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Vierhundertundsiebenundneunzigste Nacht.

Abenteuer eines Kadis und seiner Frau.

In Bagdad lebte einst ein Kadi, der sein Amt auf die tadelloseste Weise verwaltete und durch das Beispiel seines Privatlebens seinen strengen Rechtssprüchen noch mehr Kraft gab. Nachdem er seinem ehrenvollen Posten mehrere Jahre hindurch vorgestanden hatte, wünschte er nach Mekka zu pilgern und begab sich, nachdem er die Erlaubnis des Kalifen erhalten hatte, auf seine fromme Wanderschaft, seine schöne Frau unter der Obhut seines Bruders zurücklassend, der sie wie seine Tochter zu behandeln versprach. Kaum war jedoch der Kadi fort, als der Bruder, von Leidenschaft angetrieben und seinem Versprechen ungetreu, seiner Schwägerin unverschämte Zumutungen machte, die sie aber mit Verachtung abwies. Da sie jedoch nicht gern ihren Mann gegen einen so nahen Verwandten aufbringen wollte, so bemühte sie sich, ihren Schwager durch Vorstellungen von der Schändlichkeit seiner Absichten zu überzeugen; aber diese Mühe war vergeblich. Der Abscheuliche wiederholte seine Zumutungen, statt sie zu bereuen, und drohte ihr endlich, sie des Ehebruchs anzuklagen und sie der ganzen Strenge der Gesetze zu überliefern, wenn sie ihn nicht erhören wollte. Da auch diese Drohung eine vergebliche war, so bestach er Zeugen, die aussagten und beschworen, sie hätten sie eine Untreue begehen sehen, worauf sie dann verdammt wurde, hundert Peitschenhiebe zu bekommen und sodann aus der Stadt verbannt zu werden.

Als nun die unglückliche Frau ihre schmerzliche Bestrafung erlitten hatte, wurde sie von dem Scharfrichter unter dem Geschrei und Gespötts des Pöbels durch die Stadt und dann vor das Tor geführt, wo man sie ihrem ferneren Schicksale überließ. Sich der Vorsehung ergebend und ohne Murren gegen ihr Verhängnis beschloß sie, sich nach Mekka zu wenden in der Hoffnung, dort ihren Mann zu finden und sich bei ihm, dessen Meinung allein einen Wert für sie hatte, von ihrer Schmach zu reinigen. Nachdem sie einige Tage gewandert war, kam sie in eine Stadt und sah eine große Volksmenge dem Scharfrichter folgen, der einen jungen Mann an einem ihm um den Hals gebundenen Stricke führte. Sie erkundigte sich nach dem Verbrechen des Sträflings und erfuhr, daß er hundert Dinare schuldig wäre, die er nicht bezahlen könnte, und deshalb die Strafe, welche die Landesgesetze über zahlungsunfähige Schuldner festgesetzt, erleiden und aufgehängt werden müßte. Von Mitleid bewegt, gab die Frau des Kadis das Geld her, obgleich es fast alles war, was sie besaß. Der junge Mann wurde in Freiheit gesetzt, fiel vor ihr auf die Kniee und gelobte ihr, sein Leben ihrem Dienste zu weihen. Sie benachrichtigte ihn von ihrem Vorsatze, nach Mekka zu pilgern, worauf er sich denn erbot, sie zu beschützen, was sie mit Dank annahm. Sie reisten nun zusammen weiter, waren jedoch kaum einige Tage gewandert, als der junge Mann, seiner Verpflichtung uneingedenk und dem Antriebe seiner lasterhaften Leidenschaft folgend, seine Wohltäterin durch Anträge von der schlimmsten Art beleidigte. Die unglückliche Frau stellte ihm die Undankbarkeit und Nichtswürdigkeit seines Betragens vor, und der junge Mann schien überzeugt und reuig; aber sein Herz war voller Rachsucht. Nach einigen Tagen erreichten sie die Seeküste, der junge Mann gab, ein Schiff gewahrend, ein Zeichen, und man schickte ein Boot ans Ufer, welches den jungen Mann an Bord des Schiffes brachte, zu dessen Befehlshaber er nun sagte, er hätte ein schönes Frauenzimmer zu verkaufen, welches er ihm für tausend Dinare lassen wollte. Der Schiffsherr, gewohnt, an dieser Küste Sklavinnen zu kaufen, begab sich ans Ufer und bezahlte dem gottlosen jungen Manne das verlangte Geld, worauf dieser seines Weges ging und die junge Frau aus das Schiff gebracht wurde. Sie setzte voraus, ihr Reisegefährte hätte diese Gelegenheit ergriffen, um ihr die Beschwerlichkeit der Reise zu erleichtern, indem er ihr eine Überfahrt nach einem Seehafen in der Nähe von Mekka verschaffte; aber ihre Verfolgung sollte hier noch nicht enden. Am Abend wurde sie durch die rohen Zumutungen des Schiffspatrons beleidigt, der, über ihr Weigern erstaunt, sagte, daß er sie als seine Sklavin für tausend Dinare gekauft hätte. Die Unglückliche entgegnete ihm, sie wäre ein freies Weib; aber das machte auf den viehischen Seemann keinen Eindruck, und da er sah, daß er mit Zärtlichkeit nichts ausrichtete, so nahm er seine Zuflucht zu Gewalt und Schlägen, um sie seinen Begierden unterwürfig zu machen. Ihre Kraft war fast erschöpft, als das Schiff plötzlich auf einen Felsen stieß, der Patron auf das Verdeck eilte und das Schiff in wenigen Minuten scheiterte. Die tugendhafte Frau hatte unwillkürlich ein Brett umfaßt, auf welchem sie mehrere Stunden von den Wellen hin und her, endlich aber an eine Küste geworfen wurde.

Als sie sich etwas erholt hatte, ging sie landeinwärts und fand eine freundliche Landschaft, mit Bächen und Fruchtbäumen, die ihren Durst und Hunger stillten, reichlich versehen. Am zweiten Tage gelangte sie in eine prächtige Stadt. Sie wurde wie alle Fremden vor den Sultan geführt, der sie fragte, wer sie wäre. Sie erzählte ihm, sie hätte ihr Leben der Frömmigkeit gewidmet und wäre auf der Wallfahrt nach Mekka begriffen, ihr Schiff hätte an der Küste seines Landes Schiffbruch erlitten, und sie wüßte nicht, ob sich außer ihr noch jemand gerettet hätte. Sie bat sodann den Sultan, ihr eine Wohnung anweisen zu lassen, wäre es auch eine noch so elende, wenn ihr nur seine Gnade dahin folgte, und sie verspräche ihm dafür, den Überrest ihrer Tage in Gebeten für sein Heil und das Heil seiner Untertanen hinzubringen.

Der Sultan, der sehr fromm war und das Unglück der armen Frau innig bedauerte, erfüllte ihr Gesuch gern und freundlich und ließ ihr ein anmutiges Gartenhaus in der Nähe seines Palastes zu ihrem Wohnsitz anweisen, in welchem er sie oft besuchte, sich mit ihr über religiöse Gegenstände besprach und sich an diesen Gesprächen, da sie wirklich sehr fromm war, ungemein erbaute.

Nicht lange nach ihrer Ankunft baten widerspenstige Untertanen, die seit mehreren Jahren die gewohnten Abgaben verweigert hatten, und gegen welche der Sultan, so sehr auch seine Einkünfte dadurch geschmälert wurden, keine Gewalt brauchen wollte, reumütig um Vergebung und versprachen für die Zukunft strenge Pflichterfüllung. Der Sultan schrieb dieses glückliche Ereignis den Gebeten der heiligen, von ihm aufgenommenen Frau zu und äußerte diese Meinung in vollem Diwan gegen seine Hofleute, die sie nun weiterverbreiteten. Da, wie das Sprichwort sagt, die Schafe immer dem Leithammel folgen, so war dies auch hier der Fall. Leute von allen Ständen erbaten sich Gebete und Ratschläge von der heiligen Frau, und zwar mit so gutem Erfolge, daß die Zahl der Bittenden sich täglich vergrößerte. Auch waren sie nicht undankbar, und die Heilige hatte in kurzer Zeit eine höchst beträchtliche Summe beisammen. Ihr Ruf erstreckte sich über die Grenzen des Reiches, in welchem sie lebte, und verbreitete sich nach und nach über alle von den wahren Gläubigen bewohnten Länder. Aus allen Reichen Asiens strömten diese in Menge herbei, sie um ihre Gebete anzuflehen. In ihrem sehr erweiterten Wohnsitz unterhielt sie eine große Anzahl verlassener Personen, auch speiste und tränkte sie viel armes Volk, welches zu ihr pilgerte.

Doch es ist Zeit, daß wir zu ihrem frommen Gatten zurückkehren. Der gute Kadi hatte ein ganzes Jahr lang in Mekka seine Andacht verrichtet und alle heiligen Stellen in der Umgegend besucht, worauf er sodann nach Bagdad zurückkehrte. Aber wie groß war sein Kummer, als er die Untreue seiner Frau und die Abreise seines Bruders erfuhr, der, wie ihm gesagt wurde, die über seine Familie gekommene Schande nicht zu ertragen vermocht und, ohne seitdem etwas von sich hören zu lassen, die Stadt verlassen hätte. Diese traurigen Nachrichten machten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er allen weltlichen Beschäftigungen und Sorgen entsagte und das Leben eines wandernden Religiösen annahm, der von Ort zu Ort und von Land zu Land wanderte, um alle wegen ihrer Heiligkeit bekannten Personen zu besuchen. Zwei Jahre hindurch hatte er mehrere Königreiche durchreist, als der Ruf seiner Frau zu seinen Ohren drang, ohne daß er jedoch ahnte, daß die, deren Namen mit Schande bedeckt war, jene vielgepriesene Heilige wäre. Er reiste also nach der Hauptstadt des Sultans, um durch ihre Gebete Trost zu erlangen.

Auf dieser Reise traf der Kadi seinen Bruder, der, sein gottloses Leben bereuend, auch in Derwischtracht zu der Heiligen reiste, um ihr seine Sünden zu beichten und ihre Fürbitte beim Himmel anzuflehen. Die Veränderung beider, Folge der Zeit und ihrer Verkleidung, bewirkte, daß sie sich nicht erkannten. Sie knüpften ein Gespräch an, und als sie voneinander erfuhren, daß sie desselben Weges gingen, so beschlossen sie, ihre Reise gemeinschaftlich fortzusetzen. Nach einigen Tagen begegneten sie einem Kameltreiber, der, wie er ihnen sagte, den gleichen Weg und Zweck verfolgte, weil er ein schreckliches Verbrechen begangen hätte, dessen Erinnerung sein Gewissen quälte und sein Leben elend machte, weshalb er seine Sünden der Heiligen beichten und von ihr sich eine Buße zur Sühnung seiner von Herzen bereuten Missetat auferlegen lassen wollte, wo er sodann die Vergebung des Himmels durch eine aufrichtige Lebensbesserung zu erhalten hoffte. Das Verbrechen dieses Elenden war nichts weniger als ein Mord, dessen Umstände nicht an ihrer eigentlichen Stelle erzählt worden sind. Des Kadis Frau hatte nämlich unmittelbar nach ihrer Vertreibung aus Bagdad und ehe sie dem jungen Manne begegnete, der sie nachmals als Sklavin verkaufte, in der Hütte eines Kameltreibers eine Zuflucht gesucht, und die Frau desselben, die ihr sehr verpflichtet war, hatte sie mit wahrer Gastfreundschaft und Güte ausgenommen, sie in ihrem Unglücke getröstet, ihrer Wunden gepflegt und sie genötigt, so lange zu verweilen, bis sie sich von den Folgen ihrer ungerechten und schmachvollen Bestrafung gänzlich erholt hätte, mit welcher Bitte auch der Mann die seinige vereinigte. Bei diesem ehrlichen Paare, welches einen kleinen Sohn hatte, blieb sie nun einige Zeit und erlangte ihre Gesundheit und Schönheit wieder, als der gottlose oben erwähnte Kameltreiber ihren Wirt besuchte und, von ihrer Schönheit bezaubert, ihr ungebührliche Anträge machte, welche sie mild, aber entschieden zurückwies und ihm sagte, daß sie verheiratet wäre. Von Leidenschaft verblendet, beharrte der Elende auf seinen Zumutungen, aber vergebens, bis sich endlich, durch Widerstand gereizt, seine Liebe in Wut verwandelte und er seine unbefriedigte Lust durch ihren Tod zu rächen beschloß. Er bewaffnete sich demnach mit einem Dolche und stahl sich um Mitternacht, als alles im Schlafe lag, in die Kammer, in welcher sie und, dicht neben ihr, das kleine Kind ihres großmütigen Wirtes lag. Da der Mörder in der Finsternis aufs Geratewohl zustieß und nicht wußte, daß der Knabe neben der Frau lag, so traf der Dolch die Brust des Kindes, welches laut aufschrie, worauf der Bösewicht, der entdeckt zu werden fürchtete, aus dem Hause entfloh. Die Frau des Kadis erwachte voll Schrecken und weckte durch ihr Geschrei ihre unglücklichen Wirtsleute, welche, nachdem sie Licht gemacht, zu ihrer Hilfe herbeieilten, aber nun mit Schaudern ihr sterbendes Kind und, in seinem Blute gebadet, ihre ohnmächtig gewordene Gästin sahen. Die unglückliche Frau kam bald wieder zu sich; aber ihr kleiner Liebling war und blieb tot. Einige Tage nach diesem tragischen Vorfalle begann sie ihre Pilgerschaft und kam in die Stadt, in welcher sie, wie schon erzählt ist, den jungen Mann von seinen grausamen Gläubigern befreite und bald nachher von ihm als Sklavin verkauft wurde. Doch wir wollen zu dem Kadi und seinen gottlosen Begleitern zurückkehren.

Sie waren noch nicht weit miteinander gereist, als sie einen jungen Mann trafen, der sie grüßte und befragte, wohin sie gingen. Als sie ihm das gesagt hatten, bat er sie, ihm zu vergönnen, daß er mit ihnen reiste, da auch er zu der Heiligen wollte, durch deren Fürbitte bei Gott er Vergebung für eine höchst undankbare Tat hoffte, welche er, seit er sie begangen, zu bereuen nicht aufhörte. Die vier Pilger setzten ihre Reise fort und trafen nach einigen Tagen einen Schiffspatron, der ihnen erzählte, er hätte vor einiger Zeit Schiffbruch und seitdem nichts als Mißgeschick erlitten, und er wollte nun zu der weltberühmten Frau gehen, deren Almosen und Gebete in allen Ländern gepriesen würden. Die Gefährten forderten ihn nun auf, sich mit ihnen zu vereinigen, und so zogen sie denn gemeinschaftlich weiter, bis sie am Hofe des guten Sultans, der die Frau des Kadis in seinen Schutz genommen hatte, glücklich anlangten.

Die fünf Pilgrime begaben sich sogleich in die Wohnung der heiligen, deren Höfe mit Bittenden aus allen Gegenden angefüllt waren, so daß sie Mühe hatten, Zutritt zu erhalten. Da einige von der Dienerschaft ihnen ansahen, daß sie Neuangekommene und sehr ermüdete Fremdlinge wären, so luden sie sie freundlich in ein Zimmer ein, um sich dort so lange auszuruhen, bis sie ihrer Gebieterin ihre Ankunft gemeldet hätten. Als dies geschehen war, brachten sie ihnen die Nachricht, daß sie vorgelassen und ihre Ansuchen mit Muße gehört werden sollten, sobald die Menge sich zerstreut hätte. Es wurden ihnen Erfrischungen vorgesetzt, und nachdem sie ihre Abwaschungen verrichtet hatten, setzten sie sich zum Essen nieder, die Gastfreundlichkeit ihrer frommen Wirtin preisend, welche, von ihnen ungesehen, ihre Personen und Gesichtszüge durch ein Gitter beobachtete. Ihr Herz schlug mit freudigem Entzücken, als sie ihren längst verlorenen Gatten wiedersah, dessen Abwesenheit sie zu beweinen nicht aufgehört hatte; und wie groß war ihre Verwunderung, ihn in Gesellschaft seines verräterischen Bruders (den sie trotz den mit ihm vorgegangenen Veränderungen erkannte), des Kameltreibers, der sie hatte ermorden wollen, des jungen Mannes, der sie so undankbar verraten, und des Schiffspatrons, der sie als Sklavin gekauft hatte, zu finden. Nur mit Mühe unterdrückte sie ihre Gefühle; da sie sich aber nicht zu erkennen geben wollte, bevor sie nicht ihre Abenteuer gehört hätte, so zog sie sich in ihr Zimmer zurück, ließ dort herzerleichternden Tränen freien Lauf, warf sich zur Erde und dankte dem Beschützer der Gerechten, der ihre Geduld, womit sie so viele Leiden ertragen, durch aufeinanderfolgende Segnungen belohnt hatte und sie nun endlich dem Geliebten ihres Herzens wiedergab. Nach Beendigung ihrer Andacht schickte sie zu dem Sultan und ließ ihn bitten, ihr einen vertrauten Beamten zu senden, der die Erzählungen von fünf neu angelangten Fremdlingen mit anhören möchte. Als dieser gekommen war, versteckte sie ihn an einen Ort, wo er ungesehen zuhören konnte, setzte sich sodann verschleiert auf ihr Sofa, ließ die fünf Pilger rufen und redete sie mit folgenden Worten an: »Seid mir in meinem Hause willkommen, ihr Brüder! Mein Rat und meine Gebete haben zuweilen mit des Himmels Beistand den reuigen Sünder getröstet; aber die, welche meiner Hilfe begehren, müssen mir vertrauen. Ich kann nicht mit Erfolg für sie beten, wenn ich ihre Vergehen nicht genau kenne, und so müßt ihr mir eure Geschichte, ohne irgend etwas zu verhehlen, zu verschleiern, zweideutig darzustellen, der strengsten Wahrheit gemäß erzählen und bedenken, daß die Gebete, die man für einen Lügner zum Himmel sendet, nur zu seinem eigenen Verderben gereichen.« Hierauf befahl sie, da sie jeden einzeln hören wollte, dem Kadi, zu bleiben, und den übrigen, sich zu entfernen. Der gute Kadi, der keine Sünden zu beichten hatte, erzählte seine Pilgerschaft nach Mekka, die vorausgesetzte Untreue seiner Gattin, und wie er dadurch zu dem Entschlusse bewogen worden, seine Tage mit dem Besuche heiliger Orte und Personen zuzubringen, was ihn denn auch zu ihr, einer so berühmten Heiligen, getrieben hätte, um ihrer erbaulichen Unterhaltung zu genießen und sie um die Gunst ihrer Fürbitte für seine unglückliche Frau anzuflehen. Als er zu Ende war, schickte ihn die heilige in ein anderes Gemach und ließ dann seine Gefährten einen nach dem andern kommen und erzählen. Sie wagten es nicht, irgend etwas zu verhehlen, und erzählten ihre gegen sie verübten Grausamkeiten, nicht ahnend, daß sie ihre Schuld dem Schlachtopfer ihrer Leidenschaften bekannten. Hierauf befahl die Frau des Kadis dem Beamten, alle fünfe vor den Sultan zu führen und ihm ihre Bekenntnisse mitzuteilen. Der Sultan verdammte die vier Verbrecher zum Tode, und der Scharfrichter bereitete sich schon zu ihrer Hinrichtung, als die herbeikommende heilige Frau um Vergebung für sie bat und sich ihrem Gatten zu seiner unaussprechlichen Freude zu erkennen gab. Der Sultan erfüllte diese Bitte und entließ die Verbrecher, bat jedoch den Kadi, an seinem Hofe zu bleiben, an welchem er das hohe Amt eines Oberrichters sein übriges Leben hindurch zu seiner Ehre und zur Zufriedenheit aller derjenigen verwaltete, denen er Recht sprach. Er und seine treue Gattin lebten als Muster der Tugend und ehelicher Zärtlichkeit. Der Sultan setzte seiner Gunst gegen sie keine Grenzen und brachte zuweilen ganze Abende in freundlichem Gespräche mit ihnen zu, dessen Inhalt meistens der Wechsel des menschlichen Lebens und die Güte der Vorsehung war, die durch ihren allmächtigen Willen ein Mißgeschick, welches die Sterblichen für ein rettungsloses ansehen, in ein vollkommenes Glück verwandelt. »Ich selbst,« sagte der Sultan, »bin ein schlagendes Beispiel von der Beschützung des Himmels, wie ihr, meine Freunde, aus meinen Abenteuern erfahren sollt.« Er erzählte sodann folgendes:

 


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