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Dreizehntes Kapitel. Löwe, Fuchs und Elster.

In den ersten Wintermonaten wie in den ersten Frühlingsmonaten war's auf der Morgenhalde am schönsten in der ganzen Gegend. Der alte Lenz hatte recht gehabt, als er sagte: Auf meinem Haus und meiner Wiese, da liegt den ganzen Tag die Morgensonne. Man brauchte den halben Tag nur wenig zu heizen. In dem kleinen Gärtchen hinter dem Hause blühten noch Blumen, wenn anderwärts schon lang keine mehr zu sehen, und da sproßten sie wieder auf, wenn sonst noch alles kahl war.

Dieses Gärtchen ist aber auch geschützt wie eine Stube, und – was in der Gegend selten ist – es stand hier ein zahmer Kastanienbaum, dem aber die Eichhörnchen und Nußhäher aus dem nahen Walde manchen unliebsamen Besuch abstatteten. Das Haus schützte das Gärtchen von der einen Seite, ohne ihm doch von zehn Uhr ab die Sonne zu entziehen. Und der mächtige Wald, der den steil aufsteigenden Berg hinter dem Hause bedeckte, schien seine besondere Freude an dem Gärtchen und dem Hause zu haben. Er hatte zwei seiner mächtigsten Tannen als Wache an den Eingang desselben gestellt.

Wenn es viele Spaziergänger im Dorf gegeben hätte, in den unfreundlichen ersten Wintermonaten hätten sie den Weg, die Bergmatte hinauf, am Hause des Lenz vorüber in den Wald hinein und von oben über den Bergkamm zurück gewiß oft besucht. Es gab aber nur einen Spaziergänger im Dorfe oder eigentlich zwei, nämlich den Petrowitsch und seinen Hund, den Büble. Jeden Tag vor dem Mittagsmahl holte sich Petrowitsch einen guten Appetit, indem er eben den Weg durch die Matte, am Hause vorbei über den Bergkamm ging. Der Büble machte sich dabei doppelte und dreifache Bewegung, denn er sprang immer den Habichtstobel (wie man die ausgehöhlte Rinnse im Berge nennt, die rechts vom Hause des Lenz thalwärts lief) hinab und hinauf. Die Rinnse war jetzt trocken und diente nur dazu, im Frühling und Sommer die wilden Wasser aufzunehmen. Petrowitsch war äußerst freundlich mit seinem Hunde, und in verliebten Stunden nannte er ihn auch »Sohnele«. Petrowitsch war reich aus der Fremde zurückgekehrt; man schätzte sein Vermögen natürlich in der Gegend dreifach höher, aber es war immer noch erklecklich, was er in Wahrheit heimgebracht. Die Sehnsucht, die den Oberdeutschen und den Sohn der Berge nie verläßt und ihn drängt, wieder nach der Heimat zurückzukehren, hatte auch Petrowitsch auf seine alten Tage wieder in die Heimat zurückgeführt, und er lebte hier in seiner Art ein vergnügtes Leben. Seine fröhlichste Zeit aber war der Hochsommer, denn da kamen aus allen Weltgegenden die Händler hier zusammen, und man hörte im Löwen Spanisch, Italienisch, Englisch, Russisch und Holländisch, überhaupt alle Sprachen der Welt, und dazwischen wieder ganz gesundes Schwarzwälder Deutsch von denselben Menschen, die eben in allen Zungen redeten. Da war Petrowitsch eine gesuchte Person, und er lebte ganz stolz auf, da er wieder einmal Gelegenheit hatte, spanisch und russisch zu sprechen. Während er sonst immer zur gesetzten Zeit das Löwenwirtshaus verließ, hielt er sich da oft ganze Tage, ja, bis in die Nacht hinein auf. Und wenn der Markt verlaufen war, blieb er allein übrig und that sich viel darauf zu gut, namentlich denjenigen, die nach der untern Donau gingen, nachrechnen zu können, wo sie jetzt und jetzt seien.

Petrowitsch hielt die ganze Gegend in Spannung. Er sagte es zwar nicht selbst, aber es war doch bekannt geworden, daß er eine große milde Stiftung für die ganze Gegend machen wolle. In jedem Zimmer des großen Hauses, das er sich erbaut hatte, war ein Ofen, das deutete an – und er sagte nicht ja und nicht nein, wenn man's ihm vorhielt – daß er eine Stiftung für invalide Arbeiter machen wolle. Lenz, sein einziger Erbe, wurde dabei nicht minder in Spannung erhalten; denn es galt natürlich als ausgemacht, daß er ihm auch einen erklecklichen Teil hinterlassen werde. Lenz rechnete aber nicht darauf. Er erwies dem Ohm alle Ehre, die ihm gebührte; im übrigen war er Manns genug, für sich selber zu sorgen. Er ließ für den Lieblingsspaziergang des Ohms den Weg durch den Lehrling immer gut im Stand erhalten, aber nie sagte weder er noch Petrowitsch ein Wort darüber. Jeden Mittag, wenn die Gänse und Hühner des Lenz lärmten und ein Hund bellte, war's die Anzeige, daß der Ohm Petrowitsch daherkam. Lenz grüßte durch das Fenster, an dem er arbeitete; der Ohm dankte und ging seines Weges. Lenz kam nicht zu Besuch in das Haus des Ohms, und dieser nicht in das seine.

Eines Tages blieb der Ohm vor dem Fenster stehen, und der Büble schien auch die Gedanken seines Herrn zu erraten; denn während er sonst die Hühner des Lenz nur bis an den Gartenzaun verfolgte und sich's genügen ließ, wenn sie gackernd hinter den Zaun flogen, und dann zufrieden zu seinem Herrn zurückkehrte, verfolgte er heute die Hühner in den Garten hinein bis ins Haus, wo sie indes an Franzl Schutz genug fanden. Petrowitsch zankte heute ernstlich mit dem Hunde und ging vorüber, indem er dabei vor sich hin dachte: Der Lenz muß dir selber kommen, und es ist besser, du kümmerst dich gar nicht um ihn; sobald man sich um irgend einen Menschen kümmert, hört die Ruhe auf. Man hat dann zu denken: Wird er das thun? Wird er jenes thun? Nichts da! Mich geht, gottlob! niemand auf der Welt etwas an. – Dennoch konnte er das Denken nicht abwehren: was ist das mit dem Walde! Denn gestern am Mittag hatte sich die Löwenwirtin zu ihm gesetzt, und nachdem sie von allerlei gesprochen, lobte sie es zuletzt, aber ganz unversehens, daß Petrowitsch täglich seinen ruhigen Gang mache; das erhalte ihn gesund, und dabei könne er hundert Jahre alt werden, er habe ganz das Ansehen dazu. Sie gönne es ihm auch von Herzen, er habe sich's sauer werden lassen, er verdiene es nun auch, daß es ihm wohlgehe. Petrowitsch war klug genug, zu wissen, dahinter steckt etwas; er dachte vielleicht nicht mit Unrecht, daß die Löwenwirtin so besonders freundlich mit ihm sei, weil sie Absichten auf seinen Neffen habe. Sie redete aber davon gar nichts. Sie kam nochmals auf seinen Spaziergang und sagte, wie es ein kluger Schick wäre, wenn Petrowitsch ihrem Mann den schönen Spannreuterwald an der Morgenhalde abkaufe; er gebe ihn zwar nicht gern her, und sie wisse überhaupt nicht, ob er ihn hergebe, aber sie möchte dem Petrowitsch das Gute gönnen, daß er täglich in seinem eigenen Wald spazierengehen könne, das müßte doch vergnüglicher sein. Petrowitsch dankte für die überaus zartsinnige Aufmerksamkeit und sagte schließlich, er gehe in fremdem Wald ebenso gern spazieren; im Gegenteil, er habe sich dann gar nicht zu ärgern, wenn er Holzdiebe anträfe, und solcher Aerger sei vor Tische gar nicht gut.

Die Löwenwirtin lächelte überaus klug und meinte: wenn man sich schon etwas Gescheites ausgedacht habe, so sei der Petrowitsch immer noch gescheiter. Wiederum dankte er, und beide waren gar süß miteinander, noch viel süßer als das Stück Zucker, das sich Petrowitsch von seiner Nachtischtasse einsteckte.

Nun ging's Petrowitsch durch den Kopf, daß der Wald für Lenz ein schicklicher Kauf wäre, wenn er ihn durch dritte Hand kaufen ließe, denn ihm selber werde der Löwenwirt einen zu hohen Preis stellen. Das war's nun, was er ihm sagen wollte, wovon er aber doch wieder abließ, weil er den edlen Grundsatz hatte, sich um keinen Menschen zu kümmern. Und schon das war zu viel, daß er sich mit der Sache beschäftigte. Er merkte es, das Bergsteigen wurde ihm heute viel schwerer; denn man soll nichts denken beim Bergsteigen, gar nichts denken. nur gut atmen. Petrowitsch befahl dem Büble, der nach einem Maulwurf kratzte, während ihm doch ruhiges, gekochtes Essen bevorstand: hierher! dummer Kerl! Was geht dich der Maulwurf an? Laß ihn graben. Und als der Hund hart neben ihm ging, befahl er nun: zurück! Der Hund ging hinter ihm, und so wies er auch alle unnützen Gedanken hinter sich; er mochte nichts davon wissen, das ruhige Leben darf nicht gestört werden.

Im Löwenwirtshaus traf Petrowitsch die Familie verstimmt. Die Frau hatte ihrem Manne gesagt, daß sie Petrowitsch den Wald an der Morgenhalde angeboten habe, daß er ihn aber nicht wolle. Der Mann war äußerst ergrimmt über diese voreilige Zutraulichkeit und schloß: »Jetzt wird der Petrowitsch gewiß aussprengen, ich brauche Geld.«

»Du hast ja gesagt, du brauchtest Geld,« erwiderte die Frau schmollend.

»Und ich brauche dich nicht zum Unterhändler. Ich mag nur bei dem jetzigen Kurse keine Papiere verkaufen!« schrie der Löwenwirt ungewöhnlich laut, eben als Petrowitsch eintrat. Dieser schmunzelte behaglich und dachte in sich hinein: Weil du so schreist und prahlst, brauchst du Geld. Als man sich zu Tische setzen wollte, brachte der Briefbote mehrere Briefe, darunter auch rekommandierte; der Löwenwirt bescheinigte den Empfang, öffnete aber die Briefe nicht und setzte sich zu Tische, indem er laut wiederholte, was er schon oft gesagt hatte: »Ich lese keine Briefe vor Tisch; sind sie gut oder sind sie nicht gut, sie verderben einem das Essen. Ich lasse mich nicht aus meiner Ruhe bringen durch die Eisenbahnen.«

Es saß ein böser Spötter am andern Tische, der dieser Weisheit das gebührende Staunen entzog und in sich hinein dachte: Dir geht doch eine Lokomotive im Leib herum, du magst noch so gemächlich thun. – Und dieser Spötter war natürlich Petrowitsch.

Nach dem Essen ging Pilgrim mehrmals am Tische des Petrowitsch vorüber und wollte sichtlich vor demselben stehen bleiben; vier Augen betrachteten ihn mit Verwunderung; der Büble, der auf dem Schoße seines Herrn saß, starrte ihn an und knurrte, er spürte, daß man was von seinem Herrn will, und Petrowitsch blinzelte manchmal von seiner Zeitung aus: Was will denn der? Der hat doch nicht auch einen Wald zu verkaufen? Höchstens den aus seinem Kopf, wenn er ihn nicht schuldig ist.

Pilgrim fuhr sich allerdings oftmal mit der Hand durch seine langen, schlichten Haare, er fand aber damit keinen Weg zu Petrowitsch, vielmehr stand dieser jetzt auf, bezahlte und ging. Pilgrim eilte ihm nach, und auf der Straße sagte er: »Herr Lenz, ich bitte um ein paar Worte.«

»Guten Tag, das sind just ein paar Worte.«

»Herr Lenz, ich will nichts für mich, aber ich halte es für meine Pflicht –«

»Ihre Pflichten gehen mich nichts an.«

»Doch, Herr Lenz, nehmen Sie an, es sagt' ein andrer, was ich sage; es ist nur, damit Sie's wissen.«

»Ich bin nicht neugierig.«

»Kurz und gut, es betrifft Ihren Neffen Lenz.«

»Das hab' ich gewußt.«

»Es ist noch mehr. Sie können sein Lebensglück machen.«

»Das muß jeder selber machen.«

»Es kostet Ihnen nur einen Gang zum Doktor.«

»Ist der Lenz krank?«

»Nein. Die Sache ist kurz die: er muß heiraten, und er will auch, und die beste Frau für ihn ist des Doktors Amanda. Ich hab's nach allen Seiten hin überlegt. Er ist aber nicht dazu zu bringen, daß er selber den Mut hat; er meint auch – er hat's nicht gesagt, aber ich weiß es –, er wäre nicht reich genug dazu. Jetzt wenn der Ohm anhält und dabei verspricht –«

»So? Hab's gewußt, daß darauf alles abgespitzt ist. Wenn mein Bruderssohn eine Frau braucht und eine will, soll er sie selber holen; ich bin ein alter Junggeselle, ich verstehe das nicht.«

»Wenn nicht seine Freunde dazu thun, verheiratet sich die Amanda; es hält ein Apotheker um sie an, ich weiß das.«

»Gut, dazu paßt sie. Aber ich bin nicht der Versorger der Welt.«

»Und wenn Euer Neffe anderswo ungeschickt hineintappt?«

»Soll er sehen, wie er herauskommt.«

»Herr Lenz, Sie sind nicht so hart, wie Sie sich stellen.«

»Ich stell' mich gar nicht, ich geh'. Guten Tag, Herr Pilgrim.«

Er ging davon, und Pilgrim stand tief aufatmend und ging endlich heimwärts, um bei dem trüben Wetter, wo es kaum tagte, wenigstens Farben zu reiben für helle Tage.


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