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Die Sonne versank hinter den fernen Schneegipfeln; silbern lag die Wüste im Sternengefunkel. Das Quecksilber des Thermometers, das auf der Veranda hing, begann seinen raschen, unbarmherzigen Fall; ein bissiger Wind strich über die kahle Öde, Einsamkeit lastete überall.
»Jetzt uns tut warmes Essen not!« meinte Chan. »Mit Ihrer Erlaubnis ich werde öffnen einige Büchsen.«
»Nur nicht eine Arsenikbüchse!« scherzte Bob.
Holley hatte sich längst verabschiedet. Der junge Eden saß allein am Fenster und starrte in das düstere Schweigen. Viel Raum gibt es noch in Amerika, dachte er. Wußten das die hetzenden Menschen, die sich um diese Stunde in den Untergrundbahnen drängten, in geräuschvollen Restaurants nach freien Stühlen jagten und schließlich erschöpft und abgerackert heimkamen in die Taubenställe, die sie ihr Heim nannten?
Charlie Chan stellte ein Tablett voller Speisen und die dampfende Suppenterrine auf den Tisch und forderte zum Zulangen auf.
»Ich habe nachgedacht, Charlie«, philosophierte sein Tischgenosse, »und weiß nun, warum mich in der Einöde immer ein Gefühl von Unrast quält. Man kommt sich so erbärmlich winzig hier vor.«
»Für einen Weißen keine üble Erfahrung«, versicherte der, Asiate. »Dem Chinesen dieses Empfinden ruht dauernd im Herzen. Denn er weiß, daß er unscheinbarstes Sandkorn nur am Gestade der Ewigkeit. Und die Folge? Er sich bescheidet in Stille und Demut. Keine unruhvollen Nerven wie der hetzende Abendländer.«
»Ja, und so mag er wohl glücklicher sein!«
»Sicherlich!« Gelassen reichte Chan seinem Gefährten die Lachskonserven. »Immerfort in San Franzisko ich sah den weißen Mann hitzig und aufgeregt. Das Leben ihm ist wie Fieber, welches wird immer schlimmer. Wozu? Wo endet es? Auch nur da, wo Dasein des Chinesen endet, – denke ich.«
Nach dem Essen wollte Bob beim Geschirrwaschen helfen, doch wurde er höflich abgewiesen. Er ging ins Wohnzimmer und stellte das Radio an. Die Stimme des Ansagers unterbrach die Stille. »Und jetzt haben wir Ihnen etwas ganz Besonderes zu bieten: Sie hören Norma Fitzgerald, die im Mason-Theater mit großem Erfolg in der Komödie ›Eine Juninacht‹ gastiert.«
Und ein wundervoll klarer Sopran setzte ein. Chan und Bob hörten aufmerksam zu.
»Wieder eins der Geheimnisse des weißen Mannes! Man ist so nah – und doch so fern. Diese Dame müssen wir aufsuchen!«
»Aber wie?« fragte Bob.
»Das sich wird machen lassen!«
Chan ging leise hinaus, und Bob versuchte es mit einem Buch. Nach geraumer Zeit wurde er durch das Läuten des Telefons aufgescheucht.
»Die Filmleute sind hier in der Stadt!« meldete Paula Wendells helle Stimme, »Kommen Sie doch her!«
Er eilte in sein Zimmer. Chan hatte in der Diele Feuer gemacht und hockte vor dem Kamin, dessen Flackerschein über seine Pausbacken huschte. Bob kam mit seinem Hut zurück und blieb neben dem Chinesen stehen. »Nun, haben Sie einen neuen Plan?«
»Nein. In dieser Stunde ich bin weit weg von Maddens Farm. Ich bin in Honolulu, wo die Nächte warm und lieblich sind, nicht hart wie kalte Wüstenfinsternis. Ich muß gestehen, daß meine Seele mit Heimweh kämpft. Ich denke an bescheidenes Haus, wo bunte Laternen brennen und meine zehn Kinder versammelt sind.«
»Zehn? Alle Achtung!«
»Ich bin sehr stolz auf sie! – Aber, Sie fortwollen?«
»Ich möchte kurz nach Eldorado. Miss Wendell hat angerufen, die Filmschauspieler seien angekommen. Übrigens ist ja morgen der Tag, für den Madden ihnen gestattet hat, seine Farm aufzusuchen. Ich wette, er hat das verschwitzt.«
»Höchstwahrscheinlich. Wir ihn wollen lieber nicht erinnern! Er sonst könnte Erlaubnis zurückziehen.«
Als Bob das Wüstensaumhotel betrat, merkte er, daß dies kein gewöhnlicher Abend war. Aus dem Gastzimmer zur Linken strömte Musik, Gelächter und Stimmengewirr. Paula Wendell kam ihm entgegen und führte ihn hinein. Ein älterer Schauspieler mit bronzefarbenem Gesicht bearbeitete das Klavier. In einer Ecke saß eine Dame neben einem patriarchalischen Weißbart etwas abseits von der Menge, und Eden ließ sich bei den beiden nieder.
»Wie war doch der Name?« fragte der Weißhaarige, die Hand hinterm Ohr. »Freut mich außerordentlich, Mr. Eden, in Ihnen einen Freund von Paula kennenzulernen! Heute geht es hier recht geräuschvoll zu! Fühle mich zurückversetzt in die Zeit, da ich noch einer Wandertruppe angehörte …«
»Denken Sie bloß nicht, daß sie immer so sind!« flüsterte Paula. »Nur wenn sie mal ein Hotel für sich haben!«
Man lärmte, schäkerte und musizierte, bis plötzlich der Regisseur erschien und seine Heerschar zu Bett schickte. Widerwillig gehorchte die lustige Gesellschaft und stürmte geräuschvoll in den zweiten Stock. Bob Eden schlug Paula noch einen kleinen Spaziergang vor, und sie schlenderten die Hauptstraße entlang, die blaß und verlassen im Mondlicht schimmerte.
»Sehen Sie nur den Mond an!« sagte Bob. »Er sieht aus wie eine Melonenscheibe frisch vom Eis.«
»Sie sind sehr für kulinarische Genüsse, nicht wahr? Ich denke noch mit Wonne daran, wie Sie sich mit dem Beefsteak herumschlugen!«
»Essen muß der Mensch! Und wenn das Beefsteak nicht gewesen wäre, hätten wir uns vielleicht nie kennengelernt.«
»Und wenn nicht?«
»Dann wär's für mich sehr einsam hier gewesen.« Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. »Die Ereignisse auf der Farm neigen sich jetzt ihrem Ende zu«, fuhr Bob fort. »Dann muß ich wieder weg.«
»Zurück in Ihre Freiheit? Wie erfreulich für Sie!«
»Sie dürfen mich aber nicht vergessen! Ich möchte so gern Ihr … hm … Ihr Freund bleiben.«
»Sehr schön! Freunde kann man immer brauchen!«
»Schreiben Sie mir doch ab und zu! Und berichten Sie mir von Wilbur! Man kann nie wissen. Ist er vorsichtig beim Überschreiten von verkehrsreichen Straßen?«
»Er wird immer das Richtige tun – davon seien Sie überzeugt!« Sie waren wieder vor dem Hotel angelangt. »Gute Nacht, Mr. Eden!«
»Noch einen Augenblick! Wenn es keinen Wilbur gegeben hätte …«
»Den gibt es auch nicht – aber einen Jack. Kompromittieren Sie sich nicht, Sie junger Freiheitsheld! Ich fürchte, das macht der Mond, der wie eine Melonenscheibe ausschaut …«
»Nicht der Mond ist schuld, sondern Sie!«
Der Hotelbesitzer war eben dabei, die Haustür zuzuschließen. »O weh, Miss Wendell!« murrte er. »Jetzt hätt' ich Sie' beinahe ausgesperrt!«
»Ich komme schon! – Also auf Wiedersehen morgen!«
Bob nickte dem brummigen Wirt zu, der ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Als er nach Hause fuhr, begann er zu überlegen, was er P. J. Madden vorschwindeln sollte. Denn Draycott, den der Millionär in Pasadena hatte treffen wollen, saß wohlgemut in San Franzisko und ließ sich nicht träumen, welche Rolle sein Name bei diesem Perlenhandel spielte. P. J. würde rasen und eine Erklärung verlangen!
Doch merkwürdig: Das Farmhaus lag in Finsternis, und nur Ah Kim ließ sich blicken. »Madden und die andern sind zu Bett!« lautete sein überraschender Bescheid. »Sie kamen heim ermüdet und sich haben alsbald in Zimmer verfügt.«
»Will ich auch tun!« erwiderte Bob. »Gute Nacht, alter Charlie!«
Anderntags am Frühstückstisch tat Eden so unbefangen wie möglich. »Ist in Pasadena gestern alles gut abgelaufen?« fragte er harmlos.
Thorn und Gamble starrten ihn an, und Madden runzelte die Stirn. »Natürlich!« brummte er mit einem Blick, der Schweigen befahl. – Später trafen sich die beiden auf dem Hof, und der Hausherr raunte: »Sie behalten die Sache mit Draycott für sich, nicht wahr?«
»Sie haben ihn getroffen?«
»Nein.«
»Was? Das ist doch toll! Aber da Sie einander nicht kennen …«
»Keine Spur von einem Menschen, der Ihr Vertrauensmann hätte sein können. Wissen Sie, allmählich beginnen Sie mir rätselhaft zu werden …«
»Aber, Mr. Madden, ich hatte ihn beauftragt, dort zu sein.«
»Nun ja – vielleicht war ich nicht achtsam genug. Bedauerlicherweise gestalten sich die Dinge nicht so, wie ich erwartete. Es wird das beste sein, Sie setzen sich mit ihm in Verbindung und lassen ihn nach Eldorado kommen. Hat er sich telefonisch gemeldet?«
»Möglicherweise. Ich war gestern abend in der Stadt. Jedenfalls wird er bald anrufen.«
»Wenn nicht, so müssen Sie eben nach Pasadena fahren und ihn aufsuchen …«
Ein Lastwagen mit Technikern, Apparaten und Schauspielern ratterte heran. Zwei andere Autos folgten. Einer der Insassen stieg ab, um das Tor zu öffnen.
»Was soll das?« schrie Madden entgeistert.
»Heute ist Donnerstag. Die Filmaufnahmen – haben Sie vergessen …«
»Ach du lieber Gott! – Thorn!! Wo ist Thorn? Nun, wir müssen es wahrscheinlich über uns ergehen lassen.«
Der Sekretär trat aus dem Hause. »Martin, kümmern Sie sich gefälligst um diesen verdammten Kram!« Fluchend zog der große P. J. sich zurück.
Das Filmvölkchen schien heute ganz Geschäftigkeit, im Gegensatz zu der sorglosen Ausgelassenheit am Abend zuvor. Vor der Veranda wurden die Aufnahmeapparate aufgestellt. Die Schauspieler, in spanischer Tracht, hielten sich bereit.
Bob trat auf Paula Wendell zu. »Guten Morgen!« sagte sie. »Ich bin mitgekommen, für den Fall, daß Madden sein Versprechen rückgängig machen wollte. Ich weiß jetzt so viel von ihm, und da schien mir –«
Der Regisseur ging vorüber. »Ein erstklassiger Hintergrund!« bemerkte er anerkennend.
»Da hab' ich doch endlich mal seinen Beifall gefunden!« freute sich Paula.
Bob schlenderte nach der Scheunenecke, wo der weißhaarige Herr und Eddie Boston, der Klavierspieler von gestern abend, beisammenstanden. In ihrer Nähe lungerte Ah Kim, ganz Auge und Ohr für die beiden.
Boston lehnte an der Scheunenwand und zündete sich seine Pfeife an. »Da wir gerade von Madden reden, fällt mir Jerry Delaney ein. Haben Sie den eigentlich gekannt, Pop?«
Erstaunt pirschte sich Eden näher heran. Der schwerhörige Alte legte die Hand hinters Ohr. »Wer ist dieser Wellesley?«
»Delaney heißt er!« rief Boston. Auch Charlie wackelte jetzt gemächlich herzu. »Jerry Delaney! Sehr tüchtig in seinem Fach! Hoffentlich finde ich Gelegenheit, Madden zu fragen, ob er sich seiner noch erinnert …«
Auf der Veranda wurde laut nach Mr. Boston gerufen. Der Klavierspieler legte die qualmende Pfeife weg und ging zum Regisseur. Chan und Bob Eden blickten einander an …
Die Leute arbeiteten eifrig bis zur Essenszeit. Dann zerstreute man sich auf Hof und Veranda und tat sich an den Broten aus dem Oasencafé und an Kaffee aus Thermosflaschen gütlich.
Plötzlich erschien Madden auf der Schwelle; er war in der liebenswürdigsten Stimmung. »Ich möchte Sie als Gäste bei mir willkommen heißen!« sagte er jovial. »Tun Sie ganz, als ob Sie hier zu Hause wären!« Er schüttelte dem Aufnahmeleiter die Hand und unterhielt sich dann leutselig mit einzelnen Schauspielern. Jetzt kam er zu Eddie Boston. Bob wußte es so einzurichten, daß er unauffällig Ohrenzeuge der Unterredung wurde.
»Boston ist mein Name!« Des Schauspielers hartes Gesicht erhellte sich. »Ich hoffte, Sie zu treffen, Mr. Madden. Ich wollte Sie nämlich fragen, ob Sie sich eines alten Freundes von mir entsinnen, Jerry Delaney aus New York?«
Maddens Brauen zogen sich zusammen. »Delaney?«
»Jawohl: Jerry Delaney, der sich mit Vorliebe bei Jack McGuire in der Vierundzwanzigsten Straße aufhielt. Sie wissen doch, daß er –«
»Ich erinnere mich nicht!« Brüsk wandte sich Madden ab. »Ich lerne so viele Leute kennen –«
»Vielleicht wollen Sie sich seiner nicht erinnern!« Ein seltsamer Klang lag in Bostons Stimme. »Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf, Mr. Madden. Ich weiß ja: Was Delaney Ihnen antat, war ein Verbrechen …«
Der Millionär warf einen besorgten Blick rundum. »Was wissen Sie davon?«
Boston trat dicht an Madden heran, und Bob konnte seine Antwort nur mühsam verstehen. »Ich weiß alles, Mr. Madden! Alles!«
Einen Herzschlag lang starrten sie einander an. »Kommen Sie herein, Mr. Boston!« bat der Hausherr, und Bob sah die beiden im Haus verschwinden.
Ah Kim betrat die Veranda mit einem Tablett voll Zigarren und Zigaretten, die Madden spendiert hatte. Als er vor dem Regisseur stehenblieb, blickte der ihn prüfend an. »Herrgott, ist das ein Typ! Sag mal, Jonny, würdest du bereit sein, im Film mitzuwirken?«
»Sie nällisch, Hell!« grinste der Chinese.
»Nein, durchaus nicht! Wir könnten dich in Hollywood brauchen.«
»Sie aussehen, als ob Sie machen gloßen Spaß!«
»Keineswegs. Überleg es dir! Hier!« Der Filmgewaltige schrieb etwas auf eine Karte, »Wenn du dich eines Besseren besinnst, kannst du mich aufsuchen. Verstanden?«
»Kann ja sein eines Tages, Hell! Jetzt hiel sehl glücklich sein ich.« Und Ah Kim watschelte wieder weiter.
Bob Eden setzte sich zu Paula. Er war, bei aller äußeren Ruhe, sehr erregt. »Es ist etwas geschehen«, murmelte er, »und Sie können uns helfen.« In Hast erzählte er ihr von Jerry Delaney und wiederholte die Unterhaltung zwischen Madden und Boston. »Daß Chan oder ich darüber Nachforschungen anstellen, hat keinen Zweck!« fügte er hinzu. »Was ist dieser Boston für ein Mensch?«
»Ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse! Ich wenigstens hab' ihn nie leiden können.«
»Fragen Sie ihn doch ein bißchen aus, bei Gelegenheit – vermutlich also erst, wenn Sie wieder in der Stadt sind. Suchen Sie in Erfahrung zu bringen, was er von Delaney weiß, aber natürlich so, daß er keinen Verdacht schöpft.«
Der Regisseur gab das Zeichen zur Beendigung der Frühstückspause. »Vorwärts, Kinder, damit wir die Sache hinter uns kriegen! Sind alle da? Wo steckt Eddie Boston?«
Der Gerufene kam aus dem Wohnzimmer. Sein Gesicht glich einer Maske, die nichts verriet. Es wird keine Kleinigkeit sein, dachte Bob, den abgefeimten Burschen zum Schwatzen zu bringen.
Eine Stunde später verschwanden die Filmleute in einer Staubwolke; den Schluß bildete Paulas Kleinauto. Bob suchte Charlie Chan auf. In dem Raum hinter der Küche berichtete er von dem berauschten Zwiegespräch.
Die kleinen Augen des Chinesen funkelten. »Jetzt es geht wieder voran! Diesen Eddie Boston muß man zum Reden bringen!«
»Miss Wendell will einen Versuch machen.«
»Wahrscheinlich guter Gedanke! Welcher Mann bleibt stumm vor hübschen Mädchen? Darauf wir wollen setzen unsere Hoffnung.«