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Sechzehntes Kapitel. Das Herz geht auf.

Der Löwenwirt setzte sich zu Lenz und war sehr väterlich: »Du hast das Geld für dein Musikwerk bekommen?« fragte er beiläufig.

»Ja,« antwortete Lenz.

»Du thust gescheit daran,« begann der Löwenwirt wieder, »wenn du Aktien von der neuen Eisenbahnanleihe kaufst, die werden gut. Du hast doch das Geld noch bar?«

»Nein, ich hab' noch 800 Gulden gehabt, und da hab' ich meinem Nachbar, dem Vogtsbauer, in runder Summe 3000 Gulden geliehen. Er braucht's, um die Ablösungsgelder zu bezahlen.«

»So? Hast du eine Hypothek, und wie viel Zinsen bezahlt er?«

»Ich hab' eine bloße Handschrift, und er gibt fünf Prozent.«

»Der Vogtsbauer ist gut, und fünf Prozeß ist auch gut! aber wie gesagt, wenn du einmal was machen willst, ich stehe dir gern mit Rat zu Diensten.«

»Ich bleib' gerne bei dem, was ich verstehe; natürlich Euch thät' ich blindlings folgen. Ich bin mit dem neuen Werk, das Ihr mir abkauft, schon weit, und ich glaub', es wird besser.«

»Lenz, vergiß nicht, daß ich dir nichts Gewisses gesagt habe. Ein Ehrenmann geht nicht weiter . . .«

»Redet doch kein Wort, ich werde Euer Wort nie . . .«

»Wie gesagt, mit dem besten Freund muß man glatt und accurat sein. Da liegt ein accurater Mann, soll man mir einmal aufs Grab schreiben.«

Lenz war überaus begeistert von dem festen, charaktervollen Manne. Der ist doch wie pures Gold.

Annele kam, sagte: »Mit Verlaub,« und setzte sich auch mit an den Tisch zum Vater und zu Lenz. Es dauerte nicht lange, da erhob sich der Löwenwirt, und Lenz sagte: »Annele, du darfst stolz sein, so einen Vater zu haben. Das ist ein Mann. Es thut einem wohl, wenn man mit ihm redet. Gerad' weil er wenig redet, da ist jedes Wort – wie soll ich doch sagen? lauter Kern, lauter Mark.«

»Ja,« sagte Annele. »Es gibt nichts Besseres für ein Kind, als so von seinem Vater reden zu hören, und er verdientes auch. Freilich, brummig und überzwerch ist er auch, wie alle Männer.«

»Alle Männer?« fragte Lenz.

»Ja, alle. Ich darf dir's ins Gesicht sagen, du bist doch einer der besten, aber du hast gewiß auch deine Launen. Man muß eben Geduld mit euch haben.«

»Das ist brav, Annele. Siehst du, das freut mich am meisten; nicht, daß du mir solches Lob nachsagst – ich verdien's nicht –. Ich kann dir nicht sagen, wie oft ich auf mich selber bös bin. Ich verunschicke viel, und die Musik, die mir immer im Kopf herumgeht, macht, daß ich manches nur halb höre und halb thue; ich bin viel ungeschickter, als viele andre, und bin's doch nicht, und bin auch hitzig, und Dinge liegen schwer auf mir, die ein andrer auf die leichte Achsel nimmt. Weiß der Teufel, ich krieg' das nicht weg. Meine Mutter hat mir's tausendmal gesagt: Lenz, bei aller deiner Gutheit hat's eine doch manchmal nicht gut mit dir, wenn sie nicht gescheit ist und dich von Herzen gern hat. Und das ist es eben, siehst du, die rechte Geduld und die rechte Liebe, daß man weiß, jetzt ist er einmal ein Hitzenblitz, aber ich kenn' ihn doch und weiß, was an ihm ist. Laß mir deine Hand, Annele, warum ziehst du mir deine Hand weg?«

In der Hitze der Darlegung hatte Lenz die Hand der Annele ergriffen, und er merkte es erst, als sie ihm dieselbe entzog.

Mit einem scheu verschämten Blicke, die Stricknadel an die Lippe drückend, sagte Annele: »Wir sind nicht allein in der Stube, es sind noch mehr Menschen da.«

Plötzlich überlief es Lenz siedend heiß und eiskalt, und er sagte: »Nimm mir's nicht übel, ich bin nicht so, und du kennst mich ja, Annele. Ich hab' nicht aufdringlich sein wollen. Gelt, du bist mir nicht bös?«

»O, davon ist kein Red'. Bös? Bös? Wie kannst du nur so was sagen?«

»Aber gut?« fragte Lenz, und sein ganzes Gesicht leuchtete.

»Um Gottes willen,« sagte Annele, sich an der Stuhllehne des Lenz anhaltend, »red' jetzt nicht mehr so. Wie kommst du denn dazu? Was ist denn das? Ich hab' gemeint, mit dir darf man reden wie mit einem Bruder, ich hab' leider Gottes keinen.«

»Und ich hab' keine Schwester und gar niemand.«

»Dich haben alle Menschen gern.«

»Wenn ich aber einen brauch', hab' ich doch niemand.«

Es trat eine lange Pause ein, und Annele fragte: »Weißt du auch schon, daß des Vogtsbauern Kathrine Braut wird mit einem vom Thal drüben, man heißt ihn den Holdersepp? Sie haben just vorhin den Verlobungswein holen lassen.«

»So?« sagte Lenz, »ich hab' sie heute bei einem stehen sehen, wie ich aus der Kirche gegangen bin. Das gibt eine brave Bäuerin, ich wünsch' ihr Glück. Sag', Annele, bist du heut auch bei der Trauung in der Kirche gewesen?«

»Ja wohl, ich habe dich gesehen. An dem Faller verdienst du dir das Himmelreich.«

»Das wäre leicht verdient. Der Pfarrer hat doch prächtig gepredigt! Da hat sich jedes was herausnehmen können, sei es ledig oder verheiratet. Das heilige Wort hat's doch gerade wie die Musik. Hunderte und Hunderte, die es hören, es nimmt keiner dem andern dadurch etwas, jeder hat's ganz für sich.«

»Und ich kann dir sagen, ich höre dir fast noch lieber zu wie dem Pfarrer; bei dir kommt alles so aus einem klaren Grund, ich kann's gar nicht sagen, wie ich's meine. Ich denke manchmal, es ist schade, daß du nur Uhrmacher bist.«

»Nur Uhrmacher? Ich bin's ganz gern, das ist was Schönes: da drüber könnte ich predigen. Die ganze Welt ist ein Uhrwerk, von Ewigkeit zu Ewigkeit von Gott aufgezogen, da laufen die Sterne umeinander, und einer dreht sich durch den andern. Der Pilgrim hat einmal gesagt, im Paradies hat's keine Uhr gegeben; freilich nicht, aber von der Stunde an, wo die Menschen haben arbeiten müssen, haben sie sich die Zeit einteilen müssen und denk' dir einmal, daß wir keine Stunde mehr wüßten, wir wären wie die Kinder und wie die Verrückten.«

»Du kannst einem alles gut auslegen, daran hab' ich jetzt noch nie gedacht.«

Diese Zwischenrede machte den Lenz neu beredt.

»Ich halte an der Uhrmacherei fest, und wenn's nicht anders geht, mache ich auch Jockelesuhren; das ist ein sicheres Brot, da gehe ich nicht davon ab. Ich verdiene freilich bei den Musikwerken viel mehr, aber der Sache ist nicht zu trauen, da kann man nichts machen, was nicht bestellt ist, und da säße man auf einmal da und hätte nichts, und Liebhaber von Musikwerken gibt's nicht alle Tage. Und mein höchstes Glück wäre, wenn ich noch die Einung zustande bringen könnte, daß alle Uhrmacher sich zusammenthun und jeder seinen Vorteil davon hat. Wenn ich das zuweg bringen könnte, ich wollte versprechen, sieben Jahre lang und, wenn's sein muß, mein ganzes Leben lang nichts als Normaluhren zu machen.«

»Du meinst es gut,« entgegnete Annele, »aber die Musikwerke, die sind doch dein Eigentliches.«

»Ja, wenn ich von den Uhren wieder zum Musikwerk komme, da bin ich so glückseliglich, so . . .«

»Da geht dein Herz zum Tanz, da hast du Kirchweih in dir.«

»O, Annele, was bist du gescheit und lieb! Wenn ich nur wüßte –«

»Was? Was denn?«

Es lag ein warmer, schmelzender Ton in diesem einfachen: Was denn? Glühenden Antlitzes stotterte Lenz: »Ich kann's nicht sagen. Wenn du's nicht weißt, kann ich's nicht sagen. Ich bin . . . Schau, Annele . . .«

»Kinder, die ganze Stube guckt auf euch, was machet ihr denn da?« sagte plötzlich die herzutretende Löwenwirtin. »Lenz, wenn du so ins Annele hineinzureden hast, ich vertraue dir, du bist brav, ich stelle Licht ins Stüble, da könnt ihr miteinander reden.«

»O Mutter, nein,« rief Annele zitternd, aber die Löwenwirtin entfernte sich rasch, Annele flog ihr nach. Lenz saß still, die ganze Stube ging mit ihm herum. Endlich stand er auf, schlich hinaus, das Stüble war offen; er war mit Annele allein. Sie verhüllte ihr Gesicht.

»Sieh mich an,« bat er, »so, so. Jetzt darf ich dir doch was sagen? Schau, Annele, ich bin ein einfältiger Mensch, ein ganz einfältiger, aber« – er klopft mit der Hand aufs Herz, er konnte fast nicht weiter reden – »wenn du glaubst, daß ich's wert bin, du thätest mich glücklich machen.«

»Du bist mehr wert als die ganze Welt, du bist zu gut, du weißt gar nicht, wie schlecht die Welt ist.«

»Die Welt ist nicht schlecht, du bist ja auch drin. Jetzt sag', ist dir's recht, ist dir's rechtschaffen recht? Willst du mir beistehen und mir helfen gut und fleißig sein, und willst du meine Mutter und meine Frau und mein alles sein? Sag' ja, und ich will dir mein Leben lang die Hände unter die Füße legen.«

»Ja, tausend und tausendmal ja!«

Sie sank in seine Arme, und er hielt sie fest.

»Mutter! o liebe Mutter!« rief Lenz; die Löwenwirtin kam herbei. »Und, o Löwenwirtin, verzeiht,« sagte er plötzlich.

»Von mir hast du nur Gutes zu erwarten,« sagte die Löwenwirtin. »Kinder, jetzt bitt' ich aber um eins. Das Annele kann dir's sagen, wer's gewesen ist, der immer so gut von dir geredet und immer gesagt hat: ›Dem Lenz muß es noch gut gehen, der Segen seiner Mutter ruht auf ihm.‹ – Aber ich bitt' euch, haltet euch ruhig. Du kennst meinen Mann nicht. Jedes Kind ist ihm ans Herz gewachsen, und er ist allemal bös, wenn ihm jemand eins wegnimmt. Gottlob, wenn's Gottes Wille ist, behalten wir jetzt doch auch ein Kind im Ort, und sie werden nicht alle so verfremdet.« Die Löwenwirtin weinte bei diesen letzten Worten bitterlich, fuhr aber, nachdem sie sich sehr stark geschneuzt hatte, fort: »Der Vater darf jetzt noch nichts merken. Kinder, laßt mich ihm das zuerst beibringen, und ich will dir's schon zu wissen thun, wann du ordnungsmäßig bei ihm anhalten sollst; komm bis dahin nicht mehr ins Haus, es geht nicht; und wenn du bei ihm anhältst, bring auch deinen Ohm mit, das gehört sich, du mußt ihm die Ehre anthun, Vaterstelle zu vertreten. Meine Kinder sind bis jetzt immer noch in große Familien gekommen. Wir sind gewohnt, daß es bei uns hergeht wie bei Ehrenleuten. Lenz, Gott hat mir keinen Sohn gegeben, aber ich will dir's nur ehrlich sagen, das freut mich, daß du mein Sohn werden sollst. Ich hab' meine anderen Schwiegersöhne gewiß lieb, aber sie sind mir zu vornehm und zu hochdeutsch. Jetzt geh, Lenz; er kann ja jede Minute da hereinkommen, und wer weiß, was dann wird! Nein, halt, da nimm noch das; gib ihm das, Annele.« Sie öffnete beide Doppelthüren des großen Schrankes und gab Annele eine Goldmünze mit den Worten: »Schau, die hat dir dein Pate, unser seliger Pfarrer, als Einbund in die Wiege gelegt, so, die ist paßlich, es ist eine alte Denkmünze. Aber nein, du mußt ihr zuerst eine Trau geben.«

»Ich habe nichts, ja wohl, doch. Da, Annele, da hast du meine Uhr, die hat mein seliger Vater selber gemacht in der Schweiz und hat sie meiner Mutter gegeben. Und zur Hochzeit, will's Gott, gebe ich dir auch was von meiner Mutter, was dich freuen wird. Da, nimm die Uhr. Horch, wie sie pickt! Die hat an meinem Herzen gelegen! ich wollte, ich könnte auch mein Herz so herausnehmen und in deine getreue Hand legen.«

Sie tauschten gegenseitig die Trau aus; die Löwenwirtin, die doch auch etwas sagen mußte, erklärte: »Ja, ein Herz und eine Uhr, die sind gleich, und die Liebe ist der Uhrschlüssel. – Sie lächelte über ihre eigene Gescheitheit, da es niemand anders that. Sie kramte im Schranke und sagte: »Schau, das war das erste Kleidchen, das mein Annele getragen hat, und das sind ihre Jahresschuhe.« Lenz betrachtete mit Entzücken diese Zeichen aus der Kindheit und bat: »Schenkt mir das.« Es wurde ihm willfahrt, und die Löwenwirtin begann wieder: »Aber jetzt mußt du gehen, Lenz, ich kann dir's nicht ersparen. Geh da durch die Küche. So, da hast du meine Hand. Gute Nacht, Lenz!«

»Darf mich das Annele nicht ein bißchen begleiten?«

»Nein, das kann ich nicht erlauben, du wirst mir's nicht übelnehmen; ich bin einmal so, ich bin ein bißle streng; ich habe drei Töchter groß gezogen, und es soll einmal eines kommen und ihnen was nachsagen – das ist mein Stolz. Ihr könnt euch, wenn's Gottes Wille ist, mit Ehren und mit Wissen der Eltern noch genug haben.«

»Gut Nacht, Lenz!«

»Gut Nacht, Annele!«

»Nochmals gut Nacht!«

»Gut Nacht, herztausiger Schatz!«

»Gut Nacht, lieber Lenz! Schlaf wohl!«

»Und du auch, tausendmal.«

»Jetzt ist's genug,« schalt die Löwenwirtin lachend.

Lenz stand auf der Straße, die ganze Welt ging mit ihm herum, die Sterne am Himmel tanzten. Das Annele, des Löwenwirts Annele ist dein! Er eilte heimwärts, er muß es der Franzl sagen, die hat ja auch das Annele so gelobt. O Gott, wie wird die sich freuen! Wenn du's nur gleich ausrufen dürftest von Haus zu Haus . . . Aber als er fast schon oben vor seinem Hause stand, hielt er ein: nein, der Franzl darfst du's nicht sagen; erst wenn's sicher ist, sonst bleibt's nicht geheim. Aber du mußt's doch einem Menschen sagen. Er kehrte wieder um, stand lange vor dem Löwenwirtshaus: jetzt mußt du noch fremd dastehen, morgen bist du hier daheim. Endlich riß er sich los und ging hinaus zum Pilgrim.


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