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Geschichte des Königs der Inseln Bellur und der Prinzessin Dorrat-al-Gawas.

»Der König der Inseln Bellur, dessen Macht sich über eine große Anzahl von Inseln des Indischen Meeres erstreckte, sah mit Kummer, daß er sein großes Reich keinem Erben hinterlassen konnte, weil seine Gattin unfruchtbar war.

Eines Tages, da er in traurige Betrachtungen hierüber versunken war, sah er plötzlich einen Geist erscheinen, welcher also zu ihm sprach:

»Großer Fürst, ich weiß, wie sehr Ihr darüber betrübt seid, daß Ihr keine Kinder habt, und ich komme, Euch ein Mittel zur Beendigung Eures Kummers vorzuschlagen. Ich habe eine junge, schöne und reiche Tochter, und ich biete Euch ihre Hand an. Wenn dieser Antrag Euch genehm ist, so werdet Ihr erlangen, um was die mächtigsten Könige der Welt bisher vergeblich geworben haben; aber ich habe für Eure Eigenschaften und Verdienste eine solche Hochachtung gefaßt, daß ich Euch den mächtigsten Monarchen der Welt vorziehe. Ich hoffe, meine Tochter wird Euch ein Kind gebären, das nach Eurem Vorbilde durch seine Gerechtigkeit und Güte das Glück seiner Völker machen wird. Ich bitte Euch nichts weiter, als in der so lobenswürdigen Handlungsweise zu verharren, welche Ihr bisher befolgt habt, denn dadurch werdet Ihr das Glück meiner Tochter und das meinige machen.«

Ebenso überrascht als geschmeichelt durch diesen unerwarteten Vorschlag, beeilte sich der König der Inseln Bellur, das Erbieten des Geistes anzunehmen.

Sogleich befahl dieser durch ein Zeichen den unsichtbaren, ihn umgebenden Sklaven, die Prinzessin zu holen, und sie säumten nicht, sie herbeizuführen.

Ihr Verlobter erkannte bei ihrem Anblicke, daß er von dem Geiste nicht getäuscht worden war; und indem er nach seiner Hauptstadt zurückkehrte, befahl er die Zurüstungen zu seiner Hochzeit, welche mit großer Pracht gefeiert wurde.

Die Erfüllung der Verkündigung des Geistes blieb nicht aus. Die neue Königin ward nach einigen Monaten schwanger und gebar eine reizende Tochter, auf deren Erziehung sie alle ihre Sorgfalt verwandte. Diese Tochter ist die Prinzessin Dorrat-al-Gawas, von welcher ich Euch eben sagte. Ausgerüstet mit allen Geschicklichkeiten und trefflichen Eigenschaften, hat die junge Prinzessin nach dem Tode ihrer Eltern den Thron der Inseln Bellur bestiegen, wo sie zugleich neben der großen Anzahl ihrer Untertanen eine Menge von Geistern beherrscht, welche sich unter den Schutz ihrer Gesetze begeben haben.«

Mit diesen Worten verschwand Al-Abus. Was er zuletzt dem jungen Prinzen erzählt hatte, erregte bei diesem ernsthafte Betrachtungen.

Ganz nachdenklich trat Habib in ein Gebüsch, welches das Schloß seines Vaters umgab, als er mitten unter den dichtlaubigen Bäumen ein Fräulein gewahrte, dessen Anblick ihn bezauberte. Er wähnte, es wäre eine der Huris des heiligen Propheten; und um sich von der Wahrheit seiner Vermutung zu überzeugen, verbarg er sich dergestalt, daß es unmöglich war, ihn zu bemerken. Kaum hatte er so viel Zeit gehabt, seinen Versteck einzunehmen, als er vierzig mit dem prächtigsten Gefieder geschmückte Vögel sich zu den Füßen der jungen Schönen niederlassen sah. Sobald diese Vögel die Erde berührten, verwandelten sie sich in ebenso viele Nymphen, welche sich bemühten, ihrer Herrin ihre Huldigung darzubringen.

»Warum,« fragte diese sie, »habt ihr mich nicht sogleich bei meiner Abreise begleitet? Ihr wußtet doch, daß meine Absicht war, meinem vielgeliebten, dem Prinzen Habib, einen Besuch zu machen; welche Ursachen haben eure Abreise verzögern und euch berechtigen können, meine Befehle zu versäumen?«

»Es ist nicht unsere Schuld,« antworteten die Nymphen; »wir haben alle unsere Kräfte angestrengt, um Euch zu folgen; aber es war uns unmöglich, der reißenden Schnelligkeit Eures Fluges gleichzukommen.«

Habib erkannte aus diesem Gespräche alsbald die Prinzessin, von welcher der Geist ihm erzählt hatte, und er war in Versuchung, sich ihr zu Füßen zu werfen, aber ein Gefühl von Furcht und Ehrerbietung verhinderte ihn, diesem ersten Antriebe nachzugeben, und er hörte noch folgendes Gespräch:

»An dieser Stelle,« sprach Dorrat-al-Gawas, »will ich denjenigen erwarten, der mir zum Gatten bestimmt ist; er kommt oft in diesen Garten, sich zu ergötzen; und um ihn zu sehen, habe ich die Hauptstadt meiner Staaten verlassen und die halbe Welt durchzogen: ich hoffe, daß er, unterrichtet von dem Schicksale, welches uns bestimmt ist, durch seinen Glücksstern in dieses Gebüsch geführt werde; ja, alles verkündigt mir, daß ich mich nicht getäuscht habe; denn ich erblicke ihn unter den Bäumen, und siehe, da kommt er schon auf uns zu.«

Dorrat-al-Gawas erkannte wirklich den Prinzen Habib, welcher aus dem Gebüsche hervortrat und sich ihr näherte. Die Prinzessin selber ging ihm entgegen und gab ihm ganz das Vergnügen zu erkennen, welches sie bei seinem Anblick empfand.

Der Prinz erwiderte das Entgegenkommen mit nicht minderer Wärme; und er gestand ihr, daß er seit den Entdeckungen, welche sein Lehrer, der Geist Al-Abus, ihm gemacht, das lebhafteste Verlangen empfunden, diejenige kennen zu lernen, welche ihm zur Gattin bestimmt wäre, und daß seine Leidenschaft dermaßen angewachsen, daß er fast den Schlaf verloren hätte.

Als er diese Worte aussprach, erblickte er am Rande des Gesichtskreises einen ungeheuren Vogel, welcher auf sie loszukommen schien; dieser Vogel senkte sich zu den Füßen der Prinzessin nieder und verwandelte sich auf der Stelle in einen Greis, welcher sie beide sehr freundlich begrüßte.

 

Fünfhundertundvierzehnte Nacht.

Dorrat-al-Gawas erkannte ihren Wesir und fragte ihn hastig, welcher Anlaß ihn zu ihr herführte.

»Prinzessin,« antwortete ihr dieser Minister, »ich komme in aller Eile, um Euch zu beschwören, in Eure Staaten heimzukehren; durch Eure Abwesenheit beunruhigt, haben die Geister Euch zu sehen verlangt; ich habe ihnen geantwortet, daß unaufschiebliche Geschäfte Euch nicht erlaubten, Euren Palast zu verlassen. Aber diese Entschuldigung hat einen unangenehmen Eindruck auf ihr Gemüt gemacht; sie halten die Weigerung, auf ihr Begehren zu erscheinen, für Mangel an Achtung. Ein längeres Ausbleiben könnte dem einen oder andern von ihnen zum Vorwande der Empörung dienen; es ist also notwendig, daß Ihr diesen Ort unverzüglich verlasset.«

Die Geisterfürstin dachte in diesem Augenblicke nur an den Schmerz, sich von dem jungen Habib zu trennen. »Prinz,« sprach sie zu ihm, »Ihr könnt nicht ermessen, wie schmerzlich es mir ist, mich zu entfernen, ohne Euch mit mir nehmen zu können; das ist, leider! der Beschluß des Schicksals: es will, daß wir vor unserer Vereinigung alle Arten von Mühseligkeiten und Entbehrungen bestehen; aber bewahret das Andenken an Dorrat-al-Gawas und lasset ihr Bild Euch Kraft verleihen, den Gefahren zu trotzen und mich zu erwerben, nachdem Ihr erfüllt habt, was das Schicksal fordert.«

Mit diesen Worten setzte sie sich auf den Rücken ihres Wesirs, welcher schon wieder seine erste Gestalt angenommen hatte; und nachdem sie dem Prinzen Lebewohl gesagt, flog sie mit ihren Gefährtinnen dahin, welche sich auch wieder in kleinere Vögel verwandelt hatten.

Als der Prinz wieder seine Geliebte verschwinden sah, konnte er seine Tränen nicht zurückhalten, und er stand lange unbeweglich, die Augen nach der Gegend gerichtet, dahin Dorrat-al-Gawas geflogen war.

Unterdessen hatten der Emir Salama und seine Gattin voll Unruhe über die längere Abwesenheit ihres Sohnes sich nach dem Garten begeben, wo sie ihn vermuteten; sie fanden ihn ganz verweint und in bitteren Klagen über sein Schicksal: die Trennung von Dorrat-al-Gawas hatte einen so tiefen Eindruck auf Habib gemacht, daß er fast seiner Sinne nicht mehr mächtig war.

Als seine Eltern ihn wieder zu sich gebracht hatten, erkundigten sie sich voll Unruhe nach dem Gegenstande seines Kummers, und Habib erzählte ihnen, was ihm zugestoßen war.

Da erinnerten sie sich der Verkündigung des Geistes, welcher des Prinzen Lehrer gewesen war, und dachten wohl, daß die Unfälle, mit welchen er sie bedroht hatte, durch Dorrat-al-Gawas sollten veranlaßt werden; in dieser Meinung taten sie alles mögliche, um den jungen Prinzen von seinem Vorsatze, Dorrat-al-Gawas wieder aufzusuchen, abzubringen; aber alles, was sie ihm sagen mochten, war fruchtlos. Vergebens stellte sein Vater ihm alle Gefahren der beabsichtigten Unternehmung vor, vergebens erbot er sich, nach allen Seiten erfahrene Ritter zur Aufsuchung der Königin der Geister auszusenden.

Nichts vermochte die Standhaftigkeit des jungen Habib zu erschüttern, welchen die Aussicht des Todes selbst nicht abschreckte: er bat seinen Vater, ihm Kamele, Reisezeug, ein angemessenes Gefolge und Geschenke für seine Herrin mitzugeben; er hieß ihn alle Besorgnisse verbannen und machte sich mit seiner Karawane auf den Weg.

Er hatte ein Gefolge von zwanzig der unerschrockensten Ritter seines Stammes, trug einen trefflichen Panzer und ritt den schönsten Renner Arabiens. Als Habib so auf dem Wege war, fühlte er eine große Linderung seines Schmerzes und hub an, vor seinen Gefährten Verse auszusprechen, welche seine Liebe und seine Ungeduld schilderten, bald wieder mit dem Gegenstande seiner Wünsche vereinigt zu sein.

Die Ritter, welche der Emir Salama zur Begleitung seines Sohnes erwählt, hatten sich den Befehlen ihres Fürsten nicht entziehen und sich nicht weigern können, Habib zu folgen; aber sie waren alle eifersüchtig auf die zahlreichen Siege, welche dieser junge Mann davongetragen hatte, und ihr niedriger Neid trieb sie so weit, daß sie den Anschlag faßten, ihn im Schlafe zu ermorden. Einer der Verwegensten übernahm es, dem Prinzen ein Schlafpulver ins Getränk zu mischen, und nur zu wohl gelang dieser höllische Anschlag.

Die Karawane kam eines Abends in ein reizendes Tal, wo alles zum Ausruhen einlud; als die Zelte aufgeschlagen waren, entledigte sich derjenige, der die Ausführung des Anschlags übernommen hatte, seines scheußlichen Auftrags. Der Prinz spürte bald die Wirkungen des Trankes, welchen man ihm eingegeben hatte; er fühlte anfangs einen heftigen Kopfschmerz und versank endlich in tiefen Schlaf.

Als die Ritter den Prinzen eingeschlafen sahen, beratschlagten sie sich, was sie nun mit ihm anfangen sollten. Einige waren der Meinung, man sollte ihn ermorden; aber die übrigen waren menschlicher, sie schauderten vor der Bluttat zurück und stimmten der Meinung eines unter ihnen bei, welcher, um das Leben des Prinzen zu retten, ihnen vorschlug, ihn in der Wüste allein zu lassen, welche das Tal umgab.

»Warum,« sprach dieser würdige Ritter zu ihnen, »sollten wir uns ohne Not eines Mordes schuldig machen? Wenn wir den Prinzen hier verlassen und sorgfältig alles von ihm entfernen, was ihm behilflich sein könnte, seinen Weg fortzusetzen, so ist es durchaus unmöglich, daß er, in einer Wüste und jeglicher Hilfe beraubt, dem Tode entgehe. Ihr seht ihn gegenwärtig fest eingeschlafen, und vielleicht ist er schon in den ewigen Schlaf versunken; aber auch angenommen, daß er wieder erwacht, wenn wir ihn hier verlassen und alle Pferde und Kamele mitnehmen, so ist sein Tod unvermeidlich.«

Diese Rede machte einen starken Eindruck auf die Ritter: sie begnügten sich also, dem Prinzen sein Roß und seine Waffen zu nehmen und alles von ihm zu entfernen, was zu seiner Erhaltung hätte dienen können. Alsdann kehrten sie auf demselben Wege zurück, den sie gekommen waren, um dem alten Salama über das Verschwinden ihres jungen Herrn ein Märchen zu erzählen.

»Wenn der Emir Salama,« sprachen sie unter sich, »uns nach seinem Sohne fragt, so können wir ihn leicht überreden, daß Habib, erschöpft von den Anstrengungen der Reise, gestorben ist, und daß wir alles getan haben, was wir vermochten, um sein Leben zu retten, daß aber alle unsere Bemühungen fruchtlos gewesen sind. Wenn er seine Verwunderung äußert, daß wir den Leichnam nicht zurückbringen, so wird die ungeheure Hitze der Wüste und die Furcht vor der Verwesung uns zur Entschuldigung dienen.«

Nachdem sie alles so verabredet hatten, was ihr Verbrechen verhüllen sollte, nahmen die Ritter die Zeichen der tiefsten Trauer an. Als sie in die Nähe des Emirs Salama kamen, stießen sie laute Wehklagen aus; einer von ihnen führte das Roß des Prinzen, welches ledig ging, am Zaume.

Als der Emir diesen Trauerzug herannahen sah, erkannte er alsbald das Unglück, welches ihn bedrohte, und sein Schmerz war grenzenlos. Jetzt trat einer der Ritter hervor und sprach zu ihm also:

»Mein Fürst, mit tiefem Schmerze kommen wir, durch eine trostlose Nachricht Euer väterliches Herz zu betrüben: Euer Sohn Habib ist nicht mehr; er ist ein Opfer der wütenden Hitze der Wüste geworden, nachdem er drei Tage lang vergeblich gegen die Beschwerden gekämpft, die ihn überwältigt haben. Bei diesen schrecklichen Leiden haben wir uns bemüht, ihm alle uns mögliche Hilfe zu leisten, aber es ist umsonst gewesen: mit dem Namen seiner Geliebten hat er den letzten Seufzer ausgehaucht.«

Diese Reden machten einen tiefen Eindruck auf den alten Emir. »Wehe!« rief er aus, »die Weissagungen sind nur zu wahr gewesen! Muß noch das Ende meiner Tage durch ein so grausames Mißgeschick vergiftet werden! O mein unglücklicher Sohn, wie hast du so in der Blüte deiner Jahre umkommen können? Deine Tapferkeit verdiente ein anderes Schicksal: du wärest der Trost meines Alters und der Ruhm meines Reiches gewesen.«

Indem er diese Worte aussprach und dabei seine Kleider zerriß und Asche auf sein Haupt streute, lief seine Gattin auf sein Geschrei herbei. »Wo ist mein Sohn?« rief die unglückliche Mutter aus, »was habt ihr mit meinem Sohne gemacht? Warum habt ihr nicht seinen Leichnam zurückgebracht? Ich hätte ihn selber gern ins Leichentuch gelegt und ihn wenigstens doch noch einmal gesehen!«

Die treulosen Ritter entschuldigten sich, wie sie verabredet hatten, und nahmen die brennende Hitze zum Vorwande, welche, wie sie sagten, ihnen nicht verstattet hätte, sich mit einem fast gleich nach dem Tode in Fäulnis übergegangenen Leichnam zu beladen: übrigens, versicherten sie, hätten sie ihm sorgfältig alle Ehre der Bestattung erwiesen.

Vergeblich bestand die Mutter Habibs darauf, die Begräbnisstätte ihres Sohnes zu wissen; jene hüteten sich wohl, den Ort anzugeben, wo sie diesen unglücklichen Prinzen verlassen hatten; sie antworteten, sie hätten ihn in einer grauenvollen Wüste beerdigt, in welche vor ihnen noch keines Menschen Fuß eingedrungen und deren Name ihnen ganz unbekannt wäre.

Da nichts imstande war, ihren Schmerz zu lindern, so lagen der Vater und die Mutter Habibs in der Asche und versagten es, irgend eine Nahrung zu sich zu nehmen. Alle übrigen Mitglieder des Stammes teilten aufrichtig ihr Leid, sie betrauerten innig den Sohn ihres Herrn, und jeder glaubte, in ihm seinen Verteidiger und Freund verloren zu haben.

Indessen waren alle diese Wehklagen ohne Not. Habib war endlich nach einem langen Schlaf erwacht, und sein Erstaunen konnte nicht größer sein, als er erkannte, daß man ihn in der Wüste allein gelassen hatte. Er sah vor sich nichts als eine unermeßliche Einöde. Seines Rosses, seiner Gefährten und seiner Waffen beraubt, erkennt er wohl, daß ihm keine Hoffnung bleibt als auf die Hilfe des Himmels; und indem er sich auf die Kniee wirft, spricht er folgendes Gebet:

»Du siehst, großer Gott, die Treulosigkeit derjenigen, die mich verraten haben; du allein kannst mich in einer so bejammernswürdigen Lage von den Gefahren befreien, welche mich bedrohen: ich übergebe mich dir, nimm mir, wenn du willst, das Leben, aber laß mir den Mut, den Tod zu ertragen.«

Kaum hat er dieses Gebet vollendet, als er in der Ferne am Gesichtskreise der Wüste etwas Schwarzes erblickt. Mitten in dem brennenden Sande und unter den sengenden Strahlen der Sonne verliert Habib nicht den Mut; er nährt seine Glut durch Gesänge der Zärtlichkeit und des Ruhmes und erhitzt seine Einbildungskraft, indem er die Zauber der Schönheit besingt.

 

Fünfhundertundfünfzehnte Nacht.

Indessen schreitet er vergeblich vorwärts; der Gegenstand, welchen er erreichen will, scheint mit jedem Schritte vor ihm zurückzuweichen. Auf einmal sieht er über seinem Haupt ein Gewölk schweben, welches schleunig herabsinkt: bald unterscheidet das Auge eine Gestalt, und Habib erkennt, daß, was er für ein Gewölk gehalten hat, ein Vogel von wunderbarer Größe ist. In der Lage, worin er sich befand, verschmähte er nicht das Mittel der Rettung, welches die Vorsehung ihm darbot; und da er sah, daß die Füße des Vogels fast so dick waren wie Palmstämme, so band er sich daran fest. Der Vogel säumte nicht, wieder aufzufliegen, und nahm gerade seine Richtung nach dem schwarzen Flecke, welchen Habib vergeblich zu erreichen gesucht hatte. Dieser Fleck war ein unermeßliches Gebirge, welches seine Entfernung so klein erscheinen ließ. Der Vogel ließ sich auf dem Berge nieder, und Habib band sich sogleich von seinem Fuße los. Er durchlief den Ort, wo er sich nun befand, und gelangte an den Eingang einer geräumigen Höhle, deren wilder Anblick Grauen erregte.

Der junge Prinz ließ sich aber nicht abschrecken, und der Erfolg krönte seine Anstrengung. Er schritt mit festem Fuße vorwärts, und kaum war er eingetreten, als er den Geist Al-Abus ihn rufen hörte und sich nahe bei ihm befand. Dieser Geist hielt in der einen Hand einen köstlichen, von den Geistern geschmiedeten Säbel, und mit der andern reichte er Habib in einer prächtigen goldenen Schale ein Wasser, welches seine erschöpften Kräfte wieder beleben sollte. Nachdem der junge Prinz es mit einem einzigen Zuge ausgeschlürft hatte, bezeigte er seinem alten Lehrmeister sein großes Vergnügen, ihn wiederzusehen. Er erzählte ihm von seiner Zusammenkunft mit Dorrat-al-Gawas und von dem Glücke, welches er sich verhieß, wenn er seine Vielgeliebte wiedersähe.

»Ach, mein Sohn,« erwiderte ihm der Geist, »du bist noch weit von dem Ziele, wonach du strebest; wie viel ist dir noch übrig zu tun! Du mußt unermeßliche Meere durchfahren, furchtbare Ungeheuer besiegen, Gefahren aller Art überstehen. Ich möchte dir gern durch meine Macht die Schwierigkeiten beseitigen helfen; aber dieselbe erstreckt sich nicht bis dahin: ich kann dir nicht anders nützlich sein, als daß ich dich zu deinen Eltern zurücktrage, wenn du diesen Ausweg ergreifen willst.«

Bei diesem beleidigenden Antrage unterbrach Habib hastig den Geist.

»Wie?« sprach er, »ich hätte also die Meinigen verlassen, ich hätte dem Tode getrotzt, um schmachvoll wieder heimzukehren? Nein, einer solchen Nichtswürdigkeit bin ich unfähig, und mein Entschluß ist unwiderruflich gefaßt: ich will umkommen oder diejenige erringen, die ich liebe.«

Als der Geist seinen jungen Zögling so fest entschlossen sah, gab er ihm noch seine Lehren und sprach also zu ihm:

»Prinz, hier in dieser Höhle sind die Schätze des Königs Salomon verwahrt, und dieser Prophet ist es, der mir befohlen hat, diesen Ort zu hüten, welchen ich ohne seine Erlaubnis nicht verlassen darf. Wenn du diese Schätze zu sehen wünschest, so kann ich dir den Eingang dazu erleichtern und dir verstatten, nach Gefallen eine zahllose Menge edler Steine von allen Gestalten und Farben zu beschauen, welche in den vierzig großen Sälen am Ende dieses unabsehlichen Ganges verschlossen sind. Wenn du den Boden unter der Türe durchsuchst, so wirst du die Schlüssel dieses ganzen Schatzes finden; willst du dich aber nicht mit Betrachtung dieser Reichtümer aufhalten, so geh durch die Säle, bis du an einen Vorhang mit achtzig Hefteln kommst, welche du ja nicht losknüpfen mußt, ohne sie mit Baumwollenfäden zu umwinden, welche ich dir geben werde; hinter diesem Vorhange findest du eine goldene Türe, bedeckt mit hieroglyphischen Schriftzügen, welche du lesen mußt, bevor du weiter vordringest. Bist du so glücklich, den Sinn derselben zu enträtseln, so öffne die Türe mit Vorsicht, und ohne vor dem Geschrei der Geister und Ungeheuer zu erschrecken, welche dich in deinem Laufe aufhalten wollen. Du wirst hierauf ein unermeßliches und stürmisches Meer erblicken, dessen Dasein auch etwas Übernatürliches hat; geh am Ufer hin und ruf einem Schiffe, welches du vorbeifahren siehst; auf den ersten Wink, welchen du tust, wird es herbeieilen, dich einzunehmen. Mehr kann ich dir nicht sagen, denn ich vermag nicht, das Zukünftige vorauszusehen; ich weiß nur, daß ich dich zum letzten Male sehe: bevor ich dir Lebewohl sage, will ich dich aber noch mit diesem Schwerte bewaffnen, welches von Geistern geschmiedet ist.«

Habib war entzückt über diese Rede; er drückte die Hand seines alten Lehrers, ergriff das ihm dargebotene Schwert und schritt mit festem Tritte durch die Höhle hin. Er erkannte bald die Türe, von welcher der Geist ihm gesagt hatte, durchsuchte den Boden unter der Schwelle und fand einen ledernen Sack mit mehreren Schlüsseln; es war ihm leicht, denjenigen zu erkennen, der zu der Türe paßte, welche er öffnete. Er trat nun in ein helleuchtendes Zimmer, las hier eine Inschrift und enträtselte ihren Sinn; es war ein Spruch über die Eitelkeit der Welt und über die Notwendigkeit der Kraft und des Mutes in gefährlichen Unternehmungen.

Als Habib sich dem Vorhange nähern wollte, welchen sein Wegweiser ihm bezeichnet hatte, wurde er plötzlich von einer Menge Ungeheuer und Gespenster angefallen, welche ihn mit Feuer und Rauch umhüllten; aber seine Unerschrockenheit wurde nicht erschüttert, und das furchtbare Geschrei, welches ihn betäubte, hinderte ihn nicht, die empfangene Weisung zu befolgen. Er umwand also die Heftel des Vorhanges sorgfältig mit Baumwolle, und sobald diese Vorrichtung beendigt war, ward es ihm leicht, den Vorhang aufzuheben: in demselben Augenblicke verschwanden alle die gespenstigen Wesen, welche ihn umschwärmten. Er glaubte sich schon für immer von ihrer Verfolgung befreit, als er die Unvorsichtigkeit beging, die Tür wieder zuzumachen, welche offen zu lassen der Geist ihn geheißen hatte. Sogleich erschienen die Geister wieder und bestürmten ihn mit Vorwürfen.

»Verwegener Sterblicher,« riefen sie, »warum kommst du, die Einsamkeit zu stören, in welcher wir leben? Danke es den Waffen, welche dich beschützen; denn ohne ihre göttliche Kraft würdest du die Wirkungen unserer Wut empfunden haben; aber schmeichle dir nicht, daß dein Mut die Prüfungen aushalten wird, welche du noch bestehen mußt.«

Habib war jedem Gefühle von Furcht unzugänglich, und gleichwohl vermehrten sich die Gegenstände des Schreckens mit jedem Augenblick unter seinen Schritten: scheußliche Schlangen bedrohten ihn mit ihren spitzigen Zähnen; Löwen und Tiger stürzten in den Weg; der Donner rollte mit Macht; entsetzliche Wasserströme stürzten wütend hernieder. Habib aber schritt furchtlos mitten durch alle diese Gefahren; und als seine Widersacher sahen, daß alle ihre Anstrengungen fruchtlos waren, ließen sie ab, ihn zu peinigen: er konnte nun mit schnelleren Schritten vorwärtsdringen und kam ohne Aufenthalt an das Ufer eines wogenden Meeres; aber vergeblich erwartete er den ganzen Tag das Schiff, dessen Ankunft der Geist ihm verkündigt hatte.

Den zweiten Tag war er nicht glücklicher, und das Harren war für ihn umso schmerzlicher, als er, ohne allen Vorrat, alle Qualen des Hungers und des Durstes empfand. Vier Tage lang war er dieser grausamen Pein hingegeben; endlich erblickte er zwei Frauen, die aus dem Meere emporstiegen, und deren Gespräch er aufmerksam anhörte.

 

Fünfhundertundsechzehnte Nacht.

»Siehst du,« sprach die eine zu ihrer Gefährtin, »diesen Menschen dort am Ufer? Das ist der Prinz Habib, der Geliebte der schönen Dorrat-al-Gawas, der gern wieder zu seiner Herrin gelangen möchte; aber er weiß nicht, daß er durch ein unermeßliches, mit Klippen, Gefahren und Schiffbrüchen erfülltes Meer von ihr getrennt ist: glaubst du wohl, daß er eine so schwierige Unternehmung auszuführen vermag?«

»Ich glaube es,« antwortete ihre Gefährtin; »nachdem er so gefährliche Abenteuer bestanden hat wie diejenigen, denen er Trotz geboten, ist kein Zweifel, daß es ihm gelingen wird, alle noch übrigen Hindernisse zu besiegen; aber er ist noch keineswegs nahe am Ziele seiner Wünsche.«

Obwohl diese Worte dem Prinzen Habib nur eine ziemlich entfernte Hoffnung zeigten, so verdoppelten sie jedoch seinen Mut und erfüllten ihn wieder mit Freude. Seine Zufriedenheit ward bald noch viel größer, als er am Rande des Gesichtskreises ein Schiff erblickte, welches mit vollen Segeln daherfuhr.

Sobald die Matrosen am Bord dieses Schiffes einen Mann am Ufer erblickten, der ihnen Zeichen machte, setzten sie ihr Boot aus, um ihn abzuholen. Als der Prinz an den Bord des Schiffes kam, fand er sich mitten in einer Gesellschaft von Kaufleuten, welche sich beeiferten, ihm alle Hilfe zu leisten, deren er so sehr bedurfte, denn er war fast tot vor Hunger.

Nachdem Habib sich gesättigt hatte, erzählte er ihnen seine Geschichte, welche er den Umständen gemäß ersann: er sagte ihnen, er durchschiffte dieses Meer auch als Handelsmann, sein Schiff wäre vom Sturm überfallen und versunken, alle seine Gefährten wären umgekommen, und ihm allein sei es gelungen, sich mit Hilfe eines Brettes zu retten. Jeder suchte ihn über sein Unglück zu trösten und redete ihm zu, Mut zu fassen, und versprach, ihm den erlittenen Verlust zu vergüten.

Einige Tage lang ging die Schiffahrt glücklich; aber indem das Schiffsvolk sich schon schmeichelte, bald den Hafen zu erreichen, erhob sich plötzlich ein sehr heftiger Wind und trieb das Schiff von seiner Bahn. Vergeblich kämpfte der Steuermann dagegen, alle seine Anstrengungen waren vergeblich.

Nach einiger Zeit besänftigte sich das Ungestüm des Windes; das Wetter ward ganz ruhig, aber man bemerkte nun, daß das Schiff völlig von seiner Bahn abgetrieben war und sich in unbekannten Gegenden befand. Der Schrecken der Schiffsmannschaft und der Reisenden stieg aufs höchste, als der Steuermann ihnen endlich ankündigte, daß er endlich die Gegend erkennte und nicht länger an dem unglücklichen Schicksale zweifeln könnte, welches sie bedrohte. Nach seiner Schätzung sollte das Schiff sich jetzt in dem Grünen Meere befinden, welches Ungeheuer und boshafte Geister aller Art bewohnen und die Schiffer verschlingen, die so unglücklich sind, in diese Gegend verschlagen zu werden.

Diese Verkündigung setzte alle Zuhörer in Bestürzung, aber Habib beruhigte sie durch seine Festigkeit und Kühnheit. »Fürchtet nichts,« rief er aus, »von diesen boshaften Geistern; ich fürchte nicht ihre Anfälle, welchen ich schon mehr als einmal getrotzt habe, und ich verspreche euch, euch aus ihren Klauen zu befreien.«

Habib faßte den beherzten Entschluß, sich selber dem Oberhaupte der Geister entgegenzustellen, welcher nach den Anzeigen des Steuermannes das Schiff in der Richtung fortzog, in welcher es sich bewegte. Er ließ sich also an ein Seil binden und schwang sich in das Meer, mit dem Zauberschwert in der Hand, welches ihm sein Schutzgeist gegeben hatte.

Er erkannte alsbald das Ungeheuer, welches schon herbeieilte, ihn zu verschlingen; aber ohne vor seinem Anblicke zu erschrecken, schlug er so gewaltig auf dasselbe, daß er ihm den Kopf entzweispaltete.

Nachdem er sich also von diesem gefährlichen Feinde befreit hatte, gab er den Kaufleuten ein Zeichen, ihn vermittelst des Seiles, woran er festgebunden war, wieder an Bord zu ziehen. Sobald nun das Schiff aus den Klauen des Geistes befreit war, welcher seinen Lauf aufgehalten hatte, schwebte es wieder ganz frei dahin.

Ein solcher Zug des Heldenmutes war zu auffallend, als daß man nicht etwas Übernatürliches in dem Helden ahnen sollte, welcher eben ein so gefährliches Abenteuer bestanden hatte. Erkenntlich für den großen Dienst, welchen er ihnen geleistet hatte, legten die Kaufleute ihm alle ihre Habe zu Füßen; aber der älteste unter ihnen, der vor allen vermutete, daß der Prinz im Schutze geheimnisvoller Mächte stände, beschwor ihn, nicht länger seinen Rang und Namen zu verbergen, sondern sich ihnen zu erkennen zu geben. Der Prinz weigerte sich lange, ihre Neugierde zu befriedigen; endlich aber gab er ihren dringenden Bitten nach und erzählte ihnen die wunderbaren Abenteuer, welche ihn an den Bord des Schiffes geführt hatten.

Mit günstigem Winde erreichte das Schiff nun bald wieder dem Steuermann bekannte Gegenden, welcher voll Freuden den Reisenden die Inseln Bellur ankündigte, in deren Nähe man sich jetzt befand. Sowie man näher kam, erkannte man eine prächtige Stadt, in deren Hafen das Schiff einlief, und alsbald war es von einer Menge Booten umringt, welche zur Ausschiffung der Reisenden und der Waren ihre Dienste anboten.

Dorrat-al-Gawas war noch ein Raub der traurigen Betrachtungen, welche die Trennung von ihrem geliebten Prinzen und die Vorstellung der zahllosen Gefahren, von welchen er bedroht war, in ihr erzeugten, als einer der ihr unterworfenen Geister kam und ihr die Ankunft des Prinzen Habib verkündigte. Sogleich befahl sie, daß vielfache Freudenbezeigungen aller Untertanen das Glück ihrer Königin kundtun, und daß der Weg, welcher den Prinzen zu ihr führte, mit Teppichen und kostbaren Stoffen bedeckt werden sollte. Zu gleicher Zeit schickte sie ihm eine zahlreiche Ehrenwache, um ihn nach ihrem Palaste zu begleiten.

 

Fünfhundertundsiebzehnte Nacht.

Man kann sich denken, wie groß die Freude des Prinzen war, als er sich wieder bei derjenigen befand, für welche er so große Gefahren bestanden hatte. In den Armen seiner Geliebten vergaß er bald alle Mühseligkeiten, denen er sich ausgesetzt hatte. Aber mitten in der Freude, welche er empfand, stieg ein Gedanke in ihm auf, der sein Glück trübte: er gedachte an den Schmerz, dem seine Eltern seit seiner Abreise hingegeben sein mußten. Endlich entschloß er sich, der Prinzessin seinen Kummer mitzuteilen, und diese, um seine Betrübnis zu verbannen, versprach ihm, er sollte seine Eltern denselben Tag noch wiedersehen.

Sie ließ sogleich die vornehmsten der Geister versammeln und eröffnete ihnen, daß sie, durch wichtige Angelegenheiten genötigt, ihr Reich zu verlassen, die Verwaltung desselben ihrem Großwesir anvertraut hätte; und nachdem sie sich ihrer Treue versichert hatte, befahl sie ihren dienstbaren Geistern, sie mit dem Prinzen nach dem Garten zu versetzen, in welchem sie sich zum ersten Male gesehen hatten: und dies war in einem Augenblicke vollbracht.

Salama und seine Gattin waren ganz in Schmerz über den Verlust ihres Sohnes versunken, als sie zu ihrer größten Überraschung ihn plötzlich wieder vor ihnen erscheinen sahen. Anfangs glaubten sie, es wäre eine Täuschung ihrer Sinne; aber die Beteuerungen des Prinzen und seine zärtlichen Umarmungen ließen sie nicht länger zweifeln, daß sie ihren vielgeliebten Sohn wiedergefunden hätten.

Nachdem die erste stürmische Freude vorüber war, beschäftigte man sich damit, Habibs unerwartete Ankunft überall verkündigen zu lassen. Er empfing die Glückwünsche aller Häupter der Stämme. Man beschenkte die Armen reichlich, und Freudenfeste wurden sieben Tage hindurch gefeiert, nach deren Verlauf man neunzehn von den Rittern, welche Habib in der Wüste verlassen hatten, aufhängen ließ.

Bald darauf bezahlte Salama der Natur seine Schuld. Habib nahm seine Stelle ein und vereinigte unter demselben Szepter die zahlreichen Stämme seines Vaters und das Reich der Inseln Bellur. Dieser große Fürst verlebte mit der schönen Dorrat-al-Gawas lange und glückliche Jahre; und als er starb, hinterließ er ein blühendes Reich, welches darauf unter die zahlreichen Kinder, die er mit dieser Prinzessin erzeugt hatte, geteilt wurde.«

Noch war der Tag nicht sichtbar, und Scheherasade benutzte die noch übrige Zeit, um dem Sultan von Indien die Geschichte von Ali Dschohari zu erzählen.


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