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Am Sonntagmorgen kroch Bob erstaunlich früh aus den Federn. Verschiedene Beweggründe hatten diese außergewöhnliche Maßnahme veranlaßt: besonders die Wüstensonne, die sein Zimmer mit blendendem Licht durchflutete, und die Hähne auf der Farm, die mit lautem Krähen den Morgen ankündigten. Um acht Uhr stand er schon auf dem Hof, gewappnet und bereit für die Ereignisse des neuen Tages.
Als er um die Scheune herumschlenderte, bot sich ihm ein unerwarteter Anblick: Neben einem Korb grub Martin Thorn ein tiefes Loch in den Sand. In seinem dunklen Anzug mit dem bleichen Gesicht sah er fast aus wie ein Kirchendiener.
»Hallo!« rief Bob. »Wen begraben Sie denn da an diesem schönen Morgen?«
Thorn hielt inne. Schweißperlen standen ihm auf der blassen Stirn. »Einer muß es tun«, murmelte er. »Der neue Diener ist zu faul. Und wenn man den Kram sich anhäufen läßt, wird es hier bald ausschauen wie auf einem verlassenen Picknickplatz.« Er deutete nach dem Korb, der mit alten Blechbüchsen angefüllt war.
»Gesucht Privatsekretär zum Einbuddeln von Kehricht!« lächelte Eden. »Eine neue Seite Ihres Berufs, Thorn! Guter Gedanke, es auf solche Weise zu beseitigen.« Er bückte sich, nahm eine Büchse in die Hand. »Besonders diese hier, die, wie ich sehe, Arsenik enthielt.«
»Arsenik?« Thorn strich sich mit dem Arm über die Stirn. »O ja, das brauchen wir viel. Gegen die Ratten, wissen Sie.«
»Gegen die Ratten?« wiederholte Bob mit seltsamer Betonung und legte die Büchse wieder an ihren Platz.
Thorn schüttete den Korbinhalt in das Loch und begann es zuzuschaufeln. Bob, der seine Rolle als harmloser Zuschauer beibehielt, blieb müßig neben ihm stehen.
»So, das wäre geschafft!« Der Sekretär ebnete den Sand glatt. »Ordnung und Sauberkeit sind halt mein Steckenpferd.« Er nahm den Korb an sich. »Übrigens, wenn Sie gestatten, möchte ich Ihnen einen Rat geben. Ich weiß nicht, wieviel Ihren Leuten daran liegt, die Perlen zu veräußern. Aber ich bin seit anderthalb Jahrzehnten bei Madden, und ich versichere Ihnen, daß er nicht der Mann ist, den man ungestraft warten läßt. Ehe Sie sich's versehen, wird der Perlenkauf sich zerschlagen.«
»Ich tue, was ich kann. Außerdem macht Madden ein glänzendes Geschäft, und das weiß er …«
»Wenn P. J. sich ärgert, ist ihm das alles einerlei. Ich möchte Sie jedenfalls gewarnt haben.«
»Sehr gütig«, murmelte Bob gleichgültig. Thorn stellte Korb und Spaten vor der Küche nieder, aus der der Duft von brotzelndem Schinken drang. Dann schlenderte der Sekretär langsam zur Veranda.
Ah Kim kam aus dem Arbeitsraum, die Backen glühend vom Herdfeuer. »Sie, Hell, Sonne aufgehen sahen diesen Molgen?«
»Ich bin zeitig auf den Beinen gewesen, aber so früh denn doch nicht!« gab der junge Mann zurück. Er sah den Sekretär im Haus verschwinden. »Ich habe eben unsern lieben Freund Thorn beobachtet, wie er hinter der Scheune Kehricht vergrub. Darunter auch eine Blechbüchse, die Arsenik enthalten hat.«
Chan ließ die Maske Ah Kims fallen. »Mr. Thorn ist sehr geschäftig. Vielleicht er tut noch sonst mancherlei im Laufe der Zeit. Eine falsche Handlung führt immer zu weiteren falschen Handlungen, wie eine unendliche Kette. Wir Chinesen haben ein Sprichwort dafür: Wer auf einem Tiger reitet, kann nicht absteigen.«
Maddens Hünengestalt erschien auf der Veranda. »Hallo, Eden! Ihr Vater ist am Apparat! Ich habe ihn angerufen.«
Bob eilte an den Fernsprecher. »Guten Morgen, Papa! Heute kann ich offen sprechen. Ich fand hier Gott sei Dank alles in Ordnung. Wie es Mr. Madden geht? Oh, gut! Er steht hier neben mir, und er braucht die Kette schleunigst.«
»Schön! Wir werden sie ihm sofort schicken!« entgegnete der ältere Eden. Bob seufzte erleichtert. Sein Telegramm war also angekommen!
»Sagen Sie ihm, daß er sie heute absenden soll!« befahl der Millionär.
»Mr. Madden läßt fragen, ob sie heute abgehen kann?«
»Unmöglich!« erwiderte der Juwelier. »Ich habe sie noch gar nicht.«
»Geben Sie mir den Hörer her!« brüllte Madden. »Sagen Sie, Eden, was soll das heißen: Sie haben sie nicht?«
Bob Eden konnte die Antwort seines Vaters verstehen. »Guten Morgen, Mr. Madden … Ja, die Perlen waren in einer ganz unmöglichen Verfassung. So konnte ich sie nicht weitergeben. Deshalb hab' ich sie reinigen lassen – bei einer anderen Firma …«
»Unerhört!« donnerte der Börsenmagnat. »Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß ich die Perlen sofort zu erhalten wünschte. Es liegt mir nichts daran, daß sie gereinigt werden.«
»Tut mir aufrichtig leid!« widersprach Bobs Vater sanft. »Ich bekomme sie erst morgen, und dann werden sie abgeschickt.«
»Das heißt also, daß sie Dienstag abend auf der Farm sein werden? Ich hätte wahrhaftig Lust, den ganzen Handel rückgängig zu machen …« Madden machte eine Pause, und Bob hielt den Atem an. »Aber wenn Sie mir versprechen, daß die Perlen morgen bestimmt die Reise antreten …«
»Ich gebe Ihnen mein Wort!«
»Na schön, dann heißt es also nochmals warten. Aber es ist das erste und letzte Mal, daß ich mich mit Ihnen auf ein Geschäft einlasse, alter Freund! Guten Morgen!«
Voller Empörung legte Madden den Hörer auf. Seine schlechte Laune überdauerte das Frühstück, und Bobs krampfhafte Versuche, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, blieben ohne Erfolg. Nach dem Essen nahm Thorn das kleine Auto und verschwand. Bob spazierte erwartungsvoll vor dem Haus auf und ab. Viel früher, als er zu hoffen gewagt, wurde seine Geduld belohnt. Frisch wie der junge Morgen kam Paula Wendell in ihrem Wagen daher und hielt außerhalb des Stacheldrahtzauns.
»Guten Tag!« rief sie. »Steigen Sie ein! Sie tun, als wären Sie erfreut, mich zu sehen!«
»Erfreut? Gnädiges Fräulein, Sie bringen mir neues Lebenselixier. Die Luft hier ist nämlich ziemlich dick. Der große P. J. kann mich offenbar nicht leiden.«
»Machen Sie sich nichts daraus. Aber wie gefällt es Ihnen sonst hier draußen heute früh? Haben Sie je solche Farben gesehen?«
»Noch nie!« Bob schaute sie bewundernd an. »Und es ist nicht mal Make-up!«
»Ich rede von der Wüste, Sie Schmeichler! Betrachten Sie die Schneeberge!«
»Reizend. Aber wenn Sie gestatten, seh' ich mir lieber die näheren Dinge an. Er hat Ihnen wahrscheinlich gesagt, daß Sie schön sind?«
»Wer?«
»Ihr Bräutigam!«
»Fallen Sie doch nicht über einen guten Menschen her, wenn er nicht da ist!«
»Ein guter Mensch ist er sicher, sonst hätten Sie ihn nicht genommen.« Sie fuhren den sandigen Weg entlang. »Aber, gnädiges Fräulein, hören Sie auf die Weisheit eines Mannes von Welt: Die Ehe ist die letzte Zuflucht schwacher Seelen.«
»Meinen Sie?«
»Ich weiß es. Habe schwer darüber nachgedacht. Hier und da bin ich wohl einem jungen Mädchen begegnet, dessen Augen verrieten: ›Ich möchte schon!‹ Aber ich blieb vorsichtig. Immer standhaft, mein Junge, das ist mein Motto. Und jetzt darf ich mich dessen freuen. Ich bin frei – kann treiben, was ich mag. Wenn es Abend wird und die Lichter auf dem Union Square flimmern, greif ich einfach nach meinem Hut. Niemand flötet dann mit leise bettelnder Stimme: ›Wo gehst du hin, Schatz? Ich komme mit!‹ – Wie wundervoll ist dieses Gefühl der Unabhängigkeit! Sie sind doch eigentlich in der gleichen Lage. Natürlich gibt es Millionen von Mädchen, die nichts Besseres zu tun haben, als zu heiraten. Ganz schön. Aber … Sie … nun, Sie haben ja Ihren Beruf. Die Wüste, die Berge – und das alles wollen Sie für den Gaskocher in einer engen Wohnung aufgeben?«
»Vielleicht könnten wir uns ein Dienstmädchen leisten!«
»Das erträumen sich viele. Aber wo soll man heutzutage ein ordentliches Mädchen herbekommen? Ich warne Sie! Überlegen Sie sich's gründlich! Jetzt haben Sie ein herrliches Dasein. Mit der Heirat hat das ein Ende. Da müssen Sie Wilburs Strümpfe stopfen …«
»Er heißt Jack!«
»Das ist egal. Auch dann sind seine Strümpfe zerlöchert! Jedenfalls ist mir der Gedanke schrecklich, daß eine junge Frau wie Sie derart festgebunden sein soll …«
»In mancher Beziehung mögen Sie recht haben.«
»Und dabei hab' ich nur die Oberfläche berührt!«
Paula steuerte auf ein offenes Tor zu, und Bob gewahrte ein ansehnliches Farmgebäude inmitten einer Gruppe winziger Häuschen. »Hier sind wir bei Doktor Whitcomb«, erläuterte Paula. »Ein wundervoller Mensch! Ich möchte gern, daß Sie sich kennenlernen.«
Sie führte Bob durch die Flurtür in ein geräumiges Wohnzimmer, das nicht so prächtig ausgestattet war wie das auf Maddens Farm, aber noch behaglicher wirkte. Am Fenster saß eine grauhaarige Dame.
»Guten Morgen, Doktor!« grüßte das Mädchen. »Hier hab' ich Ihnen jemand mitgebracht.«
Die Dame erhob sich, und ihr gütiges Lächeln schien das ganze Zimmer zu erhellen. »Willkommen in meinem Heim!« sagte sie und gab Bob Eden die Hand.
»Sie sind der Doktor?« stammelte er.
»Gewiß! Aber Sie bedürfen offensichtlich meiner ärztlichen Hilfe nicht, denn Sie sind erfreulich gesund! Nehmen Sie bitte Platz! Wo halten Sie sich auf?«
»Auf Maddens Farm.«
»Richtig – ich hörte, daß Madden hier sei. Als Nachbar hat man nicht viel von ihm. Ich habe ihn gelegentlich aufgesucht, aber er ist nie zu mir gekommen. Und doch halte ich solche Reserviertheit in der Wüste nicht für angebracht. Wir sollten hier alle Freunde sein.«
»Sie jedenfalls sind vielen ein wahrer Freund!« sagte Paula.
»Wozu hätten wir das Leben, wenn wir einander nicht helfen würden? Ich wünschte nur, ich hätte noch weitaus mehr leisten können.«
Bob Eden fühlte sich plötzlich ganz klein vor dieser Frau.
»Kommen Sie, ich will Ihnen mein Heim zeigen!« lud sie ein. »Ich habe die Wüste zum Blühen gebracht – das könnte man auf meinen Grabstein schreiben. Wie trostlos sah es hier aus, als ich herkam! Eine Flinte und eine Katze, weiter hatte ich zunächst nichts. Und die Katze wollte nicht bleiben. Mein erstes Haus hab' ich mit eigener Hand gebaut. Fast acht Kilometer bis Eldorado – und jeden Tag bin ich hin und zurück gewandert.«
Sie geleitete ihre Gäste über den Hof zu all den kleinen Häuschen. Müde Gesichter leuchteten bei ihrem Kommen auf, trübe Augen bekamen einen freudigen Ausdruck.
»Aus dem ganzen Land kommen die Leute her«, erklärte Paula. »Krank, mutlos, mit gebrochenem Herzen, und sie impft ihnen neue Kraft ein …«
»Unsinn!« widersprach die Ärztin bescheiden. »Ich bin nur freundlich zu ihnen. Die Welt ist so unbarmherzig. Freundlichkeit tut Wunder.«
In der Tür eines der Häuschen stießen sie auf Martin Thorn, der in eine eifrige Unterhaltung mit Phil Maydorf vertieft war. Und selbst dieser Hartgesottene taute auf, als die Ärztin ein paar Worte an ihn richtete. Als die Gäste endlich aufbrachen, begleitete Doktor Whitcomb sie bis zum Tor.
»Hoffentlich auf Wiedersehen!« Bob hielt ihre große kräftige Hand in der seinen. »Sie müssen wissen, heute hab' ich zum erstenmal den Zauber der Wüste empfunden.«
Die Ärztin lächelte mild. »Die Wüste ist alt, müde und weise. Darin liegt ihre Schönheit. Nicht jeder ist imstande, sie zu sehen. Doktor Whitcombs Tür steht immer offen – vergessen Sie das nicht, junger Mann!«
Paula wendete das Auto, und schweigend fuhren sie heim. »Eine prächtige Frau«, begann das Mädchen endlich. »Das Licht hinter ihrem Fenster hat mich an meinem ersten Abend in der Einöde getröstet. Und das Licht in ihren Augen werde ich nie vergessen.«
Ringsum schwelte die Wüste in der Mittagsglut; dünne Dunstschleier umwölkten die fernen Höhenzüge. Bob Edens Gedanken kehrten zu den seltsamen Problemen zurück, die ihn beschäftigten. »Sie haben mich gar nicht gefragt, wozu ich eigentlich hier bin.«
»Ich dachte, Sie würden bald einsehen, daß wir hier samt und sonders gute Kameraden sind, und mir von selbst Ihre Sorgen anvertrauen.«
»Das werd' ich eines Tages auch tun. Vorläufig allerdings noch nicht. Aber um noch einmal auf Ihren ersten Besuch auf Maddens Farm zu kommen: Sie hatten das Gefühl, daß dort etwas nicht stimmte?«
»Unbedingt.«
»Nun, ich kann Ihnen heute so viel sagen, daß Ihr Empfinden Sie nicht trog. Und es ist meine Absicht, das zu klären. Ich gäbe viel darum, jenen Alten mit dem Packen zu treffen. Würden Sie so freundlich sein, mich sofort zu benachrichtigen, wenn Sie ihn noch einmal sehen sollten?«
»Gern. Natürlich kann er jetzt längst in Arizona sein.«
Nach einer Stunde hielt das Auto vor Maddens Farm, und Bob Eden blickte in die Augen des Mädchens. Irgendwie schienen sie denen der Ärztin verwandt – ähnlich geruhsam, tröstend und gütig. Er lächelte. »Wissen Sie, ich kann es ja zugeben: Mir war dieser Wilbur recht unsympathisch. Aber nun begreife ich, daß er mir den größten Dienst erwiesen hat. Ich müßte ihm von Herzen dankbar sein.«
»Wovon faseln Sie eigentlich?«
»Verstehen Sie nicht? Ich habe eingesehen, daß die größte Versuchung meines Lebens an mich herangetreten ist. Aber ich brauche nicht dagegen anzukämpfen. Wilbur hat mich gerettet. Grüßen Sie ihn, wenn Sie ihm schreiben!«
»Beunruhigen Sie sich nicht! Selbst wenn kein Wilbur da wäre, würde Ihre Freiheit« nicht in Gefahr geraten. Dafür würde ich schon selber sorgen!«
»Ich weiß nicht, wie es kommt, aber diese Bemerkung gefällt mir nicht«, sagte Bob zerknirscht. »Nun, jedenfalls hab' ich Ihnen wieder für eine schneidige Fahrt zu danken. Schade, daß Sie fort müssen! Hier draußen scheint es ein recht öder Sonntag zu werden. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich heute nachmittag in die Stadt käme?«
»Ich würde es wahrscheinlich gar nicht erfahren!« lachte das Mädchen. »Einstweilen also: Leben Sie wohl!«
Bobs Voraussage erfüllte sich: Der Sonntag wurde lang und langweilig. Um vier Uhr nachmittags konnte er es nicht mehr aushalten. Die glühende Hitze wich einem linden Wind, und mit Erlaubnis des noch immer schlechtgelaunten Madden gondelte Bob in dem kleinen Auto den Sensationen von Eldorado zu.
Auch dort gab es nicht viel Zerstreuung. Am Fenster des Wüstensaumhotels mühte sich der Besitzer durch eine endlose Sonntagszeitung hindurch. Die Hauptstraße lag verödet. Der junge Mann ließ seinen Wagen vor dem Hotel und begab sich in Holleys Büro.
An der Tür begrüßte ihn der Redakteur. »Guten Tag, lieber Eden! Ich habe mit Ihnen gerechnet. Übrigens ist ein Telegramm für Sie da.«
Bob vertiefte sich1 eilig in die Nachricht seines Vaters. ›Verstehe nicht, was los ist, bin aber sehr beunruhigt. Will zunächst Euren Weisungen gemäß handeln. Ich vertraue Euch beiden, muß aber zu bedenken geben, daß es mir äußerst peinlich wäre, wenn der Handel ins Wasser fiele. Jordans legen Wert auf raschen Abschluß, und Viktor ist drauf und dran, Euch auf den Hals zu rücken. Haltet mich auf dem laufenden.‹
»Donnerwetter, das wäre Pech!« murmelte Bob.
»Was?«
»Viktor droht mit persönlichem Eingreifen – der Sohn der Dame, der die Perlen gehören. Der Dickschädel fehlt uns gerade noch!«
»Und was gibt's sonst Neues?«
»Zunächst hab' ich siebenundvierzig Dollar verspielt!« Bob erzählte von dem Poker. »Außerdem stellten wir fest, daß Thorn eine Arsenikbüchse vergrub. Und Charlie hat die fehlende Waffe mit zwei leeren Kammern in Thorns Zimmer entdeckt.«
Holley pfiff durch die Zähne. »Tatsächlich? Ich glaube, Ihr wackerer Freund Chan bringt diesen Schurken hinter Schloß und Riegel, eh' wir uns versehen.«
»Vielleicht. Aber man kann keinen Verdächtigen des Mordes überführen, ohne einen Leichnam vorzuzeigen.«
»Den wird Chan schon noch auftreiben!«
Bob zuckte die Achseln. »Das mag dann seine Sache sein! Solche Dinge haben keinen Reiz für mich. Ich liebe Spannung, aber alles muß nett und reinlich zugehen. Wie steht's mit Ihrem Interview?«
»Morgen wird es in New York veröffentlicht.« Holleys müde Augen leuchteten.
»Ich möchte selber auch zur Presse«, gestand Bob.
Der andere musterte ihn mit raschem Blick. »Überlegen Sie sich das weislich! Eine wohlfundierte Firma wartet auf Sie – was kann Ihnen da schon die Zeitung bieten? Es mag ganz schön sein, solange Sie jung sind. Aber wenn Sie alt werden?« Er stand auf und legte seinem Gast die Hand auf die Schulter. »Wenn Sie alt sind, mit vierzig Jahren schon vielleicht – was dann? Eines Tages kommt der Verleger, sieht eine graue Strähne in Ihrem Haar und knurrt: ›Werft den Tapergreis hinaus! Ich brauche junge Kräfte.‹ Nein, lieber Freund, mit der Presse ist nicht viel los. Darüber müssen wir uns gründlich unterhalten.«
Das geschah. Holleys kleine Schreibtischuhr wies auf fünf, als der Redakteur endlich innehielt. »Kommen Sie! Gehen wir im Oasencafé zusammen essen!«
Bob stimmte mit Freuden zu. An einem der Tischchen gegenüber der Bar saß Paula Wendell. »Setzen Sie sich zu mir!« sagte sie. »Nun, Mr. Eden, ist der Tag so langstielig geworden, wie Sie befürchteten?«
»Grausam langstielig – nachdem Sie mich verlassen hatten.«
Als die Platten aufgetragen wurden, zog Bob die Schultern hoch. »Flüchten Sie schleunigst in die Rettungsboote! Bevor ich zu schneiden anfange, müssen Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht werden.«
Holley starrte auf seinen Teller. »Immer dasselbe alte Huhn!« seufzte er. »Was gäbe ich für ordentliche Hausmannskost!«
»Sie sollten heiraten!« neckte Paula. »Oder meinen Sie nicht, Mr. Eden?«
»Ich habe manchen armen Kerl gekannt, der sich verheiratete in der Hoffnung auf anständige Fütterung. Jetzt speist er wieder im Restaurant – mit dem einzigen Unterschied, daß seine Frau ihm dabei Gesellschaft leistet. Doppelte Rechnung und halbes Vergnügen!«
»Warum so zynisch?« lachte Holley.
»Mr. Eden ist eingefleischter Junggeselle – er hat mir das heute schon einmal klargemacht.«
»Ich habe versucht, Sie zu retten. Kennen Sie übrigens diesen Wilbur, der ihr vertrauensvolles Herz erobert hat?«
»Wilbur?« fragte Holley verwundert.
»Er läßt sich nicht davon abbringen, Jack so zu nennen. Leider spricht er ziemlich verächtlich von meinem Bräutigam.«
Holley blickte auf ihren Ring. »Nein, ich kenne ihn nicht. Aber ich finde, man darf ihn beglückwünschen.«
»Sicherlich«, meinte Bob. »Vor allem wegen seines Mutes. Aber ich will nichts gegen Wilbur sagen. Wie ich heute schon einmal andeutete …«
»Lassen wir das!« unterbrach Paula. »Woran denken Sie?«
»An einen Abend in New York.« Und der Journalist erzählte von dem alten Manhattan, wie er es gekannt hatte. Die Zeit verging im Fluge. Als sie zahlten, fiel Bob ein Gast auf, der sich eine Zigarre anzündete. Er war, seiner Kleidung nach, kein Einheimischer – ein kleiner, gelehrt aussehender Herr mit durchdringendem Blick.
»Guten Abend, Professor!« begrüßte ihn der Redakteur.
»Ah – wie geht es Ihnen? Diesmal bin ich eigentlich wegen der Känguruhratte da. Es soll in der hiesigen Gegend eine Abart geben, deren Schwanz drei Millimeter länger ist als bei allen bisher bekannten Varianten.«
»Da lassen Sie sich doch mal in meinem Büro sehen! Wir können dann ein wenig miteinander plaudern«, schlug Holley vor. »Aber wer kommt denn da?«
Bob sah einen hageren Chinesen, der so alt wirkte wie die Wüste selber, zur Tür herein wackeln. Sein Gesicht hatte die Farbe einer vielgerauchten Meerschaumpfeife, die Augen aber blickten klug und klar.
»Nun, Louie, wieder aus Frisko zurück?« rief Holley ihn an.
»Ja, Herr, da bin ich wieder!« antwortete die hohe, schrille Chinesenstimme.
»Hat es Ihnen nicht gefallen?«
»Frisko nicht schön. Immerfort Regen auf Nase. Hier besser.«
»Sie wollen also zurück nach Maddens Farm? Da haben Sie aber Glück, Louie! Mr. Eden hier fährt jetzt gleich hinaus, und Sie können mitfahren.«
»Nur ein wenig heißen Tee. Sie ein Weilchen warten, Herr!« bat Louie Wong und hockte sich vor den Bartisch.
»Wir warten vor dem Hotel!« erklärte Holley, und die drei gingen hinaus. Der kleine Naturforscher schlüpfte hurtig an ihnen vorbei und verschwand im Dunkel.
Draußen verabschiedete sich Paula Wendell. »Ich verlasse Sie jetzt, ich muß noch Briefe schreiben.«
»Natürlich«, grinste Bob. »Vergessen Sie nicht, Wilbur von mir zu grüßen!«
»Es sind Geschäftsbriefe!« betonte sie streng. »Gute Nacht!«
»Also Louie ist wieder da!« Bob wiegte den Kopf hin und her. »Eine dumme Geschichte!«
»Wieso? Er kann mancherlei zu berichten haben.«
»Vielleicht. Aber wenn er seinen Posten wieder antritt – was wird dann aus Charlie? Man wird ihn hinauswerfen, und ich bin allein auf dem Schauplatz. Ich fühle mich nicht recht wohl in meiner Haut.«
»Daran hab' ich freilich noch nicht gedacht. Aber es wird Arbeit genug für zwei Diener geben, solange Madden draußen wohnt. Er wird sie vermutlich beide behalten. Und Charlie hat so beste Gelegenheit, sich den alten Louie vorzunehmen. Wir beide könnten ihn bis zum jüngsten Tage ausfragen und würden nichts erfahren. Aber bei einem Landsmann ist das was anderes.«
Louie Wong kam jetzt die Straße entlanggeschlurft, eine billige kleine Reisetasche in der einen, eine volle Tüte in der anderen Hand.
»Was haben Sie denn da mitgebracht?« Der Journalist befühlte die Tüte. »Bananen?«
»Tony liebt Bananen!« lächelte der Alte. »Gut für Tony.«
Bob und Holley sahen einander an. »Louie«, sagte der Redakteur leise, »der arme Tony ist tot!«
Wer der Meinung ist, daß das Gesicht eines Chinesen immer ausdruckslos sei, wäre in diesem Augenblick eines anderen belehrt worden. Schmerz und Zorn verzerrten die Züge Louie Wongs, und er brach in einen Schwall heimatlicher Worte aus, die in ihrer erschreckenden Lebhaftigkeit keines Übersetzers bedurften.
»Ob er alles ahnt?« raunte Bob. »Daß Tony umgebracht wurde, meine ich?«
»Es sieht fast so aus. Finden Sie nicht auch?«
Noch immer laut schimpfend, nahm der alte Verwalter hinten im Auto Platz, während Bob sich ans Steuer setzte.
»Seien Sie auf der Hut, mein Junge!« riet Holley. »Auf Wiedersehn!«
Bob Eden trat mit dem alten Wong die seltsamste Fahrt seines Lebens an. Noch war der Mond nicht aufgegangen, und die blassen, unfreundlichen Sterne spendeten keine Helle. Der Wagen glitt zwischen den Bergen dahin, bis sich ein schwarzes, drohendes Inferno auftat, das Eden wohl spüren, aber nicht übersehen konnte. Dann ging es den felsigen Hang hinab und einen sandigen Wüstenpfad entlang. Aus der Finsternis seitlich des Weges glommen tückische gelbe Augen auf und flammten gehässig, um jäh wieder zu verschwinden. Gleich scheußlichen Gespenstern wanden und reckten die Josuabäume ihre krummen Arme. Und immerfort murmelte die betrübte Stimme des alten Chinesen hinten im Auto, der um den Tod seines Vogelfreundes klagte.
Bob hatte starke Nerven; aber er war heilfroh, als die Lichter von Maddens Farm aufblinkten. Rasch stieg er aus, ließ das Auto auf dem Weg stehen und ging zum Tor, um es zu öffnen. Ein Zweig hatte sich festgeklemmt, doch endlich gelang es, die Pforte aufzustoßen. Er lief zum Auto zurück und steuerte es auf den Hof. Mit einem Gefühl tiefer Erleichterung hielt er vor der Scheune, wo Charlie Chan ihn hilfsbereit erwartete.
»Guten Abend, Ah Kim!« rief Bob. »Ich hab' dir einen Landsmann mitgebracht!« Er stieg aus. Hinten im Auto blieb alles merkwürdig still. »Kommen Sie, Louie! Wir sind zu Haus!«
Von wildem Entsetzen gepackt, sah er im trüben Schein, daß der alte Chinese auf den Knien lag und sein Kopf schlapp vornüber hing.
»Warten Sie! Ich hole Licht!« Charlie Chan tappte eilig davon und kehrte gleich darauf mit einer Taschenlampe zurück. Louies abgetragener Mantel wies an der Seite ein Loch auf, von etwas Nassem, Dunklem umgrenzt.
»In die Seite gestochen!« murmelte Charlie. »Tot – wie Tony!«
»Ermordet … aber wann?« ächzte Bob. »In der Minute etwa, als ich das Auto allein ließ? Das ist doch unmöglich!«
Aus dem Schatten tauchte Martin Thorn; spukhaft schimmerte sein bleiches Gesicht. »Was hat dies alles zu bedeuten? Warum … Aber da ist ja Louie! Was ist mit ihm?«
Er beugte sich in den Wagen, und Charlies Taschenlampe beleuchtete seinen Rücken. Der dunkle Rock zeigte einen langen Riß, als sei sein Träger hastig durch einen Stacheldrahtzaun geschlüpft.
»Entsetzlich!« keuchte er dumpf. »Ich muß schleunigst Mr. Madden holen!« Er rannte ins Haus, und Bob blieb mit Charlie zurück.
»Charlie – der Riß in Thorns Jacke …«
»Was ich Ihnen sagte heute früh: Wer auf einem Tiger reitet, kann nicht absteigen!«