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Ah Kim verließ mit einem schweren Tablett voller Geschirr das Zimmer. Madden lehnte sich behaglich mit geschlossenen Augen im Stuhl zurück und Blies dicke Rauchringe zur Decke. Der Professor und Thorn nahmen, zu beiden Seiten der Lampe, ihre Lektüre wieder auf. Ein rührendes Bild häuslichen Friedens. Bobs Herz aber klopfte ungestüm vor Aufregung. Rasch schlüpfte er zur Tür hinaus und fand Ah Kim in der Küche mit Tellerwaschen beschäftigt.
»Charlie!«
Der Chinese trocknete sich hastig die Hände ab. »Bitte ergebenst, nicht hier hereinzukommen!« Er ging hinaus in den Schatten neben der Scheune. »Was ist denn jetzt?«
»Sie haben doch gehört? Wir waren auf falscher Fährte! Jerry Delaney lebt und ist wohlauf.«
»Sehr interessant!« Die unerschütterliche Ruhe des Asiaten war verblüffend.
»Interessant!? Aber, Menschenskind, aus was für Holz sind Sie eigentlich geschnitzt? Unsere ganze Theorie löst sich in Rauch auf, und Sie –«
»Das immer so bei Theorien! Es nicht die erste ist, die zerbricht vor meinen Augen.«
»Aber was sollen wir tun?«
»Wir liefern die Perlen ab. Sie haben gegeben voreiliges Versprechen; nun uns nichts bleibt, als danach zu handeln.«
»Und fortzugehen, ohne zu erfahren, was hier geschah? – Vielleicht ist auch überhaupt nichts geschehen. Vielleicht waren wir von Anfang an auf falscher Fährte.«
Ein Auto kam heran, hielt mit knirschenden Bremsen. Eine vertraute Gestalt stieg aus – sprang über das Tor, ohne sich Zeit zu nehmen, es zu öffnen.
»Holley!« Bob eilte auf ihn zu.
»Sie gerade suche ich!« Der Journalist war sichtlich erregt. »Ich bin in Sorge. Paula Wendell –«
Bobs Herz tat einen wilden Schlag. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist von der Petticoat-Grube noch nicht zurück – obgleich sie bald nach dem Frühstück aufbrach. Sie hatte versprochen, mit mir zu Abend zu essen, und wir wollten dann ins Kino. Man gibt einen Film, für den sie sich interessiert.«
Bob stürmte hinaus. Kommen Sie, um Gottes willen, rasch.«
Chan trat heran, etwas Blinkendes in der Hand. »Mein Revolver! Holte ihn heute früh aus Reisetasche. Sie ihn nehmen mit …«
»Ich brauche ihn nicht! Behalten Sie ihn! Vielleicht kommt er Ihnen selber zustatten … Los, Holley!«
»Die Perlen!« erinnerte der Chinese.
»Oh, um acht Uhr bin ich wieder da! Dies ist wichtiger …«
Als Bob sich ins Auto schwang, erschien mit einem drohenden »Hallo!« der heftig gestikulierende Hausherr an der Tür. Aber Will Holley wendete mit erstaunlicher Geschwindigkeit und sauste davon.
»Was könnte passiert sein?« forschte der junge Eden.
»Das weiß ich nicht. Eine gefährliche Gegend dort, diese alte Grube. Überall eingesunkene Schächte – bei etlichen die Einfahrten durch Gestrüpp verdeckt – und sie sind Hunderte von Metern tief …«
»Schneller! Schneller!«
»Wir fahren ja schon mit Höchstgeschwindigkeit! Madden schien über Ihr Davonjagen ziemlich verdutzt. Ich vermute, er hat seine Perlen noch nicht?«
»Nein. Und vorhin kam eine neue Überraschung.« Bob erzählte von der Sängerin. »Wenn wir nun von Anfang an auf dem Holzweg waren? Wenn überhaupt kein Mensch auf der Farm umgebracht wurde? – Aber einerlei – jetzt geht's um Paula!«
Ein anderes Auto raste in tollem Tempo an ihnen vorbei – so knapp, daß die zwei Wagen sich beinahe streiften.
»Ein Chauffeur von der Bahnstation«, meinte Holley. »Hinten saß ein Fahrgast.«
»Wahrscheinlich jemand, der nach Maddens Farm will!«
»Vielleicht.« Holley bog jetzt auf den gefährlichen, halb zugewachsenen Weg ab, der nach dem verlassenen Bergwerk führte. Der Wagen holperte bedenklich.
»Verflucht noch mal!« Bob rieb sich den dröhnenden Schädel. »Was ist das überhaupt für ein hirnverbrannter Unsinn, daß ein hübsches junges Mädel wie Paula Wendell mutterseelenallein hier in der Wüste herumstrolcht! Warum heiratet sie nicht?«
»Sie hat für die Ehe nichts übrig. Die ›letzte Zuflucht schwacher. Seelen‹ nennt sie sie.«
»Wirklich? Weshalb hat sie sich dann mit diesem Jüngling verlobt?«
»Mit wem?«
»Mit Wilbur, oder wie er heißt, der ihr den Ring schenkte.«
Holley lachte. »Ich fürchte, es ist ihr nicht recht, aber ich will Ihnen trotzdem beichten: Der Smaragd ist ein altes Erbstück von ihrer Mutter. Sie hat ihn neu fassen lassen und trägt ihn gewissermaßen zum Schutz, damit nicht jeder hergelaufene Dummkopf, dem sie begegnet, ihr mit Heiratsanträgen in den Ohren liegt.«
»Ach so!« Längere Pause. »Hat sie mich so geschildert?«
»Wie?«
»Als hergelaufenen Dummkopf?«
»Durchaus nicht. Sie hätten die gleichen Ansichten über die Ehe wie sie selber, sagte sie; und es sei wohltuend, sich mit einem Mann wie Ihnen zu unterhalten.« Wieder langes Schweigen. »Was bedrückt Sie?«
»Sehr vieles!« knurrte Bob finster. »Ob es in meinem Alter noch möglich ist, ein verpfuschtes Leben neu aufzubauen?«
»Das sollte man doch meinen!«
»Ich hab' mich wie ein Idiot aufgeführt. Jetzt aber werd' ich meinem Vater die größte Überraschung seines Lebens bereiten, wenn ich heimkomme. Ich übernehme das Geschäft, wie es stets sein Wunsch war, und stürz' mich in die Arbeit. Bisher hab' ich nie gewußt, was ich eigentlich wollte. – Wie weit ist es noch?«
»Bald sind wir da!«
»Mein Gott – es wird ihr doch nichts zugestoßen sein?«
Immer näher kamen sie den zerklüfteten Hängen, die im Schein des langsam steigenden Mondes ziegelrot schimmerten. Nun führte der Pfad durch eine enge Schlucht.
»Sie haben doch sicher eine Taschenlampe?« fragte Bob. »Halten Sie bitte einen Augenblick! Mir ist da ein Gedanke gekommen …«
Sorgfältig untersuchte er mit dem Lämpchen den Weg. »Sie ist hier entlanggefahren! Ich kenne die Spur ihres Autos. Sie muß also droben sein. Der Wagen hat diese Strecke nur einmal zurückgelegt.«
Bob stieg wieder ein. Das Auto nahm scharfe Kurven, fuhr am Rand eines Abgrundes dahin. Eine letzte Biegung noch – und vor ihnen geisterte, in Berghalden gebettet, die Gespensterstadt der Petticoat-Grube auf. Hier ein verfallener Schornstein, dort eine bröcklige Mauer, ganze Gassen und Plätze mit verfallenen Häusern.
Sie fuhren eine Straße entlang, in Wellenlinien zwischen gähnenden schwarzen Trichtern und über grasumwucherte Pflastersteine.
»Das Fachwerkhaus dort war die alte Silber-Star-Kneipe«, erläuterte der Journalist. »Der Bau nebenan aber steht noch das alte Gefängnis!«
»Das Gefängnis?«
Holleys Stimme wurde leiser. »Ist dort in der Ruinenkneipe nicht Licht?«
»Es scheint so. Dumm, daß wir keine Waffen haben! Vielleicht ist es besser, wenn ich mich hinten im Auto verstecke und erst zum Vorschein komme, falls Not am Mann ist. Dies Überraschungsmoment wiegt eventuell das Manko der Waffe auf.«
»Nicht übel!« meinte Holley, und Bob verschwand hinten im Wagen, der gleich darauf vor der Silver-Star-Kneipe hielt. Ein hagerer Mann kam drohend auf das Auto zu. »Was wünschen Sie?« schnauzte er den Redakteur an, und Bob in seinem Versteck erkannte voll Schrecken Phil Maydorfs dünnes, hohes Organ.
»Welche Überraschung!« staunte Holley. »Ich dachte, die Grube sei völlig verödet.«
»Man beabsichtigt, die Mine neu zu erschließen. Ich bin beauftragt, Untersuchungen anzustellen.«
»Haben Sie etwas gefunden?«
»Das Silber ist, scheint's, restlos abgebaut. Aber in den Bergen links gibt es Kupfer. Sie sind übrigens recht weit vom Hauptweg abgekommen.«
»Weiß ich. Ich suche nach einer jungen Dame, die heute früh hierherfuhr. Vielleicht haben Sie sie gesehen?«
»Seit acht Tagen ist außer mir kein Mensch hier gewesen.«
»Wirklich? Wäre kein Irrtum möglich? Wenn Sie nichts dagegen haben, schaue ich mich ein bißchen um …«
»Und wenn ich etwas dagegen hätte?« zischte der andere. »Ich bin allein hier, das können Sie mir schon glauben. Sie werden mit Ihrem Auto wenden und –«
»Nein – stecken Sie gefälligst Ihren Revolver ein! Ich komme als Freund …«
»Gut. Als Freund werden Sie jetzt umkehren und schleunigst abgondeln. Verstanden?« Maydorf war dicht an den Wagen herangetreten. »Ich versichere Ihnen daß niemand hier ist …«
Verblüfft hielt er inne, denn hinten aus dem Auto schnellte plötzlich eine Gestalt hervor … Der Revolver entlud sich, doch das Geschoß fuhr in den Boden – Bob Eden hatte den Lauf der Waffe wuchtig nach unten geschlagen. Ein verzweifeltes Ringen. Phil Maydorf war nicht mehr jung, leistete aber erbitterten Widerstand. Doch als Holley aus dem Wagen gesprungen war, hatte Bob bereits die Oberhand gewonnen und hielt den Revolver seines Gegners in der Faust.
»Her mit den Schlüsseln!« befahl er. »Das Gefängnis hat, wie ich sehe, ein nagelneues Schloß, und wir möchten gern wissen, was drinnen ist!«
Taumelnd erhob sich Maydorf und sah hilflos um sich.
»Es wird Ihnen einleuchten«, fuhr Bob fort, »daß ich keine allzu freundlichen Gefühle für Sie hege. Da ist erstens die Geschichte mit den siebenundvierzig Dollar – und zweitens sind Sie mir vom Friskoer Hafen her noch in übler Erinnerung.«
»Im Gefängnis ist nichts! Ich habe keine Schlüssel!«
»Durchsuchen Sie ihn, Holley!«
Rasch wurde ein Schlüsselbund zutage gefördert. Bob nahm ihn an sich und gab den Revolver seinem Freund. »Ich überlasse den alten Phil Ihrer Obhut, Holley! Sollte er zu entkommen versuchen, so brennen Sie ihm eine blaue Bohne aufs Fell, wie einem Kaninchen!«
Er nahm die Taschenlampe und ging zum Gefängnis. Als er die Tür geöffnet hatte, stand er in dem einstigen Büroraum. Mondlicht schien auf einen staubigen Schreibtisch, einen wackligen Geldschrank, ein Regal mit abgegriffenen Büchern. Auf dem Schreibtisch lag eine Zeitung: Sie war erst acht Tage alt!
An zwei mächtigen Türen im Hintergrund waren blitzblanke Schlösser. Bob sperrte die linke auf. In einem kleinen, zellenähnlichen Raum mit vergitterten Fenstern fiel das Licht seiner Taschenlampe auf eine schlanke Mädchengestalt. Ohne sonderliche Überraschung erkannte er Evelyn Madden.
»Mr. Eden!« rief sie verstört und brach, allen Hochmut vergessend, in Tränen aus.
»Nun, nun«, beruhigte Bob, »jetzt ist ja alles gut!«
Eine zweite Frau erschien auf der Schwelle – Paula Wendell, lächelnd und guter Dinge. »Guten Abend!« sagte sie ruhig. »Ich dachte mir, daß Sie kommen würden!«
»Dank für die hohe Meinung, die Sie von mir zu haben scheinen! Es ist Ihnen doch nichts geschehen?«
»Nicht der Rede wert. Ich war hergefahren, um mich umzuschauen, und er« – sie deutete mit einer Kopfbewegung nach der Straße – »wollte es mir nicht erlauben. Es gab Streit, und auf einmal befand ich mich in festem Gewahrsam. Er sagte, ich müsse über Nacht dableiben. Er war höflich, aber sehr energisch.«
»Sein Glück, daß er höflich war! Kommen Sie, Miss Madden, hier sind wir fertig …«
Ein Hämmern von innen gegen die zweite Tür ließ Bob verstummen. Verwundert sah er Paula an. »Schließen Sie nur auf!« nickte sie ernst.
Er tat es. Drinnen im Halbdunkel sah er undeutlich die Umrisse eines hünenhaften Mannes. Sein Herzschlag stockte – haltsuchend krampfte sich seine Hand um die Schreibtischkante.
»Die Gespensterstadt!« ächzte er dumpf. »Dies ist wirklich eine Gespensterstadt!«