Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14

Nachdem die Tasche gepackt war, verstaute Bob sie wieder auf dem Boden.

»Es ist nach zwölf«, stellte Holley fest. »Ich muß jetzt in die Stadt.«

»Wenn ich mir darf erlauben gutgemeinten Vorschlag, so Sie bleiben zum Essen!«

»Sehr freundlich, Charlie, aber daran ist nicht zu denken! Sie werden die Kocherei ohnedies satt haben, und ich gönne Ihnen die kleine Ausspannung. Lassen Sie Eden sich sein Essen heute nur selber besorgen!«

»Ich auch nur dachte an sehr bescheidenes Mahl. Das Kochen ist in der Tat langweilig für mich wie eines Japaners Gesellschaft. Aber dies nur bildet gerechte Strafe für Polizist auf Urlaub, der fremden Bezirk, betritt. Hat Mr. Eden nichts dagegen, dann es gibt heute mittag nur Butterbrot und Tee.«

»Freilich, Charlie! Das wird uns schon genügen! Holley, Sie sollten doch lieber hierbleiben!«

»Nein. Ich möchte rasch ein paar Erkundigungen einziehen, um unsere Ermittlungen auf festere Basis zu stellen. Wenn Delaney vorigen Mittwoch hier ankam, muß in der Stadt noch etwas davon zu erfahren sein. Irgend jemand mag ihn gesehen haben. War er allein? Ich möchte mit dem Besitzer des Hotels sprechen und mit –«

»Ich empfehle äußerste Zurückhaltung!« gab der Chinese zu bedenken.

»Selbstverständlich. Aber in dieser Hinsicht besteht kaum Gefahr. Madden hatte keinerlei Bekannte in Eldorado. Er lebte stets sehr zurückgezogen. Trotzdem ist Verschwiegenheit geboten. Verlassen Sie sich getrost auf mich! Ich komme später wieder heraus.«

Als er gegangen war, aßen Chan und Bob in der Küche und setzten nachher ihre Suche fort, ohne freilich noch etwas zu finden. Um vier Uhr nachmittags tauchte Holley wieder auf. Er brachte einen schmächtigen, verlottert aussehenden Jüngling mit: den Grundstücksverkäufer aus Dattel City. Charlie Chan zog sich zurück und überließ es Eden, die Herren zu begrüßen. Holley stellte seinen Begleiter als Mr. de Lisle vor.

»Wir kennen uns schon!« lächelte Bob. »Wollten Sie mir nicht unlängst eine kahle Wüstenparzelle aufschwatzen?«

»Jawohl! Und eines Tages, Sir, wenn die Leute sich um den kostbaren Grund und Boden schlagen, werden Sie sich die Haare raufen vor Kummer, nicht rechtzeitig zugegriffen zu haben!«

»Ich habe Mr. de Lisle mitgebracht«, erläuterte der Journalist, »weil Sie die Geschichte, die er mir erzählte, auch hören sollen. Sie betrifft den bewußten Mittwochabend.«

»Mr. de Lisle weiß, daß es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelt?«

»Gewiß!« beteuerte der Jüngling. »Will hat mir alles erklärt. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Madden und ich sind sowieso nicht gut Freund miteinander – nach seinem Verhalten mir gegenüber.«

»Sie haben ihn am Mittwoch gesehen?«

»Nein, da nicht. Aber ich sah etwas anderes. Etwa um sieben, als ich mein Büro schließen wollte, hielt ein großes Auto vor meiner Tür. Ein kleiner Mann chauffierte, ein anderer saß neben ihm. ›Guten Abend‹, rief der Kleine, ›wollen Sie mir bitte sagen, ob dies der Weg nach Maddens Farm ist?‹ Ich gab Bescheid, sie müßten immer geradeaus fahren. Da mischte sich der andere Insasse des Autos ein. ›Wie weit ist das?‹ fragte er. ›Laß nur, Jerry!‹ wehrte der Kleine ab. ›Ich werd' es schon schaffen!‹ Dann fuhr er los.«

»Wie sah er aus?«

»Dünn, blaß – farblos, fast graue Lippen. Seine Sprache freundlich und gewählt, wie ein Gelehrter etwa.«

»Und der andere Mann im Auto?«

»Den konnte ich in der Dunkelheit nicht erkennen.«

»Aha! Und wann haben Sie Madden getroffen?«

»Das werden Sie gleich hören. Daheim begann ich zu überlegen. Es schien, daß Madden sich auf der Farm aufhielt. Und mir kam ein Gedanke. Die Geschäfte gehen hier in letzter Zeit nicht allzu glänzend – Florida schnappt uns die besten Interessenten weg –, und ich sagte mir: Wie wär's mit Madden? Der hat Geld wie Heu. Warum sollte ich nicht versuchen, ihn für Dattel City zu interessieren? Also begab ich mich am Donnerstag in aller Morgenfrühe zur Farm.«

»Wann ungefähr?«

»Es wird kurz nach acht Uhr gewesen sein. Ich klopfte an die Haustür, aber niemand antwortete. Ich faßte an die Klinke; es war verschlossen. Ich ging um das Haus herum. Alles schien verlassen. Keine Menschenseele war zu erblicken.«

»Niemand da?« wiederholte Bob verwundert.

»Kein Lebewesen außer Hühnern und Puten. Und dem Papagei, der auf seiner Stange brütete. ›Nun, kleiner Graukopf?‹ sagte ich. – ›Du bist ein verdammter Spitzbube!‹ schimpfte er. Nun frag' ich Sie: Ist das ein Empfang für einen ehrsamen Grundstücksmakler? Nein … lachen Sie nicht …«

»Aber Madden?«

»Kam gerade in diesem Augenblick mit seinem Sekretär auf den Hof gefahren. Ich erkannte ihn gleich nach den Bildern, die ich von ihm gesehen hatte. Er sah müde und verdrossen aus und war schlecht rasiert. ›Was machen Sie hier?‹ herrschte er mich an. – ›Mr. Madden‹, sagte ich, ›haben Sie sich jemals klargemacht, welche Möglichkeiten diese Gegend bietet?‹ Und ich begann meine Darlegungen. Doch ich kam nicht weit. Er unterbrach mich und legte nun seinerseits los. Na – ich kann Ihnen sagen … so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Namen gab er mir – wie ein Fuhrknecht vom Jahrmarkt. Und da machte ich mich schleunigst aus dem Staub.«

»Natürlich bleibt dies alles unter uns. Und ich möchte hinzufügen: Wenn ich mich jemals entschlösse, mich in der Wüste anzusiedeln, will ich gern an Sie denken. Vorläufig allerdings scheint mir diese Aussicht wenig verlockend.«

De Lisle beugte sich vertraulich vor. »Sagen Sie um Gottes willen in Eldorado nichts davon!« flüsterte er. »Aber manchmal hab' ich selber den Wunsch, wieder im guten alten Chicago zu sein!«

»Wenn Sie ein bißchen draußen warten wollen, lieber de Lisle«, schlug Holley vor.

»Ich verstehe. Ich werde bis zu meinem Büro gehen und nachsehen, ob der Springbrunnen läuft. Dort können Sie mich auflesen.« Der junge Mann verschwand. Statt seiner erschien Charlie Chan.

»Haben Sie alles gehört?« fragte Bob.

»Natürlich! Höchst interessant.«

»Wir sind auf der richtigen Fährte!« meinte Will Holley. »Delaney traf am Mittwochabend um sieben hier auf der Farm ein, und zwar mit einem Begleiter. Zum erstenmal taucht ein vierter Akteur in unserem Drama auf. Es sieht mir ganz so aus, als müßte das Professor Gamble sein. Da fällt mir ein: am Sonntagabend hat doch auch jemand Phil Maydorf bei der Ärztin abgeholt. Ob das ebenfalls Gamble war?«

Chan nickte. »Möglich. Der Betreffende muß gewußt haben von Louies Rückkehr. Wenn wir könnten feststellen …«

»Aber Gamble war doch im Oasencafé an der Bar, als Louie hereinkam«, erinnerte Bob. »Sie entsinnen sich doch, Holley?«

Der Redakteur lächelte. »Es klappte alles vorzüglich: Er eilte rasch hierher mit der Nachricht von Louies Ankunft. Er und Phil Maydorf waren am Tor, als1 Sie vorfuhren.«

»Aber Thorn? Der Riß in Thorns Rock?«

»Da müssen wir auf falscher Spur gewesen sein. Die neue Theorie klingt zu einleuchtend. Was haben wir sonst noch von de Lisle erfahren? Nach der Sache mit Delaney sind Madden und Thorn die ganze Nacht von der Farm fort gewesen. Wo waren sie?«

Chan seufzte. »Keine gute Nachricht ist das. Der Leichnam wurde weit fortgeschafft.«

»Das fürchte ich auch. Ohne die Mithilfe eines Eingeweihten werden wir ihn nicht finden. Wir müssen also auch, ohne die Leiche gefunden zu haben, zum Ziel kommen. Aber es sind jetzt schon so viele Mitwisser beteiligt, und ehe alles geklärt ist, wird vielleicht irgendeiner sich verplappern.«

Chan saß an Maddens Schreibtisch und spielte mit der Schreibunterlage. Plötzlich begann er die Löschblätter auseinanderzunehmen. »Was ist das?«

In der dicken Hand des Kriminalbeamten knisterte ein halb beschriebener Briefbogen. Chan musterte das Schreiben sorgfältig und händigte es Eden aus. Der Brief war in kräftiger Männerhandschrift abgefaßt und trug das Datum des letzten Mittwochs. Bob las ihn vor:

»Liebe Evelyn, ich möchte Dir von einigen Ereignissen Mitteilung machen, die sich hier auf der Farm zugetragen haben. Wie ich Dir schon früher erzählte, hab' ich mich mit Martin Thorn im letzten Jahr sehr schlecht vertragen. Heute nachmittag endlich ist die Bombe geplatzt, und ich habe ihn aus meinem Dienst entlassen. Morgen früh fahre ich mit ihm nach Pasadena, wo wir uns für immer trennen werden. Natürlich weiß er manches, was er besser nicht wüßte – sonst hätte ich ihm schon im vorigen Jahr den Laufpaß gegeben. Er kann uns allerhand Scherereien machen, und ich warne Dich, falls er etwa in Denver auftauchen sollte. Diesen Brief werde ich heute abend selbst in der Stadt zur Post geben, da Thorn nichts davon wissen soll …«

Hier endete das Schreiben unvermittelt.

»Wieder ein Streiflicht auf die Ereignisse des Mittwochabends«, meinte Holley. »Wir können uns das Bild unschwer ausmalen. Madden sitzt an seinem Schreibtisch, mit diesem Brief beschäftigt. Die Tür öffnet sich, und herein tritt Delaney – der Mann, den P. J. seit Jahren fürchtete. Madden versteckt das Briefblatt hastig unter der Löschunterlage. Es entspinnt sich ein scharfer Wortwechsel – man geht in Thorns Zimmer, und schließlich wird Delaney erschossen. Madden sieht ein, daß er Thorn jetzt nicht entlassen kann. Er muß mit dem Sekretär Frieden schließen. Wie denken Sie darüber, Charlie?«

»Es scheint völlig logisch.«

»Es ist alles so klar wie ein Sonnenuntergang in der Wüste. Wir wollen den Fall rekonstruieren. Madden hat Angst vor Delaney. Warum? Erpressung natürlich! Delaney weiß etwas von ihm – vielleicht etwas, was mit dem Spielsaal in New York zusammenhängt. Auf Thorn kann er sich nicht verlassen, denn mindern ist er in Streit geraten, und Thorn haßt seinen Chef. Madden kauft die Perlen. Die Spitzbubenbande hört davon und beschließt zuzugreifen. Wo konnten sie das besser als hier in der Einöde? Phil Maydorf geht nach San Franzisko, Delaney und Gamble kommen hierher. Louie, der treue alte Verwalter, wird durch Maydorf weggelockt. Alles ist gut vorbereitet. Delaney bringt seine Drohung vor. Er fordert die Perlen und Geld. Und das Ende ist, daß der Erpresser von dem jähzornigen Madden für immer mundtot gemacht wird.«

»Klingt durchaus glaubhaft«, stimmte Bob zu.

»Nun weiter: Als Madden Delaney erschoß, war er des Glaubens, Jerry sei allein gekommen. Plötzlich entdeckt er, daß noch Helfershelfer im Spiele sind. Sie wissen nicht nur alles, womit Delaney gedroht hat, sondern können Madden noch viel schwerer belasten: Er hat jetzt einen Mord auf dem Gewissen! Er muß sich loskaufen. Sie verlangen Schweigegeld – und die Perlen. Sie zwingen den Eingeschüchterten, das Kollier telefonisch hierherzubeordern. Wann hat er das getan, Eden?«

»Vorigen Donnerstag morgen.«

»Sehen Sie: zu dem Zeitpunkt, als er von der schauerlichen Nachtfahrt heimgekommen war. So weit hatten die Blutsauger ihn gebracht! Das ist die Lösung des ganzen Rätsels. Sie erpressen ihn auch jetzt noch. Zunächst war Madden ebenso eifrig hinter den Perlen her wie die andern – er wollte die Angelegenheit schleunigst erledigen und abreisen. Begreiflich. Denn eine Mordstätte ist kein angenehmer Aufenthaltsort. Doch im Lauf der Tage kehrte sein Mut zurück, und er begann nach einem Ausweg zu suchen. Er tut mir jetzt wahrhaftig fast leid.« Holley machte eine Pause. »Ja, das ist meine Theorie. Was denken Sie darüber, Charlie?«

Chan drehte Maddens unvollendeten Brief langsam zwischen den gelben Fingern. »Es scheint ziemlich einleuchtend. Aber hier und da sich erheben Einwände.«

»Zum Beispiel?«

»Madden ist machtvoller Herr. Delaney und seine Genossen bedeuten nicht viel. Er hätte angeben können, er habe gehandelt in Notwehr.«

»Ja – wenn er sicher gewesen wäre, daß Thorn ihn unterstützte! Aber der Sekretär ist ihm feindlich gesinnt, und es besteht die Gefahr, daß er gegen ihn aussagt. Bedenken Sie außerdem, daß die Kerle ja nicht nur die Mordtat gegen ihn vorzubringen haben – sie wissen auch das, was Delaney wußte!«

»Nur noch eins: Louie, so lange in gutem Einvernehmen mit Chinesen-Papagei, wird erstochen. Und Louie ist doch schon am Mittwochmorgen nach Frisko gereist, zwölf Stunden vor dem Unglück. War dann seine Ermordung nicht sinnlos?«

Holley überlegte. »Das ist wirklich ein Einwand. Aber er war Madden treu ergeben – Ursache genug, ihn weit wegzuwünschen. Man zog es vor, das Opfer allein und hilflos in den Fäusten zu haben. Vielleicht nur eine notdürftige Erklärung, aber ich finde im Augenblick keine bessere. – Was haben Sie meiner-Auffassung sonst entgegenzusetzen?«

»Lange Erfahrung mich lehrte, daß es verhängnisvolle Folgen haben kann, wenn man sich zur sehr festlegt auf bestimmte Theorie. Dann man versucht, ihr alles anzupassen. Ich habe immer gefunden, es viel besser sei, den Kopf unbelastet zu lassen. Vorläufig freilich und offen gestanden, ich tappe noch im dunkeln. Es weiter gilt beobachten und warten – vielleicht sich findet bald richtige Spur.«

»Hoffentlich!« seufzte Bob. »Leider habe ich aber das Gefühl, daß wir nicht mehr lange beobachten und warten können. Auf meine Angaben hin wollte Madden heute in Pasadena Mr. Draycott treffen. Bald wird er unverrichteter Dinge zurück sein und Aufklärung verlangen.«

»Ein unglücklicher Zufall!« Chan zuckte die Achseln. »Draycott und er sich haben verfehlt. Dergleichen schon häufig ist vorgekommen, wenn zwei Fremde sich hatten verabredet.«

»Vielleicht. Hoffen wir also, daß er in guter Stimmung heimkehrt! Andernfalls könnte er wieder nach Bill Harts Revolver greifen, und der Gedanke, tot hinter einem Bett zu liegen, ist mir durchaus nicht sympathisch!«


 << zurück weiter >>