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Zehntes Kapitel. Ein Mittagessen bei Petrowitsch und Warten auf den Magenschluß.

Petrowitsch war noch nicht in der Stube. Lenz setzte sich einstweilen an dessen Tisch und unterhielt sich von da aus mit den Wirtsleuten und Pilgrim..

Annele war heute seltsam wortkarg; ja, als Lenz ihr nach dem Eintreten die Hand darreichte, machte sie sich etwas zu schaffen. Ihre Hand ist wohl versagt, sie kann sie jetzt niemand, auch nur zum Gruße, geben. Und doch, sie sieht nicht aus wie eine Braut. Jetzt kam der Ohm Petrowitsch, das heißt, sein Hund, ein Bastard von Dachs und Rattenfänger, als Läufer ihm voran.

»Guten Tag, Lenz!« sagte der Ohm hinterdrein kommend, etwas brummig. »Hab' dich schon gestern erwartet. Hast du's denn vergessen, daß ich dich eingeladen hatte?«

»Ja wohl, das muß ich sagen, das hab' ich rein vergessen.«

»In solchen Zeiten kann man vergessen, aber sonst ist vergessen nicht gut für einen Geschäftsmann. Ich hab' in meinem ganzen Leben nichts vergessen und nichts verloren; keine Stecknadel verloren und kein Sacktüchle vergessen. Man muß immer seine sieben Sinne bei einander haben. So, jetzt wollen wir essen.«

Annele brachte die Suppe; der Ohm schöpfte für sich heraus und noch auf einen Nebenteller. Dann sagte er zu Lenz: »Nimm du das übrige.« Hierauf zog Petrowitsch die Zeitung aus der Tasche, die er sich täglich von der Post holte, schnitt sie auf, bis die Suppe verkühlte, legte Tabaksbeutel und Meerschaumpfeife darauf, und jetzt erst begann er zu essen.

»Siehst du,« sagte er nach der Suppe, während er in den Teller für den Unbekannten Brot einbrockte, »siehst du, so lebe ich gern; im Wirtshause essen, da muß mir jeden Tag frisches Weißzeug gegeben werden. Ich werf' tagtäglich die Zeche in Winkel hin und bin immer mein freier Herr.« –

Beim Fleische legte Petrowitsch dem Lenz hocheigenhändig ein Stück vor, das andre nahm er für sich und schnitt wieder ein Stück in den Teller des Unbekannten. Es mußte ein sehr Vertrauter sein, denn Petrowitsch steckte den kleinen Finger in das Gericht, schüttelte den Kopf und schüttete etwas Wasser in das Hergerichtete. Jetzt wurde es offenbar: »Komm, Büble,« rief Petrowitsch dem Hunde zu: »sachte, sachte, nicht hitzig sein, Büble, so, so, ruhig!«

Er stellte den Teller auf den Boden, und der Hund schmatzte behaglich seine Speise, bis er zuletzt die Mundwinkel ausleckte und seinen Herrn dankbar und zufrieden anschaute.

Von nun an bekam der Büble – in der ganzen Gegend war man Petrowitsch bös, daß er dem Hunde diesen Namen gegeben hatte – nur noch kleine Bissen. Petrowitsch sprach wenig während des Essens, und als er nach Tisch seine Pfeife angezündet hatte und die Zeitung aufnahm, kannte Büble das als Zeichen, daß er nun auf den Schoß seines Herrn springen konnte. Dort ruhte er halb sitzend, halb stehend und Petrowitsch las über dem Kopfe des Hundes weg die Zeitung.

Lenz saß verlegen da, der Ohm war nicht aus seiner Gewohnheit zu bringen. Endlich fragte Lenz: »Ohm, warum habt Ihr das Gerücht verbreitet, daß ich auf die Wanderschaft gehe?«

Petrowitsch rauchte dreimal behaglich und blies noch den Rauch an, dann streichelte er den Büble, schob ihn sanft vom Schoße, legte die Zeitung wieder zusammen, steckte sie in die Tasche und sagte endlich: »Ja, Lenz, wie kommst du mir vor? Du hast mir ja selber gesagt, daß du deine Jugend einholen und noch in die Fremde willst.«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

»Ich nehm' dir auch das nicht übel, du bist nicht dein eigen gewesen; aber gescheit wär's, wenn du noch in die Fremde gingest, du kämest aus manchem heraus. Zwingen will ich dich nicht, und ich kann ja auch nicht.«

Lenz ließ sich von der Zuversicht des Ohms einreden, daß er ihm das mitgeteilt, und bat, ihm auch nicht übelzunehmen, daß er das vergessen.

»Lenz, rück ein bißchen näher,« lispelte Petrowitsch vertraulich, »es braucht's niemand zu hören, was wir reden. Horch, wenn du mir folgst, heiratest du nicht.«

»Aber Ohm, wo werde ich denn jetzt an so etwas denken?«

»Bei euch jungen Leuten kann man nichts sagen. Das ist sicher. Schau, Lenz, nimm dir ein Exempel an mir. Ich bin dir einer der glücklichsten Menschen auf der Welt; ich bin jetzt sechs Wochen in Baden-Baden gewesen, und jetzt ist's hier auch wieder schön, und wo ich hinkomme, bin ich mein eigener Herr, und die Welt muß mich bedienen. Und es gibt jetzt gar keine Mädchen mehr, die zu etwas taugen. Die einfältigen und gutmütigen, bei denen stirbt man vor Langeweile; und die gewitzigten und gescheiten, denen soll man täglich dreimal, zu jeder Mahlzeit, Feuerwerk machen, damit sie sich auch amüsieren. Dann heißt's fortwährend: Ach Gott, wie ist das Haushaltführen so langweilig! Ihr Männer wißt' s gar nicht. – Und dabei das Kindergeschrei und die Verwandten und das Schulgeld und die Steuern.«

»Wenn aber die ganze Welt Eure Gedanken hätte, da wär' ja die Welt in hundert Jahren ausgestorben!«

»Pah, sie stirbt nicht aus!« lachte der alte Petrowitsch und drückte den Tabak in seiner Pfeife mit einem porzellanenen Drücker nieder, den er stets bei sich trug. »Schau, da geht das Annele.« – Lenz erschrak ins Herz hinein, er wußte nicht, warum; aber der Ohm fuhr ruhig fort: »Schau, das ist ein kugeliges Weibsbild, immer aufgeräumt, und sie ist mein Hofnarr. Ja, die alten Könige waren gescheit, die haben sich Hofnarren gehalten, die haben sie beim Essen müssen zum Lachen bringen, das ist gesund, das hilft verdauen. Das Annele ist mein Hofnarr, ich muß tagtäglich über sie lachen.«

Als sich Lenz umsah, war Pilgrim bereits verschwunden. Er schien es in der That darauf angelegt zu haben, daß der Freund ihn vor Petrowitsch verleugne. Lenz hielt es aber für seine Pflicht, zu sagen, daß er ein getreuer Freund des Pilgrim sei und bleibe.

Der Ohm fand das recht und lobte den Neffen darüber, und Lenz war ganz erstaunt, da Petrowitsch den Pilgrim lobte, indem er hinzusetzte: Er sei auf eine andre Manier ganz so, wie er selbst; er wolle auch nichts vom Heiraten wissen und mache sich auch nichts aus dem Weibsvolk.

Der Büble ward unruhig und winselte.

»Ruhig!« drohte Petrowitsch, »sei geduldig, wir gehen jetzt schon heim und schlafen; sei geduldig. Komm, Büble. Gehst du mit, Lenz?«

Lenz begleitete den Ohm bis zu dessen Hause, das groß und stattlich war und von ihm allein bewohnt wurde. Die Thür öffnete sich von selbst wie durch einen Zauber, denn die Magd mußte aufpassen und ihm öffnen, ohne daß er anklopfte. Ein Fremdes, das sich nicht über sein Begehren auswies, durfte nicht ins Haus, und im Dorfe sagte man: Da muß eine Fliege einen Paß haben, wenn sie ins Haus will.

Lenz sagte Lebewohl, und der Ohm dankte ihm gähnend. – –

Lenz war froh, als er am Nachmittag wieder bei seiner Arbeit saß.

Das Haus, das so verödet war, daß er es nicht mehr darin aushalten zu können glaubte, wurde ihm wieder aufs neue heimisch. Man findet draußen in der Zerstreuung keine rechte Ruhe, die wohnt allein daheim. Er suchte einen Platz für das Bild der Mutter: der beste war gerade über der Feile des Vaters, sie sieht ihm dann zu, wie er arbeitet, und er kann oft zu ihr aufschauen.

Halte die Stuben ein bißchen sauber, hatte Lenz zu Franzl gesagt, und mit gerechtem Zorneseifer erwiderte sie: es ist immer sauber! Lenz wollte es nicht sagen, daß er eine besondere Sauberkeit wünschte, denn er wartete jede Stunde, daß Annele mit ihrer Mutter käme, um das Orgelwerk zu sehen und zu hören, ehe es in die weite Welt ging. Dann wollte er sie auch geradezu fragen – der gerade Weg ist der beste – was denn an dem Gerede sei mit dem Techniker. Er weiß zwar nicht, was ihm das Recht gibt, sie zu fragen, aber er meint, er muß es; er kann dann ganz anders mit ihr reden, so oder so.

Es verstrich Tag auf Tag, Annele kam nicht, und Lenz ging oftmals am Löwen vorüber, ohne hinauf zu gehen, ja zuletzt, ohne hinauf zu schauen.


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