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2

Am Donnerstagabend um sechs erreichte Alexander Eden das Steward-Hotel. Ein Februarregen hatte frühe Dämmerung gebracht. Verträumt starrte der Juwelier von der Vestibültür aus auf die Parade der hüpfenden Schirme und auf die Lichter der Geary Street zurück, die im Sprührieseln trübgelb blaßten. Dann gab er sich einen Ruck und fuhr im Fahrstuhl zu Alice Jordans Gemächern hinauf.

Sie erwartete ihn am Eingang ihres Empfangssalons, anmutig wie ein junges Mädchen, in weich anliegendem grauem Abendkleid. »Nun, Alec, kommen Sie flugs herein! Sie kennen doch Viktor noch?«

Eden hatte Alices Sohn seit Jahren nicht gesehen und stellte fest, daß dem jetzt Fünfunddreißigjährigen die Spuren seines Lebens deutlich anzumerken waren. Die braunen unsteten Augen blinzelten müde, als hätten sie zu lange in grelles Licht geblickt; das Gesicht schien aufgeschwemmt, die Figur allzu üppig. Aber sein Anzug war vollendet.

»Treten Sie nur näher!« lächelte Viktor heiter, denn er sah große Summen winken. »Soviel ich weiß, ist heute der denkwürdige Tag.«

»Gott sei Dank!« fügte seine Mutter hinzu. »Ich bin froh, wenn ich nicht mehr an die Kette zu denken brauche, 's ist eine zu schwere Verantwortung für mein Alter.«

Eden setzte sich. »Bob ist zum Hafen hinunter, um das Schiff zu erwarten. Ich hab' ihn beauftragt, mit Ihrem chinesischen Freund sofort hierherzukommen.«

»Darf ich Ihnen einen Cocktail anbieten?« fragte Viktor Jordan dienstbeflissen.

»Nein, danke!« Eden sprang wieder auf und ging im Zimmer hin und her.

Alice schaute ihn verwundert an. »Ist irgend etwas geschehen?«

Der Juwelier kehrte zu seinem Platz zurück. »Allerdings – es ist etwas geschehen. Etwas sehr Merkwürdiges!«

»In bezug auf die Perlen?« forschte Viktor interessiert.

»Jawohl. Erinnern Sie sich an Maddens Abschiedsworte, Alice? ›Es bleibt bei New York; nirgendwo sonst‹, betonte er.«

»Natürlich weiß ich es noch.«

»Nun – er hat sich aber doch anders besonnen. Eigentlich sieht das Madden gar nicht ähnlich. Er rief mich heute früh von seiner Ranch in der Wüste aus an und teilte mir mit, daß die Perlen ihm dort ausgehändigt werden sollen.«

»In der Wüste?« wiederholte Alice erstaunt.

»Ja. Ich war aufs höchste überrascht. Aber seine Anweisungen klangen äußerst nachdrücklich, und Sie wissen ja, man kann nicht mit ihm verhandeln. Ich beschränkte mich also aufs Zuhören und erklärte meine Einwilligung. Nachher wurde ich stutzig. Es kamen mir Zweifel, ob wirklich Madden mit mir gesprochen habe. Die Stimme schien echt – aber dennoch … Jedenfalls hielt ich Vorsicht für geboten und rief ihn meinerseits an. Es war verteufelt schwierig, seine Nummer ausfindig zu machen, aber ich bekam sie schließlich von einem seiner Geschäftsfreunde hier in der Stadt. Eldorado 76. Ich fragte nach P. J. Madden und erreichte ihn. Er war es also doch gewesen.«

»Und was sagte er?«

»Er lobte mich meiner Umsicht wegen, aber seine Anordnungen waren noch energischer als vorher. Er habe allerlei Dinge gehört, die es ihm riskant erscheinen ließen, jetzt die Perlen nach New York mitzunehmen. Was er damit meinte, blieb unklar. Aber er fügte hinzu, er sei zu der Überzeugung gelangt, daß eine Wüste die ideale Kulisse für eine Geschäftshandlung dieser Art sei. Niemand werde vermuten, daß man gerade dort eine Perlenkette stehlen könne, die ihre Viertelmillion Dollar wert sei. Natürlich sprach er das nicht offen aus, aber ich konnte es aus seinen Worten entnehmen.«

»Da hat er schließlich recht«, meinte Viktor.

»Gewissermaßen ja. Ich habe selber geraume Zeit in der Wüste zugebracht. Dort fällt es keinem Menschen ein, eine Tür zuzuschließen – niemand denkt an Diebe. Nur alle paar hundert Kilometer gibt es einen Polizeikommissar. Aber trotzdem …« Eden wanderte wieder nervös auf und ab. »Trotzdem – oder vielmehr gerade deshalb – sagt mir der Vorschlag durchaus nicht zu. Angenommen, es will jemand eine Schurkerei verüben, dann ist die Gegend dort das gegebene Operationsfeld. Weit und breit ein Sandozean, höchstens ein paar spärliche Josuabäume rundum. Nehmen Sie an, ich schickte Bob mit Ihren Perlen dorthin, und er ginge in eine Falle. Madden hält sich vielleicht gar nicht auf der abgelegenen Ranch auf. Er kann nach dem Osten gereist sein. Vielleicht hat ihn auch schon eine Kugel durchbohrt …«

Viktor lächelte spöttisch. »Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch!«

»Möglich! Es scheint, als würde ich alt, nicht wahr, Alice?« Der Juwelier zog seine Uhr. »Aber wo bleibt Bob? Wenn Sie gestatten, telefoniere ich.«

Mit noch bedrückterer Miene kam er vom Fernsprecher zurück. »Die ›President Pierce‹ ist vor fünfundvierzig Minuten eingelaufen. In einer halben Stunde hätten sie bequem hier sein können.«

»Der Verkehr ist um diese Zeit sehr dicht«, erinnerte Viktor.

»Na ja, das mag stimmen. – Aber, Alice, ich hab« Ihnen nun die verzwickte Sachlage auseinandergesetzt. Was halten Sie davon?«

»Was soll sie davon halten!« warf Viktor ein. »Madden hat die Perlen gekauft und wünscht, daß sie nach der Wüste gebracht werden. Es ist nicht unseres Amtes, seine Anordnungen zu bemängeln. Wenn wir das tun, stoßen wir ihn bloß vor den Kopf, und er macht vielleicht den ganzen Handel rückgängig. Nein, unsere Aufgabe kann nur sein, ihm die Perlen zu übereignen, seine Empfangsbestätigung entgegenzunehmen und auf seinen Scheck zu warten.« Die fetten, weißen Hände zuckten gierig.

»Ist das auch Ihre Ansicht, Alice?«

»Nun ja, Alec. Ich finde, Viktor hat so unrecht nicht.« Voller Mutterstolz blickte sie auf ihren Sohn.

»Gut«, nickte Eden. »Dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Madden hat es eilig, da er möglichst bald nach New York abreisen möchte. Ich werde Bob heute abend um elf auf den Weg senden – aber ich weigere mich unter allen Umständen, ihn allein reisen zu lassen.«

»Ich werde ihn begleiten!« bot Viktor an.

»Nein. Ich ziehe einen Polizeibeamten vor, selbst wenn es einer aus Honolulu ist. Glauben Sie, Alice, daß Sie diesen Charlie Chan überreden könnten, Bob zu begleiten?«

»Sicherlich. Charlie ist mir unbedingt ergeben.«

»Also abgemacht! Aber wo zum Teufel stecken die beiden nur? Ich bin ernstlich beunruhigt …«

Das Telefon schrillte. Alice eilte zum Apparat. »Ach, Sie sind es, Charlie? Schon hier im Hotel? Kommen Sie nur herauf! Wir sind im vierten Stock, Nummer 492. Jawohl. Sind Sie allein?« Sie legte den Hörer auf und drehte sich um. »Er sagt, er sei allein.«

»Das verstehe ich nicht …« Erschöpft sank Eden auf seinen Stuhl.

Einen Augenblick später musterte er interessiert den korpulenten, kleinen Herrn, den Mrs. Jordan und ihr Sohn aufs herzlichste begrüßten. Der Kriminalbeamte aus Honolulu machte in seinen amerikanischen Kleidern keine sonderlich elegante Figur. Er hatte runde, dicke Backen und eine Haut wie Elfenbein; aber das, was des Juweliers Aufmerksamkeit erregte, war der Ausdruck seiner Augen, war ein Blick von so kühner Schärfe, daß die Pupillen wie schwarze Signale in gelbem Licht aufblinkten.

»Alec«, stellte Alice Jordan vor, »dies ist mein alter Freund Charlie Chan – und dies ist Mr. Eden.«

Der Chinese verbeugte sich feierlich. »Die Ehrungen für mich häufen sich auf dies Festland. Erst ich bin Miss Alices alter Freund, und nun ich treffe den hochgeschätzten Mr. Eden!«

»Gute Überfahrt gehabt, Charlie?« erkundigte sich Viktor.

Eden mischte sich ein. »Verzeihung, wenn ich unterbreche, aber mein Sohn – er wollte Sie vom Schiff abholen …«

»Tut mir leid!« Der Mann aus Honolulu blickte bekümmert drein. »Sicherlich nur meine Schuld. Haben Sie die Güte, zu verzeihen meine Dummheit – aber ich sah keinen Abholer am Hafen.«

»Unbegreiflich!« murmelte der Juwelier unsicher.

»Ein paar Minuten ich warten am Landungssteg«, fuhr Charlie fort. »Niemand wagt sich aus Regenabend heran. Deshalb ich ein Auto rief und fahre dann schnell hierher.«

»Hast du die Perlen mitgebracht?« drängte Viktor eifrig.

»Wie sich versteht. Schon ich habe genommen ein Zimmer hier im Hotel und mich müssen halb entkleiden, um sie herauszuholen aus meinen Kleidern.« Er legte eine harmlos aussehende Perlenschnur auf den Tisch. »Betrachten Sie den Phillimore-Schmuck am Ende seiner Reise!« grinste er fröhlich. »Und jetzt fällt mir von den Schultern eine große Last – mit herrlichem Plumps!«

Der Juwelier trat mit prüfendem Kennerauge heran. »Fabelhaft – wundervoll! Wir hätten Madden die Kette nie und nimmer für diesen Preis lassen sollen. Eine Perle so vollendet wie die andere! Ich glaube, ich habe nie –« Er starrte begeistert auf den rosigen Schimmer, dann fuhr er sich plötzlich mit der Hand über die Stirn: »Aber Bob – wo ist Bob?«

»Ach, der wird schon kommen!« tröstete Viktor, während er das kostbare Kollier liebkosend durch die Finger gleiten ließ. »Sie werden sich halt verfehlt haben.«

»An mir liegt die Schuld!« beteuerte Chan reuevoll. »Ich mich schäme, daß ich machte solchen Fehler …«

»Mag sein!« meinte Eden. »Aber jetzt, da Sie die Perlen in Händen haben, Alice, muß ich Ihnen etwas anvertrauen. Ich wollte Sie vorher nicht unnötig beunruhigen. Heute nachmittag um vier rief mich abermals jemand an – angeblich wieder Madden. So behauptete er wenigstens. Aber irgend etwas in seiner Stimme … nun, jedenfalls war ich auf der Hut. Die Perlen kämen doch mit der ›President Pierce‹, fragte er. Und der Name des Boten? – Warum ich ihm den nennen sollte, forschte ich. Er habe eben einige vertrauliche Mitteilungen bekommen, die ihn befürchten ließen, daß die Perlen in Gefahr seien, und er möchte nicht gern, daß etwas passiere. Er sei in der Lage, helfend einzugreifen. – Dabei blieb er, so daß ich schließlich sagte: ›Gut, Mr. Madden! Legen Sie den Hörer auf! Ich werde Sie in zehn Minuten wieder anrufen und Ihnen die gewünschte Information geben.‹ – Es entstand eine Pause, dann legte er auf. Aber ich telefonierte nicht nach der Wüstenranch. Statt dessen stellte ich fest, daß der Anruf von einem Automaten in einem Zigarrenladen an der Ecke der Sutter und Kearny Street aus gemacht worden war.«

Eden hielt inne. Er sah, daß Charlie Chan ihn mit großem Interesse betrachtete.

»Wundern Sie sich nun noch, daß ich um Bob in Sorge bin? Irgend etwas Sonderbares ist im Gange, und ich muß gestehen, ich fühle mich nicht recht wohl in meiner Haut …«

Klopfen an der Tür. Der Juwelier öffnete selber. Liebenswürdig lächelnd schwebte sein Sohn herein. Bei dessen Anblick machte die Besorgtheit des Vaters heftigem Ärger Platz. »Wahrhaftig, du bist ein Muster von einem Geschäftsmann!« zeterte er.

»Bitte, Vater, keine Schmeicheleien!« wehrte Bob ab. »Deinetwegen bin ich zu Fuß durch halb Frisko gelaufen.«

»Hättest lieber Mr. Chan vom Schiff abholen sollen, du pflichtvergessener Herumtreiber!«

»Beruhige dich, teurer Papa!« Bob Eden zog gemächlich den naßglänzenden Regenmantel aus. »Guten Tag, Viktor! Guten Abend, gnädige Frau! Und hier haben wir wohl den Herrn aus Honolulu?«

»Sehr bedauere, daß wir nicht trafen uns am Dock!« stotterte Charlie Chan betrübt. »Alles meine Schuld – ich weiß bestimmt …«

»Unsinn!« knurrte der Juwelier. »Bob ist das Karnickel, wie gewöhnlich. Wann, in Dreiteufelsnamen, wirst du endlich eine Spur von Verantwortungsgefühl zeigen?«

»Jetzt, Papa! Nur Verantwortungsgefühl nämlich hat mich geleitet.«

»Großer Gott, was für Redensarten! Du hast doch Mr. Chan nicht abgeholt, nicht wahr?«

»Nun ja, gewissermaßen nicht …«

»Gewissermaßen?«

»Allerdings. Es ist eine umständliche Geschichte, und ich werde sie erzählen, wenn du aufhörst, mich mit diesen ungerechtfertigten Angriffen auf meinen Charakter zu frotzeln. Sie gestatten wohl, meine Herrschaften, daß ich mich setze? Ich bin rechtschaffen müde.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Als ich etwa um fünf den Klub verließ, um mich zum Dampfer zu begeben, war kein Gefährt in Sicht außer einem ausgedienten alten Auto, das mal bessere Tage gesehen haben mochte. Ich sprang hinein. Als ich am Kai ausstieg, fiel mir auf, daß der Chauffeur ein höchst durchtrieben aussehender Bursche war mit einer Narbe auf der Backe und einem verstümmelten Ohr. Er erklärte, er wolle auf mich warten. Na schön. Ich begab mich also in die Halle. Draußen im Hafen versuchte die ›President Pierce‹ zu docken. Plötzlich bemerkte ich neben mir ein dunkelbebrilltes Individuum, einen hageren Menschen in einem Überzieher mit hochgeschlagenem Kragen. Der Kerl gefiel mir nicht. Ich kann nicht sagen, warum, aber ich hatte das Gefühl, daß er mich hinter seinen dunklen Gläsern unablässig beobachtete. Ich begab mich auf die andere Seite der Halle. Er ebenfalls. Ich ging auf die Straße hinaus. Er folgte mir. Nun schlenderte ich wieder zurück zur Landungsbrücke, und abermals heftete er sich an meine Fersen.« Bob sah sich triumphierend um. »Da faßte ich einen mannhaften Entschluß. Geistesgegenwart war immer meine Stärke. Ich hatte die Perlen nicht, aber Mr. Chan hatte sie. Warum sollte ich die Leute auf den Boten aus Honolulu erst aufmerksam machen? So blieb ich also stehen und starrte hoffnungsvoll auf die Menschenmenge, die vom Schiff an Land wimmelte. Deutlich sah ich den exotischen Passagier, den ich für Mr. Chan hielt, den Landungssteg entlanggehen, aber ich rührte mich nicht. Er schien kurz Umschau zu halten und trat dann auf die Straße. Noch immer trieb sich der geheimnisvolle Brillenmensch in meiner Nähe herum. Als alle Passagiere am Ufer waren, ging ich zu dem Auto zurück und entlohnte den Chauffeur. ›Hatten Sie jemand mit dem Schiff erwartet?‹ fragte er neugierig. – ›Jawohl‹, erwiderte ich. ›Ich wollte die Kaiserinmutter von China abholen, aber ich höre, daß sie gestorben ist.‹ – Er warf mir einen tückischen Blick zu. Als ich davoneilte, trat mein hagerer Verfolger an den Wagen heran. ›Auto, Herr?‹ rief der Lenker. Und der Bebrillte schwang sich hinein. Ich mußte ein tüchtiges Stück Wegs zu Fuß durch den Regen trotten, bis ich ein anderes Taxi fand, und eben, als ich eingestiegen war, surrte der Ohrenkrüppel mit seinem pensionierten Luxusfahrzeug daher. Er sauste unentwegt hinter mir drein, eine Straße hinauf, die andere hinunter. Schließlich ließ ich beim Klub halten, eilte hinein, entwich durch die Küchentür und schlüpfte hierher. Ich nehme an, daß die beiden edlen Kumpane noch immer vorm Klub lauern – sie waren mir brüderlich zugetan!« Er hielt inne. »Und das, Papa, ist die lange, aber amüsante Geschichte, warum ich Mr. Chan nicht getroffen habe.«

Eden senior lächelte versöhnt. »Weiß Gott, du hast mehr Grütze im Kopf, als ich annahm! Freilich macht mich die Schilderung deiner Erlebnisse nur noch unruhiger. Ihre Perlenschnur, Alice, ist kein marktbekanntes Schmuckstück. Jahrelang war sie in Honolulu für die Allgemeinheit verschollen. Es wird verteufelt leicht sein, die Perlen unter der Hand loszuschlagen, falls sie erst einmal gestohlen sind. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so schicken Sie das Kollier nicht nach der Wüste …«

»Warum denn nicht?« fiel Viktor ungeduldig ein. »Gerade die entlegene Stätte ist doch besonders geeignet!«

Alice Jordan legte ihre Hand auf Edens Arm. »Alec, wir brauchen doch nun mal das Geld! Wenn Mr. Madden sich in Eldorado aufhält und die Perlen dort in Empfang zu nehmen wünscht, so wollen wir ihm den Willen tun. Natürlich muß er uns eine Empfangsbescheinigung ausstellen. Das Weitere mag seine Sorge sein. Da der Schmuck nun einmal verkauft ist, möcht' ich ihn sobald wie möglich loswerden!«

Der Juwelier seufzte. »Die Entscheidung liegt letzten Endes natürlich bei Ihnen. Bob wird sich also um elf Uhr, wie geplant, auf die Reise machen – vorausgesetzt, daß wir einen zuverlässigen Begleiter für ihn finden.« Er blickte zu Charlie Chan hinüber, der das bunte Treiben in der Geary Street bestaunte.

»Charlie«, rief Alice Jordan, »was sagtest du doch von dem angenehmen Gefühl, weil dir die Last von den Schultern genommen sei?«

»Jetzt beginnt Urlaub!« freute sich der Chinese. »Mein Leben lang ich mich habe gesehnt, die Wunder Amerikas zu schauen. Dieses nun ich mir kann gönnen. Sorglos und glücklich – nicht wie auf Überfahrt, wo mir die Perlen schwer auf dem Magen lagen, höchst unverdaulich, wie saurer Reis.«

»Es tut mir leid, lieber Charlie. Aber ich muß dich bitten, noch eine Schüssel sauren Reis zu schlucken. Um meinetwillen – um der alten Zeiten willen.«

»Ich nicht ganz verstehe …«

Alice weihte ihn in seine neue Rolle ein. Aufmerksam hörte er zu, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich gehe«, versprach er schlicht. »In meiner Jugend ich war Boy bei Herrschaft Phillimore. In meinem Herzen, wie in altem Garten, blüht noch heute Erinnerung an Güte, die man kann niemals vergelten.«

Sehr blumig, dachte Alexander Eden. Er versuchte einen nüchternen Ton anzuschlagen. »Ihre Auslagen werden Ihnen selbstverständlich erstattet. Und den Beginn Ihrer wohlverdienten Ferien müssen Sie eben um ein paar Tage aufschieben. Bergen Sie also die Perlen wieder in Ihrem famosen Gürtel! Gott sei Dank weiß ja niemand, daß Sie mit der Angelegenheit zu tun haben.«

»So sei es!« bekräftigte Chan und nahm die Perlenschnur vom Tisch. »Miss Alice, werfen Sie alle Sorgen aus Ihrem Gemüt! Wenn dieser so sehr kluge junge Herr mich berät, wird es gelingen, zu treffen die richtige Person, der wir abliefern die Perlen. Bis dahin ich sie verwahre gut.«

»Davon bin ich überzeugt!« lächelte Alice dankbar.

»Na schön!« brummte Eden. »Mr. Chan, Sie und mein Sohn werden also um elf nach Richmond fahren – mit der Fähre, die Anschluß an den Zug nach Barstow hat. Dort müssen Sie nach Eldorado umsteigen, so daß Sie morgen abend auf Maddens Ranch eintreffen. Falls er dort ist und falls Ihnen bei genauer Prüfung alles in Ordnung scheint …«

»Weshalb denn solche Umständlichkeiten?« ereiferte sich Viktor. »Wenn er nur dort ist – das genügt!«

»Wir wollen natürlich keine unnötigen Schwierigkeiten machen«, fuhr der Juwelier unbeirrt fort, »aber Sie beide werden wissen, was an Ort und Stelle zu tun ist. Wenn Sie Madden auf der Ranch vorfinden, so geben Sie ihm die Perlenschnur und nehmen seine Quittung in Empfang. Damit ist die Angelegenheit für uns erledigt. – Mr. Chan, wir werden Sie um halb elf hier abholen. Bis dahin können Sie tun, was Ihr Herz begehrt.«

»Augenblicklich begehrt mein Herz eine Wanne voll heißen Wassers, welches dampft!« erklärte der vergnügte Chinese. »Jedenfalls um halb elf ich werde warten drunten in der Hotelhalle, die unverdaulichen Perlen auf dem Magen wie zuvor. Guten Abend! Leben allesamt Sie wohl!« Er verbeugte sich höflich vor jedem einzelnen und wackelte von dannen.

»Ich stehe seit fünfunddreißig Jahren im Geschäftsleben«, murmelte Eden, »aber solch kurioser Bote ist mir noch nie zu Gesicht gekommen.«

»Der gute alte Charlie!« sagte Alice gerührt. »Er wird die Perlen wie ein Löwe verteidigen – selbst wenn er sein Leben dabei aufs Spiel setzen muß.«

Bob Eden lachte. »Soweit wird es hoffentlich nicht kommen. Ich hab' ja auch ein Leben und möcht' es noch eine Weile behalten.«

»Wollen Sie nicht beide zum Essen bleiben, lieber Alec?«

»Ein andermal gern, Alice. Für heute dürfte es nicht ratsam sein, daß wir alle zusammenkleben. Bob und ich gehen nach Hause – er muß seine Reisetasche packen, und ich gedenke, ihn bis zur Abfahrt nicht aus den Augen zu lassen.«

»Noch ein Wort«, mahnte Viktor beflissen. »Seien Sie um Gottes willen nicht gar so bedenklich da unten auf der Ranch! Wenn etwa Madden in Gefahr ist, so geht uns das nichts an. Legen Sie einfach die Perlen in seine Hand und lassen Sie sich den Empfang bestätigen! Damit Punktum!«

Alexander Eden schüttelte besorgt den Kopf. »Mir will die Geschichte nicht gefallen. Ich werde meine Bedenken nicht los.«

»Lassen Sie doch das Grillenfangen!« beschwichtigte ihn Alice. »Ich habe größtes Vertrauen zu Charlie – und zu Bob!«

»Solches Vertrauen muß belohnt werden!« bekräftigte der junge Eden. »Ich gelobe, mein Bestes zu tun. Ich hoffe nur, daß der hartnäckige Brillenbursche meine Spur verloren hat und uns nicht etwa bis in die Wüste nachspürt. Denn ich bin mir nicht sicher, ob ich seinen Schlichen ein zweites Mal gewachsen wäre.«


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