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Siebentes Kapitel. Wirtstöchterlein schenkt ein.

In der großen Gaststube zum Löwen saß ein junger Mann ganz allein vor dem wohlgedeckten Erkertisch und aß mit dem guten Behagen, wie es eben einem stattlichen jungen Manne in der Mitte der zwanziger Jahre nach einer vollen Tageswanderung über Berg und Thal zusteht. Nur manchmal betrachtete er wie träumend das überaus schwere silberne Besteck. Das ist noch aus guter alter Zeit, wo man noch nicht alles zinstragend ausnutzte. Jetzt steckt sich der junge Mann – es ist der Techniker, mit dem wir gestern abend beim Doktor gesessen – eine Zigarre an und bürstet mit einem Taschenbürstchen seinen hellbraunen, vollen Bart; sein Antlitz ist markig, eine große, stark vorgewölbte Stirn schaut hell aus dem braunen Haare heraus; die blauen Augen liegen etwas tief und haben einen Ausdruck herzlicher Innigkeit, die Wangen sind voll und frisch.

Ein kühles Abendlüftchen zieht durch das geöffnete Erkerfenster und nimmt die blauen Tabakswölkchen schnell mit fort.

»So, Sie rauchen schon, Herr Kurt? Also wollen Sie nichts mehr essen?« sagte ein eintretendes, äußerst säuberlich gekleidetes Mädchen, das eine weiße Schürze mit Brustlatz trug; die Gestalt war schlank und biegsam, leicht beweglich, das längliche und dabei vollwangige Gesicht hellfarbig, braune Rehaugen schauten klug drein, und auf dem Haupte saß eine Krone von dreifachen schweren braunen Flechten.

Mit leichtem Redefluß fuhr das Mädchen fort: »Sie müssen fürlieb nehmen. Wir haben nicht mehr geglaubt, daß Sie so spät noch zu Mittag essen.«

»Es war alles vortrefflich. Setzen Sie sich ein wenig zu mir, Jungfer Schwägerin.«

»Gleich, wenn ich abgeräumt habe. Ich kann mich nicht setzen, wenn alles so herumsteht.«

»Ja, bei Ihnen muß alles nett und aufgeräumt sein, wie Sie selber.«

»Danke fürs Kompliment. Freut mich, daß Sie nicht alles verausgabt haben bei des Doktors.«

»Kommen Sie ja gleich wieder, ich hab' Ihnen viel zu erzählen.«

Der junge Mann saß wieder eine Weile allein, dann kam das Wirtstöchterlein, setzte sich zu ihm gegenüber mit einem Strickzeug und sagte: »Nun, so erzählen Sie.«

Der junge Mann berichtete, daß er heute den Doktor auf seinen ärztlichen Besuchen über Berg und Thal begleitet habe, und wußte nicht genug zu rühmen, welche tiefe Einblicke er in das Leben der Menschen hier gethan; da lebe man noch, wie der Doktor gesagt habe, aus dem ff, fleißig und fromm, und das letztere ohne alle Bigotterie. »Wir waren auch heute in drei, vier Wirtshäusern,« sagte er; »sonst, wenn man an einem Sommermittag in ein Dorfwirtshaus kommt, trifft man in der Regel einen verkommenen Menschen, der sich nun den Garaus gibt auf der Bank hinter einem Tische, im Halbschlaf bei seinem welken Bier oder Schnaps, und der Elende glotzt die Ankommenden an und prahlt und schimpft in irgend einer Weise auf die Welt halb verständlich. Das habe ich anderwärts oft gesehen, hier aber nirgends.«

»Ja,« sagte Annele, »unser Schultheiß, der Doktor, ist streng gegen Trunkenbolde, und wir geben von selber hier im Hause nie einem etwas.«

Mit wahrer Ueberschwenglichkeit schilderte nun der Techniker das Wesen des Doktors; wo er hinkam, da war's, als ob der Tag noch heller würde, und selbst in die Hütten der Armut brachte seine treuherzige Natur etwas wie Sättigung, und die Zuversicht, die in seinem Wesen wie in jedem Worte lag, gab überall frischen Mut.

Die Zuhörerin schien etwas in Verlegenheit bei dieser begeisterten Schilderung, und sie sagte nur, indem sie eine Stricknadel an die Lippen preßte: »Ja wohl, der Doktor ist ein wahrer Menschenfreund.«

»Er ist auch Ihr Freund, er hat gut von Ihnen gesprochen.«

»So? Hat er das? Das darf er aber nur draußen auf Feldwegen; daheim darf er nicht gut von mir reden. Das leiden seine fünf Weibsleute nicht. Nein, die alte Schultheißin muß ich ausnehmen, die ist seelengut.«

»Die andern nicht? Ich hätte geglaubt –«

»Ich will nichts gegen die Leute sagen. Ich sag' gegen niemand was. Ich hab's, gottlob! nicht nötig, daß ich mir aus Schimpf über andre mein Lob holen muß, aus fremder Haut Riemen schneide, wie die alte Lenzin ein Sprichwort gehabt hat. Es gehen tausend Menschen bei uns aus und ein, die können auf allen Straßen berichten, wer man ist, und ein Wirtshaus ist ein offenes Haus, da kann man nicht wie andre Leute jetzt auf zwei Tage, so lang ein Besuch da ist, ein Haus säuberlich herrichten und friedlich miteinander thun, und nachher ist wieder eine Hudelwirtschaft, und eines möchte dem andern die Augen auskratzen, und wenn man weiß, daß jemand vorbeigeht, singt man wieder oder setzt sich mit der Arbeit an den Weg und thut schön. Ich will aber gegen niemand was gesagt haben, ich will nur ermahnen, du solltest nicht so obenauf – Verzeih, wenn ich so bei Ihnen bin, da meine ich immer, es wäre der Bruder, mein Schwager, und da kommt das Du heraus.«

»Ich habe nichts dagegen, wir wollen du zu einander sagen.«

»Nein, um Gottes willen nicht. Wenn noch so was gesagt wird, bleib' ich nicht da sitzen. Wo nur der Vater bleibt?« sagte das Wirtstöchterlein errötend.

»Ja, wo ist denn der Vater?«

»Er ist in Geschäften aus, er kann jede Minute kommen. Wenn er nur einmal das Geschäft aufgäbe! Wozu braucht er sich noch so anzustrengen? Aber er kann nicht leben ohne das, und er sagt immer: Geschäft aufgeben, da stirbt man bald; das Sorgen und Wachen und Denken und Schaffen, das hält frisch. Und wahr ist's, ich kann mir's nicht denken, wie man mit gesunden Gliedern am Morgen hinsitzen und Klavierspielen oder für nichts und wieder nichts im Haus herumträllern kann: etwas thun und flink aus der Hand, das hält frisch. Freilich, wenn man's in Geld rechnet, ist's nicht viel, was wir Weibsleut' verdienen, aber erhalten und hausen ist auch was wert.«

»Ja wohl,« sagte der Techniker, »es ist hierzulande eine schöne Arbeitsausdauer; die meisten Uhrmacher arbeiten vierzehn Stunden täglich. Das ist hoch ehrenwert.«

Das Mädchen sah ihn betroffen an; was soll denn das immer mit den einfältigen Uhrmachern? Hat er nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, wohin man abzielt?

Es trat eine Pause ein, bis der Techniker wieder fragte: »Wo ist Ihre Mutter?«

»Sie ist im Garten beim Bohnenbrechen, da läßt sie sich nicht abrufen. Kommen Sie, wir wollen zu ihr.«

»Nein, wir wollen hier bleiben. Nun, Jungfer Schwägerin, so darf ich doch sagen: ist nicht die älteste Tochter des Doktors, die Amanda, ein braves, feines Mädchen?«

»Die? Warum soll sie nicht brav sein? Alt genug ist sie dazu, und wenn sie sich nicht so ein geschicktes Mieder aus der Stadt verschriebe, könnte man ihren hohen Rücken sehen.«

Das Wirtstöchterlein biß sich auf die Lippen: das war dumm, was du da gesagt; weil er nach Amanda fragt, hat ihm die Bertha in die Augen gestochen. So ist's. Sich zusammennehmend, setzte sie daher hinzu: »Die Bertha aber, das ist ein lustiges –«

»Ja wohl, ein prächtiges Mädchen,« fiel der Techniker ein; dem Wirtstöchterlein fiel eine Nadel unter den Tisch, er hob sie auf. Dem jungen Mann schien es auch unlieb, daß er so herausgeplatzt war, er sagte daher jetzt: »Gestern abend hat mir der Doktor viel von dem Pilgrim erzählt.«

»Was ist da viel zu erzählen? Der Doktor kann nur aus allem was machen.«

»Wer ist denn der Petrowitsch? Sie sagten mir, Ihr wüßtet alles von ihm.«

»Nicht mehr, als was jeder weiß. Er ißt jeden Mittag bei uns und bezahlt jeden Mittag. Es ist ein eigensinniger alter Kracher, steinreich, aber auch steinhart. Er ist viele, viele Jahre in der Fremde gewesen und nimmt sich um gar keinen Menschen an. Nur ein einziges hat er, woran er Freude hat, das ist die Kirschenallee, die da thalab nach der Stadt zu führt; früher sind da verhutzelte Bäume gestanden, und der Petrowitsch –«

»Warum heißt er Petrowitsch?«

»Er heißt eigentlich Peter, aber weil er da drunten, ich glaub' bei den Serben, gewesen ist, heißt man ihn hier den Petrowitsch.«

»Erzählt weiter, was ist das mit der Allee?«

»Ja, der Petrowitsch ist immer mit einem Messer in der Hand spazieren gegangen und hat den Bäumen am Weg die überschüssigen Triebe abgeschnitten, und da hat ihn einmal der Wegknecht als Baumfrevler verhaftet, und da hat er eine ganz neue Kirschenallee pflanzen lassen auf seine Kosten, und schon sechs Jahre läßt er jetzt die Kirschen unreif herunterthun, damit die Bäume von den Dieben nicht beschädigt werden, und die Bäume sind auch schön gewachsen. Um Menschen nimmt er sich aber gar nichts an. Schaut, da geht sein einziges Bruderkind, der Lenz von der Morgenhalde; er kann sich nicht rühmen, daß er von seinem Ohm hat, was man in einem Aug' leiden kann.«

»So, das ist der Lenz? Ein hübscher Mensch, ein feines Gesicht, ich hab' mir ihn so gedacht. Geht er immer so gebückt?«

»Nein, nur jetzt, er ist in Trauer um seine Mutter. Er ist ein guter Mensch, freilich ein bißle gar zu weichmütig. Wenn es jetzt da hinausgeht, weiß ich, daß zwei Augen aus einem Haus mit wilden Reben nach ihm ausschauen und ihm hereinwinken möchten, und die Augen gehören der Bertha.«

»So? Haben die ein Verhältnis miteinander?« sagte der Techniker, und seine weiße Stirn wurde rot.

»Nein, das hab' ich ja nicht gesagt. Sie möcht' ihn freilich gern haben, er hat ein schönes Vermögen, und sie hat nichts als einen schönen Strohhut und zerrissene Strümpfe.«

Das Wirtstöchterlein, oder, wie es eigentlich heißt, das Löwen-Annele, frohlockte innerlich: »So, Euch ist doch wenigstens die Supp' versalzen!« Ueber diesen Gedanken vergaß sie ihren eigenen Aerger.

Der Techniker sagte, daß er noch einen Gang ins Freie machen wolle.

»Wohin denn?«

»Da hinauf nach der Spannreute.«

»Da ist's schön, aber jäh wie an einem Dach.« Der Techniker ging weg. Annele eilte in den Berggarten hinter dem Hause und sah ihm von dort aus nach. Er ging in der That eine Strecke bergauf, bald aber kehrte er um und ging schnellen Schritts thalabwärts, nach dem Hause des Doktors.

»Geh zum Teufel,« sagte sie vor sich hin, »von mir kriegst du kein gutes Wort mehr!«


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