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Zwölftes Kapitel. Gutes Geleite und Gedanken in die Weite.

Fertig ist's jetzt! sagte Lenz in der Stube vor sich allein, behüt dich Gott! – Er ging nun daran, das Werk auseinander zu schrauben. Es wurde in einzelnen Stücken nach dem Thale gebracht und der große schöne Kasten auf einer Bahre hinab getragen, denn es ging kein Fahrweg nach dem Hause des Lenz.

Die beiden Feinde Petrowitsch und Pilgrim trafen zusammen bei dem Wagen, auf dem Lenz stand und die einzelnen, wohl verwickelten Teile einpackte. Auf der einen Seite des Wagens sagte Petrowitsch: »Ich kenne den Mann und das Haus, wo das Werk hinkommt, gerade in Odessa ist einer meiner liebsten Freunde. Der das Werk kriegt, ist ein grundbraver Mensch. Wenn du gescheit wärest, gingst du mit und stelltest das Werk in Odessa auf; dann kriegst du sieben neue Bestellungen.«

»Ich hab' schon wieder eine neue Bestellung,« beschwichtigte Lenz.

Auf der andern Seite des Wagens sagte Pilgrim: »Lenz, wir geben der Zauberflöte ein Stück Wegs das Geleite, und heute abend sind wir bei guter Zeit wieder daheim.«

»Ich bin's zufrieden, ich kann ohnedies heute nichts mehr arbeiten.«

Als die beiden Freunde, hinter dem Wagen dreingehend, an dem Löwenwirtshaus vorüber kamen, schaute Annele zum Fenster hinaus und rief: »Glück zu!«

Die beiden Freunde dankten.

Am Hause des Doktors war's aber doch noch schöner. Da kam die Magd heraus und legte schnell einen Kranz auf den Wagen.

»Wer schickt den?« fragte Pilgrim, denn Lenz war starr vor Staunen.

»Meine Haustöchter,« sagte die Magd und ging ins Haus zurück.

Die beiden Freunde nickten hinauf ans Fenster; es zeigte sich niemand; nur als sie ein Stück weiter gegangen waren, hörten sie aus dem Hause des Doktors die Zauberflöte spielen.

»Es sind doch prächtige Menschen, des Doktors,« sagte Pilgrim. »Ich bin nie dümmer, als wenn ich mich frage: Wer von ihnen ist die Beste? Mir die liebste ist die alte Schultheißin. Die ganze Gegend sollte eine Bittschrift hei Gott eingeben, daß er die nicht sterben läßt; jetzt ist deine Mutter tot, und wenn die noch stirbt. dann ist die ganze alte Welt tot, die noch in ehrlichem, hausmachenem Zeug lebte. Aber die Enkel sind auch brav, die Amanda wird einmal eine Großmutter wie die alte Schultheißin.«

Lenz schwieg, und den ganzen Weg nach der Stadt war er still. Dort aber, als das Fuhrwerk weiter gezogen war und die Freunde beim Weine saßen, wurde Lenz wohlgemut und redselig und sagte, daß es ihm sei, als ob er jetzt noch einmal zu leben anfange.

»Und heiraten mußt du!« das war wieder der Ausspruch des Pilgrim. »Du kannst nur zweierlei wählen: entweder eine rechtschaffene Gebildete, eine von des Doktors Töchtern, du kriegst eine, wenn du willst, und ich rate dir zur Amanda. Es ist nur schade, daß sie nicht so singen kann, wie die Bertha, aber sie ist seelenbrav, sie wird dich ehren, wenn du sie ehrst, und wird deine Kunst hoch halten.«

Lenz schaute in das Glas, und Pilgrim fuhr fort: »Oder aber, du machst dir's bequem und heiratest eine rechtschaffene Bauerntochter, des Vogtsbauern Kathrine; die Franzl hat recht, sie springt dir nach über sieben Zäune; die wird dir sparen und hausen, und du wirst gesunde Kinder kriegen, sieben Söhne, die die alten Tannen in des Löwenwirts Wald hinter deinem Hause umreißen, und ein vermögender Mann wirst du auch. Aber für deine Kunst und von dem, was du da sonst noch im Kopf hast, kannst du dann von deiner Frau nichts verlangen. Du hast die Wahl, aber wählen mußt du. Wenn du entschieden bist, schicke nur mich, da oder dorthin. Ich freue mich schon auf meine Würde als Brautwerber, ich ziehe ein Halstuch um, wenn's nötig ist. Kann ich mehr für dich thun auf der Welt?«

Lenz schaute noch immer in das Glas. Mit diesem Entweder – Oder des Pilgrim war Annele ausgeschlossen. Erst nach geraumer Zeit sagte Lenz: »Ich möcht' nur einmal in einer großen Stadt sein. Ich möcht' einmal von einem ganzen Orchester so ein Musikstück hören, aber dasselbe Stück fünf, sechsmal. Da, mein' ich, könnt' ich's noch ganz anders setzen. Es ist mir immer, wie wenn noch ein Ton da wäre, den ich nicht herauskriege. Schau, sie mögen mich loben, wie sie wollen, ich weiß doch, daß die Stücke, die ich gesetzt habe, nicht den rechten Ton haben; es ist nicht der rechte Ton; ich weiß es und kann ihn doch nicht anders machen, es ist so 'was Quieksendes, so 'was Herbes, Trockenes darin, wie wenn ein Taubstummer spricht: das klingt fast so, wie wenn wir reden, aber es ist doch nicht so. Wenn ich nur den Ton herauskriegte! Ich kenne ihn, ich höre ihn, aber ich krieg' ihn nicht.«

»Ja, ja, es geht mir auch so. Ich meine, es gibt eine Farbe und ein Bild, das ich noch machen könnte. Ich mein', ich müßt's herausreißen und festhalten, aber ich sterbe weg von der Welt und krieg's nicht heraus. Das ist einmal so unser Schicksal, das deinige und das meinige. Da kommst du nicht darüber hinaus. Das muß so sein. Blasbalg und Uhrenrad werden nie das machen können, was ein lebendiger Menschenatem und eine lebendige Menschenhand ausrichten kann; die bringen aus Geigen und Flöten Töne heraus, die ihr nie herauskriegt. Und das muß so sein. Komm, trink aus, wir wollen heim.«

Sie tranken aus und gingen wohlgemut heim durch die Herbstnacht und sangen miteinander allerlei Lieder, und als sie des Singens müde waren, pfiffen sie zweistimmig. An seinem Hause nahm Pilgrim Abschied. Als aber Lenz im Löwenwirtshaus noch viel Licht sah und laut sprechen hörte, ging er hinauf.

»Das freut mich, daß du noch kommst,« sagte Annele und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich hab' mir's gedacht, es muß dir einsam sein daheim, jetzt, wo das Werk fort ist, gerad wie damals, wo deine Mutter gestorben ist.«

»Just gerad nicht so, aber doch von der Art. Ja, Annele, sie mögen mir das Musikwerk loben, wie sie wollen, ich weiß doch, es sollte noch ganz anders sein. Schau, ich will mich nicht loben, aber das darf ich doch sagen, ich verstehe, Musik zu hören, und Musik recht hören können, das ist was!«

Annele sah ihn groß an. Musik hören können, was ist denn das für eine Kunst! Das kann ja jeder, der Ohren hat und sie nicht verstopft! Sie ahnte aber doch, daß Lenz etwas andres damit meine: sie kennt das, sie weiß aus vielfacher Erfahrung, daß die Menschen oft verkehrt anfangen, wenn sie etwas zu berichten haben, wovon sie ganz voll sind. Sie warf daher nochmals einen großen Blick auf Lenz und sagte: »Ja wohl, das ist was.«

»Du verstehst, wie ich's meine,« rief Lenz begeistert.

»Ja, aber ich weiß es nicht zu sagen.«

»Das ist's ja, das kann ich ja auch nicht. So wie ich an diesen Punkt komme, bin ich gleich ein Stotterer. Ich habe nicht eigentlich regelrecht Musik gelernt, ich kann nicht geigen und nicht Klavier spielen; aber ich höre doch ganz genau, wenn ich die Noten sehe, was der Musiker hat sagen wollen. Ich kann nicht Musik sprechen, aber ich kann Musik hören.«

»Das ist ein gutes Wort!« frohlockte Annele. »Das Wort behalt' ich mein Leben lang; Musik sprechen und Musik hören, sind zweierlei. Ja, von dir lernt man gut, wie es einem so innen ist, aber man kann es nicht so geben.«

Lenz trank den guten Wein, die guten Worte und den guten Blick des Annele auf einmal hinunter, dann fuhr er fort: »Besonders meinen Mozart, den höre ich ganz, und ich meine, ich höre ihn recht. Wenn ich dem nur einmal im Leben hätte die Hand geben können! Aber ich meine, ich wäre gestorben vor Wehmut, wie er gestorben ist, wenn er zu meiner Zeit gelebt hätte; aber in den Himmel hinein möchte ich ihm 'was Gutes thun. Oftmals denke ich auch wieder: es ist besser, daß ich kein Instrument spielen kann: ich hätte doch nie so sprechen gelernt, wie ich hören kann. Das Hören ist eine Naturgabe, für die ich Gott zu danken habe, und mein Großvater soll auch besonders gut Musik verstanden haben. Wenn ich spielen müßte, anders als ich's hören mag und wie ich's meine, es thäte mir die Ohren zerreißen.«

»So geht mir's auch,« setzte Annele ein, »ich höre es gar gern, aber ich hin zu ungeschickt; und wenn man noch dazu im Haus schaffen muß und nicht dabei bleiben kann, da wird nichts Rechtes draus. Ich habe das Klavierspielen aufgegeben. Mein Vater ist bös darüber, er hat nichts gespart, er hat uns Kinder alles lernen lassen; aber ich meine, was man nicht recht aus dem ff kann, muß man ganz bleiben lassen, und eben für Menschen, wie ich, die auch Musik hören, aber nicht sprechen können, eben für solche bist du da und machst deine Musikwerke. Wenn ich Meister im Hause wäre, ich thäte dir dein bestes Musikwerk abkaufen, ich ließe es nicht nach Rußland; da in der Wirtsstube müßte es sein, das wäre unterhaltsam für alle Gäste, und du bekämest auch dadurch Bestellungen genug. Seitdem ich bei dir da oben gewesen hin, spielt's mir immer, wo ich stehe und gehe, die schöne Weise mit dem Glockenspiel: Das klinget so herrlich, das klinget so schön!«

Es klang auch in Lenz herrlich und schön. Er suchte Annele zu erklären, daß, wer nicht das rechte Musikgefühl habe, die Stifte wohl vorzeichne und einsetze, wie es die Noten vorschreiben, aber damit sei es nicht gethan und auch nicht mit Veränderung des Tempos, wie es vorgeschrieben ist; wo das Gefühl nicht ist, da wird nichts als ein Leierkasten. Er nehme daher das Piano noch langsamer und das Forte noch schneller; der spielende Musiker thue das von selbst, er wird von selbst beim Piano sanfter und beim Forte hitziger. Das müßte man eben in die Stifte zu bringen suchen, aber es darf nur ganz gering sein, was man nachgibt und vorschlägt, und beim Forte müsse man besonders drauf setzen, weil das Werk da ohnedies viel zu thun hat und von selbst anhält, da müsse man Vorspann geben. »Schau, Annele,« schloß er, »ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich meine Kunst, mein Geschäft macht. Der Pilgrim hat recht: da sitze ich da droben und setze heitere und ernste Stücke, die sich dann allein spielen und hundert und hundert Menschen in weiter Ferne glücklich machen.«

Annele hörte sehr einverständlich zu und sagte schließlich: »Du verdienst es auch, glücklich zu sein. Und du legst es so schön aus, wie schön das ist, was du thust. Ich danke dir vielmal, daß du mir alles so auslegst. Wenn das manches wüßte, daß du mir alles so sagst, könnte es eifersüchtig sein.«

Bei diesen Worten fuhr sich Lenz mit der Hand über die Stirn und sagte: »Ja, Annele, darf ich dich was fragen?«

»Ja, dir sag' ich alles.«

»Nimm mir's nicht übel: ist es denn wahr, daß du so viel als Braut bist mit dem Techniker?«

»Ich danke dir, daß du mich das geradeswegs fragst. Da hast du meine Hand drauf, es ist kein wahres Wort dran, wir haben nichts miteinander.«

Lenz hielt die Hand fest und sagte: »Jetzt erlaube ich mir noch eine Frage.«

»Frag du nur, was du willst, du sollst ehrlich bedient sein.«

»Sag, warum bist du immer so anders gegen mich, wenn der Pilgrim da ist? Habt ihr je was miteinander gehabt?«

»Schau, da will ich Gift mit hineintrinken, wenn ich dir nicht die Wahrheit sage,« entgegnete Annele und faßte nach dem Glase des Lenz und nippte, so viel Lenz auch beteuerte: »Du brauchst nicht zu schwören, ich kann Schwören nicht leiden.« Sie fuhr fort: »Ja, wenn alle Menschen so wären wie du, brauchte man nicht zu schwören auf der Welt. Der Pilgrim und ich, wir foppen und hänseln uns immerfort. Aber er kennt mich doch nicht ganz. Und wenn du da bist, da kann ich das Spaßmachen und die Fastnachtspossen nicht leiden. Jetzt mußt du mir aber auch etwas thun. Bleib dabei! So wie du über mich was zu fragen hast, was es auch sei, frag niemand, als mich selber; versprich mir das, gib mir die Hand drauf.«

Sie reichten einander die Hände, und Annele fuhr mit wehmütigem Tone fort: »Ich bin eine Wirtstochter, ich hab's nicht so gut wie andre Haustöchter, bei denen darf nicht jeder da hereinkommen, und man muß ihm Rede und Antwort geben. Darum schlag' ich oft aus, wo ich kann, aber ich bin nicht immer so wie ich mich stelle. Dir darf ich das sagen, und dir sag' ich's. Ich könnt' wohl auch manchmal betrübt sein, aber mit Lustigdrüberwegspringen jagt man die Traurigkeit fort.«

»Das hätte ich jetzt nie geglaubt, ich hätte nie geglaubt, daß dir je ein trüber Gedanke durch die Seele gegangen. Ich habe immer gemeint, du bist den ganzen Tag wie ein lustiger Vogel.«

»Ja, die Lustigkeit ist mir auch lieber,« erwiderte Annele und bekam plötzlich ein ganz andres Gesicht. »Ich mag auch die traurige Musik nicht. Das klinget so herrlich, das klinget so schön! Das ist eine Weise, die ist lustig, da möchte man dazu hüpfen und tanzen.«

Das Gespräch war wieder auf die Musik und auf das heute abgesandte Werk zurückgelenkt. Lenz sprach gern und viel davon, wie er die Zauberflöte auf ihrem langen Wege begleite. Er hätte gern allen Packknechten, allen Fuhrleuten und allen Matrosen zugerufen: Habt acht! Schade, daß ihr nicht hören könnt, was da eingewickelt ist!

Noch nie in seinem Leben war Lenz, wie heute, der letzte Gast im Wirtshause gewesen, und er fühlte gar keine Lust, aufzustehen und heim zu gehen; die große Schlaguhr in der Stube schlug laut und mahnend, und die Gewichte rollten dabei wie zornig, Lenz hörte sie nicht. Der Löwenwirt war in der Stube verblieben, da sich die Frau zu Bette gelegt hatte. Er las seine Zeitung am andern Tisch, stand auf, gab Annele einen Wink, Feierabend zu machen; sie mußte es nicht verstanden haben, sie sprach eifrig weiter. Er löschte mit Geräusch sein Licht aus, auch das merkten die beiden nicht. Er ging mit schwer knarrenden Stiefeln die Stube auf und ab, Lenz achtete nicht darauf. Das war noch nie geschehen, daß jemand that, als ob der Löwenwirt nicht in der Stube war. Der Löwenwirt ließ seine Repetieruhr schlagen, auch darauf merkte Lenz nicht. Endlich – der Löwenwirt hat's nicht nötig, sich vor jemand einen Zwang anzuthun – endlich ließ er sich vernehmen: »Lenz, wenn du hier über Nacht bleiben willst, will ich dir ein Zimmer anweisen.«

Lenz erwachte, er gab Annele die Hand, er hätte sie auch dem Löwenwirt gern gereicht, aber das darf man nicht wagen, wenn er nicht selber dazu auffordert. Still, allerlei in Gedanken überlegend, ging Lenz heimwärts.


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