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Alexander Eden trat von der nebeligen Straße San Franziskus in den großen, hallenartigen Verkaufsraum der Firma Meek & Eden in San Franzisko. Sogleich standen vierzig Verkäufer von äußerster Eleganz dienstfertig bereit, samt und sonders in tadellosen Cutaways und mit einer taufrischen roten Nelke am linken Rockaufschlag.
Eden nickte freundlich nach rechts und nach links. Er war ziemlich klein und grauhaarig, hatte aber helle, scharfe Augen und ein gebieterisches Wesen, das durchaus zu seiner Stellung paßte; der wackere Mr. Meek hatte sich nämlich vorzeitig ins Jenseits verfügt und seinem Teilhaber den Alleinbesitz der bekanntesten Juwelenfirma der amerikanischen Westküste hinterlassen.
Ein paar Stufen im Hintergrund führten zu den vornehm eingerichteten Büros im Zwischenstock, wo Alexander Eden seine Tage verbrachte.
»Guten Morgen, Miss Chase!« begrüßte er die hübsche Sekretärin im Vorzimmer.
Edens Schönheitssinn, durch lange Erfahrung im Juwelenhandel verfeinert, hatte ihn beim Einstellen dieser Dame nicht im Stich gelassen. Sie war eine helle Blondine mit Veilchenaugen und ausgezeichneten Manieren; vollendet auch in ihrer Kleidung. Bob Eden, sehr gegen' seinen Willen Erbe des Geschäfts, hatte einmal die Äußerung getan, man habe beim Betreten des väterlichen Ladens das Gefühl, Gast eines exklusiven Salons zu sein.
Alexander Eden blickte auf die Uhr. »In etwa zehn Minuten erwarte ich Besuch – eine alte Freundin, Mrs. Jordan aus Honolulu. Führen Sie sie bitte gleich zu mir!«
Auf dem Schreibtisch seines Privatbüros lag die Morgenpost, die er einstweilen nur flüchtig musterte, denn seine Gedanken waren anderswo. Versonnen schaute er auf das Haus gegenüber. Brodelnder Frühnebel hing über den Straßen, und dem Mann am Fenster war es als entstiege dem Dunst ein Bild aus langvergangenen, fernen Tagen.
Vier Jahrzehnte war es her – ein Abend in Honolulu, in dem lustigen, glücklichen Honolulu der alten Monarchie. In einer Ecke des großen Saales im Hause Phillimore spielte hinter grüner Palmenwand eine Musikkapelle, und auf dem schimmernden Parkett tanzte Alec Eden, damals ein schmächtiger, dunkelhaariger Jüngling von siebzehn Jahren, mit Alice Phillimore. Der linkische junge Fant geriet zuweilen ins Stolpern, denn es war ein ganz neuer Tanz, der eben erst durch einen Seekadetten in Hawaii eingeführt worden war. Aber vielleicht war an diesem Stolpern nicht nur seine Ungewandtheit schuld, sondern auch das betörende Bewußtsein, daß er das Kleinod der Inseln in seinen Armen hielt.
Manche Menschen sind über alle Begriffe vom Glück begünstigt, und zu ihnen gehörte Alice Phillimore. Abgesehen von ihrer märchenhaften Schönheit, war sie die Erbin eines schier unfaßlichen Reichtums. Phillimoresche Schiffe pflügten die sieben Meere, und auf Tausenden von Morgen Familienbesitz reifte das Zuckerrohr einer goldenen Ernte entgegen. Alec Eden sah am weißen Hals des Mädchens, als Symbol ihres Ranges und Vermögens, die berühmte Perlenkette, die der alte Phillimore aus London mitgebracht und für die er einen Preis bezahlt hatte, der ganz Honolulu Mund und Ohren aufsperren ließ.
Der Inhaber der Firma Meek & Eden starrte noch immer in den wallenden Nebel. Wie reizvoll war dies Erinnern an jenen zauberischen Abend, voll des Duftes fremdländischer Blumen, umhaucht vom gedämpften Murmeln der Brandung und dem linden Gesäusel einheimischer Volksweisen! Wie durch einen Schleier sah er Alices blaue Augen zu ihm emporleuchten. Deutlicher noch – denn er war jetzt an die Sechzig und ein gediegener Geschäftsmann – sah er ihre großen, schimmernden Perlen, deren warmer Glanz die Fülle des Lichts wie in magischen Spiegeln fing …
Tja – er zuckte die Achseln –, rund vierzig Jahre lag das zurück, und seitdem war vieles geschehen. Zum Beispiel Alices Heirat mit Fred Jordan, und dann, ein paar Jahre später, die Geburt ihres einzigen Kindes – Viktor. Eden lächelte bitter. Wie arg hatte sie fehlgegriffen, als sie dem leichtsinnigen, törichten Bengel diesen glückverheißenden Namen gab!
Mürrisch wandte er sich seinem Schreibtisch zu. Sicherlich mochte irgendeine Dummheit Viktors das Stichwort gegeben haben zu der Szene, die sich binnen kurzem in diesem Büro abspielen würde. Daran war gar nicht zu zweifeln. Und dieser Tunichtgut würde hinter den Kulissen stehen, bis der Vorhang sich endgültig senkte.
Eden war emsig in seine Post vertieft, als die Sekretärin wenige Augenblicke später die angekündigte Besucherin meldete.
Alice Jordan schien heiter und lebhaft wie immer. Wie tapfer hatte sie den Jahren standgehalten! »Alec, lieber, alter Freund …« sprudelte sie fröhlich hervor.
Er faßte ihre Hände. »Alice, wie ich mich freue, Sie zu sehen!« Er rückte einen Ledersessel nahe heran. »Der Ehrenplatz für Sie. Immer!«
Lächelnd nahm sie Platz. Eden spielte mit seinem Papiermesser, er gewann allmählich seine Selbstbeherrschung zurück. »Also … was ich sagen wollte … seit wann sind Sie hier?« eröffnete er das Gespräch.
»Seit vierzehn Tagen, glaub' ich … Richtig, Montag waren es vierzehn Tage!«
»Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten, Alice. Sie haben mich nicht benachrichtigt.«
»Aber ich verlebte so reizvolle Stunden! Viktor ist stets so aufmerksam zu mir!«
»Gewiß – Viktor – es geht ihm hoffentlich gut?« Ein leises Unbehagen ließ Eden nach dem Fenster blicken. »Der Nebel hebt sich. Es wird noch ein schöner Tag werden …«
»Lieber, alter Alec, Sie brauchen gar nicht auf den Busch zu klopfen. Erst das Geschäft – lautet mein Wahlspruch. Es ist schon so, wie ich Ihnen am Telefon sagte: Ich hab' mich entschlossen, die Phillimoreschen Perlen zu verkaufen.«
Er nickte. »Warum nicht? Was haben sie auch sonst für einen Zweck?«
»Freilich – für mich haben sie keinen mehr. Denn sie waren für die Jugend gedacht. Aber das ist nicht der Grund meines Entschlusses. Ich würde sie gern behalten – aber es geht leider nicht. Ich … ich bin ruiniert, Alec«
Sein Blick schweifte wieder nach dem Fenster.
»Das klingt sonderbar, nicht wahr? All die Schiffe der Phillimores, all der Grund und Boden, der uns gehörte – alles hat sich in Dunst aufgelöst. Das große Haus an der Küste bis zum Schornstein mit Hypotheken belastet. Die Sache ist nämlich die, daß Viktor ein paar Geschäfte nicht recht geglückt sind …«
»Sie brauchen nichts weiter zu sagen«, wehrte Eden leise ab.
»Oh, ich weiß, was Sie denken, Alec. Sie denken, Viktor sei ein Windhund – oberflächlich und unüberlegt und – vielleicht noch Schlimmeres. Aber er ist das einzige, was mir blieb, seit Fred von mir ging. Und ich hänge an ihm.«
»Als der gute Kamerad, der Sie sind«, lächelte er. »Nein, ich habe nichts Häßliches über Viktor gedacht, Alice. Ich … ich habe ja selbst einen Sohn.«
»Natürlich! Ich hätte längst fragen müssen. Wie geht es Bob?«
»Recht gut, denke ich. Wahrscheinlich kommt er noch, ehe Sie aufbrechen – falls er zeitig genug gefrühstückt hat.«
»Arbeitet er in Ihrer Firma?«
Eden zuckte die Achseln. »Das nicht gerade. Bob hat nach seiner Schulzeit ein Jahr in der Südsee verbracht, ein zweites in Europa und das dritte – soviel ich weiß – im Spielzimmer seines Klubs. Aber diese Laufbahn scheint ihn nicht zu befriedigen. Neuerdings redet er vom Zeitungswesen. Er hat Freunde bei der Presse.« Der Juwelier deutete mit einer Handbewegung nach seinen Geschäftsräumen. »Diese Dinge, Alice, denen ich mein Leben gewidmet habe, langweilen ihn.«
»Armer Alec«, tröstete seine alte Freundin sanft. »Die junge Generation ist so schwer zu verstehen. Aber – ich bin hier, um über meine eigenen Sorgen zu sprechen. Wie ich schon andeutete: Ich bin bankrott. Die Perlen sind alles, was ich noch an Wertgegenständen besitze.«
»Nun, das ist nicht wenig.«
»Genug, um Viktor aus der Klemme zu helfen. Vielleicht genug für die wenigen Jahre, die ich noch zu leben habe. Mein Vater hat neunzigtausend Dollar dafür bezahlt. Das war damals ein Vermögen – aber heute …«
»Heute? Sie scheinen zu übersehen, daß Perlen inzwischen erheblich im Wert gestiegen sind. Heute ist diese. Kette ihre dreihunderttausend Dollar wert.«
»Was sagen Sie da? Wissen Sie das bestimmt? Sie haben die Kette doch nie gesehen …«
»Aha … ich habe mich schon gefragt, ob Sie sich erinnern würden«, tadelte er mild. »Aber ich merke, Sie wissen es nicht mehr. Kurz bevor Sie hereinkamen, waren meine Gedanken in die Vergangenheit gewandert – zurück zu einem Abend vor vierzig Jahren, als ich meinen Onkel auf Hawaii besuchte. Ich wurde zum Tanz bei Ihnen eingeladen, und damals trugen Sie die Perlen – in jenen mir unvergeßlichen Stunden.«
»Jetzt entsinne ich mich! Mein Vater hatte die Kette kurz zuvor aus London mitgebracht, und ich trug sie zum erstenmal. Aber, lieber Alec, wir wollen uns wieder in die Gegenwart begeben. Bisweilen sind Erinnerungen schmerzlich.« Sie schwieg einen Augenblick. »Dreihunderttausend Dollar, sagten Sie …«
»Ich bürge nicht dafür, daß ich diesen Preis tatsächlich erzielen kann; denn es ist nicht leicht, für ein solches Objekt einen Käufer zu finden. Der Mann, an den ich denke –«
»Oh, Sie haben schon einen Interessenten?«
»Allerdings. Aber er will nicht über zweihundertzwanzigtausend gehen. Wenn Sie Wert darauf legen, rasch zu verkaufen –«
»Unter allen Umständen. Aber wer ist dieser Krösus?«
»Madden. P. J. Madden.«
»Der Börsenspekulant?«
»Sie kennen ihn?«
»Nur durch die Zeitungen. Gesehen hab' ich ihn nie.«
Eden runzelte die Stirn. »Sonderbar. Er tat so, als ob Sie ihm bekannt wären. Ich hörte, daß er in der Stadt sei, und als Sie telefonierten, suchte ich ihn sofort in seinem Hotel auf. Er gab zu, daß er auf der Suche nach einer Perlenkette sei, um sie seiner Tochter zu schenken, verhielt sich aber trotzdem ziemlich reserviert. Erst als ich den Namen Phillimore erwähnte, taute er auf. ›Alice Phillimores Perlen, ja, die nehme ich‹, grunzte er. – ›Dreihunderttausend Dollar‹, forderte ich prompt. – ›Zweihundertzwanzigtausend und keinen Cent mehr‹, trompetete er und sah mich an mit Augen … ja, man könnte ebensogut mit diesem Burschen hier feilschen!« Eden deutete verdrossen auf einen kleinen Bronze-Buddha, der den Schreibtisch zierte.
Alice Jordan schien verwundert. »Aber, Alec, woher sollte er mich denn kennen? Das begreife ich nicht. Doch einerlei, er bietet ein Vermögen, und ich habe es bitter nötig. Bitte, treffen Sie die erforderlichen Abmachungen mit ihm, ehe er wieder abreist.«
Es klopfte. »Mr. Madden aus New York!« meldete die Sekretärin.
»Gut«, nickte Eden. »Ich lasse bitten.« Er wandte sich wieder an seine Freundin. »Ich habe ihn zu persönlicher Rücksprache mit Ihnen hierhergebeten. Wenn ich Ihnen raten darf, seien Sie nicht zu voreilig. Wir können ihn vielleicht noch etwas in die Höhe treiben, obwohl ich es bezweifle. Er ist ein harter Kerl, Alice. Was die Presse von ihm zu erzählen weiß, ist nur zu wahr.«
Er brach plötzlich ab, denn der harte Kerl, von dem er gesprochen, stand bereits auf dem chinesischen Teppich. P. J. selber, der große Madden, der Held aus tausend Börsenschlachten, mehr als sechs Fuß hoch, wie ein Turm aus Granit anzusehen in einem jener grauen Anzüge, die er bevorzugte. Seine kalten blauen Äugen glitten, wie Eiseshauch über den Raum.
»Ah, Mr. Madden, bitte, treten Sie näher!« Eden erhob sich.
Der Koloß schob sich heran, und hinter ihm tauchten ein schlankes, zartes Mädchen in kostbarem Pelzmantel und ein hagerer, pedantisch aussehender Mensch auf.
»Mrs. Jordan, darf ich Ihnen Mr. Madden vorstellen, von dem wir soeben gesprochen haben!«
»Gnädige Frau!« Madden hatte so viel mit Stahl gehandelt, daß etwas davon auch in seine Stimme geraten zu sein schien. »Ich habe meine Tochter Evelyn und meinen Sekretär Martin Thorn mitgebracht.«
»Sehr erfreut!« Eden betrachtete die interessante Gruppe, die in sein stilles Büro eingedrungen war: den berühmten Finanzmann, kühl, entschlossen, machtbewußt, und neben ihm das schlanke, hochmütige Mädchen, das der Vater, wie man sich erzählte, mit all der zärtlichen Liebe seines Alters überhäufte.
»Wollen Sie nicht, bitte, Platz nehmen?« Der Juwelier rückte die Stühle zurecht. Madden zog den seinen dicht an den Schreibtisch; die ganze Atmosphäre schien von seiner Massigkeit erfüllt; neben ihm schienen alle anderen zu Zwergen zusammenzuschrumpfen.
»Einleitungen sind überflüssig!« knarrte er barsch. »Wir sind hier, um die Perlen zu besichtigen.«
Eden erschrak. »Verehrter Mr. Madden, ich fürchte, falsche Vorstellungen in Ihnen erweckt zu haben. Die Perlen sind zur Zeit nicht in San Franzisko.«
Madden starrte ihn an. »Aber, als Sie mich aufforderten, mit der Besitzerin zu sprechen –«
Alice half dem Freund aus der Verlegenheit. »Bei meiner Abreise aus Honolulu hatte ich noch nicht die Absicht, die Kette zu verkaufen. Dieser Entschluß kam mir erst hier. Aber ich habe deswegen schon nach Hawaii geschrieben …«
Das junge Mädchen mischte sich ein. Es war in gewisser Weise schön, aber wie sein Vater von metallener Kühle – und in diesem Augenblick unverkennbar verstimmt. »Ich dachte natürlich, die Perlen wären da«, schmollte sie. »Sonst wäre ich nicht gekommen.«
»Nun, das macht nichts«, lenkte der Millionär ein. »Sie lassen die Perlen herschicken, gnädige Frau, nicht wahr?«
»Ja. Sie gehen heute abend per Schiff von Honolulu ab. In sechs Tagen können sie hier sein.«
»Das hat keinen Zweck! Meine Tochter reist heute nachmittag nach Denver. Ich selbst fahre morgen nach dem Süden, und in einer Woche gedenke ich in ihrer Gesellschaft nach dem Osten weiterzureisen.«
»Ich bin bereit, Ihnen die Perlen zu liefern, wohin Sie wünschen«, schlug Eden vor.
»Sehr freundlich.« P. J. Madden überlegte, wandte sich dann an Alice Jordan. »Es ist doch dasselbe Kollier, das Sie 1913 im alten Palace Hotel trugen?«
Sie sah ihn verblüfft an. »Selbstverständlich.«
»Und sogar noch schöner, als es damals war, möchte ich schwören«, schwärmte Alexander Eden. »Sie wissen, Mr. Madden, im Juwelenhandel herrscht der Aberglaube, daß Perlen die Persönlichkeit ihrer Trägerin einsaugen und je nach deren Gemütsveranlagung stumpf oder schimmernd werden. Wenn das zutrifft, dann müssen diese Perlen im Laufe der Jahre noch weit entzückender geworden sein!«
»Blödsinn!« knurrte Madden grob. »Verzeihung, ich will damit nichts gegen die gnädige Frau sagen. Aber als Geschäftsmann bin ich für solchen Humbug nicht zu haben. Immerhin – ich nehme die Perlen zu dem Preise, den ich Ihnen nannte.«
Eden wiegte das Haupt. »Sie sind mindestens dreihunderttausend Dollar wert.«
»Mir nicht. Zweihundertzwanzigtausend – davon zwanzigtausend sofort, um den Kauf zu besiegeln, und den Rest innerhalb dreißig Tagen nach Erhalt der Kette. Entweder – oder!«
Er erhob sich und fletschte den Juwelier an. Eden, sonst ein Meister im Verhandeln, fühlte sich diesem Felsblock gegenüber von all seiner Kunst verlassen. Hilflos irrte sein Blick zu seiner Freundin hinüber.
»Alles in Ordnung, Alec«, beschwichtigte Alice. »Ich nehme das Angebot an.«
»Gut«, seufzte der Juwelenhändler. »Sie machen ein glänzendes Geschäft, Mr. Madden.«
»Wie sich das gehört. Andernfalls kaufe ich nämlich nicht!« Madden zückte das Scheckbuch. »Zwanzigtausend auf den Tisch, wie versprochen.«
Zum erstenmal redete der Sekretär. Seine Worte klangen dünn und unangenehm höflich. »Sie sagten, die Perlen werden in sechs Tagen ankommen?«
»Etwa in sechs Tagen«, bestätigte Alice.
»Gut.« Die dünne Stimme bekam etwas Einschmeichelndes. »Sie kommen mit –«
»Mit einem privaten Boten!« Eden sah sich den Herrn in Dunkelblau nachträglich eingehend an: eine bleiche, hohe Stirn, fahlgrüne Augen, deren Blick einen in Verwirrung bringen konnte, lange, blasse, habgierige Hände. Kein angenehmer Zeitgenosse, dachte er. Und wiederholte scharf: »Mit einem privaten Boten!«
»Natürlich!« dienerte Martin Thorn.
Madden hatte den Scheck ausgefüllt und ihn auf den Schreibtisch gelegt.
»Ich dachte, Mr. Madden … es ist nur ein Vorschlag«, zirpte der Sekretär von neuem, »wenn Miss Evelyn zurückkommt und den Rest des Winters in Pasadena verbringt, möchte sie vielleicht dort den neuen Schmuck tragen. Wir werden in acht Tagen in jener Gegend sein, und ich meine –«
»Wer kauft die Perlen?« wetterte P. J. Madden ergrimmt. »Sie oder ich? Ich jedenfalls will nicht, daß sie hin und her durchs ganze Land geschleppt werden. Heutzutage, wo jeder zweite Mensch ein Spitzbube ist, halte ich das tatsächlich für zu gewagt.«
»Aber Vater«, klagte Evelyn, »ich möchte sie wirklich gern so bald wie möglich tragen …«
»Papperlapapp! Die Perlen werden mir in New York ausgehändigt!« donnerte er. »Und damit basta! Ich gehe für einige Zeit nach dem Süden – hab' dort in Pasadena ein Haus und in der Wüste, sechs Kilometer von Eldorado, eine Ranch. Bin schon eine ganze Weile nicht mehr da gewesen, und wenn man sich nicht manchmal nach den Verwaltern umsieht, werden die vermaledeiten Halunken nachlässig. Sobald ich wieder in New York bin, telegrafiere ich, und Sie können mir die Perlen in meinem Büro übergeben, Mr. Eden. Binnen dreißig Tagen erhalten Sie dann die Anweisung über die Restsumme.«
»Einverstanden!« erwiderte der Juwelier. »Wenn Sie einen Augenblick warten, lasse ich eine Bestätigung über den Kauf und die Bedingungen ausfertigen. Geschäft ist Geschäft – das verstehen Sie wohl besser als sonst einer.«
»Gewiß«, nickte der Börsenmagnat besänftigt.
Eden entfernte sich.
Evelyn Madden stand auf. »Ich warte unten auf dich, Vater. Ich möchte mir das Jadelager ansehen. Sie müssen nämlich wissen, Mrs. Jordan, daß man in San Franzisko schönere Jadesteine bekommt als irgendwo anders.«
»Das mag stimmen!« Alice faßte die Hände der Jüngeren. »Was für einen wundervollen Hals Sie haben! Eben, ehe Sie kamen, sagte ich, daß die Perlen der Phillimores Jugend brauchen. Ich hoffe, Sie werden sie viele glückliche Jahre tragen.«
»Sehr liebenswürdig. Ich danke Ihnen!« flötete das Mädchen kühl und entschwand.
»Warten Sie im Auto auf mich, Thorn!« befahl ihr Vater dem Sekretär. Als er mit Alice Jordan allein war, verfinsterte sich wieder sein Blick. »Sie haben mich nie gesehen, nicht wahr?«
»Leider nein. Oder doch?«
»Vermutlich nicht. Aber ich sah Sie. Heute – in unseren Jahren – darf man ja wohl unbesorgt von solchen Dingen faseln. Sie sollen wissen, daß es mir eine große Befriedigung bedeutet, diese Perlen zu besitzen. Eine alte Wunde ist heute geheilt.«
Sie starrte ihn an. »Ich verstehe Sie nicht.«
»Ich will es Ihnen erklären. Vor dem ersten Weltkrieg pflegten Sie mit Ihrer Familie, wenn Sie von den Hawaii-Inseln herüberkamen, im Palace-Hotel abzusteigen. Und ich … ich war Zimmerkellner in diesem Hotel. Ich habe Sie dort oft gesehen und einmal auch, als Sie die berühmte Perlenkette trugen. Sie waren in meinen Augen das schönste Mädchen der Welt – oh, warum nicht … wir sind ja beide … hm …«
»Wir sind jetzt beide alt«, ergänzte sie leise.
»Ja, das meine ich. Ich betete Sie an, aber ich … ich war ein Bediensteter – und Luft für Sie. Das verletzte meinen Stolz. Ich schwor mir, mich durchzusetzen, um Sie zu heiraten. Jetzt können wir beide darüber lächeln – selbst meine Pläne haben sich nicht alle durchführen lassen. Aber heute gehören mir Ihre Perlen – sie werden den Nacken meiner Tochter schmücken. Und wir sind quitt – so hat es das Schicksal gewollt.«
»Sie sind ein seltsamer Kauz …«
»Ich bin, was ich bin. Und ich mußte Ihnen das erzählen, sonst wäre mein Triumph nicht vollständig gewesen.«
Eden kam zurück. »Bitte, Mr. Madden, wenn Sie dies freundlichst unterzeichnen wollen? – Danke sehr!«
»Sie bekommen also ein Telegramm von mir. Es bleibt bei New York! Nirgendwo sonst – denken Sie daran! Guten Morgen!« P. J. Madden streckte Alice die klobige Rechte hin.
Sie nahm sie lächelnd. »Leben Sie wohl! Jetzt sehe ich nicht mehr an Ihnen vorbei, ich sehe Sie wirklich!«
»Und was sehen Sie?«
»Einen schrecklich eitlen Mann. Aber einen sympathischen!«
»Ich danke Ihnen. Das werde ich nicht vergessen. Leben Sie wohl!«
Er ging. Eden sank müde auf einen Stuhl. »So, das wäre geschafft. Dieser Riese lähmt einen geradezu. Ich hätte gern eine höhere Summe herausgeschlagen, aber es war hoffnungslos. Ich hatte es im Gefühl, daß er siegen würde.«
»Ja«, stimmte Alice zu, »er siegt immer.«
»Übrigens – ich war dagegen, daß Sie dem Sekretär auf die Nase banden, wer die Perlen hierherschafft. Aber mir können Sie es natürlich verraten.«
»Charlie wird sie bringen.«
»Wer ist das?«
»Charlie Chan ein Kriminalbeamter von der Polizei in Honolulu. Vor Jahren war er in dem großen Palast an der Küste unser oberster Hausbursche.«
»Ein Chinese?«
»Ja. Er ging von uns fort, um Polizist zu werden, und hat sich als solcher trefflich bewährt. Da er schon immer den Wunsch hegte, einmal den Kontinent zu besuchen, hab' ich die Sache so arrangiert – seinen Urlaub, seine Einreiseerlaubnis und alles. Und er bringt die Perlen mit.«
»Er reist heute abend ab?«
»Ja, mit der ›President Pierce‹. Das Schiff soll kommenden Donnerstag abends hier eintreffen.«
Die Tür öffnete sich, und ein netter junger Mann tänzelte über die Schwelle. »Verzeih, Vater, wenn ich störe … Ja, aber wen haben wir denn da?«
»Bob!« rief Mrs. Jordan. »Sie Schlingel! Wie geht es Ihnen?«
»Blendend. Ich bin eben erst aufgewacht! Und wie steht's bei Ihnen und all den andern jungen Leuten draußen?«
»Danke, ausgezeichnet! Aber Sie haben zu lange beim Frühstück getrödelt. Ihnen ist ein hübsches Mädel entgangen.«
»Durchaus nicht – falls Sie Evelyn Madden meinen. Die hab' ich unten genossen. Ich hielt mich nicht weiter auf – für mich hat sie nicht mehr den Reiz des Neuen, da ich sie vorige Woche überall getroffen habe.«
»Ich fand sie entzückend.«
»Sie ist ein Eisberg. Brrr … Doch es kommt mir fast so vor, als wollten Sie mich für die veraltete Einrichtung der Ehe interessieren?«
»Es wäre jedenfalls das richtige für Sie – wie für alle jungen Männer Ihres Schlages.«
»Weshalb denn?«
»Als Ansporn. Weil es euch antreiben würde, euer Leben zu nutzen.«
Bob Eden lachte. »Liebe gnädige Frau, wenn der Nachtnebel durch das Goldene Tor geistert und die Straßenlichter aufblinken, – nein, da möcht' ich wirklich nicht durch einen ›Ansporn‹ gehemmt werden. Außerdem sind die jungen Mädchen nicht mehr so wie zu der Zeit, da Sie alle Herzen brachen.«
»Dummheiten! Sie sind heute sogar noch viel reizender. Aber ihr wollt es nicht wahrhaben. Adieu! Alec, ich muß jetzt gehen.«
»Ich werde mich nächsten Donnerstag mit Ihnen in Verbindung setzen«, sagte Eden der Ältere. »Es tut mir übrigens um Ihretwillen leid, daß wir nicht mehr erzielt haben.«
»Für mich ist's eine erstaunliche Summe! Ich bin sehr froh darüber.« Ihre Augen feuchteten sich in Rührung. »Der gute Vater! Selbst jetzt noch sorgt er für mich!« Leise schluchzend ging sie hinaus.
Eden wandte sich seinem Sprößling zu. »Ich vermute, du hast noch keine Anstellung bei der Zeitung gefunden.«
»Noch nicht.« Der junge Mann zündete sich unbekümmert eine Zigarette an. »Natürlich sind die Verleger und Chefredakteure alle wild auf mich. Aber ich hab' sie abgewimmelt.«
»Gut, dann wimmle sie noch etwas länger ab! Ich wünsche, daß du dich für die nächsten zwei oder drei Wochen freihältst. Hab' selber eine kleine Arbeit für dich.«
»Aber natürlich, Papa!« Bob beförderte das Streichholz in eine kostbare Vase. »Was soll ich denn tun?«
»Zunächst wirst du nächsten Dienstag nachmittag der Ankunft des Dampfers ›President Pierce‹ beiwohnen.«
»Das klingt ja sehr verheißungsvoll. Vermutlich steigt eine bezaubernde junge Dame, dicht verschleiert, an Land …«
»Nein, aber ein Chinese.«
»Ein – – – was?«
»Ein gelber Kriminalbeamter aus Honolulu, mit einer Perlenkette in der Tasche, die mehr als eine Viertelmillion Dollar wert ist.«
»Donnerwetter! Und dann …«
»Dann?« Alexander Eden zögerte nachdenklich. »Wer kann das sagen? Es ist vielleicht nur der Anfang!«