Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13

Kaum war Bob am nächsten Morgen erwacht, als sein erregtes Gemüt Zu dem Problem zurückkehrte, mit dem es sich bis zum Einschlafen beschäftigt hatte. Madden hatte jemanden umgebracht! So kühl, beherrscht und selbstsicher der Millionär sich sonst gab – einmal hatte er den Kopf verloren! Irgendeine verborgene Tür seiner Vergangenheit mußte gefunden und aufgestoßen werden. Zunächst jedoch war der Mensch zu ermitteln, der an jenem verhängnisvollen Abend sein Leben hatte lassen müssen.

Chan wartete im Innenhof, als Bob herauskam. Sein feistes Gesicht strahlte. »Frühstück steht auf Tisch! Verzehren Sie rasch! Vor uns liegt herrlicher Tag ohne störende Augen.«

»Was heißt das? Ist niemand hier? Wo steckt denn Gamble?«

Chan ging mit ins Wohnzimmer und rückte einen Stuhl zurecht. »Der Professor bezeigte lebhaften Wunsch, Pasadena zu besuchen«, erklärte er. »Obwohl er bei dieser Reise ist so willkommen wie eine seiner langschwänzigen Känguruhratten.«

Bob trank seinen Orangensaft. »Madden wollte ihn nicht mithaben, was?«

»Höchst ungern nur! – Vor Tagesanbruch ich stehe auf und bereite Frühstück, wie angeordnet gestern abend. Madden und Thorn kommen und reiben sich Schlaf aus den Wimpern. Plötzlich Gamble tritt ein, völlig ausgeruht, mit Lobpreisungen auf Sonnenaufgang in Wüste. ›Sie sind aber zeitig auf den Beinen!‹ knurrt Madden. – ›Hab' mich entschlossen, heute mit Ihnen nach Pasadena zu fahren!‹ verkündet Professor. – Madden wird purpurrot wie ferne Berge, wenn Abend kommt; mit Rücksicht auf mich aber er unterdrückt barsche Antwort. Als er und Thorn das große Auto besteigen, klettert Gamble auf hinteren Sitz. Wenn Blicke könnten töten, er wäre vor Maddens Zornauge eines jähen Todes verblichen! Kraftwagen rollte davon auf sonnigem Weg, und darin sitzt der gute Mr. Gamble, wohlgefällig lächelnd!«

»Eigentlich höchst günstig für uns! Ich war schon in Unruhe, was wir beginnen sollten, wenn der kleine Naturforscher hier überall herumkraucht.«

»Sehr richtig! Jetzt wir können alles durchsuchen und finden, was zu finden ist. Wie schmeckt Ihnen Kaffee, junger Herr?«

»Der Welt ging ein Meisterkoch verloren, Charlie, als Sie zur Polizei hinüberwechselten. Aber – zum Teufel – wer kommt denn da?«

Chan eilte zur Tür. »Keine Aufregung nötig. Ist guter Freund – Mr. Holley!«

»Da bin ich, zu allen Schandtaten bereit!« rief der Redakteur. »Möchte die große Jagd gar zu gern mitmachen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Natürlich nicht!« meinte Bob. »Wir sind froh über Ihr Kommen. Übrigens haben wir heute schon Glück gehabt!« Und er erzählte von Gambles Abwesenheit.

Holley nickte verständnisvoll. »Gamble ist mit nach Pasadena gefahren, weil er Madden nicht aus den Augen lassen will. Wissen Sie, ich hab' so meine eigenen Gedanken über diesen Mann werde sie euch bei Gelegenheit erzählen. Hab' mich nämlich aus Liebhaberei viel mit Polizeireportage beschäftigt, verstehe mich also auf das Geschäft. – Was wir jetzt suchen müssen, ist der dritte Mann.«

»Der dritte Mann?« wiederholte Bob verständnislos.

»Ganz recht! Wer war, abgesehen von dem schwarzbärtigen Stromer, auf der Farm an jenem Mittwochabend? Madden und Thorn. Und noch ein dritter. Einer, der, da er sein Leben in Gefahr sah, laut um Hilfe schrie. Der dann, wenig später, neben dem Bett am Boden lag und, von dem der alte Schürfer vom Fenster aus nur die Schuhe erkennen konnte. Wo kam er her? Was wollte er hier? Warum fürchtete ihn Madden? Lauter Fragen, auf die wir Antwort suchen müssen.«

»Sehr wohl«, nickte Charlie. »Und wie sollen wir Antwort finden? Durch Suchen. Ich schlage vor in Demut, daß wir beginnen zu suchen!«

»Jeder Winkel muß durchstöbert werden!« stimmte Holley bei. »Fangen wir mit Maddens Schreibtisch an! Irgendein Brief könnte unerwartete Aufklärung geben. Ich hab' eine Tasche voll alter Schlüssel und Dietriche mitgebracht!«

»Sie sind ja ein erstklassiger Detektiv!« lobte Chan.

Holley trat an den massiven Schreibtisch und probierte seine Schließinstrumente. Nach kurzer Zeit waren die Schubfächer offen.

»Hier ist nicht viel!« Er nahm Papiere aus der oberen linken Lade. Bob zündete sich eine Zigarette an und hielt sich abseits. Irgendwie war ihm der Gedanke, Maddens Korrespondenz zu durchschnüffeln, nicht angenehm. Die Vertreter von Polizei und Presse aber kannten solches Zartgefühl nicht. Mehr als eine halbe Stunde verbrachten Chan und der Redakteur mit der Untersuchung des Schreibtisches. Was sie zutage förderten, waren harmlose Aufzeichnungen über geschäftliche Unternehmungen, aber nicht die geringste Zeile, die zur Identifizierung des ›dritten Mannes‹ hätte dienen können. Enttäuscht verschlossen sie die Fächer wieder.

»Im Schreibtisch wäre also nichts!« brummte Holley. »Gehen wir weiter!«

»Mit Ihrer Erlaubnis«, bemerkte Chan, »teilen wir uns in Arbeit. Die beiden Herren übernehmen das Innere des Hauses, mich zieht es mehr nach draußen.«

Holley und Bob durchsuchten die Zimmer der Reihe nach. Im Schlafzimmer des Sekretärs besahen sie das Loch in der Wand. Der Revolver, den Chan im Schrank entdeckt hatte, war nicht mehr vorhanden. Dies schien die einzige Feststellung von Bedeutung.

»Wir werden es nicht leicht haben«, ärgerte sich Holley. »Madden ist schlau, und er hat wohlweislich alle Spuren getilgt. Aber irgendwie, irgendwo …«

Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. An der Tür tauchte Chan auf, erhitzt und schnaufend.

»Erfolg gehabt, Charlie?«

»Nichts im geringsten«, gab der Chinese düster zurück. »Schwere Enttäuschung drückt mein Herz. Ich kein Spieler bin, aber ich wäre eingegangen hohe Wette, daß auf Farm etwas vergraben liegt. Wo blieb der Tote? Alles ich habe untersucht, mit höchsten Hoffnungen. Ohne Ergebnis. Wenn sie ihn verscharrt haben, so geschah es nicht hier. In Ihren Mienen ich sehe, daß auch Sie nichts zu berichten haben. Ich es ungern sage – aber jetzt ich blicke auf steinerne Wand.«

Sie saßen in ratlosem Schweigen. »Wir wollen den Mut nicht sinken lassen!« Bob Eden blies einen Rauchring zur getäfelten Decke empor. »Haben Sie daran gedacht, daß über diesem Zimmer eine Art Bodenraum vorhanden sein muß?«

»Glänzender Einfall!« rief Charlie Chan. »Aber wie hinaufkommen? Halt – vielleicht …«

Er schlurfte hurtig auf einen großen Wandschrank zu. Man konnte oben deutlich die Umrisse einer Falltür sehen. Bob wurde ausersehen hinaufzuklettern, und mit Hilfe einer Trittleiter, die Chan aus der Scheune holte, fiel es nicht weiter schwer. Holley und Charlie warteten unten. Einen Augenblick stand Bob tiefgebückt, während er seine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen suchte.

»Hier ist nichts, fürchte ich!« rief er. »Oder doch! Einen Augenblick!«

Sie hörten ihn oben entlanggehen. Staub fiel herab. Jetzt reichte er durch die enge Klappe einen Gegenstand herunter eine abgenutzte alte Reisetasche. »Es scheint etwas darin zu sein!«

Auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer wurde der merkwürdige Fund untersucht. »Sie ist nicht sehr staubig, nicht wahr?« meinte Bob. »Folglich kann sie erst vor kurzem hinaufgebracht; worden sein. Holley, jetzt kommen uns Ihre Schlüssel gelegen!«

Chan entnahm der rasch aufgebrochenen Tasche ein bescheidenes Reisenecessaire mit den üblichen Gegenständen: Kamm, Bürste, Rasierapparat, Hautcreme, Zahnpasta, außerdem Hemden, Socken, Taschentücher. Darunter lag ein brauner Anzug. »Auf Bestellung von einem New Yorker Schneider gefertigt«, stellte er nach Besichtigung der inneren Rocktasche fest. Aus den Seitentaschen zog er eine Streichholzschachtel und eine halbgeleerte Zigarettenschachtel billigster Sorte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Weste zu. Es fand sich eine an einer Kette befestigte altmodische Uhr. Rasch öffnete der Chinese den hinteren Deckel. Ein Grunzen der Befriedigung.

»Geschenk für Jerry Delaney von seinem alten Freund Jack McGuire«, las Bob mit triumphierender Stimme. »Und das Datum: 26. August 1936.«

»Jerry Delaney!« frohlockte Holley. »Jetzt sind wir am Ziel: Wir kennen den dritten Mann!«

»Es noch zu beweisen wäre, daß er wirklich es ist!« warnte Chan vorsichtig. »Aber vielleicht wir finden andere Anhaltspunkte.« Er fingerte einen schmutzigen Papierlappen hervor, eine Schlafwagenplatzkarte. »Abteil B, Wagen 198, Chicago-Barstow.« Er drehte den Fetzen um. »Benutzt am 8. Februar.«

Bob blickte auf den Kalender. »Fabelhaft! Jerry Delaney ist am 8. Februar von Chicago abgereist – also Sonntag vor acht Tagen. Er muß demnach am vorigen Mittwoch früh in Barstow angekommen sein – am Morgen des Tages, an dem er ermordet wurde.«

Chan hatte noch immer mit der Weste zu tun. Er förderte einen Metallring mit etlichen Schlüsseln und einen zerknüllten Zeitungsabschnitt ans Tageslicht. »Wollen Sie, bitte, lesen!«

Bob Eden las: »Die Theaterbesucher von Los Angeles werden mit Freude vernehmen, daß in der Aufführung der musikalischen Komödie ›Eine Juninacht‹, mit der das Mason-Theater nächsten Montag eröffnet wird, Miss Norma Fitzgerald mitwirkt, und zwar in der Rolle der Marcia, die einen guten Sopran erfordert. Ihre Bewunderer wissen, daß die beliebte Künstlerin einer solchen Rolle durchaus gewachsen ist. Miss Fitzgeralds Name ist seit zwanzig Jahren ein Begriff. Sie hatte schon als Kind aufsehenerregende Erfolge und spielte in Stücken wie ›Die Liebeskur‹ …« Bob hielt inne. »Jetzt kommt eine lange Liste.« Dann entzifferte er weiter: »Matineen der Komödie ›Eine Juninacht‹ werden mittwochs und sonnabends stattfinden, und zwar zu ermäßigten Eintrittspreisen.«

Bob legte die Zeitungsnotiz auf den Tisch. »Das wäre ein Fingerzeig. Jerry Delaney hatte Interesse für eine Sopranistin. Eine Vorliebe vieler Männer – aber vielleicht hilft es uns doch weiter …«

»Der arme Kerl!« Holley blickte auf die jämmerlichen Überbleibsel der Besitztümer des Unbekannten. »Nun braucht er keine Haarbürste, kein Rasierzeug und keine goldene Uhr mehr!« Er nahm die letztere in die Hand und betrachtete sie nachdenklich. »Jack McGuire … mir ist, als hätte ich den Namen schon gehört.«

Chan durchsuchte jetzt die Hosentaschen, entdeckte aber nichts. »Ich ergebenst möchte vorschlagen«, riet er, »daß wir wieder hinlegen alles, wie wir es fanden. Wir sind jetzt ein gut Stück weiter.«

»Das kann man wohl behaupten!« rief Bob begeistert. »Gestern abend wußten wir nur, daß Madden jemand beseitigt hat; heute kennen wir bereits den Namen. Oder kann es hier noch Zweifel geben?«

»Schwerlich«, erwiderte Holley. »Wer ließe so persönliche Dinge wie Zahnbürste und Rasierapparat im Stich, wenn er sie noch brauchen würde? Wenn er damit fertig ist, ist er auch mit dem Leben fertig.«

»Wir wollen alles noch einmal durchgehen, ehe wir die Sachen weglegen«, schlug Bob vor. »Wir wissen jetzt, daß der Mann, den Madden fürchtete, Jerry Delaney hieß. Dieser selbst lebte anscheinend nicht in sehr glänzenden Verhältnissen, wenn er auch New Yorker Maßanzüge trug; nach der Adresse zu urteilen, kann der Schneider nicht sonderlich gut gewesen sein. Delaney rauchte minderwertige Zigaretten. Jack McGuire, den wir nicht kennen, schätzte seine Freundschaft so hoch, daß er ihm eine Uhr schenkte. Und sonst? Delaney interessierte sich für eine Schauspielerin namens Norma Fitzgerald. Letzten Sonntag vor acht Tagen ist er abends von Chicago nach Barstow gereist im Abteil B, Wagen 198; Und das wäre vermutlich alles, was wir von Maddens bedauernswertem Opfer wissen!«

Charlie Chan lächelte. »Sehr gut! Eine ausgezeichnete Liste, äußerst verheißungsvoll. Nur eins Sie haben übersehen. Eine Kleinigkeit. Betrachten Sie die Weste genau! Was finden Sie?«

Bob und nach ihm Holley besahen verwundert das bezeichnete Kleidungsstück.

»Nichts?« fragte Chan verschmitzt. »Hier – stecken Sie Hand m Tasche!«

Bob griff hinein. »Die Tasche hat Lederfutter; die Uhrtasche. Weiter fällt mir nichts auf.«

»Richtig! Und links vermutlich?«

Bob machte ein dummes Gesicht. »Aha – jetzt versteh' ich. Die Uhrtasche ist merkwürdigerweise rechts.«

»Und warum? Wenn Rock ist zugeknöpft, können gewisse Menschen die Uhr nicht bequem fassen, falls sie steckt links. Deshalb muß der Schneider die Uhrtasche rechts anbringen.« Charlie legte den Anzug zusammen, um ihn wieder in das Köfferchen zu packen. »Wir also wissen noch etwas von Jerry Delaney: Er war Linkshänder!«

»Großer Gott!« rief Holley plötzlich. Er hatte nochmals die Uhr geöffnet und starrte auf die Widmungsinschrift. »Jack McGuire – jetzt erinnere ich mich!«

»Sie kennen ihn?«

»Ich habe ihn an demselben Abend getroffen, an dem ich auch P. J. Madden zum ersten Mal sah: Vor zwölf Jahren in einem New Yorker Spielsaal der Vierundvierzigsten Straße. Madden selbst erinnerte sich an dies Zusammentreffen, als ich es neulich erwähnte.«

»Aber McGuire?«

»So hieß der Inhaber des Spiellokals. Eine faule Kiste – wie sich später herausstellte. Dieser dunkle Glücksjäger war also ein alter Kumpan von Delaney – er schenkte ihm eine goldene Uhr. Meine Herren, dies ist höchst interessant: P. J. Maddens Spielsucht taucht von neuem auf!«


 << zurück weiter >>