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Zwanzigstes Kapitel. Erste Ausfahrt.

Am andern Morgen, da war nun der heiß ersehnte Tag. Die Sonne schien freudig auf die Erde nieder, und auch Lenz wurde es wieder freudig zu Mute. Er schickte alsbald den Lehrling zu Annele und ließ ihr sagen, sie solle bereit sein, er komme nach einer Stunde. Sonntäglich gekleidet trat er nach einer Stunde den Weg nach dem Löwen an.

Annele war noch nicht fertig; sie gab ihm nur auf sein Bitten und Betteln eine Hand durch die Kammerthür, sehen durfte er sie nicht, sie reichte ihm nur rote Bänder und Kokarden heraus, die er dem Knecht geben solle, damit er sie an Pferdegeschirr und Peitsche anhefte. Endlich und endlich kam sie, schön geschmückt. »Ist der Wagen angespannt?« war ihr erstes Wort.

»Nein.«

»Warum hast du das nicht besorgt? Sage dem Gregor, er soll seine gute Postillonsuniform anziehen und sein Horn mitnehmen.«

»Laß doch das! Wozu soll's?«

»Wir dürfen uns zeigen vor der ganzen Welt, wir haben nach niemand was zu fragen, und sie sollen aufschauen, wenn wir daher kommen.«

Man stieg endlich ein. Vor dem Hause des Doktors befahl Annele dem Gregor: »Blas jetzt, blas scharf! Sie sollen herausschauen, des Doktors Töchter, und sollen sehen, wie wir miteinander fahren. Schau. Es zeigt sich keine Seele, das Fenster wird zugemacht in der Eckstube. Dort sind sie. Sie vergehen vor Aerger drinnen, und sie müssen's noch erzählen, denn ich weiß, die alte Schultheißin fragt jetzt: warum blast man da? Ich möcht' hinter der Thür stehen und hören, wie sie alles berichten!«

»Annele, du bist übermütig heut.«

»Warum nicht? Du gefällst mir heute besonders. Die Leute haben recht, du hast so getreue, helle Augen; ich hab's gar nicht gewußt, daß sie so schön sind, du bist wirklich ein hübscher Kerle!«

Das ganze Gesicht des Lenz erglänzte, und er wurde noch hübscher. »Ich will mir neue Kleider machen lassen, nach der Mode; was meinst du?« fragte Lenz.

»Nein, bleib du nur so, das sieht viel ehrbarer und solider aus.«

»Es sieht nicht nur so aus, es ist's auch.«

»Jawohl, es ist's auch. Thu nur jetzt nicht so, als ob jedes Wort ein Zahn an einem Uhrenrad wäre.«

»Hast recht.«

Man fuhr durch das Nachbardorf, und Annele befahl wieder: »Gregor, blas, blas scharf! Schau, da die Krämerin Ernestine ist eine Base von mir, sie hat lang bei uns gedient und hat nachher den Schneider geheiratet, der jetzt Krämer geworden ist; die kann mich nicht ausstehen und ich sie nicht, die soll sich ärgern, daß ihr grünes Gesicht blau wird, wenn sie sieht, daß wir beide vorüberfahren und nicht einkehren! Hui! da kommt sie ans Fenster. Ja, guck' dir nur deine überwachsenen Schweinsaugen aus, mach' das Maul auf, daß man dein buckliges Zahnfleisch sieht, ja, ich bin's, und das da ist mein Lenz. Sieh dir ihn an! Gelt, hättest auch Appetit! Prosit Mahlzeit! Laß dir deinen vorjährigen Hering schmecken!«

Sie schnalzte mit der Zunge vor Jubel, und man fuhr vorüber.

»Macht dir das jetzt Freude, Annele?« fragte Lenz.

»Warum nicht? Einem bösen Menschen muß man Böses thun, und einem guten Gutes. Beides ist recht.«

»Ich glaub', ich kann's nicht.«

»Darum sei froh, daß du mich hast. Sie sollen alle in ein Mauseloch kriechen vor uns, sie sollen froh sein, wenn wir sie nur anschauen.«

Vor der Stadt gab Annele ihrem Bräutigam noch Verhaltungsregeln: »Wenn der Bruder meines Schwagers, der Techniker, da ist, thu nur recht stolz gegen ihn. Er wird dir was am Zeug flicken wollen, denn er ist grausam bös, weil ich ihn nicht genommen habe, aber ich mag ihn nicht. Und wenn dir meine Schwester was vorheulen will, hör's geduldig an; brauchst sie nicht zu trösten, es nutzt doch nichts und ist auch nicht nötig. Sie sitzt im Gold und hat doch immer nichts, als zu flennen; sie ist halt nicht ganz gesund. Sonst aber ist unsere ganze Familie gesund, das siehst ja an mir.«

Die beiden Brautleute trafen es nicht gut bei der Schwester. Sie lag in der That krank zu Bett, und weder der Schwager noch dessen Bruder war zu Haus. Sie waren beide rheinabwärts gefahren mit einem großen Floß.

»Willst du nicht bei deiner Schwester bleiben? Ich habe mich in der Stadt umzuschauen.«

»Kann ich nicht dabei sein?«

»Nein, ich habe dir was zu besorgen.«

»Da kann ich auch dabei sein, und es ist besser; ihr Männer könnt nicht gut auswählen.«

»Nein, dabei kannst du nicht sein,« bestand Lenz darauf. Er nahm ein ziemlich umfangreiches Päckchen aus dem Wagensitz und ging damit nach der Stadt; denn das Haus der Babett war draußen am Bach, in der Nähe der großen Holzlager.

Ohne daß es Annele bemerkt hatte, brachte Lenz das, was er mitgenommen hatte, etwas vergrößert wieder zurück und legte es in den Wagensitz.

»Was hast du mir gekauft?« fragte Annele.

»Ich will dir's daheim geben.«

Annele war's zwar hart, daß sie den schönen Schmuck nicht der Schwester zeigen konnte, aber sie hatte schon gemerkt, das war etwas, worin Lenz seinen eigenen Weg ging und sich nicht abbringen ließ.

Man aß im Wirtshause, und Annele erzählte, daß der Sohn des Hauses, ein feiner Mensch, der jetzt einen großen Gasthof in Baden-Baden habe, auch um sie gefreit; sie hätte ihn aber nicht gewollt.

»Das brauchst du mir nicht zu erzählen,« sagte Lenz. »Ich bin fast eifersüchtig auf die vergangenen Tage; auf die Zukunft nie. Hier hast du meine Hand. Ich kenne dich. Es thut mir aber weh, daß noch andere einmal ein Auge zu dir aufgehoben haben. Laß alles, was vergangen ist, vergangen sein. Wir fangen unser Leben von vorn an.«

Es war ein eigener, warmer Strahl, der über das Antlitz Anneles zuckte bei diesen Worten. Etwas von der Gemütsheiligkeit des Lenz ging vor ihr auf, sie war sanft und äußerst liebevoll.

Sie konnte es nach ihrer Art nicht besser ausdrücken, als indem sie beteuerte: »Lenz, du brauchst mir gar kein Brautgeschenk zu kaufen. Du brauchst das nicht zu thun, was andere thun. Ich kenne dich. Es gibt noch was Besseres als alle goldenen Ketten.« Die Thränen standen ihr im Auge, als sie das sagte, und Lenz war noch nie glückseliger gewesen, als jetzt.

Die Kirchenuhr schlug fünf, als man zur Heimkehr wieder auf dem Wagen saß.

»Die Uhr da hat mein Vater selig gemacht, und da hat der Faller noch mitgeholfen,« sagte Lenz. »Halt! Das ist gut, daß mir das einfällt. Der Faller sagt, du habest ihm ein ungeschicktes Wort übelgenommen; er will mir nicht sagen, was. Sei ihm nicht bös, er ist oftmals ungeschickt gerad aus, ein steifer Soldat, aber ein besonders guter Mensch.«

»Kann sein. Aber schau, Lenz, du hast zu viel Kletten an dir hängen, die mußt du abschütteln.«

»Meine Freunde gebe ich nicht auf.«

»Das will ich ja auch nicht, Gott bewahre! Ich habe dir weiter nichts sagen wollen, als du sollst dich so halten, daß nicht jeder kommen kann und dir in alles dreinredet.«

»Da hast du recht, das ist mein Fehler; ermahn' mich nur, so oft du willst, daß ich ihn ablege.«

Als Lenz dieses Wort und so demutsvoll aussprach, stand Annele plötzlich im Wagen aufrecht.

»Was hast? Was gibt's?« fragte Lenz.

»Nichts, gar nichts, ich weiß nicht, warum ich aufgestanden bin. Ich meine, ich sitze nicht gut. So, jetzt ist's besser. Es fährt sich doch gut in unserer Kutsche, nicht wahr?«

»Ja, ganz gut. Man sitzt wie auf dem Stuhl und ist doch in der weiten Welt. Fahren ist doch schön, und ich bin noch nie in eigenem Fuhrwerk gefahren, und deines Vaters ist doch auch mein.«

»Jawohl.«

Am Wege ging der Pröbler. Er stand still, als die Brautleute vorüberfuhren und nickte mehrmals.

»Ich möchte den alten Mann gern mitfahren lassen,« sagte Lenz.

»Das wäre schön!« lachte Annele. »Eine Brautfahrt mit dem Pröbler!«

»Du hast recht,« entgegnete Lenz, »wir wären nicht mehr allein bei einander, so gut selbander, so herzeinig, wenn da noch ein drittes säße und zusähe und zuhörte. Ich bin gegen niemand hart, wenn ich ihn jetzt nicht mitfahren lasse. Das ist jetzt eine Stunde, wo wir jetzt nur für uns allein so glückselig sein können. O, wie schön ist alles. Ich meine, die ganze Welt lacht. Der Pröbler hat auch gelacht und hat's gar nicht übelgenommen. Er hat sich gewiß auch gedacht, daß ich von dieser Stunde jetzt nichts herschenken kann.«

Annele sah Lenz groß an, dann schlug sie den Blick nieder und faßte still die Hand ihres Bräutigams. – –

Die erste Ausfahrt der Brautleute war nicht so lustig gewesen, als man voraus vermutet hatte, aber die beiden brachten doch eine besondere Freude mit heim. Annele sprach sehr wenig, es ging was Besonderes in ihr vor.

Man kam noch bei hellem Tag wieder heim. Lenz half Annele aus dem Wagen und ließ sie allein voraus gehen. Dann nahm er das sorgsam Eingewickelte aus dem Kutschensitz, ging ebenfalls hinauf und rief Annele in das Stüble.

Dort wurde das Geheimnis ausgewickelt mit den Worten: »Annele, ich schenk' dir hiermit das Liebste und das Beste, was ich habe. Das hat mir mein guter Pilgrim gemacht, und du sollst's haben.«

Annele sah starr auf das Bildnis, für das Lenz so geheimnisvoll den goldenen Rahmen in der Stadt besorgt hatte.

»Nicht wahr, du kannst nichts reden, wie dich jetzt meine Mutter ansieht?«

»So? Das ist deine Mutter? Ja, es ist ihr Rock und ihr Halstuch und ihre Haube, aber deine Mutter? Nein, das könnte ebensogut des Schreiners Annelise, oder die alte Fallerin sein. Ja, und der sieht's noch mehr ähnlich. Warum siehst du jetzt wieder so blaß aus, daß dir kein Blutstropfen im Gesicht ist? Guter Lenz, soll ich denn die Unwahrheit sprechen? Das willst du doch nicht. Und was kannst du dafür? Der Pilgrim ist eben der Garnichts. Der versteht gar nichts, der kann bloß seine Kirchtürme malen.«

»Wie du so redest, ist mir's, als wenn meine Mutter zum zweitenmal gestorben wäre,« sagte Lenz.

»Sei doch nicht gleich so traurig,« bat Annele mit innigem Tone. »Ich will das Bild in Ehren halten, ich häng' es jetzt über meinem Bett auf. Gelt, du bist jetzt nicht mehr traurig? Du bist heut so lieb gewesen, und schau, wenn ich das Bild ansehe, kann ich doch besser an deine Mutter denken.«

Wie es Lenz bald siedendheiß, bald eiskalt überlief, so konnte ihn Annele, wie sie nur wollte, bald in die höchste Seligkeit versetzen, bald zu Tode kränken.

Und so ging's nun Wochen und Monate. Aber die eigentliche Freude war doch vorherrschend, denn über Annele war eine Weichheit gekommen, die niemand je in ihr vermutet hätte. Selbst Pilgrim kam eines Tages zu Lenz und sagte: »Andre Menschen sind glücklich, wenn sie sehen, wie gescheit sie gewesen sind; mich freut's, daß ich dumm gewesen bin.«

»So? Worin denn?«

»Man lernt ein Mädchen nie auskennen. In dem Annele steckt doch etwas, was dich ganz glücklich machen kann. Es ist vielleicht gerade gut, daß sie nicht so weichherzig und träumerisch ist, wie du.«

»Ich danke dir. Gottlob, daß es so gekommen ist,« rief Lenz.

Die beiden Freunde reichten einander die Hände und hielten sie lange fest.


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