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Nach dem Frühstück am anderen Morgen zündete sich Bob möglichst gleichgültig eine Zigarette an. Er wußte, daß der Millionär ungeduldig auf seine Ankündigung wartete. »Mr. Madden«, begann er, »ich muß heute früh in einer dringenden Angelegenheit nach Barstow. Es kommt ungelegen, ich weiß. Aber wenn Ah Kim mich in die Stadt fahren könnte, daß ich den Zug zehn Uhr fünfzehn erreiche …«
Thorns graue Augen weiteten sich in erwachendem Interesse. Der Hausherr nickte dem jungen Mann mit schlecht verhehltem Beifall zu. »Wird sich schon einrichten lassen. Ah Kim, du wirst also Mr. Eden in einer halben Stunde nach Eldorado bringen. Verstanden?«
»Immel Albeit mehl«, kauderwelschte der Chinese. »Bei Sonnenaufgang auf, albeiten – albeiten, bis Sonne fällt! Wenn Sie Autofahlel blauchen, walum Sie das nicht sagen?«
»Was soll das heißen?« donnerte Madden.
Ah Kim hob die Schultern. »Gut ist, Hell! Ich ihn fahlen.«
Als Bob eine halbe Stunde später neben Charlie im Auto saß und die Farm hinter ihnen lag, blickte ihn der kleine Kriminaler fragend an. »Jetzt Sie fangen auch noch an, Rätsel aufzugeben! Barstow mir kommt ganz unerwartet!«
Bob lachte. »Befehl vom Chef. Ich soll Draycott, der die Perlen bringt, in Empfang nehmen!«
Chans freie Hand legte sich auf seinen Gürtel und die noch immer dort verwahrte ›unverdauliche‹ Last. »Madden schon wieder hat andere Bestimmungen getroffen?«
Bob berichtete von der abendlichen Unterredung. »Jedenfalls haben wir damit weitere vierundzwanzig Stunden gewonnen für das gute ›Hu malimali‹. Wissen Sie übrigens, warum die Ärztin uns gestern besuchte?«
»O ja. Ich mich hielt in Nähe der Tür und hörte.«
»Wirklich? Und wie denken Sie darüber? Hat am Ende Phil Maydorf Louie erstochen und nicht Thorn?«
»Maydorf – oder vielleicht der Mann im Auto, der ihn abholte. Ich muß zugeben, daß dieser fremde Unbekannte mich interessiert. Wer war es? Hat er etwa die Nachricht von Louies Ankunft gebracht?«
»Ha, mich dürfen Sie nicht fragen!« Vor ihnen glänzten die Dächer Eldorados im Morgensonnenschein. »Wir wollen doch gleich mal Holley aufsuchen. Es bleibt ja noch Zeit genug. Natürlich muß ich pro forma nach Barstow fahren, denn es könnte jemand aufpassen. Aber vielleicht hat Holley inzwischen etwas Neues in Erfahrung gebracht.«
Der Redakteur saß am Schreibtisch emsig bei der Arbeit. »Wie, so früh schon unterwegs? Das hat sicher besondere Gründe?«
Bob erzählte von den Mitteilungen der Ärztin und von seinem eigenen Vorhaben.
»Nun, die kleine Reise wird Sie aufheitern!« neckte Holley. »Wie hat Ihnen übrigens Miss Evelyn gefallen? Wahrscheinlich kannten Sie sie schon?«
»Auf der Farm haben wir nichts von ihr gesehen.«
Holley sprang auf und ging im Zimmer auf und ab. »Sehr sonderbar! Sie ist pünktlich gestern sechs Uhr vierzig eingetroffen. Ich hab' sie selber gesehen! Ich hatte meinen freien Abend – ich habe, nämlich dreihundertfünfundsechzig freie Abende im Jahr –, da bin ich zum Bahnhof geschlendert. Thorn war da. Ein schlankes, hübsches Mädchen stieg aus dem Zug, und ich hörte den Sekretär sie als Miss Evelyn anreden. ›Wie geht's Papa?‹ fragte sie. ›Steigen Sie nur ein‹, antwortete Thorn, ›dann will ich Ihnen von ihm erzählen. Er konnte Sie leider nicht selbst. abholen!‹ – Die beiden gondelten ab, und selbstverständlich dachte ich, die junge Dame würde euch nun draußen das Dasein vergolden!«
Bob schüttelte den Kopf. »Komisch. Thorn kam kurz nach zehn auf der Farm an, und zwar allein. Charlie hat aber festgestellt, daß sein Auto zweiundsechszig Kilometer gefahren war.«
»Und auf dem Trittbrett, wie abgeschabt von Thorns Schuh, ich habe etwas roten Ton gefunden«, fügte Chan hinzu.
»Den gibt es an mehreren Stellen der Umgebung«, meinte Holley. »Die Sache wird ja immer verwickelter. Übrigens – eh ich's vergesse – hier ist ein Brief für Sie, Eden.«
Das Schreiben kam von Mrs. Jordan und enthielt die flehentliche Bitte, den Verkauf der Perlen nicht zu gefährden. Sie seien gewissermaßen schon Maddens Eigentum – wozu also die Verzögerung? Das Geld sei für sie und Viktor äußerst wichtig. Bob blickte den chinesischen Gefährten vorwurfsvoll an. »Diese Frau ist solch ein gutherziges Wesen, und ich finde, wir handeln schändlich an ihr! Schließlich geht es uns ja gar nichts an, was auf Maddens Farm geschieht. Unsere Pflicht Mrs. Alice gegenüber …«
»Verzeihung! Aber was das betrifft, so ich habe selbst feinstes Pflichtgefühl. Ewig blüht Dankbarkeit in meinem Herzen …«
»Großer Gott, gewartet haben wir doch lange genug.«
»Geduld ist sehr liebliche Tugend. Seit langen Jahrhunderten pflegen die Chinesen sie wie gütiger Gärtner die Blumen. Der weiße Mann rennt umher wie Käfer in der Flasche. Welche Methode ist besser, frage ich?«
»Aber ich bitte Sie, Charlie: All das, was wir auf der Farm entdeckt haben, geht doch lediglich die Polizei an.«
»Den beschränkten Inspektor Bliß, jawohl. Den mit den großen Füßen.«
»Ich kann nichts dafür, daß er große Füße hat! Und ich sehe absolut nicht ein, weshalb wir nicht Madden die Perlen aushändigen sollen. Es bleibt uns ja unbenommen, der Polizei nachher alles vorzutragen. Dann kann die sich den Kopf darüber zerbrechen, wer auf Maddens Farm umgebracht wurde.«
Chan klopfte ihm auf die Schulter. »Sie sind ein trefflicher junger Mann. Aber lassen Sie sich raten von Erfahrung!«
»Ich stehe völlig auf Chans Seite!« warf Holley ein. »Es wäre unverantwortlich, die Sache jetzt fallenzulassen. Nein, gedulden Sie sich ruhig noch eine Weile …«
»Gut«, seufzte Bob. »Vorausgesetzt, daß Sie mir eines sagen: Worauf warten wir eigentlich?«
»Madden morgen fährt nach Pasadena«, erläuterte der Chinese. »Zweifellos Thorn ihn wird begleiten, und Gamble schaffen wir irgendwie aus dem Wege. Dann wir haben Zeit und Gelegenheit. Denn unser ganzes Suchen auf der Farm bisher war hastig und übereilt. Morgen wir können tiefer graben. – Jetzt aber, ich möchte in Bescheidenheit vorschlagen, daß Sie antreten Ihre zwecklose Reise nach Barstow.«
Bob sah nach der Uhr. »Meinetwegen. Ein bißchen Stadtluft wird mir nicht schaden. Aber wenn ich wiederkomme, möchte ich, daß Licht in die Sache kommt. Wenn wieder etwas Rätselhaftes auf der Farm vor sich geht, dann wird es mir hier endgültig zu dumm.«
Über der Reise nach Barstow schien für Bob ein Glücksstern zu walten, denn auf dem Bahnsteig von Eldorado stand Paula Wendell! Sie stieg mit Bob in das gleiche Abteil, wo man nebeneinander Platz nahm.
»Schade, daß Sie nach Barstow wollen!« bedauerte das Mädchen. »Ich muß schon ein paar Stationen vorher heraus. Will mir ein Pferd mieten zum Ritt in die Berge. Es wäre nicht so einsam gewesen, wenn Sie mich hätten begleiten können.«
Bob lächelte – entzückt darüber, in diese strahlenden Augen blicken zu dürfen. »Wo steigen wir aus?« fragte er.
»Wir? Sie sagten doch –«
»Wahrheit können Sie in diesen Tagen nicht von mir verlangen. In Barstow ist meine Anwesenheit ebensowenig erforderlich wie die Ihre bei einem Schönheitsdoktor.«
»Ach!?« hauchte sie. »Nun – mein vorläufiges Ziel ist Seven Palms. Der alte Farmer dort, der mir ein Pferd leiht, wird sicher auch eines für Sie auftreiben.«
»Ich bin zwar nicht gerade für einen Ritt angezogen, aber das dürfte dem Roß einerlei sein.«
»Eigentlich beneide ich Sie, weil Sie zum erstenmal hier sind!« plauderte Paula, als sie nebeneinander durch die Wüste ritten. »Könnte ich dieses Land doch auch wieder mit neuen Augen betrachten, ohne immer gleich an Geschäfte denken zu müssen! Aber für mich ist alles nur Schauplatz. Ich sehe stets nur die Caballeros von Hollywood, sehe Tragödien und Heldentaten, Rettungen und Fluchtversuche.«
»Sind Sie auch heute auf der Jagd nach Kinokulissen?«
»Immer!« seufzte sie. »Hab' gerade ein Manuskript bekommen, so neu wie die Berge dort drüben. Cowboy und Millionärstochter – Sie wissen schon! Sie kommt hierher, voll glühenden Dranges, einen richtigen Mann zu treffen. Ihr Pferd geht durch und wirft sie ab, im Handumdrehen findet sie der Bewußte … Aber es ist kein Wunder, daß die abgehetzten Leute in den Städten die Wüste lieben. Jeder denkt: Oh, wenn ich doch dorthin könnte!«
»Ja, und wenn er da wäre, würde er vor Einsamkeit melancholisch werden und umkommen vor Sehnsucht nach Untergrundbahn und Abendzeitung.«
»Wahrscheinlich. Aber glücklicherweise kommen sie eben nicht her.«
Aus der Sonnenglut gelangten sie jetzt in den kühlen Schatten der Berge. Wilde Pflaumen wuchsen an den Hängen, und unter Palmen plätscherte einladend ein schmaler Fluß. Hier in Lonelytal erschien das Leben einfach und gut – inmitten einer unverdorbenen, unbefleckten Welt. Unter Palmen neben dem Flüßchen stiegen sie von ihren Pferden, um die Brote zu verzehren, die Paula im Rucksack mitgebracht hatte.
Im Laufe des Nachmittags kehrten sie dann auf Umwegen nach Seven Palms zurück. Die Sonne war im Untergehen, und goldene Wolken warfen ihren Widerschein auf den flimmernden Sand, als sie endlich bei dem Dörfchen anlangten.
Bob hörte ein Klappern, als ob der Huf seines strauchelnden Gauls auf Stahl schlüge. Scharf zog er die Zügel an. »Hallo, was ist denn das?«
»Ein halbverschüttetes Gleis der alten Zweigbahn – Erinnerungen an einen Traum, der nie Wirklichkeit wurde. Vor Jahren wollte man hier bei den Baumwollbäumen eine Stadt erbauen, und von der Hauptbahnstrecke wurde eine fünfundzwanzig Kilometer lange Nebenlinie abgezweigt. Eine Metropole der Wüste hatte man sich erhofft – und nur ein armseliges, verfallenes Haus blieb übrig! Es war damals die Zeit der großen Erwartungen. Sie lockte Massen von Menschen heraus; oft wurden sechshundert Parzellen an einem einzigen Nachmittag verkauft.«
»Und die Eisenbahn?«
»Fuhr ein einziges Mal – und stellte dann den Betrieb wieder ein. Man hatte nichts weiter zur Verfügung als eine ausrangierte Lokomotive und zwei altersschwache Straßenbahnwagen aus Frisko. Der eine Wagen wurde zu Brennholz zerhackt, aber der andere fristet noch hier in der Nähe sein verfehltes Dasein. Sie können ihn von der Höhe aus sehen.«
Und in der Tat: Vor ihnen, halb vergraben im Triebsand, standen die Überbleibsel eines Trambahnwagens, schief nach einer Seite geneigt, die Fenster gelb von Staub, aber an der Vorderseite mit noch schwach lesbarer Inschrift: ›Market Street‹. Bei diesem vertrauten Anblick wurde Bob vom Heimweh übermannt. Mit verworrenen Gefühlen starrte er auf dieses Symbol des Triumphs der Wüste über hochfliegende Menschenpläne …
Sie ritten dicht an die seltsame Ruine heran und stiegen ab. Das Mädchen machte ihre Kamera aufnahmebereit. Plötzlich aber standen die beiden jungen Leute wie erstarrt. Ein Mann war aus dem Wageninnern hervorgekommen – ein gebückter Alter mit kohlschwarzem Bart.
Bobs Augen suchten die seiner Begleiterin. »Vorigen Mittwochabend bei Madden?« raunte er leise.
Sie nickte. »Der Alte mit dem Packen!«
Der Schwarzbärtige sagte nichts – verharrte in stummem Staunen auf der vorderen Plattform, unmittelbar unter dem Schild ›Market Street‹.