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Vierhundertundachtundachtzigste Nacht.

Abenteuer eines Hofmannes.

In Ägypten lebte einst ein reicher Emir, der in einer schlaflosen Nacht nicht wußte, was für ein Mittel er anwenden sollte, um die traurigen Gedanken, die ihn quälten, zu vertreiben. Endlich fiel ihm ein, nach einem seiner Hofleute zu senden, der ein munterer Gesell war, und er sagte zu ihm, als er gekommen: »Mein Busen ist diese Nacht, ich weiß nicht, warum, ungewöhnlich unruhig, und ich wünsche, daß du mir irgend eine unterhaltende Geschichte erzählest.« Der Hofmann sagte: »Dein Wille ist mir Gesetz! Ich will dir ein Abenteuer erzählen, das ich in meiner Jugend erlebt habe.

Als ich noch ein ganz junger Mensch war, verliebte ich mich sehr in ein arabisches, mit jedem Reiz und jeder Anmut geschmücktes Mädchen, das bei seinen zu einem Stamme der Wüste gehörigen Verwandten lebte. Eines Tages fühlte ich mein Gemüt in Beziehung auf sie sehr beängstigt und beschloß, in einem Besuche Beruhigung zu suchen; als ich aber an den Ort ihres früheren Aufenthaltes kam, fand ich weder meine Geliebte, noch sonst jemand von ihrer Verwandtschaft. Ich fragte einige Reisende, die mich benachrichtigten, daß der Stamm sein Lager aus Mangel an Futter für das Vieh abgebrochen hätte, um es anderswo wieder aufzuschlagen.

Ich verweilte einige Zeit auf der Stätte; da ich aber keine Zeichen ihrer Rückkehr gewahrte, wurde meine ungeduldige Sehnsucht unerträglich und trieb mich an, meine Geliebte aufzusuchen. Obgleich der Abend schon seine Schatten warf, so sattelte ich doch mein Kamel, gürtete meinen Säbel um und ritt vorwärts. Die Nacht ward immer dunkler, mein Kamel strauchelte häufig, und das Geheul und Gebrüll der wilden Tiere ertönte von allen Seiten. Mein Herz schlug voll Furcht, und meine Zunge hörte nicht auf, zu dem Allmächtigen, unserem einzigen Beschützer in der Zeit der Not, zu beten. Endlich fesselte der Schlaf meine überspannten Sinne, und mein Tier kam von dem Wege ab, den ich verfolgen wollte. Plötzlich wurde mein Kopf heftig von einem Baumzweige getroffen; ich erwachte und fühlte bedeutende Schmerzen. Als ich mich erholt hatte, sah ich Bäume, mit Blumen gezierten Rasen und einen klaren Bach. Auch hörte ich eine Menge von Vögeln, deren Töne auf das süßeste erklangen. Ich stieg von meinem Kamel ab und legte den Zaum auf meinen Arm, da das Gestrüpp des Dickichts fest verwachsen war.

Ich führte mein Kamel, bis ich aus dem Dickicht heraus war, wo ich es dann wieder bestieg, ohne jedoch zu wissen, wohin ich mich wenden und wohin die Vorsehung mich leiten würde. So erreichte ich die Wüste und warf meine Blicke über den weiten Raum, in dessen Mitte ich einen Rauch aufsteigen sah. Ich peitschte mein Kamel und gelangte endlich zu einem Feuer, in dessen Nähe ich ein reich verziertes Zelt erblickte, vor welchem eine Standarte stand, und welches von Speeren, an Pfähle gebundenen Pferden und grasenden Kamelen umgeben war. Ich sagte zu mir selbst: »Was bedeutet dieses so ansehnliche Zelt in einsamer Ebene?« Ich nahte mich dem Eingange desselben und rief aus: »Heil euch, ihr Bewohner dieses Zeltes, der Allmächtige sei euch gnädig!«

Es kam hierauf ein Jüngling heraus, der ungefähr neunzehn Jahr alt zu sein schien: er war anmutig wie der aufgehende Mond, und Tapferkeit und Wohlwollen glänzten auf seinem Antlitze. Er erwiderte meinen Gruß und sagte: »Bruder Araber, vermutlich hast du deinen Weg verloren.« Ich versetzte: »Ja, zeig' ihn mir, und Gott möge dich dafür belohnen!«, worauf er erwiderte: »Meine Wohnung, Bruder Araber, ist jetzt in dieser wilden Wüste; aber die Nacht ist furchtbar, und solltest du weiterreiten, so bist du nicht sicher davor, daß dich die wilden Tiere in Stücke reißen. Bleib also bei mir in Sicherheit, ruhe dich aus, und sobald es tagt, werde ich dich auf deinen Weg geleiten.« Ich stieg ab, er nahm mein Kamel, band es fest und gab ihm Futter und Wasser. Hierauf entfernte er sich auf eine Weile, kehrte aber bald mit einem Schafe zurück, welches er schlachtete, ihm die Haut abzog, es zerschnitt, ein Feuer anzündete und daran einen Teil des Schafes briet, das er mit allerlei trockenen Kräutern und mit Spezereien würzte und mir dann vorsetzte.

Ich bemerkte, daß mein gütiger Wirt während seiner gastfreundlichen Beschäftigungen zuweilen an seine Brust schlug und weinte, woraus ich schloß, daß er verliebt und gleich mir auf der Wanderung wäre. Meine Neugier regte sich; aber ich sagte zu mir selber: »Ich bin sein Gast! Wie dürfte ich ihn mit peinlichen Fragen belästigen?«, und ich hielt an mich. Als ich mich sattgegessen hatte, stand der Jüngling auf, ging in sein Zelt, brachte seine Gießkanne und ein Becken nebst einem mit Seide gestickten und mit Gold besetzten Handtuche, auch ein Fläschchen mit Rosenwasser, das mit Moschus versetzt war. Ich staunte über sein Benehmen und seine Artigkeit und rief innerlich aus: »Wie wunderbar ist der Aufenthalt eines so trefflichen Jünglings in dieser wilden Wüste!« Wir verrichteten unsere Abwaschungen und sprachen eine Weile über verschiedene Gegenstände, worauf mein freundlicher Wirt in sein Zelt ging, aus welchem er ein Stück rotseidenen Damast holte, den er zwischen uns teilte, indem er zu mir sagte: »Bruder Araber, geh in mein Zelt und suche dir einen Ruheplatz; denn deine Beschwerde und Ermüdung muß gestern und heute groß gewesen sein.«

Ich ging in das Zelt und fand in einer Abteilung desselben eine Matratze von grünem Damast, worauf ich mich, nachdem ich meine Oberkleider ausgezogen hatte, niederlegte und so gesund schlief, daß ich weder seitdem noch vorher je einer so erquickenden Ruhe genoß. Endlich erwachte ich, als die Nacht schon weit vorgerückt war, und begann, über meinen gastfreien Wirt nachzudenken, ohne jedoch über ihn ins klare zu kommen, als ein sanftes Geflüster, wie ich es nie süßer und zärtlicher vernommen hatte, meine Ohren traf. Ich hob den Vorhang meiner Abteilung in die Höhe und erblickte ein Frauenbild, schöner, als ich jemals eines gesehen, neben dem Eigentümer des Zeltes sitzend. Beide weinten und klagten über die Qualen der Liebe und der Trennung und über die Hindernisse, die ihre öfteren Zusammenkünfte unmöglich machten. Ich sagte zu mir selbst: »Es liegt in diesem liebenswürdigen Jüngling eine wunderbare Würde; doch lebt er hier allein, und ich habe kein anderes Zelt auf der Erde gesehen. Was kann ich anderes vermuten, als daß diese Schöne die Tochter eines guten Geistes ist, die sich in ihn verliebt und wegen welcher er sich in diese Einsamkeit zurückgezogen hat!« Achtung vor ihrer Liebe veranlaßte mich, den Vorhang fallen zu lassen, ich zog die Decke über mich her und schlief wieder ein.

Als der Morgen dämmerte, erwachte ich, kleidete mich an und sagte zu dem Jünglinge, der schon aufgestanden war: »Bruder Araber, wenn du zu deinen vielen mir erwiesenen Gefälligkeiten noch die fügen willst, mich auf meinen Weg zu leiten, so wird meine Verpflichtung gegen dich vollkommen sein.« Er sagte freundlich zu mir: »Wenn es dir irgend genehm ist, so vergönne mir, dich drei Tage lang als meinen Gast bei mir zu behalten.« Ich konnte seine gastfreundliche Bitte nicht abschlagen und blieb bei ihm. Am dritten Tage wagte ich es, ihn nach seinem und seiner Familie Namen zu fragen, worauf er mir sagte, daß er zu dem edlen Stamm Afra gehörte, und ich nun erfuhr, daß er der Sohn meines Vaterbruders war. »Sohn meines Oheims,« rief ich aus, »was kann dich dahin gebracht haben, die Einsamkeit dieser Wüste zu suchen und dich von deinen Verwandten, Nachbarn und Untergebenen zu trennen?«

Als er diese Frage gehört hatte, überströmten Tränen seine Augen, er seufzte und sagte: »Ach, lieber Vetter, ich liebte die Tochter meines Oheims leidenschaftlich und begehrte sie von ihm zur Gattin; aber er versagte sie mir und vermählte sie einem anderen aus unserem Stamme, der reicher ist als ich und sie mit sich nahm. Als sie nun so von mir gerissen war, ergriff Verzweiflung meine Seele, ich verließ Verwandte, Freunde und Gefährten, verliebte mich in die Einsamkeit und zog mich hierher zurück.«

Als er mir dies gesagt hatte, fragte ich ihn, wo der Wohnplatz seiner Geliebten und seines glücklichen Nebenbuhlers wäre. Er erwiderte: »Nahe am Gipfel jenes Berges, von welchem sie, sooft die Gelegenheit es ihr vergönnt, in der Stille der Nacht, wenn alles schläft, sich zu meinem Zelte herabwagt, wo wir gegenseitig unserer Gesellschaft genießen: aber glaube mir, Bruder, unsere Leidenschaft ist unschuldig und fromm. Deshalb lebe und wohne ich hier, wie du es siehst, und während sie mich besucht, schwinden die Stunden wonnevoll dahin, bis Allah seine Vorherbestimmung erfüllen und entweder unsere Beständigkeit in dieser Welt belohnen oder uns zusammen in das Grab bringen wird.«

Als der unglückliche Jüngling seine Erzählung beendet hatte, die mich zum innigsten Mitgefühle bewegte, fühlte ich mich zugleich lebhaft angetrieben, die Liebenden von ihren Gegnern zu befreien, und nach reiflicher Überlegung sagte ich zu ihm: »Wenn du ihn genehmigst, glaube ich einen Plan angeben zu können, dessen Ausführung mit Allahs Hilfe deine und deiner Geliebten Leiden enden wird.« Er versetzte: »Sohn meines Oheims, teile mir diesen Plan mit!«, und ich fuhr fort: »Sobald es Nacht und deine Geliebte hier ist, so wollen wir sie auf mein Kamel setzen, denn es hat einen sicheren und schnellen Gang; besteig du dann dein Roß, und ich will dich auf einem deiner Kamele begleiten. Wir wollen die ganze Nacht hindurch reisen, und ehe der Morgen durch den Wald dringt, wirst du sicher und dein Herz wird mit deiner Geliebten glücklich sein. Das Land Gottes ist weit genug, um uns einen Zufluchtsort zu gewähren, und ich schwöre dir beim Himmel, dein Freund zu sein, solange ich lebe.« Der Jüngling erwiderte: »Sohn meines Oheims, ich will mich über deinen Plan mit meiner Geliebten beraten, denn sie ist klug und wohlunterrichtet.«

Als die Nacht hereingebrochen und die Stunde gekommen war, zu welcher die junge Frau zu kommen pflegte, erwartete mein gütiger Wirt mit Ungeduld ihre Ankunft, aber vergebens, denn sie kam nicht. Er stand auf, stellte sich in die Öffnung seines Zeltes, spähte umher, atmete die Luft ein, kehrte dann in das Zelt zurück, versank in Nachdenken, brach in Tränen aus und rief: »Ach mein Vetter! Die Tochter meines Oheims kommt nicht, es muß ihr ein Unfall begegnet sein. Weile hier, während ich sie aufsuche.« Hierauf nahm er seinen Säbel und seine Lanze und eilte von dannen.

Nach ungefähr einer Stunde hörte ich seinen Fußtritt und sah ihn kommen, etwas Schweres in seinen Armen tragend, während er mir in einem höchst kläglichen Ton entgegenschrie. Ich eilte auf ihn zu, und als ich ihm nahte, rief er aus: »Ach, ach! die geliebte Tochter meines Oheims ist nicht mehr, und ich trage hier ihre Reste. Sie eilte wie gewöhnlich meinem Zelte zu, als ihr plötzlich ein Löwe in den Weg sprang und sie in Stücke zerriß. Diese blutigen Glieder sind alles, was von ihr übrig ist.« Er legte sie nieder, weinte bitterlich, sagte zu mir: »Weile, bis ich wiederkehre!« und entfernte sich pfeilschnell. In etwa einer Stunde kehrte er zurück, in seiner Hand das Haupt des Löwen, das er zur Erde warf, und verlangte Wasser, welches ich ihm holte. Er wusch hierauf seine Hände, reinigte den Rachen des Löwen, den er entzückt küßte, und weinte einige Augenblicke lang bitterlich. Dann rief er aus: »O Sohn meines Oheims, ich beschwöre dich bei Allah und bei den Banden unserer Verwandtschaft, erfülle meinen letzten Willen; denn ich will noch in dieser Stunde meiner Geliebten folgen: sei du unser Leidtragender und begrab ihre Gebeine in demselben Grabe mit den meinigen.« Als er dies gesagt hatte, ging er in die Abteilung des Zeltes, in welcher er schlief, verweilte dort eine Stunde, um seine Andacht zu verrichten, kam dann heraus, schlug an seine Brust, seufzte tief, sagte endlich, seinen letzten Seufzer aushauchend: »Ich komme, ich komme, meine Geliebte, ich komme!«, und seine reine Seele nahm ihren Flug zu den Wohnungen des Paradieses.

Ich vermag den Schmerz, den ich empfand, nicht auszudrücken, und war fast unfähig, mein Versprechen zu erfüllen; endlich stand ich aber auf, ermannte mich und legte die Reste dieser treuen Liebenden in dasselbe Grab, bei welchem ich drei Tage lang betete und wehklagte, worauf ich heimkehrte: aber ich unterließ nicht, alljährlich ihr Grab zu besuchen, es mit meinen Tränen zu benetzen und zu Allah um Barmherzigkeit für ihre Seelen und meine eignen Irrtümer zu flehen.«

 


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