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Der Riese an der Tür trat einen Schritt weiter in das Zimmer und blickte sich forschend um. Seine Augen fielen auf Thorn. »Nun, Martin, ich hatte Sie gewarnt! – Aber welcher der Herren ist der Polizeichef?«
Cox näherte sich kleinlaut. »Ich bin es. Ich vermute, daß Sie der wirkliche P. J. Madden sind?«
»Das vermute ich auch. Hab' es wenigstens immer angenommen. Von einer Farm unterwegs telefonierten wir mit der Polizeistation, und man sagte uns, daß Sie hier seien. Da haben wir denn gleich ein weiteres Schaustück für Ihre Sammlung mitgebracht.« Madden deutete auf die Verandatür, in der jetzt Holley auftauchte, mit dem gefesselten Phil Maydorf am Arm. Auch Paula Wendell und Evelyn Madden erschienen nun auf der Bildfläche.
»Gesellen Sie diesen neuen Gast seinem Busenfreund Delaney zu!« riet Madden grimmig. »Und dann will ich ein kleines Verzeichnis der Anschuldigungen zusammenstellen, die gegen diese Halunken zu erheben sind, damit sie für eine Weile in Numero Sicher bleiben.«
Charlie Chan hob die Hand. »Einen Augenblick noch. Die Perlenkette …«
»Ach so!« Cox übergab dem Chinesen den Phillimoreschen Familienschmuck, und der legte ihn in Maddens Hand. »Ich mir bin bewußt, daß Sie wünschten sie zu empfangen in New York. Aber Sie wohl haben die Liebenswürdigkeit, sie hier entgegenzunehmen. Ich trug sie bei mir fast bis zur Grenze meiner Geduld. Die Quittung erbitte ich dann später.«
Madden lächelte. »Sie also sind Mr. Chan! Mr. Eden hat mir unterwegs von Ihnen berichtet. Nie werde ich vergessen, was ich Ihrem Scharfsinn und Ihrer Umsicht zu danken habe.«
»Es war mir eine Ehre, Ihnen dienlich zu sein!«
Cox unterbrach ungeduldig. »Die Anklage wird also auf versuchten Diebstahl und auf Raub lauten, nehme ich an …«
»Und einen Haufen anderer Dinge.«, fügte Madden hinzu, »einschließlich Mordes. Ich werde meine Geschichte in aller Kürze erzählen. Im großen und ganzen wissen Sie, was geschah, aber der Hintergrund der Geschehnisse bleibt noch aufzuhellen. Ich muß da zurückgreifen – auf einen Spielsaal in der Vierundzwanzigsten Straße in New York. – Wo sind meine Zigarren? Ach hier! Sehr liebenswürdig, Delaney, daß Sie mir noch ein paar übrigließen! – Vor etwa zwölf Jahren trieb dort eine Abenteuerbande ihr Unwesen, und man erzählte sich, daß diese Schufte, um überall Vertrauen zu erwecken, auf den Einfall gekommen seien, bekannte Finanzgrößen zu imitieren, darunter auch mich. Die Physiognomie dieser Männer wurde emsig studiert, jede Kleinigkeit der Kleidung genau nachgeahmt. Wie sie das Haar trugen, was für Brillen sie bevorzugten – nichts galt als unwichtig.«
Madden hielt einen Augenblick inne. »Natürlich waren etliche der Verkleidungen ziemlich plump, aber mich traf das besondere Pech, daß mein Doppelgänger Jerry Delaney, ein verkrachter Schauspieler, sich als wahrer Künstler dieses Spezialfachs bewährte. Von einer zunächst nur oberflächlichen Ähnlichkeit mit mir brachte er es zu einer Nachahmung meines Äußeren, die im Laufe der Zeit immer vollkommener, wurde. Infolgedessen verbreitete sich allen Ernstes das Gerücht, daß ich mir bei McGuire die Nächte um die Ohren schlüge. Ich schickte deshalb meinen Sekretär zur Erkundung hin. Er berichtete, daß Delaney seine Rolle vorzüglich beherrsche, und ich übergab die Sache meinem Anwalt. Als Delaney mit Verhaftung gedroht wurde, erklärte er sich bereit, seine Maske aufzugeben. Und in der Tat blieb er seitdem jener Spielhölle fern.
Was sich dann später zutrug, läßt sich nur mutmaßen. Die beiden Maydorfs, Phil und« – er deutete auf Gamble – »sein Bruder, den die Polizei als den ›Professor‹ kennt, waren die Häupter jener Bande. Wahrscheinlich heckten sie schon damals den Plan aus, Delaney solle mich bei günstiger Gelegenheit noch einmal kopieren. Zu diesem Zweck versicherten sie sich der Mithilfe meines Sekretärs Thorn, dem vermutlich hohe Schmiergelder in Aussicht gestellt wurden. Und sie einigten sich schließlich auf die Wüste als geeignetste Operationsbasis. Eine äußerst schlaue Wahl. Denn ich bin selten hier und komme dann nur mit wenig Leuten zusammen. Nötigenfalls konnte es nicht schwierig sein, mich unauffällig aus dem Wege zu räumen. Und wo dann P. J. Madden mit seinem Sekretär auftauchte, der in der Öffentlichkeit fast bekannter war als sein Herr, würde niemand auch nur im Traum Zweifel wegen der Identität gehabt haben.«
Madden tat nachdenklich ein paar Züge an seiner Zigarre. »Irgend etwas habe ich seit Jahren erwartet. Delaney war der einzige Mensch auf der Welt, den ich fürchtete; denn er konnte mir unter Umständen unermeßlichen Schaden zufügen. Ich sah ihn einmal in einem Restaurant, wo er mich verstohlen studierte. Nun – die Burschen haben lange warten müssen, aber Gelichter ihres Schlages ist geduldig. Vor zwölf Tagen etwa kam ich mit Thorn auf die Ranch und hatte sofort das Empfinden, daß etwas nicht stimmte. Am vorigen Mittwochabend – mein alter, treuer Verwalter Louie Wong war in der Frühe unvermutet nach Frisko gereist – saß ich hier am Schreibtisch, als ich plötzlich Thorn aus seinem Schlafzimmer rufen hörte: ›Kommen Sie bitte her, Mr. Madden!‹ Ich ging hinüber – und da stand er, eine meiner alten Pistolen in der Faust. ›Hände hoch!‹ schrie er mich an, und gleichzeitig sah ich von der Veranda her jemand eintreten. Es war Delaney. ›Bitte, keine unnötige Aufregung, Mr. Madden!‹ sagte der Schuft von, Sekretär. ›Wir wollen Sie an einen Ort bringen, wo Sie sich ein bißchen ausruhen können. Ich werde einige Sachen für Sie einpacken. Hier, Jerry, du bewachst ihn!‹ Und er reichte Delaney die Waffe. Der und ich standen nun einander gegenüber. Jerry schien einigermaßen nervös – dieses Abenteuer war für ihn wohl doch etwas zu toll. Thorn kramte unterdes in meinem Zimmer. Ich begann aus Leibeskräften um Hilfe zu rufen. Vielleicht – wer konnte es wissen? – war Louie inzwischen wieder nach Hause gekommen, oder es ging zufällig jemand draußen vorbei. Delaney fuhr mich an, ich solle den Mund halten. Er zitterte wie Espenlaub. Im Hof krächzte eine antwortende Stimme, aber es war nur Tony, der Papagei. Ich wußte, was auf dem Spiel stand, und stürzte wutentbrannt auf Delaney los. Er schoß und verfehlte mich. Er schoß zum zweitenmal ich fühlte einen Stich in der Schulter und sank zu Boden.
Eine Weile muß ich wohl bewußtlos gelegen haben. Als ich zu mir kam, hörte ich, wie Delaney dem zeternden Sekretär klarmachte, er habe mich getötet. Sie entdeckten dann natürlich, daß ich noch lebte, und Freund Jerry schien sehr dafür, reinen Tisch zu machen, aber der Sekretär wollte das nicht zulassen, sondern bestand auf dem ursprünglichen Vorhaben. Der elende Verräter hat mir also das Leben gerettet; aus Feigheit wahrscheinlich. So schleppte man mich im Auto nach der alten Petticoat-Grube. Am Morgen ließen mich die Kerle dort allein; nur der Professor, der sich der reizenden Gesellschaft angeschlossen hatte, blieb bei mir, verband meine Wunde und gab mir zu essen. Am Sonntagnachmittag ging er weg und kam spät abends mit seinem Bruder Phil zurück, der nun mein Kerkermeister wurde.
Die Ereignisse auf der Farm kennen Sie, meine Herren, besser als ich. Am Montag meldete meine Tochter Evelyn telegrafisch ihr Kommen an. Selbstverständlich mußte sie dem Schauplatz der Gaunerei ferngehalten werden. Deshalb holte Thorn sie aus Eldorado ab, teilte ihr mit, daß ich verletzt sei, und brachte sie gleichfalls nach der Mine. Und wir würden noch jetzt dort sein, wenn nicht Eden und Holley heute erschienen wären, um nach einer jungen Dame zu suchen, die sich dorthin verirrt hatte.«
Madden erhob sich. »Noch eins! Thorn, ich hörte Sie an jenem verhängnisvollen Abend zu Delaney sagen: ›Sie haben immer Angst vor ihm gehabt … schon damals in New York …‹ Was meinten Sie damit?«
Der Sekretär hob das verzerrte Gesicht. »Wir hatten seinerzeit schon einmal etwas Ähnliches geplant, als Sie zur Jagd gefahren waren. Aber Jerry, der Hasenfuß, schreckte im letzten Augenblick zurück.«
»Wie sollte ich auch nicht?« knurrte Delaney. »Ich konnte ja keinem von euch trauen. Heimtückische Füchse seid ihr …«
»Sprichst du von mir?« erboste sich Phil Maydorf.
»Von wem sonst? Hast du etwa nicht versucht, die Perlen für dich selber zu kapern, als wir dich nach Frisko schickten, damit du uns Louie Wong vom Halse locktest? Oh, ich weiß alles …«
»Na – wenn schon! Du warst ja selbst drauf und dran, sie für dich zu behalten. Als du dachtest, Draycott würde sie bringen, was hast du da vorgehabt? Aber Henry blieb dir auf den Fersen …«
»Stimmt!« warf der ›Professor‹ ein. »Da wollte er sich fortstehlen und Draycott allein treffen. Wenn du dir einbildest, ich hätte das nicht gemerkt, dann irrst du dich, du einfältiger Narr! Denn das bist du! Setzt sich der Tölpel hin und schreibt Sehnsuchtsbriefe an Schauspielerinnen …«
»Wer hatte das größere Anrecht auf die Perlen?« brüllte Delaney. »Was hättet ihr denn machen können, wenn ich nicht gewesen wäre? Saubere Kameraden seid ihr gewesen! Und du« er wandte sich wieder an Maydorf – »du hast dir das tollste Stück geleistet. Welcher Teufel ritt dich, als du hier vor der Tür Louie Wang das Messer in den Bauch stießest …«
Der Beschuldigte heuchelte die Entrüstung eines harmlosen Biedermannes. »Was?! Ich soll Louie Wong erstochen haben?«
»Jawohl!« schrie nun auch Thorn. »Ich war dabei und hab's gesehen. Ich kann es beschwören –«
»Als Mitschuldiger, wie?« spöttelte Cox. »Wenn wir diese Spitzbuben aufeinander loslassen, werden sie sich noch gegenseitig an den Galgen liefern.«
»So seid doch still; Jungens!« mahnte Gamble mild. »Auf diese Weise geraten wir nur immer tiefer in die Tinte. Meine, Herren, wir sind bereit …«
»Noch nicht!« Charlie Chan stellte eine schwarze Tasche vor den Hausherrn. »Sie darin werden finden eine Menge Bargeld, Mr. Madden. Teils aus Verkauf von Aktien, teils überwiesen von Ihrem New Yorker Büro. Ob Summe noch vollständig, Delaney wird sagen können.«
»Es ist alles da!« brummte giftig der Doppelgänger des Millionärs.
»So?« Der Chinese wiegte den Kopf. »Wie war das denn mit Eddie Boston?«
»Ach so! Dem hab' ich allerdings fünftausend Dollar zuschanzen müssen. Als Schweigegeld. Er hatte mich hier im Hof erkannt. Hoffentlich jagen Sie's ihm wieder ab, dem schmutzigen Gauner!«
»Na, dann können wir uns ja auf den Weg machen!« schlug Cox vor. »Auf Wiedersehen morgen, Mr. Madden!«
Die Beamten und ihre Gefangenen verschwanden im Dunkel der Wüstennacht.
»Da schleicht das Delaney-Quartett also von dannen«, meinte Bob, »und auch ich muß mein Bündel schnüren. Ich nehme den Zug zehn Uhr dreißig nach Barstow. Wenn Sie mich ein letztes Mal in Ihrem Wagen mitnehmen wollen, Miss Wendell, wäre ich Ihnen aufrichtig dankbar. Ich möchte nämlich noch ein paar Worte mit Ihnen reden. Über Wilbur!«
»Mir schlägt das Gewissen, Mr. Madden«, gestand Will Holley. »Ich bin der Verfasser eines berühmt gewordenen Interviews, das Sie mir nie gewährt haben.«
»Nun, darüber zerbrechen Sie sich nicht den Kopf! Ich decke es mit meinem Namen.«
»Sehr liebenswürdig! Aber wissen möchte ich, warum die Kerle diesen Artikel überhaupt zugelassen haben.«
»Höchst einfach!« warf Chan ein. »Sie telegrafierten an New Yorker Büro, daß es solle senden Geld. Wie sie konnten besser beweisen, daß Madden sich auf Wüstenfarm aufhielt, als indem sie es in den Zeitungen ausposaunten? Gedrucktes Wort wirkt oft Wunder.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, nickte der Redakteur. »Übrigens dachten wir, als wir von der Mine zurückkehrten, wir hätten eine Bombenüberraschung für Sie, Charlie, aber nun sind Sie uns doch zuvorgekommen.«
»Um Haaresbreite nur! Jetzt ich mich schäme, denn es hat sehr lange gedauert, bis ich kam hinter die Gaunerschliche. Erst heute abend mir ging ein Licht auf. Diesem Viktor zu Gefallen ich händigte die Perlen aus. Madden unterschreibt Quittung – er schreibt umständlich und mühsam. Plötzlich ich denke: Alles tat er mit rechter Hand langsam und mühevoll. Warum? Delaneys Weste mir fällt ein, für einen Linkshänder gefertigt. Um Probe zu machen, ich reiße die Perlen an mich. Madden greift zu, aber in Aufregung mit der Linken! Er hebt die Pistole – wieder mit der Linken! Und ich weiß Bescheid!«
»Das nenn' ich rasches Denken!« sagte Holley in ehrlicher Bewunderung.
»Warum nicht? Armes, altes Gehirn muß jetzt doch ausgeruht sein. Seit vielen Tagen es hat nicht gearbeitet. Als ich setzte die Ehrenmänner auf ihre Stühle, um auf Sie zu warten, ich mir machte bittere Vorwürfe. Wie konnte ich nur so spät erst die Wahrheit erkennen? Längst doch alles war klar wie Wüstenmorgen. Ein Mann schreibt wichtigen Brief, versteckt ihn in Schreibunterlage, geht fort. Als er zurückkommt, rührt er Brief nicht mehr an. Warum? Er war gar nicht zurückgekommen! Und weiter: Der Pseudo-Madden empfängt Doktor Whitcomb im Halbdunkel der Veranda. Warum? Die Dame ihn früher hat schon gesehen. Er spricht mit Hausverwalter in Pasadena wann? Um sechs Uhr, als bereits es dunkelte. Er sich auch scheut, zu verlassen sein Auto. Wie nur ich konnte so schwerfällig sein? Wahrscheinlich Klima von Südkalifornien hat schuld. Rasch ich werde heimkehren nach Honolulu, wo ich hingehöre.«
»Sie sind ungerechtfertigt streng gegen sich!« meinte P. J. Madden wohlwollend. »Wären Sie nicht auf der Hut gewesen, hätte Mr. Eden die Perlen gutgläubig, ausgeliefert, und die Schurkenbande wäre unbehelligt verduftet. Ich schulde Ihnen großen Dank, lieber Mr. Chan, und wenn Worte –«
»Danken Sie nicht mir – danken Sie Tony! Wenn der Papagei in erster Nacht wäre stumm geblieben – ja, wo wären die Perlen jetzt? Der arme Tony, nun er ruht hinter Scheune in Erde! Tony ist tot – aber nicht zwecklos war sein Leben: Er hat gerettet die Perlen von Alice Phillimore!«
Victor nickte ernst. »Da haben Sie recht, Charlie. – Aber wie komm' ich jetzt zurück in die Stadt?«
»Ich nehme Sie mit«, bot Holley an. »Ich muß diese kapitale Sache der Mitwelt schleunigst in einem Drahtbericht auftischen. Charlie, wir sehen uns doch noch …«
»Ich fahre mit nächstem Zug! Komme noch in Ihr Büro, zu holen meine Kleider. Warten Sie aber jetzt nicht auf mich! Miss Wendell mir hat freundlichst einen Autoplatz zur Verfügung gestellt.«
Will Holley und Viktor Jordan verabschiedeten sich.
»Wie war das nur, Charlie?« fragte Bob seinen schlitzäugigen Gefährten. »Als Mr. Madden vorhin ins Zimmer trat, schienen Sie nicht im geringsten verblüfft. Und doch muß, als Sie Delaney erkannten, Ihr erster Gedanke gewesen sein, daß man Madden umgebracht habe.«
Chan lachte leise. »Ich sehe, Sie nicht sind vertraut mit Gewohnheiten eines Kriminalers. Mr. Maddens Erscheinen für mich kam völlig unerwartet aber ich das werde doch nicht merken lassen aufgeblasenen Polizeiherrn mit großen Füßen. Doch lassen wir Miss Wendell nicht zu lange harren! Ich noch habe paar Habseligkeiten in Küche – bin gleich wieder da!«
»In der Küche?« P. J. Madden sah den Chinesen an. »Ich hab' einen Mordshunger. Kein Wunder, bei der Konservenkost im Grubenverlies!«
Ein ängstlicher Ausdruck überschattete die Züge des Chinesen. »Wie bedauerlich! Leider hat bisheriger Koch früheren Beruf wieder aufgenommen! Werde in fünf Minuten zur Stelle sein, Miss Wendell!«
Evelyn Madden legte ihren Arm um den Vater. »Macht nichts, Papa! Ich kutschiere dich in die Stadt, und wir bleiben über Nacht im Hotel. Du mußt wegen deiner Schulter doch einen Arzt konsultieren. Es gibt doch ein Restaurant in Eldorado, Mr. Eden?«
»Natürlich! Es nennt sich ›Café Oase‹. Die Beefsteaks dort kann ich Ihnen angelegentlich empfehlen!«
P. J. Madden war einverstanden. »Gut, Evelyn! Rufe im Hotel an und bestelle Zimmer für uns! Und dann … unser famoser Freund aus Honolulu! Ich bin mit ihm noch nicht fertig.«
Bob Eden ging in sein Zimmer und packte seine Reisetasche. Als er zurückkam, hielt Charlie Chan unschlüssig ein dickes Bündel Banknoten in der Hand.
»Mr. Madden mir gab die Empfangsbestätigung über die Perlenschnur. Er mir hat auch diesen großen Betrag aufgedrängt, aber mir ist peinlich, ihn anzunehmen.«
»Warum Skrupel? Sie haben sich das Geld redlich verdient!«
Chan verstaute die Noten sorgfältig in seiner Brusttasche. »Die Summe ein dreijähriges Gehalt in Hawaii darstellt. Das Klima von Amerika ist gar nicht so übel!«
»Leben Sie wohl, Mr. Eden!« sagte Madden warm. »Auch Ihnen habe ich zu danken. Sie haben hier um meinetwillen mancherlei Unannehmlichkeiten und Sorgen gehabt.«
»Im Gegenteil! Ich habe hier die glücklichsten Stunden meines Daseins verlebt.«
Madden schüttelte den Kopf. »Na, das versteh' ich nicht …«
»Aber ich!« fiel seine Tochter ein, mit einem Schelmenblick auf Paula. »Viel Glück, Mr. Eden! Und auch von mir herzlichen Dank!«
Kühl und schneidend fegte der Wüstenwind, als man das kleine Auto bestieg, das Paula auf den nachtdunklen Weg hinaussteuerte.
»Charlie«, neckte der junge Eden. »Sie lassen sich nicht träumen, warum Sie als Fahrtbegleiter gechartert wurden!«
»Miss Wendell ist so gütig!«
»Gütig – und vorsichtig!« lachte Bob. »Sie sollen hier als Wilbur dienen – als eine Art Hindernis zwischen dieser jungen Dame und der traurigen Einrichtung der Ehe. Sie glaubt nicht an ein Eheglück, Charlie …«
»Sehr närrisch! Man müßte sie bekehren zum Gegenteil!«
»Das wird auch geschehen! Sie hat Sie aufgefordert, uns zu begleiten, weil sie weiß, daß ich in sie verliebt bin. Sie hoffte wohl, ich würde von all dem nichts sagen, wenn Sie dabei wären. Aber den Gefallen tun wir ihr nicht! Charlie, ich liebe dieses Mädchen …«
»Begreiflich!«
»… und will sie heiraten.«
»Sehr vernünftig! Aber dieses Mädchen hat noch nicht gesprochen ein einziges Wort!«
Paula lachte. »Ehe – diese letzte Zuflucht schwacher Seelen! Ich liebe meine Ungebundenheit. Die will ich behalten!«
»Betrübt mich sehr!« rügte der Chinese mild. »Darf ich reden einige Wort zugunsten der Ehe? Ich, der Erfahrene? Wo ist es behaglicher als in gemeinsamem Heim? Ich mich erinnere des beseligenden Lenzes eigenen Ehestandes …«
»Was meinen Sie dazu, Paula?« Bob sah das Mädchen an.
»Und dieser so nette junge Mann!« fuhr der beredte Freiwerber fort. »Ich nicht begreife, warum Sie widerstreben. Ich ihn finde liebens- und achtenswert. Habe große Zuneigung zu ihm …«
Paula Wendell sagte immer noch nichts.
»… eine sehr große Zuneigung …«
»Nun«, meinte endlich das Mädchen, »wenn es sich darum handelt, unsympathisch ist er mir auch nicht gerade …«
Triumphierend stieß Chan Bob den Ellbogen in die Seite. Der Wagen hatte jetzt die Höhe erreicht, und die Lichter von Eldorado flimmerten in der Dunkelheit.
Im Hotel warteten Holley und Viktor. »Da sind Sie endlich!« rief der Journalist. »Ihre Tasche, Charlie, steht im Büro; die Tür ist nicht verschlossen!« Er seufzte. »Schade, daß Sie uns nun verlassen, Eden! Es wird mir hier unten recht eintönig vorkommen ohne Sie.«
»Aber Sie wollen doch nach New York?«
»O nein – hab' mich anders besonnen!« Ein wehmütiges Lächeln spielte um Holleys Lippen. »Vor ein paar Jahren vielleicht hätt' ich's gewagt, aber heute nicht mehr! Dieses Wüstenzauberland – nun, es hat mich eben eingefangen. Werde mich also weiterhin mit New York im Film begnügen müssen.«
Aus der Ferne drang der Lokomotivenpfiff des Barstower Zugs. Charlie kam um die Ecke geschlurft; Rock und Weste des Kriminalbeamten Chan ersetzten Ah Kims Bluse. »Die Stimme der Eisenbahn kündet unseres Abenteuers Ende«, murmelte er in seiner blumenreichen Redeweise. »Miss Wendell, nehmen Sie gütigst letzten Wunsch von müdem altem Mann! Möge dies für Sie werden der Beginn des größten Abenteuers Ihres Lebens und des glücklichsten!«
Sie überquerten die öde Straße. »Leb wohl, Paula!« flüsterte Bob im Schatten des Bahnhofsgebäudes. Der Druck ihrer schlanken Finger sagte ihm alles, was er wissen wollte, und sein Herz schlug einen rasenden Wirbel. »Bald komm' ich wieder und hole dich!« Er zog sie an sich und schob den Smaragdring von ihrer linken Hand an die rechte. »Nur, damit du daran denkst! Bei unserem nächsten Wiedersehen schenk' ich dir einen würdigen Ersatz, das schönste Stück aus unserem Geschäft!«
»Euerem … Geschäft?«
Der Zug war abfahrbereit. Charlie Chan winkte schon vom Trittbrett. »Sie es noch nicht wissen«, grinste er fröhlich. »Aber für Sie wird der Traum jeder Frau in Erfüllung gehen: Sie heiraten einen Mann, der einen Juwelenladen besitzt!«
Ende