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17

Bob und Charlie fuhren schweigend die Avenue entlang und kamen dann in die lebhafteren Geschäftsviertel von Pasadena.

»Und der Erfolg?« fragte der junge Mann. »Mir scheint, wir haben nicht viel erfahren.«

Chan zuckte die Achseln. »Kleinigkeiten hauptsächlich. Aber Kleinigkeiten können wachsen und tragen oft schönste Frucht.«

Vom Bahnhof aus verkehrten stündlich Autobusse nach Hollywood, und die beiden kamen gerade rechtzeitig, um den Zwölf-Uhr-Bus zu erreichen.

»Passen Sie auf, Charlie!« meinte Bob, als sie wieder ausgestiegen waren. »Hier im Geschäftsviertel von Hollywood ist das Paradies der Autohändler.« Er schaute sich neugierig um. »Die malerischste Fabrikstadt der Welt! Ohne rauchende Schornsteine.«

Paula Wendell erwartete sie im Empfangszimmer der Filmgesellschaft, für die sie tätig war. »Kommen Sie mit! Erst wollen wir frühstücken, dann zeig' ich Ihnen das Gelände!«

Mit erstaunten Augen musterte Charlie Chan eine lange Straße, die von Kulissenfronten gesäumt war. »Meine älteste Tochter würde hingeben die Gunst der Götter, wenn sie spazieren könnte hier mit mir. Ich viel werde zu erzählen haben daheim.«

Aus dem blendenden Sonnenschein gelangten sie in das Innere eines warenhausähnlichen Riesengebäudes und in den Aufnahmeraum, der ein elegantes Restaurant darstellte. Auf den Tischen verbreiteten rotbeschirmte Lampen ihr gedämpftes Licht, und ein vornehmer Oberkellner bewachte hochnäsig den Eingang. Auf ein. Signal hin strömten die Statisten herbei und nahmen ihre Plätze ein.

Chan beobachtete dies alles begeistert. Aber Bob, dem Geduld gänzlich abging, wurde unruhig. »Ganz gut und schön!« murrte er. »Aber nun zur Sache, bitte! Wie steht es mit Eddie Boston?«

»Seine Adresse hab' ich«, entgegnete Paula. »Aber ich bezweifle, daß Sie ihn um diese Zeit erreichen werden.«

Unweit von ihnen tauchte jetzt jener Greis auf, in dem Bob den Patriarchen von Maddens Farm wiedererkannte. »Hallo, Pop!« rief das junge Mädchen ihn an. »Wissen Sie vielleicht, wo Eddie Boston steckt?«

»Ah, Mr. Eden, wie geht es Ihnen?« krächzte der Alte. »Sie wollen Eddie Boston besuchen? Das trifft sich nun freilich schlecht, denn Eddie ist unterwegs nach San Franzisko. Wenigstens wollte er dorthin, als ich ihn gestern abend sprach.«

»Was will er denn da?«

»Er scheint über Nacht zu Geld gekommen zu sein!«

»Wirklich?« Bobs Brauen zogen sich zusammen.

»Ich begegnete ihm auf der Straße, als wir aus der Wüste zurückkamen. Er war mit dem Zug hergefahren, und ich fragte ihn nach dem Grund. ›Hatte Eiliges zu erledigen‹, antwortete er. ›Will morgen nach Frisko. Die Aufnahmen sind ja jetzt fertig, da möcht' ich was für meine Gesundheit tun!‹ Er sei seit Jahren nicht mehr an der Westküste gewesen, meinte er, und habe mächtige Sehnsucht nach den altvertrauten Stätten dort.«

»Aha! Haben Sie vielen Dank!« Bob ging mit Paula zur Tür. »Wieder eine Enttäuschung, Charlie! Werden wir je ans Ziel kommen? Einstweilen jedenfalls ist uns unser Vogel entwischt.«

»Madden ihm natürlich hat Reisegeld gegeben, damit er sich davonmache. Hat Boston nicht gesagt, daß er wisse alles von Delaney?«

»Damit wollte er vermutlich andeuten, daß er von Delaneys Ende weiß. Woher aber? War er etwa am Mittwochabend draußen? Sie traten auf die Straße. »Wir müssen weiter. Wann fahren Sie zurück, Miss Wendell?«

»Heute nachmittag. Ich habe ein neues Manuskript bekommen – diesmal ist eine Gespensterstadt erforderlich.«

»Eine Gespensterstadt?«

»Ja, eine verlassene Bergwerkssiedlung. Da muß ich nach der Petticoat-Grube. Sie liegt etwa fünfundzwanzig Kilometer von Eldorado entfernt im Gebirge. Hatte vor zehn Jahren noch an die dreitausend Einwohner, aber heute ist keine Menschenseele mehr da. Nur Ruinen, wie in Pompeji. Wollen Sie sich's nicht mal ansehen? Es ist höchst romantisch.«

»Abgemacht! Also auf Wiedersehen in Ihrer geliebten Wüste!«

Die beiden Männer mieteten sich ein Auto nach Los Angeles, und Bob wandte sich an seinen Gefährten. »Verlieren Sie nie den Mut, Charlie?«

»Nicht, solange bleibt etwas zu tun. Da ist diese Miss Fitzgerald. Wenn auch Singvogel, wird sie doch nicht weggeflogen sein!« –

»Sprechen Sie lieber mit ihr …«

»Nein, diesmal ich nicht will mitgehen. Ich nur könnte hinderlich sein. Diese Dame Sie müssen allein aufsuchen. Geben Sie sich Mühe, zu erfahren, was sie weiß von Delaney.«

So ließ Bob am Bühnenausgang des Mason-Theaters einen Dollar in die Hand eines Pförtners gleiten, wofür er die Adressenliste einsehen durfte. Norma Fitzgerald wohnte im Wynnwood-Hotel.

»Sie scheinen zu haben Erfahrung in solchen Nachforschungen«, lächelte Chan.

Bob lachte. »Ich habe ein paar Chormädels gekannt.«

Der Chinese setzte sich auf eine Bank am Pershing Square, und sein Begleiter eilte ins Wynnwood-Hotel. Er schickte seine Karte hinauf und mußte eine ganze Weile in dem bescheidenen Foyer warten, ehe die Schauspielerin erschien. Sie war mindestens dreißig Jahre alt, wahrscheinlich sogar älter, aber ihre Augen schienen jung und lebhaft.

»Mr. Eden?« fragte sie mit kokettem Augenaufschlag. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen! Aber es ist mir rätselhaft, was Sie zu mir führt.«

»Zunächst möchte ich Ihnen sagen, daß Ihr Gesang im Radio mich außerordentlich entzückt hat. Welch wundervoller Sopran!«

Miss Norma strahlte. »Das höre ich gern! Dabei bin ich seit Tagen erkältet und stimmlich keineswegs gut in Form.«

»Mir genügte es. Bei solchen Fähigkeiten müßten Sie längst an der Oper sein.«

»Das wurde mir schon oft gesagt, und ich hätte auch Gelegenheit dazu gehabt. Aber ich liebe das intimere Theater. Schon als Kind trat ich auf –«

»Das wird wohl, Ihrer jugendlichen Erscheinung nach, nicht allzu lange her sein? Aber lassen Sie mich zum Zweck meines Besuches kommen! Ich bin ein alter Bekannter von einem Ihrer Freunde. Von Jerry Delaney nämlich. Sie kennen ihn doch?«

»Gewiß – seit langem!« Sie runzelte die Stirn. »Haben Sie etwas von Jerry gehört?«

»Nein, eben nicht! Und deshalb komme ich zu Ihnen. Mir liegt viel daran, seinen Aufenthaltsort zu erkunden, und ich dachte, vielleicht könnten Sie mir helfen?«

Sie wurde plötzlich zurückhaltend. »Ein alter Bekannter, sagten Sie?«

»Allerdings. Ich war oft mit ihm bei Jack McGuire in der Vierundvierzigsten Straße.«

»Wirklich?« Ihr Zaudern schwand. »Da wissen Sie ja über Jerry ebensogut Bescheid wie ich. Vor vierzehn Tagen schrieb er mir aus Chicago – ziemlich geheimnisvoll. Er hoffte, mich hier bald zu besuchen.«

»Was er vorhatte, hat er Ihnen nicht mitgeteilt?«

»Was soll er vorgehabt haben?«

»Nun, wenn Sie nicht unterrichtet sind: Jerry war im Begriff, einen hübschen kleinen Gewinn zu erzielen.«

»Sehr erfreulich für ihn! Der gute Junge hat seit den alten Tagen bei McGuire nicht mehr allzuviel Glück gehabt.«

»Stimmt. Hat Jerry mit Ihnen übrigens einmal über die Herren gesprochen, die in jenem Spielsalon verkehrten? Über die reichen Kerle? Wir haben dort doch häufig einen ergiebigen Fischzug gemacht.«

»Darüber hat er nie gesprochen. Warum?«

»Ich meine nur, ob er Ihnen gegenüber vielleicht einmal den Namen P. J. Madden erwähnt hat?«

Sie sah den jungen Mann mit unschuldigen Augen an. »P. J. Madden? Wer ist das?«

»Einer der reichsten Männer des Landes. Wenn Sie Zeitungen lesen –«

»Sehr selten. Mein Beruf nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Sie ahnen nicht, wie lange man üben muß …«

»Das kann ich mir vorstellen! Aber jetzt handelt es sich um Jerry. Ich bin in Sorge um ihn.«

»In Sorge? Weshalb?«

»Nun, seine Geschäfte sind doch nicht ganz ungefährlich.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Nun – wir wollen darauf nicht weiter eingehen. Tatsache ist, daß Jerry Delaney vorigen Mittwoch früh in Barstow ankam und kurz darauf spurlos verschwand.«

Ein Ausdruck der Unruhe trat in die Augen der Frau. »Sie glauben doch nicht, daß ihm – daß ihm etwas zugestoßen ist?«

»Das fürchte ich allerdings. Sie wissen, wie Jerry war. Rücksichtslos …«

Norma Fitzgerald schwieg einen Augenblick. »Ja, ja«, nickte sie dann, »ein tolles Temperament. Diese rothaarigen Iren!«

»Ganz recht!«

Die grünen Augen der Sängerin verengten sich. »Sie kennen Jerry persönlich, nicht wahr?«

»Natürlich.«

Sie erhob sich. »Seit wann hat er rote Haare?« Ihr freundliches. Lächeln wich. »Kein Wort mehr verrate ich über ihn! Ich habe Sie durchschaut. Und Sie können Jerry ohne meine Hilfe suchen. Im übrigen weiß ich auch nicht, wo er sich aufhält. Und nun leben Sie wohl!«

Ziemlich verlegen stand Eden vor ihr. »Aber Ihr Gesang hat mir wirklich Freude gemacht!«

»Sie können ja öfter zuhören – das Radio ist für alle da!«

Bob kam zum Pershing Square zurück. »Sie nicht haben viel Glück gehabt?« bemerkte Charlie.

Der junge Mann erzählte, was geschehen war. »Ich hab' mich fürchterlich blamiert«, schloß er resigniert.

»Machen Sie sich nicht Gedanken! Die Frau war zu schlau.«

»Das soll mir eine Lehre sein! Aber von jetzt an müssen Sie handeln!«

Sie aßen in einem Restaurant zu Abend und nahmen um fünf Uhr dreißig den Zug nach Barstow. Als die Dämmerung sank, meinte Bob: »Nun ist der Tag vorüber, von dem wir so viel erhofften. Und was haben wir erreicht? So geht es nicht weiter. Wir müssen uns an die Polizei wenden –«

»Verzeihung, daß ich unterbreche! Aber bedenken Sie, bitte, daß all unsere Beweise sind verschwommen wie Blumen, die sich spiegeln in Teich. Madden ist großmächtiger Herr – sein Wort gilt als Gesetz.« Der Zug hielt auf einer Station. »Was wir sollen erzählen der Polizei? – Von totem Papagei, von Geschwätz alter Wüstenratte, die ist halb blind und vielleicht geistesgestört – von Reisetasche voll alter Kleider? Können wir einen Mächtigen mit so törichten Indizien des Mordes beschuldigen? Wo ist Leichnam? Jeder Polizeibeamte wird lachen!«

Der Chinese brach plötzlich ab, und Bob folgte seinem Blick: Im Gang stand Inspektor Bliß von der Mordkommission und starrte sie an. Bob erschrak. Die kleinen Augen des Polizeibeamten nahmen jede Einzelheit von Chans Erscheinung in sich auf und richteten sich dann auf den jungen Mann. Darauf machte er, ohne ein Zeichen des Erkennens, rasch kehrt, ging gravitätisch den Gang entlang und setzte sich in ein anderes Abteil.

»Beunruhigen Sie sich nicht mehr!« sagte Charlie düster. »Wir brauchen nicht gehen zu Polizei – sie wird kommen zu uns! Unsere Zeit auf Maddens Farm ist kurz bemessen. Der alte Ah Kim nun doch wird verhaftet werden wegen Louie Wongs Ermordung.«


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