann. Der fröhliche Mann. Die Cholerazeitung. Die Kunst, von dem Daumen zu lesen. Warum der Fußgänger mehr Ideen hat, als der im Wagen sitzt. Das Ende der Welt. Der Eck am Kamin. Der ehrliche Mann wider Willen. Über die verschiedenen Arten, wie die Menschen mit ihren Kleidern verfahren. Und was solche Artikel besonders auszeichnet, ist deren Kürze. Das Kurze mißfällt nie; man kann in zwei Minuten nicht langweilig sein, es gehört Zeit dazu. Ist ein solcher Artikel unangenehm, so war es doch eine Pille, keine Mixtur, man schluckt es hinunter; denn der Kopf hat, wie der Magen, seine Geschmacksnerven; was einmal darüber hinaus ist, schmeckt dem Geist nicht mehr. Warum können oder wollen nun unsere deutschen Schriftsteller in ihren Journalen keine solchen kurzen Aufsätze machen? Ich kann nicht klug daraus werden und bitte Sie daher, wenn Sie nach Auflösung des großen Rätsels von der Betzy Miller noch etwas Verstand übrigbehalten, auch über dieses dunkle Geheimnis nachzudenken.

 

Samstag, den 19. November

In einer Anzeige von Heines Adelsbriefen heißt es unter andern: »Auch setzt man einigen Zweifel in die Aufrichtigkeit der Gesinnungen Heines, indem es einiges Aufsehen macht, den burlesken Satiriker oder den niedern Komiker auf einmal als Freiheitsapostel wiederzufinden.« Das steht in den Leipziger »Blättern für literarische Unterhaltung«, dem größten Viehstall, den ich je gesehen.

– Haben Sie denn wirklich gemeint, das Loben meiner Briefe würde immer so fortgehen? O, lassen Sie nur erst die preußischen Rezensenten kommen und den Leipziger Viehstall auftun; da werden Sie noch ganz andere Dinge hören. Wenn ich Wunden scheute, hätte ich den Kampf vermieden. Die Leute tun mir gar nicht unrecht, die in den Briefen meine frühere Mäßigung nicht finden; aber sie tun sich selbst unrecht, daß sie sie suchten. Die Zeiten der Theorien sind vorüber, die Zeit der Praxis ist gekommen. Ich will nicht schreiben mehr, ich will kämpfen. Hätte ich Gelegenheit und Jugendkraft, würde ich den Feind im Felde suchen; da mir aber beide fehlen, schärfe ich meine Feder, sie soviel als möglich einem Schwerte gleichzumachen. Und ich werde sie führen, bis man sie mir aus der Hand schlägt, bis man mir die Faust abhaut, die mit der Feder unzertrennlich verbunden ist. Die Mäßigung ist jetzt noch in meiner Gesinnung, wie sie es früher war; aber sie soll nicht mehr in meinen Worten erscheinen. Damals, als ich so ruhig schrieb, stürmte es gerade am heftigsten in mir; weil ich noch nicht wußte, was ich wollte, ging ich langsam und sprach bedächtig. Jetzt aber, da mir klar geworden, was sie wollen, weiß ich auch, was ich will, ich darf mich dem Strome meines Herzens überlassen, habe nichts mehr zu wählen und nichts mehr zu bedenken.

Was fällt nur den Leuten ein, daß ich ein Feind von Rothschild sei? Ein Glück für mich, daß ich es nicht bin; denn wäre ich es, hätte ich nicht von ihm gesprochen und hätte die Wahrheit meiner Ehre aufgeopfert. Gegen den Menschen Rothschild habe ich gar nichts, aber weil er Rothschild ist, setze ich ihn den Königen gleich, und das kann ihn doch gewiß nicht verdrießen, wenn er auch nicht zu ihnen gehören möchte, da er am besten weiß, wie tief jetzt ein König unter Pari steht. Aber er ist der große Mäkler aller Staatsanleihen, welcher den Fürsten die Macht gibt, der Freiheit zu trotzen und den Völkern den Mut nimmt, sich der Gewalt zu widersetzen. Rothschild ist der Hohepriester der Furcht, die Göttin, auf deren Altar Freiheit, Vaterlandsliebe, Ehre und jede Bürgertugend geopfert werden. Rothschild soll in einer Börsenstunde alle seine Papiere losschlagen, daß sie in den tiefsten Abgrund stürzen; dann eile er in meine Arme, und er soll es spüren, wie fest ich ihn an mein Herz drücke. Wahrhaftig, es scheint, daß diese Menschen die Freiheit der andern noch mehr fürchten als ihre eigene Armut, sonst würden sie nicht mit so ängstlicher Eile ihr Geld zu den Füßen der Könige werfen, sobald sie es verlangen. Ob wir einmal frei werden, weiß ich nicht, aber für die künftige Armut der Papier-Reichen will ich mich verbürgen.

Der hohe Senat erzeigt mir zu viel Ehre, wenn er ungehalten gegen mich ist. Habe ich denn wirklich gesagt, die Franzosen wären bei ihrem Rückzuge in Frankfurt schlecht behandelt worden? Soviel ich mich erinnere, habe ich nur erzählt, daß es so von den Franzosen hier behauptet worden. Meine Pension können sie mir nicht entziehen; denn sie haben mir sie nicht gutwillig zuerkannt, sondern waren durch einen Beschluß der deutschen Bundesversammlung dazu verpflichtet worden. Freilich würde ich in solcher Gefahr auf den Schutz der hohen deutschen Bundesversammlung nicht rechnen dürfen; denn diese greift nie in die Ungerechtigkeit eines einzelnen deutschen Staates ein, sondern nur in die Gerechtigkeit. Aber fürchten Sie doch nicht, daß sie mir in Frankfurt etwas zuleide tun! Geschieht es, geschieht es ja nur aus Rache, und Menschen solcher Gesinnung würden mich nach sich selbst beurteilen und sich fragen, was gewinnen wir dabei, wenn wir ihm seine Pension entziehen? Er würde uns dann erst recht feindlich entgegentreten. Hat doch, wie sie behaupten, die einzige »Bockenheimer Zeitung« Mord und Totschlag in Frankfurt erregt, was könnte ich nicht erst anstiften, dem alle Blätter offenstehen! Und um jährlich vierhundert Gulden herauszumorden, würde Frankfurt nicht genug sein, der Untergang von ganz Deutschland müßte dazu beitragen. Das würde man bedenken.

Gestern fand ich in einem deutschen Blatte, als ganz kürzlich erschienen, angezeigt: » Iom Kipur, der Versöhnungstag. Novelle von David Russa.« Es ist das erste Werk eines jungen Schriftstellers und wird (freilich vom Verleger selbst) sehr gelobt. Empfehlen Sie das Buch unsern Juden! Es soll ihr Herz auflockern, damit man nach ausgejäteten Métalliques etwas Liebe und Menschlichkeit hineinsäen könne. Es ist in Leipzig erschienen.

 

Sonntag, den 20. November

Die Teilnahme der Pariser für die unglücklichen Polen zeigt sich ebenso warm als früher für die Kämpfenden. Es macht ihnen Ehre, ich hätte es kaum erwartet. Die kämpfenden Polen gewährten ein schönes Schauspiel, die besiegten, vor der Tyrannei flüchtigen Polen zeigen nur den nackten, häßlichen Ernst. Alle Theater wollen nach der Reihe Vorstellungen zum Besten der Polen geben, und sie bereiten dazu eigene, aus der neuesten polnischen Geschichte bearbeitete Stücke vor. Gestern machte das Theater De la Porte St.-Martin den Anfang. Sie gaben La vieillesse de Stanislas. Das Stück wird seit ohngefähr vierzehn Tagen gegeben, und bei jeder Vorstellung wird den Polen eine eigene Loge unentgeltlich überlassen. Die Minister in ihren Blättern ärgern sich gar sehr darüber und lassen sagen: ob denn das Mitleid wäre, wenn man den unglücklichen Polen jeden Abend das Bild ihrer Leiden vor die Augen bringe. Bis zur Gemeinheit zeigen sie ihren Ärger. Die Hauptrolle im »Stanislas« hat der zwar alte, aber noch immer frische Pottier, und da sagen die ministeriellen Theaterartikel, das Stück sollte nicht heißen La vieillesse de Stanislas sondern La vieillesse de Pottier. Sie möchten gern ihre zugleich niederträchtige und wahnsinnige Politik, die sie gegen Polen und Rußland befolgt haben, vergessen machen, und es muß sie darum aufbringen, jeden Abend im Theater die Begeisterung, den Spott und den Groll der Pariser neu angefacht zu sehen. Die vielen Polen, die jetzt hier zusammentreffen, machen den Ministern grausame Kopfschmerzen, und sie gehen mit dem Gedanken um, sie alle nach dem südlichen Frankreich zu verweisen. Es ist ihr warmes Sibirien. Der Kaiser Nikolas preßt seinen Sieg aus bis auf den letzten Tropfen und wirft dann dem König Philipp die Schalen vor die Füße. Es wundert mich nicht, und ich nehme es ihm gar nicht übel. Die deutschen Diplomaten und ihre Federknappen haben seit einem Jahre die Milde, Großmut und Gerechtigkeit, welche künftig Kaiser Nikolas gegen die Polen zeigen würde, so hoch in den Himmel erhoben, daß Nikolas, in der Verzweiflung, das erhaltene Lob zu erreichen, lieber gar nicht darnach strebt, sondern bleibt, wo, was und wie er ist – der Beschützer und Verbündete jedes Tyrannen und der Feind und Unterdrücker jeder Freiheit in Europa. Die ganze polnische Armee, die sich nach Österreich und Preußen zurückgezogen, ist verbannt und darf nie in ihr Vaterland zurück. Schon dreitausend Polen wurden nach Sibirien geschickt. Viele wurden hingerichtet, unzählige ihrer Güter beraubt und mit ihren Kindern dem Hungertode preisgegeben. Sie machen gar kein Geheimnis aus ihrer Rache. Die Namen der Hingerichteten, Verbannten, Beraubten werden in den Zeitungen amtlich mitgeteilt. Es ist fürchterlich zu lesen. Die naive »Preußische Staatszeitung« teilt dieses alles mit, wahrscheinlich damit die deutschen unartigen Kinder Furcht vor der großen russischen Rute bekommen. Es liegt grade so ein Racheverzeichnis vor mir. Man schaudert, wenn man liest, daß in Rußland die Landgüter nach Seelen gemessen werden, wie bei uns nach Morgen. So heißt es in einem Konfiskationsregister von Gütern polnischer Rebellen: ein Gut von hunderteinundsiebenzig männlichen Seelen, ein jährliches Einkommen 1318 Rubel, 80 Kopeken Silber bringend, dem N. N. gehörig – ein Gut von hundertachtundneunzig Seelen, – ein Gut von zweihundert männlichen Seelen. Das sind schöne männliche Seelen, die sich eine solche Behandlung gefallen lassen und sich dabei nicht so viel rühren als die Scholle hinter dem Pfluge! Nichts macht einen komischeren Eindruck, als wenn man nach den prächtigen kaiserlichen Strafen der polnischen Rebellen die armseligen Belohnungen liest, mit welchen man die treugebliebenen Polen erfreut. So wurde ein litauischer Edelmann, »der beim Ausbruch des Aufstandes seinen Bauern die Waffen abnahm und selbst als einfacher (sollte heißen einfältiger) Freiwilliger in der russischen Armee gegen die Insurgenten kämpfte, worin er sich augenscheinlichen Gefahren aussetzte, in Betracht seiner so ausgezeichneten treuen Dienstleistungen« – zum Titularrat ernannt. Da sind doch unsere deutschen Hofräte klüger; sie setzen sich für ihre Titel keiner größern Gefahr aus, als höchstens zum Narren gehalten zu werden. Was mich nun, nach solchen schändlichen Handlungen der Despotie, wie immer, am meisten bewegt, das sind ihre schändlichen Reden, ihr Spott, der, ohne ihre Macht zu vermehren, nur den Schmerz der Unterdrückten vergrößert. Wenn man jetzt die Artikel liest, welche alle Tage die russische »Warschauer Zeitung« enthält, muß man sich den Kopf zusammenhalten, daß er nicht auseinanderfällt. Es ist eine genialische Unverschämtheit. Ein solcher Artikel sprach in diesen Tagen über die Ursachen der polnischen Revolution und untersucht, welche gegründete Beschwerden denn die Polen gegen die russische Regierung gehabt hätten? Der Kaiser hätte sie mit Wohltaten überschüttet, und hätten sie auch kleine Beschwerden gehabt, wo es denn ein reines Glück in der Welt gäbe? Man wolle nun die vermeintlichen Beschwerden der Polen über die Verletzungen der Konstitution besprechen und sonnenklar zeigen, wie ungegründet sie waren... Die Unterdrückung der Preßfreiheit? Aber seit wann können wir uns ohne dieselbe nicht mehr behelfen?... Der Mangel eines konstitutionellen Budgets! Aber die Minister haben den Kammern das Budget nicht vorgelegt, weil sie vorhersahen, es würde verworfen werden... Die geheime Polizei! Aber wie gelind muß diese gewesen sein, da sie den Ausbruch der Revolution nicht verhindern konnte... Die Aufhebung der Öffentlichkeit in den Reichstagverhandlungen! Nun, was ist's denn weiter? Dadurch hat das Publikum nur eines seiner unentgeltlichen Schauspiele verloren. Und darum eine Revolution anfangen? »Selbst England (hören Sie, hören Sie) würde gern einwilligen, daß die Türen seines Parlaments dem Publikum verschlossen werden, und daß man seine Preßfreiheit beschränkt, wenn es sich gegen ein so geringes Opfer eines Teiles seiner Nationalschuld entledigen und seinen Fabrikanten den Markt des ganzen Nordens eröffnen könnte!« O! das ist himmlisch! Wenn der österreichische Beobachter das liest, wird er ausgerufen: »Pends-toi, Figaro, tu n'as pas deviné celui-là!« Aber die »Preußische Staatszeitung«, die die Streiche mitteilt, scheint sich über die Schelmerei ihrer russischen Suzanne nicht zu wundern; denn sie denkt wohl, bei Gelegenheit könne sie es noch schöner machen.

Jetzt heißt es, der Kaiser Nikolas sei darum nach Moskau gereist, um mit seinen getreuen Edelleuten dort zu überlegen, ob er seinen Völkern etliche Freiheiten und welche er geben solle. Und das tut er, um die Eifersucht der Russen zu beschwichtigen, daß sie nicht murren, wenn den Polen nicht alles geraubt wird. Wir wollen sehen! Ist es aber nicht wunderlich, daß die Fürsten, sooft sie die Freiheit unterdrücken wollen, keines Menschen Rat brauchen, sondern auf der Stelle mit sich einig und entschlossen sind; sobald sie aber ihren Völkern Freiheit geben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was sie davon halten, und sehr herablassend dem geringsten ihrer Untertanen erlauben, nur ohne Scheu seine Meinung zu sagen? Die künftige polnische Freiheit wird man in Wien auf der Straße predigen dürfen; so unschuldig wird sie sein. Darin aber irren sich so viele Menschen, daß sie glauben, Rußland, Österreich und Preußen versagten ihren Völkern konstitutionelle Freiheit und verhinderten deren Entwicklung in den kleinen Staaten, bloß aus Haß gegen die Freiheit allein und aus Liebe zur unbeschränkten Herrschaft. Das ist freilich ein Hauptbeweggrund, aber es ist nicht der einzige. Der andere liegt darin: daß, wenn die großen Mächte ihren Staaten Konstitutionen gäben, sie unfehlbar ihren politischen Einfluß auf die kleineren Mächte verlieren würden – einen Einfluß, den sie nur dadurch erwerben und erhalten, daß die Aristokratie in diesen kleinen Staaten, in ihrer Angst vor dem Andrang der Demokratie, sich um Schutz flehend nach Petersburg, Wien und Berlin wenden – ein Schutz, der ihnen auch verkauft wird, und den sie mit Verrat ihres Vaterlandes und ihres Fürsten teuer bezahlen. Darin ist die Hoffnungslosigkeit der gegenwärtigen Lage Europas, und darin ist die Torheit der hiesigen Minister, welche träumen, alle Verwirrung könnte friedlich gelöst werden.

 

Montag, den 21. November

Gestern abend trat die Devrient in Rossinis »Othello« auf. Sie spielte die Desdemona, Madame Malibran den Mohren. Allen Dilettanti und den vielen Amanti der schwarzen Schönen war sehr bange vor dem kühnen Unternehmen, und ich fand, daß ihre Furcht noch lange nicht groß genug gewesen. Wäre nicht eine der Grazien, aus gewohnter Liebe, der Malibran treu geblieben, sie hätte sich sehr lächerlich gemacht. Was doch die Eitelkeit schlecht rechnet! Sie wollte donnern und blitzen wie ein afrikanisches Gewitter, aber die Stecknadelnatur des weiblichen Zornes stach überall hervor, und das dünne spitze Grimmchen war gar zu komisch. Die Malibran hat eine zarte feine Gestalt, und so blieb ihr nichts anders übrig, um einen Mann vorzustellen, als alles, was ihr von männlicher Kraft bekannt war, um Mund und Augen anzuhäufen. Sie warf in einem fort die Lippen höhnisch aus, rollte die Augen, zog die Augenbrauen finster zusammen. Das sollte Eifersucht, Wut, Rachedurst vorstellen; aber es glaubte ihr niemand ein Wort. Ihrer schönen Stimme tat sie Gewalt an, daß man sich erbarmen mußte. Ich sah doch, daß die Leute hier unparteiisch sind und sich von keiner vertrauten Vorliebe bestechen lassen. Der Beifall war kalt, noch mehr, er war kühl, und man konnte merken, daß die alte Gewohnheit verführen wollte, man ihr aber kein Gehör gegeben. Die Devrient, noch eine schöne Frau, hat eine volle, klangreiche Stimme, die mir nur manchmal zu heldenmäßig vorkam. Ich glaube, sie hat einigemal geschrien. Haben Sie nichts gehört? Ihr Spiel ist zu loben; sie hat gelernt und gebraucht schöne akademische Stellungen. Den Schmerz der Desdemona spielt sie oft edler als die Malibran; die gläubige Deutsche hat einen Zug von der schmerzensreichen Mutter um ihre Lippen, den die ungläubige Französin nicht auszudrücken vermag ... Selbst der Zufall machte sich über diese lächerliche Vorstellung lustig. Als am Schlusse Desdemona und Othello tot auf dem Boden liegen und der Vorhang fallen sollte, blieb er hängen. Die Devrient, die als Fremde wohl nicht recht wußte, wie sie sich zu betragen habe, erhob ihren Kopf und sah nach der Malibran hin, um ihrem Beispiele zu folgen. Diese aber ließ sich gar nicht irremachen und blieb tot. Da gab es denn ein unbändiges Gelächter, und auf diese Weise konnte jeder Unzufriedene mit Anstand seinem Spott Luft machen ... Nach »Othello« kam noch eine kleine komische Oper: La prova d'un opera seria, so eine Art von Kapellmeister von Venedig, den man in Deutschland spielt. Lablache und die Malibran waren unvergleichlich. Aber das ist ein altes Wort für eine ganz neue Empfindung, und das ich bloß aus Not gebrauche. Die Malibran und das Haus vergüteten sich reichlich an Verdienst und Lohn, was sie in der vorhergegangenen Vorstellung einander schuldig geblieben. Ich will aber weiter kein Wort darüber sprechen. Ich wäre ja ein Narr, wenn ich Ihnen immer aufrichtig berichtete, was ich für ein Narr gewesen!

Unser König hat gestern sechsunddreißig Stück Pairs gemacht, neue Säulen, den Thron zu stützen, neue Faschinen, in den Strom der Zeit zu legen, daß der demokratische Schlamm sich daran festsetze. Gestern war Sonntag, aber die Gewalt hat keinen Feiertag. Mir war diese Sache immer gleichgültig gewesen. Sie mögen Pairs haben oder keine, erbliche oder nur lebenslängliche: das ändert nichts. Neue Ruinen, wie in den englischen Gärten, das sind unschädliche Spielereien. Man mag einem Kinde eine graue Perücke aufsetzen, es wird nicht alt davon. Was ich in dieser Sache nur wichtig finde, ist, daß der König, indem er Pairs ernannte, wozu ihn die Konstitution von 1830 nicht berechtigte, einen Staatsstreich begangen. Und hat er einmal dem Teufel einen Finger gegeben, wird er ihm auch später die Hand reichen und sich ihm endlich ganz überlassen.

– Soeben lese ich in der neuesten »Hamburger Zeitung« folgende Broschüre angezeigt: »Gegen L. Börne, den Wahrheit-, Recht- und Ehrvergessenen Briefsteller aus Paris, von E. Meyer Dr.« Ich kann es mir nicht erklären; aber sobald ich den Titel gelesen, bekam ich gleich einen heftigen Appetit, und ich schickte den Konrad weg, mir vom Restaurateur ein Tête de veau au naturel zu holen. Ich pflege sonst nie à la fourchette zu frühstücken. Ach! könnten nur viele Menschen, wie ich, Wahrheit, Recht und Ehre noch vergessen – es stünde besser mit der Welt! Wenn ich nur diese Schrift bald in Paris haben könnte; ich würde wahrscheinlich darauf antworten. Zwar liegt das sonst nicht in meiner Art, aber ich muß diesmal zum Schutz der guten Sache das schwere Opfer bringen, mich gegen persönlichen Angriff zu verteidigen. Vielleicht können Sie in Frankfurt erfahren, wer dieser Dr. Meyer ist. Es ist immer gut, das zu wissen. Sie sehen aber daraus wieder, was ein Gelehrter aussteht, und sein Sie froh, daß Sie dumm sind.

 

Dienstag, den 22. November

Eben erhalte ich zwei dicke Briefe von Hamburg. Genannte Schrift von Dr. Meyer und noch andere Kriegsmanifeste liegen darin. Hurra! Ich habe bis jetzt weder Briefe noch Broschüren gelesen; aber ich brenne vor Begierde, und schließe darum. Acht Franken kosten mich die Hamburger Grobheiten!


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