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Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die Morgengabe.

»Mir ist's lieb, daß wir noch einmal Hochzeit haben; dir nicht auch, Frauele?« sagte Lenz am andern Morgen.

»Nein; warum denn dir?«

»Das Weinen hat mir doch eigentlich gestern die Hochzeit verdorben, und heute, heute bin ich erst recht lustig. Es ist mir, wie wenn ich zu einer Hochzeit eingeladen wäre.«

»Du bist ein wunderlicher Mensch!« lächelte Annele.

»Halt!« rief Lenz plötzlich aufspringend, »ich muß dir ja was geben. Wart nur ein bißle.«

Er ging nach der Kammer und kramte lange. Was wird er bringen? Gewiß hat er noch daran gedacht, daß man seiner Braut eine ordentliche goldene Kette gibt und schöne Ohrringe. Aber das hätte er gestern thun müssen, warum denn heute? Annele hatte lange Zeit, sich zu besinnen.

Endlich kam Lenz und sagte: »So, da hab' ich's, ich hab's verräumt gehabt. Da hast du die Granatenschnur von meiner Mutter selig; das sind noch von den guten alten, die werden dir auch gut stehen auf deinem lieben Hals. Komm, zieh's einmal an.«

»Nein, Lenz, das ist zu altmodisch, das kann ich nicht tragen, und das reibt mich am Hals; nein, das kann ich nicht tragen. Ich will's umtauschen beim Goldarbeiter.«

»Nein, das nicht.«

»Wie du willst. Was hast du denn da noch?«

»Das ist was, das ich keinem Menschen geben darf, als dir. Das hat meine Mutter selig verordnet. Es hat keinen Wert, aber es ist doch so was Wunderbares.«

»So zeig doch endlich das Wunder.«

»Da, sieh einmal.«

»Was ist denn das?«

»Das ist Edelweiß, das Pflänzchen, das unter dem Schnee wächst. Lies einmal, was meine Mutter da dazu geschrieben hat.«

»Ich kann das nicht lesen, das ist so eine böse Schrift.«

Lenz zuckte, während Annele doch nur landesüblich eine undeutliche Schrift eine böse genannt hatte, und Annele fuhr fort: »Lies du mir's doch vor.«

Lenz las laut: »Das ist ein Pflänzchen Edelweiß, gewachsen auf dem höchsten Berg in der Schweiz unterm Schnee. Hat mein Mann selbst gefunden, dabei mein gedacht und mir gebracht von seiner Wanderschaft und gegeben an unserm Hochzeitstag. Soll mir in die Hand gegeben werden, wenn man mich in die Erden legt. So es aber vergessen oder übersehen wird, soll es mein Sohn am Tag nach seiner Hochzeit seiner Frau übergeben, und solang sie es in Ehren hält, wird es Segen bringen. Ist aber keine Zauberei dabei. Dies Pflänzchen ist genennet Edelweiß. – Maria Lenzin.«

Als Lenz gelesen hatte, sagte er: »Nicht wahr, es greift dir ans Herz, daß jetzt eine Tote zu dir spricht? Laß dich's nicht zu sehr angreifen. Sei lustig! Sie hat's auch gern gehabt, wenn man lustig ist, und ist selber lustig gewesen und hat doch so Schweres erlebt gehabt.«

Annele lächelte und legte das Pflänzchen, in ein Papier gewickelt, zur Granatenschnur.

Die beiden jungen Leute verplauderten sich so lange, bis Botschaft vom Löwen heraufkam: es seien schon so viele fremde Gäste da, sie sollten sich sputen.

Franzl war eine sehr ungeschickte Kammerfrau. Lenz mußte vorausgehen und ein Dienstmädchen vom Löwen heraufschicken. Er sagte noch, daß er auch gleich zum Faller gehe und ihn zur Hochzeit einlade; heute müsse er kommen, und Annele solle gut gegen ihn sein und ihm vergessen, wenn er etwas Ungeschicktes gesagt habe. Annele sagte: »Ja, ja, geh nur und schick mir schnell die Margret oder besser die Ernestine.«

Endlich erschien Annele im Elternhause. Die Mutter eilte ihr entgegen und umhalste sie.

Im Stüble klagte Annele der Mutter: Lenz habe ihr heute eine alte Granatenschnur und eine verdorrte Blume als Morgengabe geschenkt, sie könne sich heute vor den Wirtstöchtern und den Wirtsfrauen und Wirtssöhnen nicht sehen lassen ohne goldene Kette. »Er ist ein Kreuzerklemmer, ein armes, verkargtes Uhrmacherle!« klagte Annele.

Die Mutter war klug, denn sie sagte: »Annele, geizig ist er nicht, er hat nicht nach deiner Ehesteuer gefragt, mit keinem Wort, und dumm ist er auch nicht, eher zu pfiffig. Es ist ja heute nacht ein Goldarbeiter aus Pforzheim mit einer großen Kiste hier angekommen. Ich hab's wohl gemerkt, daß er ihn bestellt hat. Da kannst du dir auswählen, das Schönste, was dir gefällt. –«

Die Mutter wußte, daß Annele diese Lüge nicht glaubte, und Annele wußte, daß die Mutter sie nicht für so dumm hielt, daß sie sich solche Mär aufbinden ließ; sie thaten aber doch beide, als wenn jedes lauter Wahrheit im Sinne hätte, und der Erfolg entschied für sie. Lenz war eine Zeitlang verschwunden. Er stand bei der Krämer-Ernestine auf der dunkeln Kellertreppe. Und richtig, er kam nach einiger Zeit und brachte Annele eine goldene Kette von dem Händler, der im Hause war. Daß er ihr die Auswahl ließ: Herz, was begehrst du? dazu hatte er sich trotz alles Zuredens doch nicht verstanden, und er bekam jetzt weniger Dank von seinem nachträglichen Geschenk.

Annele war aber schnell und bald aufgeräumt, wie sich's gehört. Eine Wirtstochter muß immer geweckt und aufgeräumt sein, und was im Familienstüble vorkommt, gehört nicht in die Wirtsstube.

War gestern ein Fahren ohne Ende gewesen, so war's heute noch um so größer, denn heute kamen die Wirtsleute von weit und breit, mit hellem Rollengeschirr und schönen, wohlgenährten Pferden. Bei solcher Gelegenheit muß man auch zeigen, wer man ist und was man hat. Die Wirte und ihre Frauen und Töchter gingen umher, als wenn jedes ein Wirtshaus auf dem Rücken hätte, so besitzstolz; jeder Blick sagte: daheim hab' ich das alles auch so, und wenn ich auch nicht so viel Geld habe, wie der Löwenwirt, ich kann doch zufrieden sein. –

Das war ein Begrüßen, das war ein Freundlichthun, ein Verwundern, ein übermäßiges Danken für die reichen Geschenke: O, das ist zu viel! Nein, das ist zu prächtig! Aber an so etwas kann doch nur die Bärenwirtin denken! Da sieht man die Adlerwirtin, ja, wer so gescheit wär'! Und die Engelwirtin! Ich will hoffen, daß wir's bald wett machen können; aber so groß können wir uns nicht zeigen. Es war völlig wunderbar, wieviel hunderterlei geschickte Reden Annele hatte. Lenz stand oftmals dabei und wußte kein Wort vorzubringen. Die ihn nicht kannten, hielten ihn für blöde und einfältig; ihm war aber dieses Sichbeschenkenlassen und Sichbedanken gar nicht recht. –

Es kamen nun auch die armen Uhrmacher, die Zinspflichtigen des Löwenwirts, die er unter dem Daumen hielt und denen er ihre Arbeit abkaufte, um sie in ferne Länder zu schicken. Annele achtete ihrer nicht, und sie hielten sich vornehmlich zu Lenz und sprachen eine gewisse freudige Genugtuung aus, daß nun auch ein Uhrmacher ein Schwiegersohn des Löwenwirts geworden sei. Manche hofften davon billigere Rücksichtnahme beim Löwenwirt, andre fragten Lenz geradezu, ob er nun sein Geschäft aufgeben und auch Wirt und Handelschaft treiben werde. Sie lächelten, da Lenz versicherte, er bleibe stets, was er sei. Sie fragten ihn auch spöttisch, ob er auch jetzt, da er der Schwiegersohn eines reichen Packers geworden, noch gerne seine Normaluhr einführen möchte, wodurch eine Einigung gestiftet werden und allen Uhrmachern der volle Gewinn zufallen sollte. Sie machten verwunderte Gesichter, als Lenz beteuerte, daß er lieber heute als morgen die Einung zu stande bringen und in dieselbe eintreten möchte. Als nun diese armen Leute, denen man das karge Wesen ansah und die sich nur dadurch erhalten, daß sie bei vierzehnstündiger täglicher Arbeit mit einer fabelhaften Sparsamkeit und Enthaltsamkeit ihr Leben durchbringen, als nun auch diese ihre Sechsbätzner und ihre Halbenguldenstückle und manche sogar nur einen Dreibätzner Lenz in die Hand drückten, da war's Lenz, als ob er feurige Kohlen fassen müsse. Er hätte gern den Leuten ihre Gaben zurückgegeben, aber er durfte sie nicht beleidigen. Er teilte seine Gedanken Annele mit, in einer Pause, wo er ihrer flüchtig habhaft werden konnte: sie sah ihn groß an und sagte kopfschüttelnd:

»Mein Vater hat recht; du bist kein Geschäftsmann. Du kannst arbeiten und dein Brot verdienen, aber andre arbeiten lassen, daß sie für dich was verdienen, das kannst du nicht. Du fragst zu viel: Wie geht's dem und jenem dabei? Das kann man nicht. In der Welt muß man flott dreinfahren und nicht danach fragen, wer da barfuß am Weg geht. Du möchtest aber den alten Pröbler und die ganze Bettelwelt mitfahren lassen. Aber ich will dir jetzt keine Lehren geben . . . Ei, grüß Gott, Lammwirtin! Je später die Zeit, desto schöner die Gäste. Ich habe schon lang gedacht, vor einer Minute hab' ich's zu meiner Mutter gesagt: wo nur die gute Lammwirtin von Edelshof bleibt? Meine halbe Freude wär' mir genommen, wenn die nicht auch an meinem Ehrentag wäre! Und das ist wohl die Schwiegertochter? Wo ist denn der Mann?«

»Er ist noch unten bei den Pferden. Man weiß ja heut nicht, wo man die Pferde unterbringen soll.«

»Ja, wir haben, gottlob! viele gute Freunde. An so einem Tag sieht man erst, wie gesegnet voll die Welt von Freunden ist. Lenz, führe die Lammwirtin an den obern Tisch, ich habe dort einen Ehrenplatz für sie aufgehoben.« Und schnell bewillkommte Annele wieder andre.

Es streifte Lenz flüchtig, aber es ritzte ihn doch, daß Annele ihm vorwarf, heute schon vorwarf, daß er sich zu viel in andre Menschen hineindenke; und doch mußte er sich gestehen, daß das wahr sei und daß er eben deswegen minder schlagfertig war, als andre Menschen; er galt dadurch für minder gescheit, als er zu sein glaubte; ein Wort, eine Wahrnehmung konnte ihm tagelang nachgehen, er war dann nie allein. Andre Menschen machen's gescheiter, sie leben für sich und raffen zusammen, was sie kriegen, fragen nicht danach: wie geht's den andern? Das mußt du auch lernen, da hat man sich besser beisammen.

Eine Weile stand Lenz in diesen Gedanken wie verloren, wie ein Fremder, mitten in Lärm und Jubel, als ob ihn das alles nichts anginge; bald aber bewegte er sich wieder mitten drin, und zwar als Mittelpunkt, wie es dem Bräutigam gebührt.

Der Tag war überaus voll, und es ist doch schön, wenn so viele Menschen sich um eines willen versammeln und freuen. Es ging so lustig her, daß am Abend, als die Gäste wieder wegfahren wollten, der Löwenwirt einen schönen Spaß ausgeführt hatte. Auf seinen Befehl hatte Gregor sämtliche Schlittenstangen abhängen und verstecken müssen. Nun konnten die ehrenwerten Gäste nicht fort und mußten noch bleiben bis lange nach Mitternacht. Und das war um so besser, wie man allerseits tröstete, denn um Mitternacht ging der Mond auf.

Die kleinen Uhrmacher wurden nicht aufgehalten, und manche waren so bedächtig, bald heimzukehren, denn sonst ist morgen noch ein Arbeitstag verloren. Manche aber wollten sich für ihr Hochzeitsgeschenk recht bezahlt machen und blieben sitzen und aßen beständig fort, als ob sie sich für ein ganzes Jahr sättigen müßten. Denn vom Morgen bis in die tiefe Nacht hinein wurde immer frisch aufgetragen; Fleisch und Wurst und Sauerkraut erschienen unerschöpflich.

Faller ging etwas steif und verlegen unter den Hochzeitsgästen umher und ward erst froh, als ihm die Krämer-Ernestine eine große weiße Schürze umband und ihn mit zur Bedienung anhielt. Ich thue das nur für den Lenz, sagte er sich und hätte das gern jedem gesagt, dem er Essen und Trinken brachte. Er selber aß und trank fast gar nicht. Als er einmal Lenz habhaft wurde, sagte er ihm: »Ich habe dir gar kein Hochzeitgeschenk gegeben; wenig mag ich nicht, und viel hab' ich nicht, und mein ganzes Herz aus dem Leib möcht' ich dir geben.«

Lenz ermahnte nur den guten Kameraden, er solle sich's recht wohl sein lassen und sich selber zuerst bedienen. Noch zu guter Zeit fiel's ihm ein, daß er auch den alten Pröbler hatte einladen wollen. Faller übernahm's, ihn zu holen. Der alte Pröbler kam, aber er ließ sich nicht bewegen, in die Gaststube einzutreten, er hatte kein rechtes Sonntagsgewand, und Lenz gab ihm einen großen Topf voll Essen mit für drei Tage und auch eine Flasche guten Wein dazu. Der Alte war so überrascht, daß er fast vergaß, seine gewohnte Prise anzubieten, und immer nur sagte: »Ich bring' die Flasche wieder.« Lenz sagte: »Du kannst sie behalten.« Der Alte war's auch zufrieden und trollte sich fort.

Es ging schon scharf gegen Morgen, der Mond war herausgekommen, war aber jetzt wieder von Wolken bedeckt, als Lenz und Annele wieder nach Hause zurückkehrten. Heute gingen sie ohne Geleite und ohne Fackeln. Annele klagte, daß es so entsetzlich dunkel und daß sie zum Umfallen müde sei. »Ich hätte nur daheim bleiben sollen,« sagte sie.

»Was daheim? Da oben bist du daheim.«

Annele schwieg, und so gingen beide geraume Zeit still nebeneinander her.

»Hast du das Geld gezählt, das eingekommen ist?« fragte sie unterwegs.

»Nein, das kann ich daheim. Viel ist's, es liegt mir schwer in der Hand. Es ist gut, daß mir dein Vater einen von seinen leeren Geldsäcken geborgt hat.«

»Was leer? Er hat noch volle genug!« sagte Annele heftig.

»Danach habe ich nicht gefragt und hab' auch nicht daran gedacht.«

Zu Haus drang sie nun darauf, daß Lenz schnell das Geld zähle. Er machte es ihr zu langsam, und sie zeigte, daß sie als Wirtstochter besser zählen könne.

Während des Zählens sagte Lenz: »Ich habe mich anders besonnen. Es ist gut, daß wir auch von den armen Leuten Geschenke annehmen; das gibt ihnen Ehre vor sich und macht's ihnen leichter, in Nöten Beistand von uns anzunehmen, in dem und jenem.«

Annele sah ihn mitten im Zählen groß an. Lenz hatte für ganz gewöhnliche Dinge immer ganz außergewöhnliche Gründe; er nahm nichts an, weil es eben so ist, sondern erst, wenn er sich damit zurecht fand, dann war er aber auch gründlich bekehrt. Annele sagte nichts, sie sprach nur still mit den Lippen die Zahl, die sie im Kopf hatte, um sie nicht zu vergessen.

Geradeaus hundertundzwanzig Gulden waren zusammengekommen, wenn man die vier falschen Sechsbätzner, die dabei waren, abzählte. Annele schimpfte entsetzlich auf die schlechten Menschen, die einen mit solchem Gelde betrügen.

Lenz beschwichtigte: »Thu doch nicht so, vielleicht sind's Arme, die nichts andres gehabt haben.«

Da flammte ihr Auge, und sie sagte: »Wie es scheint, weißt du alles besser, und ich verstehe gar nichts!«

»Das habe ich nicht gemeint. Sei doch gut.«

»Ich bin mein Lebtag nicht bös gewesen, du bist der erste Mensch, der mir sagt, ich sei bös; frag einmal nach, und du hast es ja heut gesehen, was die Menschen auf mich halten.«

»Ja, ja, es ist nicht der Mühe wert, daß wir darüber einen Streit haben.«

»Ich habe keinen Streit. Und es kommt nicht darauf an, was es ist; meinetwegen sei's nur ein halber Heller! Und ich lasse mir nicht übers Maul fahren, wenn ich was sage!«

»Gut, sei doch ruhig, die Franzl kann ja meinen, wir hätten Händel.«

»Die Franzl kann meinen, was sie will, und das will ich dir gleich sagen, die Franzl muß aus dem Haus.«

»Doch heute nicht mehr?«

»Heute nicht, aber morgen, oder bald!«

»So wollen wir morgen darüber reden. Ich bin müde, und du hast ja gesagt, du seiest es auch.«

»Ja, aber wenn man mir unrecht thut, hört alle Müdigkeit auf. Da lasse ich nicht ab!«

»Ich habe dir nichts gethan und will dir nichts thun. Denk daran, was der Pfarrer gesagt hat: Wir haben nur eine Ehre.«

»Was der Pfarrer gesagt hat, brauchst du mir nicht noch einmal zu sagen. Und schön ist's nicht von ihm gewesen. Er hat ja gepredigt, wie wenn er Frieden stiften sollt'.«

»Das soll, will's Gott, nie nötig sein. Wir wollen in guten Treuen Lieb' und Leid einträchtig miteinander tragen, wie meine Mutter immer gesagt hat.«

»Ja, wir wollen der Welt zeigen, daß wir rechtschaffen hausen.«

»Soll ich noch einmal das Musikwerk in Gang bringen?«

»Nein, heut ist's genug.«


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