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Fünfzehntes Kapitel. Junge Herzen nach einer Trauung.

Lenz saß zu Hause und arbeitete unablässig. Er hatte das Glück, daß sein kleineres, fast vollendetes Werk durch Vermittelung des Knuslinger Gewichtlesmanns verkauft war. Mit wahrer Lust arbeitete er an der Vollendung und rüstete daneben zu dem neuen, das der Löwenwirt so viel als bestellt hatte; er war so glückselig in der Arbeit, daß er oftmals daran dachte: Du brauchst nicht zu heiraten, und du kannst nicht. Wo sollst du noch Gedanken hernehmen für Frau und Kind, wenn dir deine Kunst Kopf und Herz so voll einnimmt?

Pilgrim hatte seine alten Plane und Entwürfe zu neuen Uhrenmodellen wieder vorgenommen und arbeitete in den Abendstunden – er konnte keine Arbeitszeit darauf verwenden – unablässig daran. So sahen die Freunde einander seltener, und Lenz kam jetzt nicht zu den Uebungsabenden des Liederkranzes.

Die Hochzeit des Faller brachte Lenz doch wieder ins Dorf. Der gute Kamerad ließ nicht ab, bis der Gründer seines Glückes ihm willfahrte, trotz der Trauer mit ihm zur Kirche zu gehen.

Die Hochzeit war nur klein, ohne Gäste und ohne Musik, denn Faller erklärte: »Wenn ich einmal 'was Uebriges habe, lade ich mir Gäste ein, und Musik mache ich mir selber.«

Lenz mußte im Hochzeithause viel Lob hören, was er da alles gethan, und die alte Fallerin sagte: »Wenn du, will's Gott, bald heiratest, trage ich auch die Kleider deiner Mutter in die Kirche. Ich schäme mich nicht, daß ich ihre Kleider trage; im Gegenteil, jeder sagt's, ich habe Ehre mit angethan.«

»Und ich bin gut gebettet,« sagte Faller, und seine starke Stimme klang fast komisch in der Rührung. »O Lenz, ich bete heute fast gar nicht für mich, ich bete für dich zu unserm Herrgott. Gott soll dich davor bewahren, aber ich wünsche mir doch, wenn du nur einmal in einer schweren Gefahr wärest, daß ich dich herausholen könnte. Ich möchte mich in der Kirche zur Gemeinde umwenden und rufen: Schaut, Gott hat mir geholfen, daß ich da stehe, aber er hat mir geholfen durch meinen Freund, und lieber Gott, segne du ihn dafür und seine Eltern im Himmel. Lenz, du mußt glücklich sein, denn du hast ein ganzes Haus glücklich gemacht.«

Der starke, feste Faller konnte nicht weiter reden und zwirbelte seinen soldatischen Schnurrbart.

Lenz war im Hochzeithause fast mehr Gegenstand der Ehrenbezeigung, als das junge Ehepaar, und er war froh, als es endlich in die Kirche ging.

Der Liederkranz sang schön in der Kirche, man merkte aber doch, daß zwei Hauptstimmen fehlten, die des Faller und die des Lenz.

Das ganze Dorf, vor allem aber die Frauen und Mädchen, waren bei der Trauung; die Verheirateten hörten wieder einmal gern die Eheermahnungen, und die Ledigen wollten einstweilen Fassung gewinnen, wie sie sich, hoffentlich bald, dabei benehmen werden. Die Frauen weinten, und die Mädchen schauten neugierig umher in der Kirche, und wenn Lenz aufgeschaut hätte, er hätte vielen Blicken begegnen können.

Nach der Trauung trennte sich Lenz von den Hochzeitleuten und ging allein heimwärts. Schon am Kirchhofszaun wurde er begrüßt, es war des Vogtsbauern Kathrine, die mit einem schönen Burschen – der Tracht nach ein Bauernsohn aus einem benachbarten Thale – dort stand; sie ward rot, als sie Lenz starr ansah und weiterging. Jetzt grüßte er zuvorkommend und lüpfte den Hut; die beiden ältesten Töchter des Doktors gingen des Weges, und sie hatten schöne Schnürstiefelchen an, die sie bei dem nassen Wetter nicht verbergen konnten.

»Wir haben gemeint, Sie seien verreist,« sagte Bertha, die mutigere.

»Nein, ich bin immer daheim,« erwiderte Lenz.

»Wir auch,« setzte Bertha fort. Lenz schwieg.

»Sind Sie wieder an einer neuen großen Arbeit?« fragte Amanda.

»An neuer und an alter. Bei unsereinem hört die Arbeit nicht auf.«

»Ist es nicht sehr anstrengend, so beständig?« fragte Amanda wieder.

»O nein, ich wüßte nicht, was ich sonst machen sollte.«

»Ja, die Uhrmacher,« neckte Bertha, »die sind wie die Uhren selber, immer aufgezogen.«

»Und Sie sind so ein Schlüssel, der einen aufzieht,« entgegnete Lenz rasch. Er hatte eigentlich etwas andres sagen wollen, aber er fand es nicht.

»Das ist gut, Herr Lenz, daß Sie ihr heimbezahlen,« schloß Amanda. »Hier scheidet unser Weg, hier müssen wir Adieu sagen.«

»Vielleicht geht der Herr Lenz noch mit,« nahm Bertha auf, »vielleicht geht er zum Pilgrim?«

In Lenz pochte das Herz: er wollte ja sagen, er wollte sagen, er gehe zum Pilgrim, aber unwillkürlich, wie in Angst, wie zitternd sagte er: »Nein, ich gehe heim. Adieu wohl.«

»Adieu!«

Lenz ging tief atmend den Berg hinan; er wollte umkehren, wer weiß, was wird! jetzt trifft er sie noch, jetzt sind sie am Löwen, jetzt an der Kirchhofsmauer . . . aber im Denken ging er immer weiter, und mit hochklopfendem Herzen kam er daheim an, und es war ihm, als flüchtete er in sein Haus. Er flüchtete, aber vor was denn? Er weiß es selbst nicht. Nur unruhig war er heute, unruhig und unzufrieden wie noch nie.

Am Abend zog er sich frisch an und ging ins Dorf; er wollte zu Pilgrim oder auch zum Doktor, er hat ja schon lange gesagt, er solle einmal kommen. Pilgrim war nicht zu Hause, und am Hause des Doktors stand Lenz lange und wagte es nicht, die Klingel zu ziehen. Er ging mehrmals auf und ab, vielleicht kommt der Doktor, spricht ihn an und nimmt ihn mit, aber es kam niemand. Der Don Bastian ging vorüber. Lenz flüchtete wie ein Dieb, dem die Verfolger auf dem Fuße sind, ins Dorf hinein; da war's doch besser, und da stand ein Haus offen, das ist gut. Wir sind im Löwen, da ist man geborgen.

Lenz war froh, daß es doch noch einen ruhigen Platz auf der Welt gibt, Stühle, wo man sich setzen, Tische, worauf man etwas stellen kann, und da sind Menschen, denen nicht vor Unruhe das Herz klopft, daß die Brust zerspringen will, sie sind ruhig und gelassen, und da kommt der gelassenste und gleichmütigste von allen und grüßt wohlwollend.


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