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12

Bob Eden gab sich einen Ruck. »Guten Abend!« grüßte er. »Hoffentlich haben wir Sie nicht gestört?«

Mit einiger Mühe kletterte der Alte von der Plattform auf den Sandboden und schüttelte den beiden die Hand. »Nein, Sie stören mich nicht. Es kommt hier freilich selten jemand vorbei. Cherry ist mein Name – William I. Cherry. Machen Sie sich's bequem. Nur mit den Stühlen hapert es, Miss.«

»Schadet nichts!« lächelte das junge Mädchen.

»Sie kommen gerade recht zur Vesperzeit«, fuhr der Alte gastlich fort. »Wie steht's damit? Es wäre eine Büchse Bohnen da – und ein Stückchen Schinken …«

»Sehr freundlich!« wehrte Bob ab. »Aber wir müssen bald zurück nach Seven Palms.«

Paula Wendell hockte auf dem Trittbrett des Wagens, und Eden setzte sich in den warmen Sand. Der Alte humpelte nach dem hinteren Teil seiner sonderbaren Behausung und kam mit einer leeren Seifenkiste wieder. Nachdem er Bob vergeblich zu bewegen versucht hatte, sich darauf zu setzen, nahm er das primitive Sitzmöbel selber in Gebrauch.

»Ein nettes Heim haben Sie sich da ausgesucht!« scherzte Bob.

»Heim?« Der Alte betrachtete die Wagenruine mit kritischem Blick. »Ein ›Heim‹ hab' ich seit dreißig Jahren nicht gehabt. Gelegenheitsquartier wäre wohl das richtigere Wort.«

»Wohnen Sie schon länger hier?«

»Fünf, sechs Tage. Aber morgen geht's weiter – nach drüben zu!«

»Wohin denn?«

»Irgendwo anders hin.« Der Blick der müden Augen ruhte auf den Berggipfeln. »Immer suchen.«

»Was hoffen Sie denn zu finden?« fragte Paula.

»Ich hab' mal eine Kupferader geschürft, Miss, aber man nahm sie mir weg. Und jetzt suche ich sie.«

»Sie leben schon lange in der Einöde?«

»Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre. Immer in irgendeiner Wüste.«

»Und vorher?«

»Hab' ich in Australien geschürft zwischen Hannans und Halls Creek, in queensländischem Gebiet. Zeitweise trieb ich auch Vieh nach Neusüdwales oder fuhr als Heizer auf Ozeandampfern.«

»Sie sind wohl gebürtiger Australier?«

»Nein – ich stamme aus Südafrika – von englischen Eltern. Das ganze britische Zentralafrika hab' ich durchwandert.«

»Wie sind Sie denn da nach Australien geraten?«

»Weiß ich auch nicht, junger Mann. Hab' halt eine Zeitlang in Südamerika herumgelungert, trat dann in eine mexikanische Truppe ein. Vielleicht hab' ich irgend etwas in Australien gewollt – jedenfalls kam ich hin. Und ebenso bin ich hierhergekommen. Drüben war es aus, und da ging ich fort!«

»Weiß Gott, Sie haben ein schönes Stück von der Welt gesehen.«

»Mag sein! Der Arzt in Redlands drüben riet mir neulich, ich solle eine Brille tragen. ›Aber, Doktor‹, hab' ich gesagt, ›wozu? Ich habe alles gesehen, und ich komme durch!‹«

Es entstand eine Pause. Bob wußte nicht recht, wie er diesen kniffligen Fall angreifen sollte; wäre doch nur Chan zur Stelle! Aber es half nichts. »Sie sind erst seit fünf oder sechs Tagen hier?« tastete er sich behutsam vor.

»Ungefähr, glaub' ich.«

»Entsinnen Sie sich zufällig, wo Sie am letzten Mittwochabend waren?«

Der Blick des Alten schien sich jäh zu schärfen. »Und wenn ich mich entsinne?«

»Ich wollte nur sagen: Falls Ihr Gedächtnis Sie im Stich läßt, so könnte ich vielleicht ein bißchen nachhelfen. Sie waren auf Madden's Farm, in der Nähe von Eldorado.«

Langsam nahm der Alte seinen Schlapphut ab. Mit krummen, knochigen Fingern holte er einen Zahnstocher aus dem verschlissenen Hutband und steckte ihn in den Mund. »Kann sein. Und was soll das?«

»Ja – über diesen Abend möchte ich gern mit Ihnen reden.«

Cherry musterte den Frager eingehend. »Sie sind mir fremd – und ich dachte, mir wäre jeder höhere Polizeibeamte westlich der Rockies bekannt.«

»Sie geben also zu, daß auf Maddens Farm etwas geschehen ist, was die Polizei interessieren würde?«

»Ich gebe gar nichts zu!« brummte der andere.

»Sie wissen etwas über diesen Mittwochabend, alter Freund, und zwar etwas sehr Wichtiges. Ich muß das erfahren. Was hatten Sie eigentlich bei Madden zu tun?«

Cherry schob den Zahnstocher hin und her. »Gar nichts. Kam eben zufällig hin. Ich wandere ja schon lange in der Wüste herum, kenne daher auch Maddens Ranch. Der chinesische Verwalter, Louie Wong, ist ein guter Freund vor mir. Er steckt mir immer was zu futtern zu und läßt mich in der Scheune schlafen. Da hat er doch ein wenig Gesellschaft. Er fühlt sich so allein auf der Farm.«

»Eine treue Seele, der gute Louie!«

»Eine der besten auf der Welt, junger Mann! Das ist keine Lüge.«

Bob sprach jetzt sehr langsam. »Und doch ist er ermordet worden!«

»Was sagen Sie da?«

»Am Sonntagabend wurde er unweit des Hoftores erstochen von einem Unbekannten.«

»So ein Hund!« knirschte Cherry empört.

»Völlig meine Meinung. Ich bin kein Polizeibeamter, aber ich tue, was in meiner Macht steht, um den Schuldigen aufzuspüren. Das, was Sie an jenem Abend auf der Farm sahen, Mr. Cherry, hatte zweifellos entscheidenden Einfluß auf Louies tragisches Schicksal. Ich brauche Ihre Unterstützung. Wollen Sie mir jetzt reinen Wein einschenken?«

Cherry nahm den Zahnstocher aus dem Mund und beäugte ihn nachdenklich. »Ja, das will ich! Ich hoffte, ich würde aus dem Spiel bleiben. Der Polizei geh' ich lieber aus dem Wege. Aber ich bin eine ehrliche Haut, und ich habe Gott sei Dank nichts zu verbergen. Nur weiß ich nicht recht, wo ich anfangen soll.«

»Ich werde Ihnen behilflich sein. Haben Sie neulich abends auf Maddens Farm vielleicht jemanden ›Hilfe! Mörder! Tu den Revolver weg!‹ oder etwas Ähnliches rufen hören?«

»Ich habe nichts zu verheimlichen: Ja, das habe ich gehört!«

Bob klopfte das Herz. »Haben Sie auch etwas gesehen …«

Der Alte bejahte. »Sehr viel sogar, junger Mann! Louie Wong ist nicht der erste, der auf Maddens Farm abgemurkst wurde. Denn auch ich war Zeuge eines Mordes …«

Bob stockte der Atem. Er sah Paula Wendells Augen angstvoll geweitet. »Ich dachte es mir«, sagte er. »Und nun erzählen Sie alles genau!«

Cherry schob den Zahnstocher wieder in den Mund, aber das hinderte ihn nicht am Sprechen. »Das Leben ist komisch«, begann er, »voll merkwürdiger Zufälle. Ich dachte, dies wäre wieder ein Geheimnis zwischen mir und der Wüste. Mir kann es freilich einerlei sein, wenn ich auch nicht gern mit den Behörden zu tun habe … Also, ich kam letzten Mittwoch, als es dunkel wurde, auf Maddens Ranch. Beim Betreten des Hofs schon fällt mir auf, daß da was los ist. Der Besitzer ist gekommen. Hinter den meisten Fenstern, ist es hell; in der Scheune, neben Louies alter Karre, steht ein großes, modernes Auto. Müde, wie ich war, nehm' ich mir vor, auf Louie zu warten und mich von dem großmächtigen Farmherrn nicht erwischen zu lassen. Ein kleines Abendbrot und ein Bett kann man ja wohl bekommen, ohne aufzufallen. Ich lege also mein Bündel in der Scheune ab und pirsch' mich hinüber nach der Küche. Louie ist nicht da. Wie ich wieder hinausschleiche, hör' ich einen Schrei aus dem Haus – eine laute Männerstimme. ›Hilfe!‹ gellt sie. ›Tu den Revolver weg! Hilfe, Hilfe!‹ Ganz, wie Sie sagten. Ich bleibe unschlüssig stehen. Da wiederholt sich der gleiche Schrei – aber diesmal ist es nicht der Mann, sondern Tony, der chinesische Papagei, auf seiner Stange. Dann ein scharfer Knall – anscheinend in einem der erleuchteten Zimmer, dessen Fenster offensteht. Ich schleiche näher heran – da knallt es von neuem, und ich höre Stöhnen. Der Schuß hat demnach getroffen. Ich bin am Fenster angelangt – spähe hinein …«

»Nun, und?«

»Es ist ein Schlafzimmer, und er steht da mit der rauchenden Schußwaffe und sieht ganz wild aus und doch erschrocken. Und einer liegt am Boden, an der anderen Seite vom Bett – aber nur seine Schuhe kann ich erkennen. Der Mörder wendet sich zum Fenster, den Revolver noch immer in der Faust –«

»Wer, um Gottes willen? Wer? Sprechen Sie von Martin Thorn?«

»Sie meinen den mageren Duckmäuser von Sekretär? O nein der war es nicht! Ich spreche von ihm … von dem mächtigen Herrn, von P. J. Madden selbst.«

Bestürztes Schweigen. »Allmächtiger«, ächzte Bob. »Sie wollen andeuten, daß Madden … Aber das ist unmöglich! Sind Sie sich auch ganz sicher?«

»Unbedingt! Ich kenn' ihn doch genau. Hab' ihn schon vor drei Jahren auf der Farm gesehen. Ein Riese mit rotem Gesicht und dünnem, grauem Haar. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Da stand er und starrte nach dem Fenster. Ich duckte mich. In diesem Augenblick kommt Thorn, von dem Sie vorhin sprachen, ins Zimmer gestürzt. Leichenblaß. ›Was haben Sie da angestellt?‹ brüllt er außer sich. – ›Ich hab' ihn getötet!‹ sagt Madden. – ›Sie Narr!‹ zischt der Sekretär. ›Das war nicht nötig!‹ – Madden legt die Waffe aus der Hand. ›Warum nicht? Ich hatte Angst vor ihm.‹ – Thorn lachte höhnisch: ›Sie haben schon immer Angst vor ihm gehabt, Sie elender Feigling. Damals in New York …‹ Madden wirft ihm einen Blick zu: ›Maul halten! Ich fürchtete ihn, und so mußte er sterben. Jetzt wollen wir überlegen, was weiter zu tun ist‹ …«

William Cherry betrachtete seine verstörten Zuhörer. »Ja, meine Herrschaften, dann hab' ich mich natürlich flink aus dem Staube gemacht. Ich laufe zur Scheune, hole mir mein Bündel, und als ich auf den Hof komme, fährt gerade ein Kleinauto ein. Ich krieche durch den Zaun und komme bis hierher. Ich dachte, nun wär' ich in Sicherheit, und wie Sie mich gefunden haben, ist mir schleierhaft. Aber ich bin eine ehrliche Haut und habe nichts zu verbergen. Das ist meine Geschichte, – und es ist, Gott steh' mir bei, die lautere Wahrheit!«

Bob Eden erhob sich. »Menschenskind, das ist eine verflucht ernste Sache! Sie wissen, wer Madden ist, nicht wahr? Einer der bedeutendsten Männer Amerikas …«

»Du meine Güte! Er wird sich schon aus der Patsche ziehen.«

»Nicht, wenn Sie Ihre Geschichte berichten. Sie müssen jetzt mitkommen nach Eldorado …«

»Nee – ich geh' in keine Stadt, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Ich will meine Beobachtungen erzählen, sooft danach gefragt wird. Aber nach Eldorado? Nein, junger Mann! Nichts zu machen!«

»Aber Sie müssen doch einsehen –«

»I wo! Was wissen Sie denn eigentlich? Wissen Sie, wer der Mann hinterm Bett war? Hat man seine Leiche gefunden?«

»Das nicht. Aber –«

»Na also! Sie sind halt ein Anfänger, lieber Mann! Was gilt mein Wort gegen P. J. Maddens Wort, wenn Sie sonst keinen Beweis haben? Den müssen Sie erst ausgraben!«

»Vielleicht haben Sie recht!«

»Sicherlich! Ich hab' Ihnen einen Gefallen getan – nun tun Sie mir auch einen! Schauen Sie zu, was Sie mit dieser Neuigkeit anfangen können! Und lassen Sie mich, wenn es irgend geht, völlig beiseite! Falls das nicht möglich ist – na, dann werd' ich mich eben bereithalten. In acht Tagen etwa bin ich unten in Needles. Will da meinen alten Freund Slim Jones besuchen. Dort können Sie mich also finden. Das war' doch ein brauchbarer Vorschlag, nicht wahr, Miss?«

Das Mädchen nickte. »Wahrscheinlich.«

»Gut – ich bin einverstanden, Mr. Cherry. Ihre Aussage wirft auf vieles ein ganz neues Licht, und ich werde Sie ungeschoren lassen, wenn ich kann.«

Der Alte rappelte sich mühsam auf. »Abgemacht! Es liegt mir ja keineswegs daran, Madden zu schonen! Ich geh' auch zum Gericht, wenn es sein muß. Aber vielleicht können Sie den großmächtigen Sünder auch ohne mich überführen.«

Bob schüttelte ihm die Hand. »Ich freue mich, daß wir uns getroffen haben, Mr. Cherry!«

»Ich desgleichen! Ich schwatze dann und wann gern ein wenig, wenn ich aufmerksame Zuhörer habe.«

Eine lange Weile ritten die beiden jungen Leute schweigend durch den Wüstensand. »Nun«, sagte Bob endlich, »das ist ja eine merkwürdige Geschichte, Miss Wendell.«

»Es fällt mir schwer, daran zu glauben.«

»Vielleicht werden Sie klarer sehen, wenn ich einiges hinzufüge. Sie sind ja nun in das Geheimnis von Maddens Farm hineingezogen worden, und es liegt kein Grund vor, warum Sie nicht ebensoviel wissen sollen wie ich.«

»Ich bin außerordentlich gespannt.«

»Kann ich mir denken. Also, ich kam hierher, um ein kleines Geschäft mit P. J. Madden abzuwickeln. Darauf brauche ich nicht näher einzugehen, denn es hat keine besondere Bedeutung. Am ersten Abend auf der Farm …« Und nun schilderte Bob der Reihe nach die rätselhaften Geschehnisse, die mit dem Papageienschrei in finsterer Nacht begannen. »Jetzt wissen Sie Bescheid«, schloß er. »Es ist jemand ermordet worden. Vor Louie ein anderer. Aber wer? Das wissen wir noch nicht. Und von wem? Der heutige Tag hat uns Antwort gegeben.«

»Es klingt unfaßbar. Überhaupt – die heimatlosen Stromer, die ewig in, den Wüsten herumstrolchen, werden auf ihre alten Tage manchmal wunderlich. Und was dieser Cherry von seinen Augen sagte und von dem Doktor in Redlands …«

»Mag sein! Trotzdem bin ich fest überzeugt, daß er die Wahrheit gesagt hat. Madden ist tatsächlich zu allem fähig. Ein unbeugsamer Charakter! Wenn ihm jemand in die Quere kommt, macht er kurzen Prozeß. Irgendein armer Teufel mag ihm im Wege gewesen sein – aber nicht lange. Wer es war? Das müssen wir eben noch herausbringen.«

»Wir?«

»Nun ja. Auch Sie sind ja nun in diese Affäre verwickelt. Und da heißt es mittun, ob Sie wollen oder nicht!«

»Ich glaube, ich will!« meinte Paula ernst.

Sie lieferten ihre erschöpften Pferde in der Stallung ab, genossen eine kärgliche Abendmahlzeit im ›Hotel‹ von Seven Palms und bestiegen dann den Zug nach Eldorado. Dort warteten Charlie und Will Holley.

»Guten Abend, Paula!« grüßte der Journalist. »Wo haben Sie denn gesteckt, Mr. Eden? Ah Kim ist auch da. Madden hat ihn hergeschickt, um Sie abzuholen.«

»Grüß Gott allerseits!« rief Bob fröhlich. »Ehe Ah Kim und ich nach der Farm fahren, gibt es mancherlei zu erzählen. Also, auf ins Redaktionsbüro!«

Dort angekommen, verkündete er: »Jetzt zerteilen sich die Wolken! Endlich weiß ich etwas Positives. Aber zunächst, Miss Wendell, darf ich Ihnen wohl Ah Kim vorstellen? So nennt er sich hier. In Wirklichkeit haben Sie die Ehre, Mr. Charlie Chan, Kriminalbeamten aus Honolulu, vor sich zu sehen.«

Der Chinese verbeugte sich würdevoll.

»Es freut mich, solch seltene Bekanntschaft zu machen!« lächelte das junge Mädchen und ließ sich auf Holleys Schreibmaschinentisch nieder.

»Schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, Charlie!« lachte Bob. »Auf Miss Wendell ist unbedingter Verlaß, und sie weiß inzwischen von der ganzen Sache mehr als Sie. Die junge Dame hat mich nämlich auf einen Ritt durch die Wüste mitgenommen, und dabei haben wir den bewußten Schwarzbart, unsere Wüstenratte, getroffen und ausgefragt.«

»Donnerwetter!« rief Holley voller Neugier. Und Charlies Augen blitzten.

»Die Chinesen sind tatsächlich feinfühlige Menschen, Charlie das kann ich aller Welt beweisen. Sie hatten durchaus den richtigen Riecher! Ehe wir auf Maddens Farm anlangten, wurde dort ein Mord inszeniert. Und ich kenne nun den Mörder!«

»Thorn!« warf Holley hin.

»Nein – der hohe Chef selbst, der große P. J. in Person. Am vorigen Mittwochabend hat er auf seiner Ranch irgendeinen Mißliebigen niedergeknallt.«

»Unsinn!« schrie der Redakteur.

»Hören Sie bitte zu!« Und Bob berichtete Cherrys Geschichte. Chan und Holley lauschten in sprachloser Verwunderung.

»Und wo ist der alte Schürfer jetzt?« forschte der Chinese.

»Das ist der einzige wunde Punkt. Ich hab ihn laufen lassen. Aber wir können ihn erreichen, sobald wir ihn brauchen. Vorerst gibt es Wichtigeres zu erledigen.«

Chan überlegte. »Der sonderbarste Fall, der je mir ist vorgekommen. Bei üblichen Kapitalverbrechen liegt Leichnam auf Teppich, und aus allerlei Umständen ich muß Schlüsse ziehen auf den Täter und seine Motive. Und hier? Ich wittere, daß irgend etwas ist nicht geheuer; nach langem Suchen ein Lichtstrahl, und ich erfahre den Namen des Schuldigen. Aber wer wurde ermordet? Und aus welchem Grunde? Da ist noch Arbeit zu leisten, viel Arbeit!«

»Sie meinen doch nicht, daß wir die Polizei zuziehen müssen?«

»Was sollte das nützen? Dann stelzt Polizeiinspektor Bliß mit großen Füßen daher und richtet Unheil an mit jedem Schritt. Madden aber ihn schüchtert ein und schlüpft aus der Schlinge. Nein – wir der Sache werden schon selber auf den Grund kämmen. Doch jetzt lassen Sie uns aufbrechen!«

Am Wüstensaumhotel streckte Bob dem jungen Mädchen die Hand hin. »Ein vollendet schöner Tag! Mit einer einzigen Ausnahme.«

»Inwiefern?«

»Wilbur! Mir ist der Gedanke an ihn unerträglich.«

»Der arme Jack! Sie sind so hart gegen ihn. Gute Nacht, und …«

»Nun, und?«

»Seien Sie vorsichtig, ja? Draußen auf der Ranch, meine ich!« Auf der Fahrt zur Farm war Chan sehr schweigsam. Auf dem Hof trennte man sich. Als Bob das Haus betrat, sah er Madden allein, in einen Überzieher gehüllt, vor dem erlöschenden Feuer sitzen.

Der Millionär sprang auf. »Nun?«

»Nun?« Bob hatte seinen Auftrag und Barstow völlig vergessen!

»Sie haben Draycott getroffen?«

»Ach so – ja, morgen mittag pünktlich vor der Bank in Pasadena!« sagte er leise.

»Gut!« raunte Madden. »Ich werde fahren, ehe Sie aufgestanden sein werden. Sie wollen doch nicht schon schlafen gehen?«

»Ich glaube doch! Hab' einen anstrengenden Tag hinter mir.«

»Wirklich?« Gleichgültig schlenderte der Farmherr nach dem Wohnzimmer hinüber. Bob starrte auf die breiten Schultern, auf die Hünengestalt dieses Mannes, eines Mannes, der die Welt in seinen Fäusten zu halten schien – und der doch einen Meuchelmord beging, weil er Angst hatte …


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