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3

Eine Stunde später fuhr Charlie Chan im Lift in die prächtige Halle des Hotels hinab. Wieder drückte ihn die Last schwerer Verantwortung, denn er wußte die wertvollen Perlen von neuem im Geldgürtel über seinem schwellenden Bauch verwahrt.

Draußen regnete es nicht mehr, und ein Weilchen verharrte er im Hoteleingang, starrte aufmerksam in eine Welt, die ihm so ungewohnt schien, als wäre er aus tiefem Schlaf auf dem Mars erwacht. Hastende Autos mit Theaterbesuchern glitten durch die Straße, und ab und zu gellte das schrille Warnungssignal der Trambahnglocken, ein Ton, wie man ihn so nur in San-Franzisko hört, dieser merkwürdigen Stadt, die ihre eigenen Geräusche und Gesten hat. Ein unerforschtes Land war für Charlie Chan dieses Amerika, und die Lebendigkeit des Bildes vor seinen Augen riß ihn mit. Leute aus der alten Zeit würden ihm freilich erklärt haben, daß das, was er vor sich sah, nur ein schwacher Abglanz des Nachtlebens von einst sei, aber der Mann aus Honolulu wußte nichts von Friskos Vergangenheit und hatte daher keinen Grund, wehmütig darum zu trauern.

Auf einem Hocker an einem Bartisch verzehrte er sein Abendbrot – und dies war Abenteuer genug für jemand, der Billy Bogans Louvre-Café, an dessen Stelle sich heute die Bank von Italien erhebt, nie gekannt, den keine seligen Erlebnisse mit dem ›Delmonico‹ in der O'Farrell Street oder dem ›Odeon‹, mit dem ›Jungen Hund‹ oder dem ›Schwarzen Kater‹ verknüpften, jenen prächtigen Gaststätten, die längst für immer verschwunden sind. Er tat sich an der Küche des weißen Mannes gütlich und trank drei Tassen dampfenden Tees.

Ein junger Mann, dem Aussehen nach wohl ein Verkäufer, ließ sich neben dem Chinesen einen bescheidenen Imbiß schmecken. Nach ein paar Höflichkeitsphrasen, die die Zuckerdose betrafen, wagte Chan, eine Unterhaltung einzuleiten.

»Verzeihen Sie, bitte, rasches Vorgehen eines Fremden«, begann er. »Mir bleiben drei Stunden Zeit, zu streifen durch die feuchten, aber interessanten Straßen Ihrer Stadt. Haben Sie die Liebenswürdigkeit, mir zu sagen, was ich müßte mir ansehen.«

»Ja, das weiß ich auch nicht recht«, erwiderte der andere nachdenklich. »Viel wird sich nicht unternehmen lassen. Frisko ist heute nicht mehr, was es vordem war. Die früheren Tanzdielen sind jetzt Garagen oder Warenhäuser mit Einheitspreisen. Aber halt … heut ist ja im Chinesenviertel Silvesterabend. Doch«, er lachte, »das brauche ich Ihnen wahrscheinlich nicht zu erzählen.«

Chan nickte. »Ja, ja, der 12. Februar! Silvester!«

Bald darauf stand er erwartungsvoll und mit glitzernden Äuglein auf der Straße. Er dachte an die verschlafenen Gassen von Honolulu, wo sich jedermann um sechs Uhr abends nach Hause verfügte. Wie anders hier! Der Chauffeur eines Rundfahrtwagens näherte sich ihm und orakelte ebenfalls vom Chinesenviertel. »Ich zeige Ihnen die alten Opiumhöhlen und die anderen Sehenswürdigkeiten«, schwadronierte er, entfernte sich aber schleunigst, nachdem er sich Chan näher betrachtet hatte.

Kurz nach acht Uhr verließ der Besucher von den Hawaii-Inseln den hellbeleuchteten Union Square, ging die dunkleren Teile der Post Street entlang und kam nun an die Grant Avenue. Ein Passant gab ihm Auskunft, daß er sich links halten müsse, und er schlenderte weiter. Bald geriet er an eine Reihe von Läden mit billigen Orientwaren für den üblichen Touristengeschmack. Seine Schritte beschleunigten sich. Er ging an der Kirche oben auf der Anhöhe vorbei und betrat die Chinesenstadt.

Karnevalshauch erfüllte die Luft. Die Fassade jedes ›Tong‹-Hauses mit ihren Hunderten von Glühlämpchen flimmerte in gelbem Glanz durch die nebelige Düsternis. In den engen Straßen drängte sich die Menge – schaulustige Weiße, schmucke chinesische Burschen in Studentenkleidung neben schlitzäugigen Mädchen im schönsten Feiertagsstaat; ältere Chinesen, in Filzschuhen einherschlurfend, jeder des Bewußtseins froh, daß seine Schulden bezahlt, seine Habseligkeiten gesäubert und geputzt seien und das neue Jahr verheißungsvoll beginnen könne.

An der Washington Street wandte Chan sich hügelwärts. Von weitem schimmerte ein mächtiger Bau mit vier strahlend erleuchteten Stockwerken. Goldbuchstaben über der Tür kündeten es als das Haus der Familie Chan. Einen Augenblick blieb der Ankömmling stehen, von Familienstolz erfüllt. Dann überquerte er den fast menschenleeren Waverly-Platz. Von einem blankäugigen Knaben seiner Rasse erstand er eine chinesische Zeitung. Dann ging er weiter, die matt beleuchteten Hausnummern über den dunklen Torwegen entziffernd.

Endlich hatte er die gesuchte Zahl gefunden und stieg eine finstere Stiege empor. Auf einem Treppenabsatz, wo rote, goldgedruckte Papierstreifen zur Abschreckung der bösen Geister angebracht waren, machte er halt und klopfte kräftig an die Tür. Sie wurde aufgetan, und aus dem Schein des Flurlichts hob sich die Gestalt eines hageren Chinesen mit spärlichem Graubart und einem losen, gestickten Wams aus schwarzer Seide.

Schweigende Betrachtung beiderseits. Dann ein Lächeln Charlies. »Guten Abend, ruhmreicher Chan Kee Lim!« grüßte er in reinem Kantonesisch. »Kennst du deinen unwürdigen Vetter von den Inseln nicht?«

Die schmalen Augen des Angeredeten blinkten auf. »Beim ersten Anblick nicht«, gestand er zu. »Denn du nahst dich in fremdem Kleide und hast mit den Knöcheln an meine Tür geklopft, wie rohe weißhäutige Teufel tun. Nun aber sei tausendmal willkommen! Geruhe, mein verächtliches Haus zu betreten!«

Noch immer lächelnd trat der Besucher ein. Das Zimmer schien alles andere als verächtlich. Wundervolle Seidenvorhänge zierten es; die reichgeschnitzten Möbel waren aus kostbarem Teakholz. Herrliche Blumen standen vor dem Ahnenschrein, und überall dufteten bleiche chinesische Lilien, als Symbole des heraufdämmernden neuen Jahres. Auf dem Kamin tickte geräuschvoll eine amerikanische Weckuhr neben einem zierlichen Buddha aus Ningpoholz.

»Bitte, nimm Platz in diesem elenden Stuhl!« lud Kee Lim ein. »Du kommst unerwartet wie Augustregen. Aber ich bin beglückt, dich zu schauen.« Er klatschte in die Hände, und ein Weib trat ein. »Meine Frau, Chan Son«, stellte er vor. »Bring unserem erlauchten Gast Reiskuchen und Rosentauwein!«

Er setzte sich Charlie gegenüber und sah ihn über den Tisch hinweg an, den frische Mandelblütenzweige schmückten. »Man wußte nichts von deinem Hiersein«, stellte er bedauernd fest.

Chan zuckte die Achseln. »Nein. Es war besser so. Ich bin in bestimmtem Auftrag hier. In Geschäften.«

Kee Lims Augen zogen sich zusammen. »Ja, ich habe von deinen Geschäften gehört.«

Der Kriminalbeamte schien unangenehm berührt. »Du billigst sie nicht?«

»Das wäre zuviel behauptet. Aber ich verstehe deine Entschlüsse nicht ganz. Die fremde Teufelspolizei – was hat ein Chinese damit zu schaffen?«

Charlie grinste. »Es gibt Zeiten, verehrter Vetter, in denen ich mich selber nicht recht begreife.«

Zwischen den roten Vorhängen im Hintergrund glitt ein junges Chinesenmädchen hervor. Dunkel schimmerten die Mandelaugen in dem niedlichen Puppengesicht. Heute abend trug sie mit Rücksicht auf den Festtag die seidenen Hosen und die gestickte Jacke ihres Volkes, aber ihr Haar war kurz geschnitten, und ihr ganzes Gebaren verriet deutlich eine Angleichung an die fremdrassigen Geschlechtsgenossinnen. Sie brachte ein Tablett voller Neujahrsleckereien.

»Meine Tochter Rose«, machte Kee Lim bekannt. »Du siehst hier unseren berühmten Vetter aus Hawaii.« Und zu Charlie gewandt: »Sie möchte auch Amerikanerin sein, anmaßend wie die Töchter dieser törichten Weißen.«

Das Mädchen lachte. »Warum nicht? Ich bin hier geboren. Habe eine amerikanische Schule besucht. Und jetzt arbeite ich auf amerikanische Art.«

»Sie arbeiten?« wiederholte Charlie interessiert.

»Die Gesetze der Mädchenschaft sind vergessen«, klagte ihr Vater bekümmert. »Tag für Tag sitzt sie im Telefonamt unseres Stadtteils und spricht ohne Scham mit einer Holzwand, in der rote und gelbe Augen flammen.«

»Ist das denn so schrecklich?« fragte Rose mit einem Neckblick zum Vetter hin.

»Eine sehr fesselnde Tätigkeit wahrscheinlich«, äußerte Charlie höflich.

»Unbedingt!« Leichtfüßig entschwand das Mädchen, kehrte aber bald mit einem gehämmerten alten Weinkrug wieder. Dann zog sie sich in den Hintergrund des Zimmers zurück und betrachtete von dort aus voll weiblicher Neugier den angesehenen Verwandten aus Übersee. Sie hatte schon früher in den Zeitungen von seinen Taten gelesen.

Eine Stunde oder länger unterhielt sich Chan mit seinem Vetter von fernen Kindheitstagen in China. Endlich blickte er nach dem Wecker auf dem Kamin. »Spricht dieser Zeitanzeiger die Wahrheit?«

Kee Lim hob die Schultern. »Es ist ein Machwerk der fremden Teufel und daher wohl ein großer Lügner.«

Chan zückte seine Taschenuhr. »Mit dem tiefsten Bedauern sehe ich, daß ich scheiden muß. Heute nacht noch treibt mich meine Aufgabe weit fort von hier – nach der Wüste des Südens. Ich habe, ehrenhafter und tüchtiger Vetter, die vorsichtige Maßnahme getroffen, meine Frau zu veranlassen, etwelche Briefe von Wichtigkeit für mich hierherzusenden. Sollte in meiner Abwesenheit eine Botschaft eintreffen, so habe die Gewogenheit, sie einstweilen aufzuheben. In wenigen Tagen hoffe ich zurück, u sein. In der Zwischenzeit können mich keine Nachrichten erreichen.«

Die Tochter des Hauses trat heran. »Selbst in der Wüste gibt es Telefone«, meinte sie altklug.

Charlie sah überrascht auf. »In der Wüste?« echote er.

»Sicherlich. Erst vor zwei Tagen hatte ich ein Ferngespräch mit einer Ranch bei Eldorado. Aber ich weiß den Namen nicht mehr.«

»War es etwa Maddens Ranch?« forschte der Beamte gespannt.

»Ja, so lautete der Name. Es war ein sehr ungewöhnlicher Anruf.«

»Und ging er von hier aus?«

»Natürlich. Von Wong Chings Porzellanladen in der Jackson Street. Er wollte seinen Verwandten Louie Wong sprechen, der auf Maddens Ranch Verwalter ist.«

Chan unterdrückte den Wunsch, mehr zu erfahren, aber sein Herz klopfte schneller. Jetzt fühlte er sich als Angehöriger der Polizei der fremden Teufel. »Vielleicht war zu hören, was er sagte?«

»Freilich. Louie Wong müsse sofort nach San Franzisko kommen. Viel Geld und eine gute Stellung warteten hier auf ihn …«

»Pfui!« rügte Kee Lim streng. »Wie unpassend von dir, die Geheimnisse deiner Tätigkeit bei den weißen Teufeln preiszugeben! Selbst wenn du einen aus unserer Familie vor dir hast.«

»Sehr richtig, immer allweiser Vetter!« gab Charlie zu. Er blickte auf Rose. »Wir beide, keusche Blüte, werden uns hier wieder begegnen. Selbst wenn die Wüste Telefone hat – dort bin ich außer Reichweite.«

Kee Lim begleitete seinen Gast bis zur Rohrmatte in der Tür, dann strich er sich blinzelnd den schütteren Bart. »Gehab dich wohl, Hochedler! Und gehe langsam auf der langen Reise, die du jetzt antrittst.«

»Alle meine guten Wünsche für ein glückliches neues Jahr! Auf Wiedersehen!« rief Charlie und eilte die Treppe hinab.

Auf der Straße jedoch gehorchte er dem Rat, den sein Vetter ihm zum Abschied gegeben, und verlangsamte den Schritt. Weich aufregende Neuigkeit hatte die kleine Telefonistin ihm da mitgeteilt! Louie Wong wurde nach San Franzisko gerufen, von seinem Verwandten Wong Ching, dem Porzellanhändler. Warum?

Ein alter Landsmann wies ihm den Weg nach der Jackson Street. Dort fand er Wong Chings erleuchtetes Schaufenster mit Tassen und Näpfen gefüllt, aber der Laden schien des Feiertags wegen geschlossen zu sein, denn die Vorhänge an der Tür waren zugezogen. Chan rüttelte an der Klinke, doch niemand ließ sich blicken.

Bedachtsam bezog er einen Beobachterposten in einem dunklen Torweg gegenüber. Früher oder später würde sein Klopfen beantwortet werden. Auf einem Balkon in der Nähe spielte ein chinesisches Orchester; die klagende Flöte, das schrille Klimpern der Xylophone, die klappernden Zimbeln und rasselnden Trommeln erfüllten die Nacht mit wohlvertrauten Dissonanzen. Dann verstummte die Musik, und Chan hörte in seinem Versteck nur das Klappen amerikanischer Stiefelabsätze oder leises Schlurfen von Filzpantoffeln.

Nach etwa zehn Minuten schob sich aus Wong Chings Ladentür ein Mann heraus. Vorsichtig spähte er die finstere Straße entlang. Ein hagerer Kerl in zugeknöpftem Mantel, den Hut tief in die Stirn gestülpt und eine dunkle Brille vor den Augen. Über Charlie Chans feistes Antlitz huschte ein listiger Zug des Triumphes.

Der Verdächtige ging eiligen Schrittes weg. In einiger Entfernung folgte ihm Chan. Man kam in die Grant Avenue. Der Dunkelbebrillte wandte sich nach rechts und schlüpfte schließlich in ein einfaches Rasthaus, Killarney-Hotel genannt, an einer Straßenecke.

Nach einem Blick auf die Uhr beschloß Charlie, den Mann im ›Überzieher vorläufig ungeschoren zu lassen, und schlenderte dem Union Square zu. Zweifel bohrten in ihm. »Dies kann selbst ein Narr erkennen«, grübelte er. »Wir tappen in eine Falle. Aber mit offenen Augen – mit weit offenen Augen!«

Im Hotelzimmer verstaute er die wenigen Habseligkeiten wieder in seiner einfachen Reisetasche. Sein Koffer war zwar bereits im Hotel eingetroffen, aber noch nicht heraufgebracht worden. Er gab Weisung, ihn bis zu seiner Rückkehr aufzubewahren, bezahlte seine Rechnung, hockte sich in einen Klubsessel im Vestibül und wartete geduldig.

Pünktlich um zehn Uhr dreißig erschien Bob Eden und winkte ihm. Ein großes Auto hielt dicht an der Bordschwelle.

»Rasch einsteigen!« drängte der junge Mann und nahm die Tasche an sich. Als der beleibte Chan sich in das unbeleuchtete Wageninnere zwängte, grüßte ihn Alexander Eden aus dem Dunkel. »Sage Michael, daß er langsam fahren soll – ich habe etwas zu besprechen!« rief er seinem Sohn zu. Gemächlich glitt der Wagen die Geary Street entlang.

»Mr. Chan«, begann der Juwelier flüsternd, »ich bin in Sorge.«

»Ist schon wieder was passiert?«

»Es scheint so. Sie hörten heute nachmittag, wie ich von dem Telefonanruf erzählte, der von einem hiesigen Automaten ausging. Inzwischen hab ich mich mit Al Draycott in Verbindung gesetzt, dem Leiter eines Detektivbüros, mit dem ich geschäftliche Beziehungen pflege. Ich bat ihn, Nachforschungen anzustellen und, wenn möglich, den Mann im Überzieher ausfindig zu machen, der Bob am Kai verfolgte. Vor einer Stunde wurde mir berichtet, daß der Bursche ohne große Schwierigkeiten gefunden sei …«

»Wahrscheinlich im Hotel Killarney an Ecke von Grant Avenue«, warf Chan beiläufig ein.

»Großer Gott, also Sie haben ihn auch aufgespürt! Das ist freilich verblüffend …«

»Verblüffendes Glück!« wehrte Chan bescheiden ab. »Bitte verzeihen Sie unhöfliche Unterbrechung! Es nicht mehr wird vorkommen.«

»Draycott hat festgestellt, daß es sich um Phil Maydorf handelt, einen der Brüder Maydorf, die als die berüchtigsten Spitztuben gelten, die jemals ›aus Gesundheitsrücksichten‹ New York verließen. Aber nun erzählen Sie, Mr. Chan! Wie in aller Welt kamen Sie auf seine Fährte?«

Der Kriminalbeamte aus Honolulu legte sein Vollmondgesicht in pfiffige Falten. »Ein Detektiv ist erfolgreich sehr häufig nur deshalb, weil ihm das Glück eine freundliche Miene zeigt. Heute abend ich habe mich in solchen Glückes herzerwärmendem Lächeln sonnen dürfen!« Und nun berichtete er von seinem Besuch beim Vetter Chan Kee Lim, von dem Telefonanruf aus Wongs Porzellanladen und von seiner Begegnung mit dem Mann im Mantel. »Da war es Kleinigkeit, ihm bis zu seinem Hotel auf den Fersen zu bleiben«, schloß er sanft und bescheiden.

»Ich muß gestehen, daß mir immer größere Bedenken aufsteigen«, brummte Eden. »Man hat den Verwalter von Maddens Ranch fortberufen. Warum? Am liebsten möcht' ich unser ganzes Vorhaben rückgängig machen.«

»Unsinn, Vater!« widersprach Bob. »Ich finde das alles furchtbar spannend.«

»Ich nicht. Mir ist die Aufmerksamkeit dieser Maydorfs keineswegs angenehm. Wo mag übrigens der andere stecken? Die beiden gehören nicht zu dem Verbrechertyp, der sich ausschließlich auf eine Pistole verläßt. Es sind zwei grundgescheite Halunken von jener Sorte, vor denen die Polizei allen Respekt hat. Ich habe Alice Jordan zu überreden versucht, den Plan umzustoßen, doch ihr Sohn ist versessen auf das Geld, und er treibt seine Mutter an. Jedenfalls aber sehe ich Sie beide nur höchst ungern diese Fahrt antreten.«

»Keine unnützen Sorgen, Papa! Ich bin überzeugt, es wird ein tüchtiger Spaß werden. Wie lange schon hab' ich mir gewünscht, mal in eine veritable Mordsache verwickelt zu werden. Als Zuschauer natürlich!«

»Was meinst du denn eigentlich?«

»Nun, Mr. Chan ist doch Detektiv, nicht wahr? Detektiv auf Urlaub. Wenn du je einen Kriminalroman gelesen hast, so wirst du wissen, daß ein Detektiv nie so energisch arbeitet wie auf Urlaub. Er ist wie ein Briefträger, der an seinem freien Tag einen langen Spaziergang macht. Also, wir haben unser Ziel: P. J. Madden, einen der berühmten Geldmagnaten unseres Kontinents. Du kannst dich auf mich verlassen: Das Urteil über den armen P. J. ist gesprochen. Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß Chan und ich beim Betreten des Hauses ihn auf dem ersten besten Teppich mausetot vorfinden.«

»Scherze sind hier wahrhaftig nicht angebracht!« verwies ihn der Vater. »Mr. Chan, Sie scheinen ein Mann von bedeutenden Fähigkeiten – haben Sie irgendeinen Rat in petto?«

»Schmeichelei klingt süß jedem Ohr«, bemerkte der Gefragte mild. »Ich mich fühle allerdings bewogen, einen Vorschlag zu machen, einen bescheidenen.«

»Dann machen Sie ihn um Himmels willen!«

»Bitte, schenken Sie der Zukunft einen Gedanken! Der junge Mr. Eden und ich gehen Hand in Hand wie Brüder nach der Ranch in die Wüste. Was wird der Beobachter sagen? Aha, sie bringen die Perlen! Wenn nicht, warum sie kommen zusammen?«

»Sehr richtig«, räumte Eden ein.

»Warum also Seite an Seite reisen? Es ist meine schüchterne Meinung, daß Mr. Bob allein müßte auf der Farm ankommen. Auf alle Fragen er sagt nein, er nicht die Perlen bei sich habe. So viele dunkle Wolken beschatten den Schauplatz; er sei von seinem ehrenwerten Vater geschickt, zu schauen, ob alles in Ordnung. Wenn er habe sich überzeugt, werde er telegrafieren, daß das Kollier gesandt werde sofort.«

»Ein guter Gedanke!« lobte der Juwelier. »Und unterdes …«

»Ungefähr um dieselbe Stunde stolpert ein müder älter Chinese, Arbeit suchend, nach der Ranch; einer, dessen Kleider sind sehr schäbig, ein Wanderer in dem Sandmeer, eine – wie man sagt – Wüstenratte. Wer käme auf Vermutung, daß auf Magen eines solchen die kostbaren Phillimoreschen Perlen schlafen?«

»Eine fabelhafte Idee!« rief Bob begeistert.

»Zuviel des Lobes!« lächelte Chan. »Sie und der alte Chinese also halten Umschau sorgfältig. Wenn alles stimmt, geht man zusammen zu diesem Mr. Madden und händigt ihm die Perlen ein. Selbst dann darf niemand sonst etwas davon erfahren.«

»Ausgezeichnet!« ereiferte sich der junge Mann. »Wir trennen uns, sobald wir in den Zug steigen. Wenn Sie irgendwo nicht Bescheid wissen, behalten Sie mich im Auge und folgen einfach. Morgen um ein Uhr fünfzehn werden wir in Barstow sein, und von da geht um drei Uhr zwanzig ein Zug nach Eldorado, der etwa um sechs dort eintrifft. Ein befreundeter Journalist hat mir einen Brief an einen gewissen Will Holley mitgegeben, den Herausgeber einer kleinen Zeitung in Eldorado. Den werd' ich mir zum Abendessen einladen, und dann gondle ich zu Madden hinaus. Sie müssen‹ sich natürlich auf andere Weise dorthin begeben. Vielleicht sucht man uns zu beobachten – deshalb wollen wir auf der Reise nicht miteinander reden. Wir tun, als ob wir uns gar nicht kennen. So meinen Sie es doch, nicht wahr?«

»Genauso«, bestätigte Chan.

Das Auto hielt vor dem Fährhaus. »Hier sind die Fahrkarten!« Alexander Eden händigte beiden die Billettaschen ein. »Die Schlafwagenplätze befinden sich im gleichen Wagen, aber in verschiedenen Abteilen. Einiges Geld für Ihre Auslagen, Mr. Chan, ist beigefügt. Seien Sie gehörig auf der Hut! Bob, mein Junge, du bist alles, was ich habe. Ich bin vielleicht oft streng zu dir gewesen, aber ich … ich … nimm dich um Gottes willen in acht!«

»Mach dir keine Sorgen, Papa! Wenn du es auch nicht glauben willst, bin ich doch schließlich ein erwachsener Mensch! Und ich habe den besten Begleiter, den man sich wünschen kann.«

»Glück auf den Weg, Mr. Chan, und vorläufig besten Dank!«

»Nicht wert der Rede. Ich will mich mühen, zu arbeiten zu Ihrer Zufriedenheit. Leben Sie wohl!«

Ein paar Minuten später rauschte die Fähre auf das dunkle Wasser des Hafens hinaus. Unter dem funkelnden Sternenhimmel wehte ein kühler Wind. Charlie Chan, stand allein an der Reling. Sein Sehnsuchtstraum war Wirklichkeit geworden: Jetzt kannte er das große Festland Amerika! Der leuchtende Ball oben auf dem Fährhaus wich zurück; die gelben Lichter der Stadt wanderten bergauf, bergab. Charlie gedachte der kleinen Insel, die seine Heimat war, gedachte des Hügelhäuschens, wo Weib und Kinder geduldig auf seine Rückkehr warteten.

Hier im Finstern fand Bob Eden sich zu ihm und deutete mit der Hand auf den hellen Schein über der Grant Avenue. »Eine große Nacht im Chinesenviertel!«

»Eine sehr große Nacht. Denn morgen ist der erste Tag des chinesischen Jahres Viertausendachthundertsechsundneunzig.«

»Himmel, wie die Zeit verfliegt!« scherzte Bob. »Also ein glückliches neues Jahr!«

»Welches Ihnen ich wünsche gleichfalls!« dankte freundlich der Chinese.

Die Fähre stampfte. Von der Gefängnisinsel Alcatraz streifte ein unbarmherziger Scheinwerfer in regelmäßigen Abständen die tintenfarbene Flut. Der Wind wurde schneidend scharf.

»Ich zieh' mich zurück!« raunte Bob fröstelnd. »Vermutlich dürfte dies unser Abschied sein!«

»Es ist besser so«, stimmte Charlie bei. »Wenn Sie anlangen auf Maddens Farm, sehen Sie sich um nach der gelben Wüstenratte!«

Allein geblieben, starrte er noch lange auf die flimmernden Lichter der Stadt, die jetzt kalt und fern wie die Sterne wirkten.

»Eine Wüstenratte«, wiederholte er leise, »die nicht die geringste Lust hat, in die Falle zu gehen!«


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