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Dreizehnter Brief

 

Paris, den 9. November 1830

Spontini ist gegenwärtig mit seiner Frau hier. Sie waren vorgestern bei ***. Er kehrt wieder nach Berlin zurück. Ehe er von Berlin abreiste, erließ er an die Kapelle eine Art Tagesbefehl, worin er seine Zufriedenheit mit ihr zu erkennen gibt, und die Kapelle antwortete darauf. Beide Briefe sind gedruckt, und Spontini verteilt sie hier. Als ich sie bei *** las, hätte ich vor Wut bald eine Tasse zerbrochen. Von Seite Spontinis die größte französische Unverschämtheit; er spricht mit der Kapelle wie ein Fürst mit seinen Untertanen. Und von Seite der Kapelle die größte deutsche Niederträchtigkeit und Kriecherei. Es gibt nichts Bezeichnenderes als das. Spontini erzählte: in Berlin wird gegenwärtig Rossinis »Wilhelm Tell« aufgeführt, aber mit ganz verändertem Texte wegen des revolutionären Geistes darin, und Schillers »Wilhelm Tell« dürfe gar nicht mehr gegeben werden. So weit schon ist es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in Paris waren!

Es flog ein Gänschen über den Rhein,
Und kam als Gans wieder heim.

– Die Theater werden jetzt freigegeben, das heißt: es darf jeder, der Lust hat, ein Theater errichten, und man braucht kein Privilegium mehr dazu, keine allergnädigste, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Erlaubnis mehr. Seit der Revolution hat auch die Theaterzensur aufgehört, und es herrscht vollkommene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus, und Deutschland ist das große Koblenz, wo alle emigrierten Mißbräuche zusammentreffen. In Zeit von zehn Jahren werden die Freunde der politischen Altertümer aus allen Ländern der Erde nach Deutschland reisen, um da ihre Kunstliebhaberei zu befriedigen. Ich sehe sie schon mit ihren Antiquités de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Nase und Notizbuch in der Tasche, durch unsere Städte wandern und unsere Gerichtsordnung, unsere Stockschläge, unsere Zensur, unsere Mauten, unsern Adelstolz, unsre Bürgerdemut, unsere allerhöchsten und allerniedrigsten Personen, unsere Zünfte, unsern Judenzwang, unsere Bauernnot begucken, betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln ein Trinkgeld in die Hand stecken und dann fortgehen und von unserm Elende Beschreibung mit Kupferstichen herausgeben. Unglückliches Volk! ... wird ein Beduine mit stolzem Mitleide ausrufen.

– Es geht jetzt in der Kammer ganz erbärmlich her. Man hört da von den ehemaligen Liberalen Reden gegen die Preßfreiheit halten, wie sie der Metternich nicht besser wünschen kann. Es ist ein Ekel, und ich mag gar nicht davon sprechen. Benjamin Constant, Lafayette und noch einige wenige sind die einzigen, die der alten Freiheit treu geblieben. Das Ministerium und die Kammer haben Furcht und handeln darnach und haben freilich die Masse der Nation auf ihrer Seite, nämlich den Teig, aber ohne die Hefen, nämlich die Industriellen, das heißt auf Deutsch: die miserablen Kaufleute und Krämer, die nichts haben als Furcht und Geld. Da nun die letzte Revolution ihren Zweck nicht erreicht hat (denn die jetzigen Machthaber wollen darin nur eine Veränderung der Dynastie sehen) und man den Franzosen nicht freiwillig gibt, um das sie gekämpft haben, wird eine neue Revolution nötig werden; und die bleibt gewiß nicht aus.

 

Mittwoch, den 10. November

Neulich bin ich bei Férussac eingeführt worden, der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Journal heraus, das in Deutschland bekannt ist. Er ist jetzt Deputierter geworden. Man findet in seinem Salon alle fremden und einheimischen Blätter und Journale, alle interessanten Bücher und Kupferwerke und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt sich die Zeit mit Lesen und Kupferstiche-Betrachten. Er fragte mich, was mein literarisches Fach wäre. Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es selbst nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon wissen, teilen Sie mir es mit. – Ich habe in diesen Tagen gelesen: Contes d'Espagne et d'Italie par Alfred de Musset. Ein junger Dichter. Es ist merkwürdig, was der Ähnlichkeit mit Heine hat. Sollte man das von einem Franzosen für möglich halten? – Die Memoiren von St.-Simon machen mir erstaunlich viel Freude. Vom Hofe Ludwigs XIV. bekommt man die klarste Vorstellung. Es ist mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt ist gar keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube, das Buch hat zwölf Bände.

– Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen nicht, und ich frage mich, ob es ein Traum ist. Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch je eine solche Lebensart vertragen könnte. Aber nicht allein, daß mir das nichts schadet, ich fühle mich noch wohler dabei. Ich war seit Jahren nicht so heiter, so nervenfroh, als seit ich hier bin. Die Einsamkeit scheint nichts für mich zu taugen, Zerstreuung mir zuträglich zu sein. Die langen Krankheiten der letzten Jahre haben mich noch mehr entmutigt als geschwächt, und hier erst bekam ich wieder Herz zu leben. Die geistige Atmosphäre, die freie Luft, in der man hier auch im Zimmer lebt, die Lebhaftigkeit der Unterhaltung und der ewig wechselnde Stoff wirken vorteilhaft auf mich. Ich esse zweimal soviel wie in Deutschland und kann es vertragen. Es kömmt aber daher, daß ich mich beim Tische unterhalte, selbst wenn ich allein beim Restaurateur esse; die ewig wechselnden Umgebungen, die Kaumanieren aller europäischen Mäuler, das würzt die Speisen und macht sie verdaulicher. Und die Ferien, die schönen Ferien! Das Ausruhen von der Logik – das ist's vor allem, was meine Nerven liebkost. Aber dem Sauerkraute bleibe ich treu, das eine Band zerreiße ich nie, nie.

 

Dienstag, den 16. November

Mit Belgien, denke ich, wird sich alles friedlich beilegen. Die großen Mächte haben seine Unabhängigkeit bereits anerkannt und dem Gedanken entsagt, ihm den Prinzen von Oranien aufzudringen. Nur das eine wird verlangt, daß es sich zu keiner Republik mache. Die meisten, wenigstens die einflußreichsten Belgier sollen freilich für die republikanische Regierungsform gestimmt sein; sie werden aber nachgeben müssen. Ich wollte, sie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien noch einem andern Lande unsers entnervten Weltteils zuträglich; doch wäre das an deutscher Grenze von großem Vorteile; es würde unsern Absolutismus etwas geschmeidiger machen. Die Furcht ist die beste Gouvernante der Fürsten, die einzige, der sie gehorchen. Die Furcht muß Deutschlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung ist aufzugeben. Auf Talleyrand in London setze ich großes Zutrauen, und ich lasse mich hierin von den Pariser Manieristen nicht irremachen. Er setzt bestimmt alles durch; denn er ist der einzige Staatsmann, der keine Leidenschaften und kein System hat und darum die Verhältnisse klar erkennt, wie sie sind. Er wußte die Fehler der andern immer sehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht fehlen. Ich muß lachen, sooft ich den Jammer in den liberalen Zeitungen lese, Talleyrand werde als ein Mitarbeiter an dem Wiener Frieden die Beschlüsse und Verträge der heiligen Allianz verteidigen. Das ist der rechte Mann, dem etwas heilig ist!

Ich will es wohl gern glauben, wie es auch hier von vielen behauptet wird, daß die Katastrophe von Antwerpen von den Insurgenten übermütig herbeigezogen worden; daß Chassé zum Bombardieren gezwungen worden ist; aber was ändert das? Man muß sich nur immer fragen: wem gehört Belgien oder jedes andere Land? Gehört es dem Volke, oder gehört es dem Fürsten? Die Belgier mögen vielleicht unrecht haben mit ihrem Könige – ich habe selbst nie deutlich eingesehen, worüber sie zu klagen hatten – aber es ist jeder Herr in seinem Hause, und ein König, den man nicht leiden kann, und wäre es auch bloß wegen der Form seiner Nase, den wirft man mit Grund zur Türe hinaus. Ich finde das ganz einfach. Der französische Gesandte in Holland, der nach dem Bombardement dem Könige Vorstellungen machte wegen des Schadens, den die französischen und andern Kaufleute in Antwerpen erlitten, erhielt vom Könige zur Antwort: Mr. l'Ambassadeur, je ne sacrifierai jamais les droits de ma couronne aux intérêts particuliers. Das soll erhaben sein! Ich finde es sehr lächerlich. Man macht noch viel zu viel Umstände mit den Königen, man heuchelt zu viel. Man sollte ihnen allen einen Termin von vier Wochen setzen, binnen welchen sie eine bessere Regierung einzuführen hätten, oder – fort mit ihnen.

– Das Buch der Lady Morgan habe ich noch nicht gelesen; ich will es mir aber heute noch holen lassen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Begeisterung, mit der sie von ihr spricht. Es ist eine Straße einzig in der Welt, die schönste Symphonie von Kunst, Natur, Geist und Leben. Es ist ein Anblick, das kurzsichtigste Auge, die engste Brust zu erweitern. Ich wollte, unsere Philister wohnten alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, statt nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein sie, sondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen werden. Mich ärgert es, sooft ich hierher komme, daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumieten. Den ganzen Tag stände ich am Fenster und blätterte in dem großen Buche mit den schönen Zeichnungen. Ich hätte gar nicht nötig, aus dem Hause zu gehen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber Geld, Geld! nervus rerum gerendarum – das heißt auf Deutsch: ich habe schwache Nerven. – Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andachtstunden.


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