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Geschichte der Prinzessin Ameny.

Es waren schon mehrere Jahre verflossen, seitdem ein König von Indien namens Dscholachan das Reich seiner Väter beherrschte und auf seinem Throne die Segenswünsche seiner Völker empfing. Zu sehr mit der Verwaltung seiner Staaten beschäftigt, um neue erobern zu wollen, würde ihm nichts zu wünschen übrig geblieben sein, wenn er seinen Untertanen nach seinem Tode das Glück, dessen sie bei seinen Lebzeiten genossen, hätte sichern können; aber er hatte keinen Sohn, der ihm nachfolgen konnte, und er mußte befürchten, seine Länder die Beute einer Menge kleiner habgieriger und eifersüchtiger Fürsten werden zu sehen, welche schon in der Mitte des königlichen Pompes ihre Ansprüche blicken ließen. Der schwermütige König genoß nur halb des Glückes, geliebt zu sein: die Zukunft vergiftete ihm die Gegenwart.

Nachdem er vergeblich mehrere indische Prinzessinnen geheiratet hatte, faßte er den Entschluß, Beischläferinnen aus verschiedenen Ländern zu nehmen. Der Großwesir erhielt den Befehl, alle Sklavenhändler zu besuchen, um diejenigen Frauen auszuwählen, die ihm zu Erfüllung des Wunsches Seiner Majestät am meisten geeignet schienen.

Indem er die Basare der Stadt durchstreifte, bemerkte dieser Minister unter mehreren Sklaven beider Geschlechter eine junge verschleierte Sklavin. Als er die Hand ausstreckte, um den Schleier aufzuheben, verhinderte ihn der Kaufmann, ein Araber, daran und sagte, sie würde sich nur vor Augen entschleiern, die würdig wären, sie zu betrachten.

»Kennt Ihr,« erwiderte der Wesir, »einen Mann, der würdiger ist, die Reize dieser Sklavin zu genießen, als der Großsultan von Indien? Wisset, daß ich von Seiner Majestät beauftragt bin, ihm die schönsten Frauen, welche ich irgend zu finden vermag, zuzuführen. Hebet also diesen Schleier, damit ich sehe, ob diese Sklavin ihm vorgestellt zu werden verdient, und saget mir ihren Preis.«

»Ihr mögt noch so sehr in mich dringen,« rief der Sklavenhändler, »ich werde diesen Schleier nur vor Eurem Monarchen aufheben und ihm, wenn er meine Sklavin gesehen hat, sagen, wie teuer ich sie ihm verkaufen will.«

Der Wesir sah sich genötigt, die beiden Personen in den Palast zu führen und sie dem Sultane vorzustellen, zu welchem er sagte:

»Herr, hier ist eine Sklavin, die ihr Besitzer auf eine der gewöhnlichen ganz entgegengesetzte Weise verkaufen will: er will dem Käufer nicht erlauben, den Schleier aufzuheben, der sie bedeckt.«

 

Vierhundertundneunundneunzigste Nacht.

Der Fürst befahl dem Oberhaupte der Verschnittenen, sie zu entschleiern. Kaum war ihr Gesicht frei, als man den vollen Mond in der Fülle seines Glanzes zu schauen glaubte.

Sonnenstrahlen glänzten in ihren Augen, und ihre Augenbrauen glichen dem Regenbogen. Ihre Nase hatte die Form einer syrischen Pistazie, und ihre Zähne konnte man für die schönsten Perlen des Roten Meeres oder des persischen Meerbusens halten. Die wohlgerundeten Halbkugeln ihres Busens glichen zwei Damaszener Granatäpfeln. Ihre Wangen waren so frisch und von so schönem Rot wie die Rosen von Fajum. Ihr feiner Wuchs war von so zierlicher Schlankheit wie der Stamm der Zypresse. Ihre Hände wichen weder an Weiße noch an Zartheit dem elfenbeinernen Szepter Salomons. Ihr langes Haar war schwarz wie die dunkelste Winternacht.

Bei dem Anblicke so vieler Reize stieß der entzückte Sultan einen tiefen Seufzer aus und rief:

»Großer Gott, ich lobe und benedeie dich, daß du eine so vollkommene Schönheit erschaffen hast!«

Er wandte sich hiermit an den Sklavenhändler und sagte: »Wie teuer willst du diese Sklavin verkaufen?«

»Herr,« versetzte dieser, »sie hat mich zweitausendfünfhundert Goldstücke gekostet: aber es ziemt mir nicht, Euer Majestät einen Preis zu bestimmen.«

»Elender,« rief der Wesir, »wagst du dir zu schmeicheln, daß du jemals eine solche Summe erhalten wirst?«

»Herr, Ihr beliebt zu scherzen: man würde das Doppelte geben, um sie zu besitzen; ich berufe mich auf das Urteil seiner Majestät.«

»Er versteht sich gut auf diese Ware,« sagte der König lächelnd. »Wohlan, man gebe ihm außer seinen Auslagen ein Gnadengeschenk von fünfhundert Goldstücken.«

»Herr,« erwiderte der Kaufmann, »glaubet nicht, mich zu großmütig belohnt zu haben; denn ich habe nicht einmal die Bezahlung für die Mühe und die Unkosten, welche mir diese Sklavin verursacht hat. Statt mich von ihr bedienen zu lassen, habe ich sie selbst bedient. Sie aß nur Kuchen; statt der in einem Ofen ausgebrüteten Hühner ließ ich eine Henne eigens für sie brüten; da sie zu gewählt war, um durch Mandeln gereinigtes Nilwasser zu trinken, so mußte ich ihretwegen indischen Bezoar anwenden. Auf einem Kamele zu reiten schien ihr zu unbequem, ich ließ sie also immer in einer Sänfte mit Glasfenstern tragen.«

Diese genauen Ausführlichkeiten erregten das Lachen des Sultans, der dem Sklavenhändler noch fünfhundert Goldstücke bewilligte; dieser verneigte sich tief, indem er die rechte Hand auf sein Herz legte und sagte:

»Herr, ich habe diese Sklavin nicht aus eigennützigen Absichten hierher geführt, ich hatte keinen anderen Beweggrund, als Euer Majestät etwas Euer Würdiges anzubieten.«

Und somit entfernte er sich, sehr erfreut, einen so vorteilhaften Handel abgeschlossen zu haben.

Das Oberhaupt der Verschnittenen bemächtigte sich sogleich mit dem Gefolge seiner Untergebenen seiner neuen Gefangenen und führte sie ins Bad, woselbst in den Künsten des Putztisches erfahrene Frauen sich beeiferten, sie zu entkleiden. Nachdem sie gehörig gerieben worden und man sie mit Rosenwasser und vielen anderen wohlriechenden Essenzen überströmt hatte, kamen vierundzwanzig Sklavinnen von verschiedenen Völkerschaften mit Linnen, um sie abzutrocknen, hierauf begab sie sich in ein Zimmer, in welchem sich drei prächtige Springbrunnen befanden, die in kostbare Becken fielen. Die schöne Sklavin streckte sich auf einem Sofa aus, welches mit indischen Stoffen und Shawls von Kaschmir bedeckt war, deren Goldfransen bis auf die Erde herabhingen. Vier junge Mädchen, ebenso leicht als der Musselin, der ihre Reize umhüllte, nahten sich, um sie zu kämmen, und kaum war das Tuch, welches ihr schönes Haar zusammenhielt, abgebunden, als dieses in großen wallenden Locken auf ihren Busen, ihre Schultern und Hüften fiel. Drei der jungen Mädchen hielten in der Hand Kästchen mit wohlriechenden Essenzen und Pomaden: es befanden sich darin Rosen-, Zimt-, Aloeessenz usw. Die vierte hielt den mit Diamanten besetzten Kamm und schickte sich an, Gebrauch davon zu machen, als die Fülle dieses schwarzen Haares sie erschreckte. Sie rief eine ihrer Gefährtinnen, ihr zu helfen. Nachdem sie diese schönen Haare gekämmt hatten, salbten sie dieselben mit den verschiedenen Pomaden und wanden sie in Flechten, die mit Goldfäden, Perlen und Diamanten durchflochten waren. Man schmückte ihr Haupt mit einer kleinen mit kostbaren Steinen besetzten Krone, mit einer Binde von Zechinen und einem mit Gold durchwirkten Musselinschleier, der ihr bis auf die Fersen fiel, und durch welchen man leicht ihren schönen schlanken Wuchs sehen konnte. Vorn auf dem Schleier, der ihre Stirn und ihre Augen umwallte, war mit Goldflittern und Diamanten der Name des Großsultans von Indien leicht gestickt. Es erschienen neue Sklavinnen, um ihr ein Kleid von Silbergaze anzuziehen, welches so kunstreich gemacht war, daß es die Gestaltung ihrer Hüften und die runden Umrisse ihres Busens durchzeichnete. Endlich hatte man viele Mühe, Babuschen zu finden, die klein genug für ihren Fuß waren.

Als sie nun angekleidet war, brachte man ihr Sorbet und Zuckerwerk in Gefäßen von vergoldetem Silber; sie nahm eine Pfeife, um einige Züge eines Tabaks zu rauchen, der so süß wie die Rose war. Hierauf erhob sie sich, und alle Sklavinnen begleiteten sie in das ihr bestimmte Zimmer. Dort angelangt, streckte sie sich nachlässig auf ein weiches Sofa und begann Betel zu kauen.

 

Fünfhundertste Nacht.

Auf einmal kam das Oberhaupt der Verschnittenen, um die Ankunft des Sultans zu verkünden. Die schöne Sklavin stand auf, um seiner Majestät entgegenzugehen, warf sich vor dem Fürsten auf die Kniee und blieb in dieser Stellung mit niedergeschlagenen Augen und einem Ausdrucke voll Bescheidenheit. Der Sultan setzte sich und winkte ihr, an seiner Seite Platz zu nehmen. Nach einigen gleichgültigen Reden wollte er seine Rechte geltend machen. Nachdem die Sklavin es vergebens versucht hatte, sich den königlichen Liebkosungen zu entziehen, fing sie an, in Tränen zu zerfließen. Niemals hatte sich eine Sklavin so widerspenstig gezeigt. Wie war es möglich, sich über ein Abenteuer zu betrüben, welches die anderen Sklavinnen auf den Gipfel der Freude gehoben hätte!

Der Fürst konnte sich keine Ursache eines so seltsamen Betragens denken, und bald unterbrach er seine Liebkosungen, bald fuhr er damit fort. Endlich warf sich die junge Schöne vor ihm auf die Kniee und rief, indem sie die Hände nach ihm ausstreckte, schluchzend:

»Herr, verschwöret Euch nicht mit dem Schicksal, um eine vom Mißgeschicke verfolgte Unglückliche ganz niederzudrücken. Sollten mir, erniedrigt, wie ich es bin, meine Tränen nicht einige Rechte auf ein großmütiges Herz geben, und wolltet Ihr mich eines flüchtigen Genusses wegen mit ewiger Schmach bedecken?«

Der Fürst schien anfangs von Mitleid bewegt; aber bei diesen letzten Worten runzelte er die Stirn. »Seit wann,« rief er aus, »haben die Gunstbezeigungen der Könige ihre Sklavinnen entehrt?«

»Herr, seitdem sie Sklavinnen gekauft haben, die würdig sind, ihre Frauen zu werden,« erwiderte jene mit Stolz; und in demselben Augenblick ergoß sie einen Tränenstrom aus ihren Augen und überschwemmte die Haarlocken, die auf ihren Wangen wogten.

»Steh auf,« sagte der Sultan zu ihr, indem er ihr die Hand reichte, »und erkläre dich deutlicher. Junge Fremde, sage mir aufrichtig, wer du bist, laß mich deine Herkunft und dein Geburtsland wissen.«

»Herr, die Tatarei ist mein Vaterland, aber ich stamme von den Pharaonen, den Verfolgern der Juden.«

»Wie,« rief der König von Indien aus, »Ihr stammt von den ältesten Beherrschern der Erde ab und seid eine Sklavin?«

»Ihr werdet noch mehr erstaunen, wenn ich Euch sage, daß meine Verwandten noch auf mehreren Thronen Asiens sitzen; aber habet nur die Güte, mir Eure Aufmerksamkeit zu schenken, und Ihr sollt erfahren, welche Reihe von Ereignissen mich in den kläglichen Zustand versetzt hat, in welchem Ihr mich sehet.

Die aus Ägypten verjagten Pharaonen flohen nach Abessinien, woselbst sie ein neues, weniger mächtiges, aber dauerndes Reich als ihr erstes gründeten; denn meine Familie besitzt es schon viele Jahrhunderte lang. Mein Großvater hatte eine Tochter von der seltensten Schönheit, die er zärtlich liebte, und diese Prinzessin ist meine Mutter. Eine Menge von Monarchen begehrten sie zur Ehe, aber der Sultan der großen Tatarei hatte den Vorzug, denn er war der Freund meines Großvaters, und ein altes Bündnis verknüpfte unsere Familien. Meine Mutter weinte bitterlich, als sie die schönen Quellen des Nils und den Palast, in welchem sie geboren war, verlassen mußte, um sich in die Wüsten der Tatarei zu begeben. Sie fand jedoch den Fürsten liebenswürdiger, als sie sich ihn vorgestellt hatte; und da sie eine zärtliche Neigung zu ihm faßte, so mißfielen ihr seine Sitten nicht, weil sie die ihres Gatten waren. Der Himmel segnete ihre Verbindung; denn sie hatten eine große Anzahl von Kindern: ich bin das jüngste und unglücklichste, und ich habe ihr mehr Kummer verursacht als die andern alle zusammengenommen. Sie seufzen über meine Abwesenheit, und vielleicht werden sie den Augenblick meiner Rückkehr verfluchen; Ihr allein werdet die Ursache davon sein.«

»Das wolle Gott nicht,« rief der Sultan aus, »daß ich Euer Unglück mißbrauche und Euch zu beleidigen wage; ich weiß, was ich Eurem Range und besonders Eurem Unglücke schuldig bin; und von diesem Augenblicke an erkläre ich Euch, daß ich mir zum Lösegelde eine kleine Gefälligkeit von Euch erbitte: erzählet mir, ich ersuche Euch darum, Eure Geschichte.«

»Ihr legt mir da,« versetzte die Prinzessin, »etwas sehr Peinliches auf; aber was es mich auch koste, ich will mich bemühen, Euch Genüge zu leisten.«

 

Fünfhundertunderste Nacht.

»Ihr sehet in mir ein Schlachtopfer des Ranges, in welchem ich geboren bin. Kaum aus dem Schoße meiner Mutter gekommen, wurde ich einer Sklavin übergeben, die mich säugte und für meine Erziehung sorgte. Diese Frau galt am Hofe für ein Wunder von Wissenschaften, und es würde in der Tat schwer gewesen sein, in der Tatarei einen Weisen zu finden, der ihr zu vergleichen gewesen wäre. Gleich bewandert in der Geschichte, der Erdkunde, der Arzneiwissenschaft, der Scheidekunst, der Sternkunde und in den geheimen Wissenschaften, erzog sie mich zu dem Islam, zu welchem sie sich bekannte, und dessen Lehrbegriffe sie vollkommen innehatte; denn die Abhandlungen der vier Imame und deren vorzüglichste Ausleger waren ihr durch die Hände gegangen.«

»Ich habe von dieser Sekte sprechen gehört, aber ich kenne weder ihren Ursprung noch ihren Stifter,« unterbrach sie der Sultan.

»Ich will mich bemühen, Euch in wenigen Worten damit bekannt zu machen. Als die Anhänger des Isa sich von dem guten Wege entfernt hatten, um sich in Ketzerei und Unglauben zu stürzen, indem sie behaupteten, daß Isa der Sohn Gottes sei, verwarf der Allerhöchste ihre Anbetung und erweckte einen großen Propheten unter den Arabern in dem Stamme der Koreischiten, gab ihm das Zepter in die rechte Hand und den Koran in die linke, um alle auf der Oberfläche des Erdbodens zerstreute Völker zu der einzigen wahren Religion zu bekehren. Von einem heiligen Eifer ergriffen, arbeitete Mohammed, das heißt der Glorreiche, kräftig an der Ausrottung der Vielgötterei und des Unglaubens. Gleich mächtig in Worten und Werken, wandte er anfangs Ermahnungen und Wunder an, und nur im äußersten Falle ließ er seinen Säbel auf die Ungläubigen fliegen, welche halsstarrig sich dem Islam entgegenstemmten, das heißt, welche nicht an die Einheit Gottes und an die Sendung Mohammeds glauben wollten. Seine heilige Religion breitet sich täglich mehr aus, und wir hoffen, daß sie in der Folge der Zeiten die einzige herrschende in den sieben Klimaten der Welt sein wird, so wie sie die einzig wahre und seligmachende ist. Alle Muselmänner und Muselmänninnen sind Apostel, welche unermüdlich daran arbeiten, Proselyten zu machen; sie wollen, daß alle Menschen des ihnen verheißenen Glückes teilhaftig werden. Nach diesem wohltätigen Geiste erzog mich meine gute Amme in dem Schoße dieser Religion, welcher ich immer treu bleiben werde; sie beschnitt mich insgeheim, lehrte mich die Niederwerfung, die Hersagung der fünf täglichen Gebete und ein den Vorschriften der Imame angemessenes Betragen.

Außer dem Unterrichte, der sich auf die Lehre des Propheten bezog, brachte mir meine Amme noch eine Menge nützlicher und angenehmer Kenntnisse bei. Sie sagte oft zu mir: »Sieh nur, meine Tochter, wie roh und unwissend die Bewohner dieses Landes sind; sie können nicht einmal lesen; welch ein Unterschied gegen mein Volk! Die Araber gelten für die gelehrtesten Menschen auf Erden.«

Auf solche Weise, Herr, befeuerte sie mich zum Fleiße, und ich beobachtete über alle unsere Beschäftigungen ein tiefes Stillschweigen; denn sie gefielen mir ungemein.

Ihr wißt, daß in der Tatarei sich Brüder und Schwestern miteinander verheiraten, und als ich das Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, wählten meine Eltern mir unter ihren Söhnen einen Gatten aus und machten mir in Gegenwart meiner Amme ihren Willen kund.

Diese hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, denn dieser Gebrauch betrübte sie sehr, und sobald wir allein waren, umarmte sie mich zärtlich. »Meine Tochter,« sagte sie zu mir, »mit was für Unmenschen leben wir hier! Dein Volk gleicht dem Vieh, das nicht unterscheidet, was sich ziemt und was nicht; denn es tut Dinge, welche die Natur empören.«

Ich billigte ganz ihre Vorstellungen, und als mein Bruder sich mir nahte, um mich zu umarmen, empfand ich anstatt der Liebe einen unbezwinglichen Widerwillen; und wenn ich mich nicht vor meinen Eltern gefürchtet hätte, würde ich ihn weit von mir zurückgestoßen haben. Ich verfluchte innerlich diesen scheußlichen Gebrauch; aber was sollte ich machen, und wie sollte ich ihn mit dem unbeugsamen Gesetze des Propheten, in welchem ich leben und sterben wollte, in Übereinstimmung bringen?

Meine Eltern und mein Bruder beharrten fest auf ihrem Entschlusse; der verhängnisvolle Augenblick nahte, und ich ging oft zu meiner Amme, um mit ihr, die meinen Schmerz aufrichtig teilte, zu weinen.

»Meine Mutter,« sagte ich zu ihr, »warum hast du mich ein Gesetz gelehrt, das sich unseren Gebräuchen widersetzt? Wenn ich es nicht kennte, würde ich nicht strafbar sein.«

»Meine Tochter,« erwiderte sie mir, »höre auf, dich zu betrüben. Ich will dich ein gutes Mittel lehren, um der Verfolgung, welche du erleidest, zu entgehen. Wenn der Groß-Chan dir befehlen wird, deinen Bruder zu heiraten, sollst du ihm antworten: Ich kann Euer Majestät nicht eher gehorchen, als bis ich reiten gelernt habe. Dies ist eine unter den Frauen unseres Landes gebräuchliche Übung, und ich kann sie nicht mehr lernen, sobald ich verheiratet bin. Dies Begehren wird deinem Vater nicht seltsam erscheinen, da die Reitkunst die einzige Wissenschaft ist, in welcher man hier die Frauen unterrichtet. Wenn dir diese Gnade gewährt ist, so beunruhige dich nicht mehr und laß mich für das weitere sorgen.«

Einige Tage nachher gab der König ein großes Fest, zu welchem er alle Großen seines Hofes und sogar fremde Fürsten einlud. Mein Bruder saß zu seiner Rechten und Eure Magd zu seiner Linken. Als nun der Geist der Gäste vom Dunste des Weines erhitzt war und die süße Harmonie der Instrumente ihre Herzen erweicht hatte, gedachte mein Bruder meiner und richtete das Wort an meinen Vater.

»Herr,« sagte er zu ihm, »Ihr habt meiner Schwester befohlen, mich zum Gatten zu nehmen; aber sie stößt mich ungeachtet Eurer Befehle immer zurück: befehlet ihr doch, mich ohne weitere Zögerung heute abend in ihr Bett aufzunehmen.«

Der Groß-Chan sah mich mit erzürntem Antlitz an und sagte mir, daß diese beständigen Weigerungen irgend einen heimlichen Handel vermuten ließen, daß ihm aber mein Kopf für meine Sittsamkeit bürgen sollte.

»Mein Vater,« erwiderte ich ihm, »Gott bewahre mich davor, daß ich mich Eurer hohen Willensmeinung widersetzen sollte; ehe man mich jedoch mit meinem Bruder verbindet, wünschte ich reiten und die Waffen führen zu lernen; denn Ihr wißt, daß sich eine Frau nach ihrer Verheiratung mit diesen Übungen nicht ohne die größte Gefahr befassen kann.«

Der Groß-Chan bewilligte mir gern diese Bitte, und mein Bruder mußte sich mit Geduld waffnen. Er tröstete sich, indem er mir selbst Unterricht gab, um meine Fortschritte zu befördern. Ich bewunderte seine Geduld und beklagte seine Liebe. Er war so gut, so sanft, so gefällig! Mit welcher Gewandtheit, mit welcher Anmut schoß er einen Pfeil! Mit welcher Gelenkigkeit tummelte er ein Pferd! Wie verstand er es, mir eine Geschicklichkeit beizubringen, die ich von Natur besaß! Ohne das Gesetz unseres Propheten hätte ich vielleicht seine Liebe geteilt. Ich schien immer sehr gewandt, und mir selber war ich es niemals genug.

Endlich an einem schönen Sommertage, nachdem er mich mein Pferd lange hatte herumtummeln lassen, hob er mich mit Leichtigkeit aus dem Sattel, und ich fand mich auf dem Grase liegend.

 

Fünfhundertundzweite Nacht.

Während unsere Rosse mit dem Zügel auf dem Halse durch das Feld flohen, schloß mich mein Bruder, statt sie zu verfolgen, zärtlich in seine Arme und überhäufte mich mit den zärtlichsten Liebkosungen. Die Liebe glänzte in seinen Augen; aber ich rief mir die Grundsätze meiner guten Amme ins Gedächtnis, und ich zitterte vor dem Verbrechen, welches ich ohne diese Erinnerung begangen hätte. Meine Geistesgegenwart leistete mir großen Beistand, und ich fand einen Vorwand, um mich zu entfernen.

Alle meine Sinne waren lebhaft aufgeregt, und kaum war diese Aufregung ein wenig beruhigt, als ich zu meiner Amme lief, um ihr dieses Ereignis zu erzählen und sie zu versichern, daß es mir nicht möglich wäre, längere Zeit zu widerstehen.

»Höret auf, Euch zu beunruhigen,« sagte sie zu mir; »und wenn Ihr eine gute Muselmännin seid, so werden Euch die Mittel, welche ich Euch vorzuschlagen habe, nicht erschrecken.«

»Sprich ohne Umschweif und ohne Furcht; ich bin zu allem entschlossen, um meine Religion nicht zu verraten.«

»Fliehet,« rief sie aus, »fliehet dieses Land des Fluches, in welchem man in langen Zügen das Verderben wie Wasser säuft. Hier sind Mannskleider, um Euch zu verkleiden. Ich habe einige Edelsteine zur Bestreitung der Kosten Eurer Reise beigelegt, bis ich Euch nachkommen und mich mit Euch vereinigen werde; denn ich muß noch einige Tage nach Eurer Abreise hier bleiben, um diejenigen, welche man absenden wird, Euch zu verfolgen und festzuhalten, auf falsche Wege zu bringen. Wendet Eure Schritte nach Bagdad und seid versichert, daß ich Euch in dieser Stadt oder auf dem Wege dahin einholen werde.«

Zugleich half sie mir die Mannskleider anlegen, in denen ich mich sehr verlegen fand. Doch meine Begierde zu fliehen hinderte mich, an diesen Zwang und die Gefahren, denen ich Trotz bieten sollte, zu denken. Jung, ohne Erfahrung, war ich im Begriff, eine ungeheure Reise zu unternehmen, ohne zu wissen, welchen Weg ich einschlagen, noch wie ich bestehen sollte; und doch, höchlich erfreut, den Verfolgungen meiner Verwandten zu entrinnen, erwartete ich mit Ungeduld den Augenblick meiner Abreise.

Als der Tag sich neigte, nahm meine Amme mich bei der Hand und führte mich durch Seitenwege, die ich noch nicht kannte, zu einer geheimen Pforte des Palastes, vor welcher ich einen prächtigen Renner fand, den ich mit Leichtigkeit bestieg. Sie drückte mir zärtlich die Hand mit dem Versprechen, mich bald wiederzusehen, und ich gab meinem Pferde die Sporen.

Obgleich meine gute Amme mir den Weg nach Bagdad wohl beschrieben, ja mir ihn sogar, als ich mich in Galopp setzte, mit dem Finger gezeigt hatte, so verirrte ich mich dennoch und beschloß, indem ich den Zügel auf den Hals meines Pferdes fallen ließ, dieses laufen zu lassen, wohin es Lust hatte.

Nachdem ich die Nacht und den ganzen folgenden Tag hindurch inmitten eines großen Waldes umhergeritten war, stieg ich ab; denn mein Reisegefährte und ich, wir bedurften beide der Nahrung und Ruhe. Ich befand mich eben in einem mit Büschen bedeckten Tale. Ich pflückte einige wilde Früchte, als aber die Nacht herannahte, so nötigte mich die Furcht vor den wilden Tieren, einen Zufluchtsort zu suchen, der mehr Sicherheit gewährte als der Rasen, der mir zum Sitze diente.

Ich gewahrte von fern eine Höhle, deren mit Dornen und Stauden bewachsener Eingang hinlänglich anzeigte, daß hier kein wildes Tier seinen Aufenthalt hatte. Ich wandte meine Schritte nach dieser Seite, indem ich Gott und den Propheten dankte, die ihrer Magd sichtbar Beistand leisteten, da sie sie in die Nähe dieser Höhle leiteten. Ich bemerkte in ihrer Tiefe eine Lampe, welche zwei Personen erleuchtete, die ich für ein paar verirrte Reisende hielt. Ich fürchtete zugleich, daß hier wohl der Zufluchtsort irgend eines Übeltäters sein könnte, und fühlte, daß ich mit großer Vorsicht verfahren müßte.

Nachdem ich mein Pferd beim Fuß an einen Baum gebunden hatte, nahm ich meinen Bogen und meine Pfeile und ging mit langsamen Schritten auf das Licht zu. In einer kleinen Entfernung davon versperrten mir zwei mit den Zügeln zusammengebundene Pferde so den Weg, daß ich nicht wußte, auf welcher Seite ich vorbei sollte. Indem ich rechts und links Untersuchungen anstellte, fand ich kein anderes Mittel, als mich bis an diese Pferde zu nähern. Man konnte, ohne gesehen zu werden, unter ihrem Bauche durchsehen und so alles, was in der Höhle vorging, gewahren. Wie groß war mein Schrecken und mein Erstaunen, als ich, indem ich mich niederbückte, bei dem schwachen Lichte der Lampe eine junge Frau bemerkte, welche sich in den Armen eines Sklaven sträubte, der so schwarz wie die mich umgebende Finsternis, von riesenhaftem Wuchs und schrecklichem Ansehen war. Man sollte ihn für den Bastard irgend eines bösen Geistes gehalten haben. Die Leidenschaft, die ihn hinriß, machte ihn noch scheußlicher. Seine schwarzen und sehnigen Fäuste drückten die zarten Arme der jungen Frau, und er rief gotteslästerlich:

»Wenn du dich nicht meinen Begierden hingibst, so werde ich dich in kleine Stücke zerschneiden.«

»Nichtswürdiger Bösewicht, glaubst du, daß mir mehr an meinem Leben als an meiner Ehre gelegen ist?« erwiderte ihm die junge Frau, indem sie aus allen Kräften kämpfte. »Konntest du dir einbilden, meiner Person leichter zu genießen, indem du mich aus meinen Staaten entführtest? Seit wann gehorcht die Herrin ihrem Sklaven? Hast du vergessen, daß du der meinige bist? Mit welchem Rechte wagst du es, deine verwegene Hand an die Tochter deines Königs zu legen?«

»Wohlan,« erwiderte der Sklave, »bereite dich also zum Tode. Es gibt jetzt hier keinen anderen König als mich, da ich der Stärkste bin; du gehörst mir sicherer, als wenn ich dich auf dem Basar gekauft hätte, und du bist gegenwärtig ganz in meiner Gewalt.«

Und da er sah, wie unbezwinglich der Starrsinn der Prinzessin war, so faßte dieser elende Schwarze ihre Haare mit der linken Hand und erhob seinen Säbel mit der rechten, wobei seine Augen vor Wut funkelten.

 

Fünfhundertunddritte Nacht.

Herr, als ich ihn nun im Begriffe sah, sein Verbrechen zu vollenden, stieß ich einen lauten Schrei aus, ohne an die mir drohende Gefahr zu denken. Der überraschte Sklave ließ sein Schlachtopfer fahren, und während er sich nach allen Seiten umsah, hatte ich schon eines der Pferde bestiegen und schoß ihm von diesem herab einen Pfeil in die Brust. Der Bösewicht stürzte sogleich zur Erde und versuchte vergebens, sich wieder zu erheben; der Säbel entfiel seiner unmächtigen Hand, er versuchte es noch, das Eisen aus seinem Leibe zu ziehen, aber das Blut floß stromweise aus seiner Wunde, und seine wildverstörten Augen schlossen sich auf immer. Ich lief sogleich zu der jungen Prinzessin, um ihr die Fesseln abzunehmen, mit denen sie belastet war; sie wollte sich zu meinen Füßen werfen, aber ich hinderte sie daran; sie ergriff meine Hand, bedeckte sie mit Küssen und benetzte sie mit Tränen, wobei sie mir ihre Dankbarkeit in den leidenschaftlichsten und kräftigsten Ausdrücken zu erkennen gab; und indem sie hierauf die Augen gen Himmel hob, rief sie aus: »Großer Gott, ich danke dir tausendmal, daß du mir diesen Engel geschickt hast!« Sodann sich zu mir wendend, fügte sie hinzu: »Herr, ich rechne sehr auf Eure Großmut; habet Mitleid mit einer armen Prinzessin.«

Ich suchte sie durch die süßesten und freundlichsten Reden zu beruhigen, ohne ihr jedoch meine Verkleidung zu verraten oder den geringsten Verdacht hinsichtlich meines Geschlechtes bei ihr zu erregen. Ungeachtet des eben erlittenen Unfalles schien sie keine Abneigung gegen meine Person zu haben: es ist wahr, daß ich nicht dieselbe Farbe hatte wie der Sklave. Als sie sich ein wenig von ihrem Schrecken erholt hatte, drückte ich ihr liebreich die Hand und fragte sie, was für ein Königreich das ihrige wäre, und wie sie zu solch einem Abenteuer käme.«

»Das will ich Euch sehr gern erzählen,« erwiderte sie mir, indem sie mich mit Wohlgefallen ansah, und ohne ihre Hand aus der meinigen zu ziehen, begann sie wie folgt:

 


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