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Geschichte des zweiten Narren.

»Herr,« sagte der junge Mann, »ich war ein Kaufmann und, als ich es zu treiben begann, der jüngste meines Gewerbes; denn ich war erst sechzehn Jahre alt. Als ich eines Tages in meinem Laden beschäftigt war, trat ein Mädchen herein und übergab mir ein Päckchen, in welchem ich, als ich es öffnete, mehrere an mich gerichtete, mich lobpreisende Verse und einen Brief voll feuriger Zärtlichkeit fand. Da ich das Ganze als eine Verspottung betrachtete, so ergriff ich die Trägerin und schlug sie heftig. Als sie fort war, machte ich mir jedoch Vorwürfe über mein unschickliches Benehmen und fürchtete, sie möchte sich bei ihren Verwandten beklagen und diese sich an mir durch einen plötzlichen Überfall rächen. So sehr ich aber auch das Vorgefallene bereute, so konnte jedoch meine Reue meine Verschuldung nicht wieder gutmachen.

Zehn Tage waren vorüber, als ich wie gewöhnlich in meinem Laden saß und eine prächtig gekleidete und von Wohlgerüchen duftende Dame eintrat. Sie glich an Glanz dem Vollmonde, so daß mich, als ich sie anschaute, meine Sinne verließen und ich für nichts Augen hatte als für sie. Sie wandte sich zu mir und sagte: »Junger Mann, habt Ihr in Eurem Laden irgend weiblichen Putz?«, worauf ich erwiderte: »Von allen Gattungen, schöne Frau, die Ihr nur verlangen könnt.« Sie verlangte nun Bänder, um die Knöchel zu binden; ich zeigte ihr dergleichen, und sie bat mich, sie ihr anzuprobieren, was ich denn auch tat. Sie verlangte nun ein Halsband, lüftete ihren Schleier, und ich mußte es ihr umbinden. Sie suchte sich dann ein Paar Armbänder aus, die ich ihr gleichfalls anlegen mußte, worauf sie sich nun nach dem Betrage des Ganzen erkundigte. Ich aber rief aus: »Schöne Frau, nimm es als ein Geschenk an und sage mir, wessen Tochter du bist.« Sie antwortete mir: »Ich bin die Tochter des Oberrichters«, worauf ich erwiderte, daß es mein Wunsch wäre, sie von ihrem Vater zur Gattin zu verlangen. Sie gab dazu ihre Einwilligung, bemerkte aber: »Wenn du mich von meinem Vater verlangen wirst, so wird er sagen, er habe nur eine Tochter, und die sei ein sehr mißgestalteter Krüppel. Antworte du aber nur, du seiest dennoch bereit, sie zur Frau zu nehmen; und wenn er sich weigert, so besteh du auf der Heirat.« Ich fragte sie, wann ich meinen Antrag machen sollte. Sie erwiderte: »Die schicklichste Zeit, meinen Vater zu besuchen, ist bei dem Feste, welches in drei Tagen gefeiert wird, und wo du alle seine Freunde und Verwandte bei ihm wirst versammelt finden. Unsere Hochzeit wird dann das Fest noch verschönern.«

Dem Wunsche der Schönen gemäß begab ich mich am dritten Tage in das Haus des Oberrichters und fand ihn im großen Staate sitzend und die festlichen Glückwünsche der vornehmsten Einwohner aus der Stadt empfangend. Wir begrüßten ihn ehrfurchtsvoll, er erwiderte freundlich unsern Gruß und ließ sich vertraulich in ein Gespräch mit uns ein. Er ließ einen Imbiß auftragen, den wir mit ihm verzehrten, und sodann tranken wir Kaffee. Ich stand nun auf und sagte: »Herr, ich hege den innigen Wunsch, die keusche Jungfrau, Eure Tochter, die mehr Wert hat als das kostbarste Juwel, zu heiraten.«

Als der Oberrichter meinen Antrag vernommen, senkte er eine Weile nachsinnend das Haupt, worauf er sagte: »Sohn, meine Tochter ist ein unglücklicher, höchst mißgestalteter Krüppel.« Ich erwiderte: »Sie zur Frau zu haben, ist alles, was ich wünsche.« Der Richter sagte hierauf: »Wenn du solch' eine Frau haben willst, so kannst du sie nur unter der Bedingung bekommen, daß sie mein Haus nicht verlasse, du hier die Heirat vollziehest und bei mir wohnen bleibest.« Ich erwiderte: »Dein Wille ist mir Gesetz!«, indem ich noch immer glaubte, es wäre von dem schönen Mädchen die Rede, die meinen Laden besucht und deren Reiz mich so entzückt hatte.

Kurz, die Hochzeit wurde gefeiert, und ich sagte zu mir selbst: »Himmel! Ist es möglich, daß ich der Gatte dieses schönen Mädchens geworden bin und alle ihre Reize genießen soll!«

Als es Nacht geworden, führten mich die Diener des Oberrichters zu meiner Braut. Eilig rannte ich, um ihre Schönheit anzustaunen, aber denke dir meinen Schrecken, als ich eine elende Zwergin sah, so mißgestaltet, wie ihr Vater sie beschrieben hatte. Ich war außer mir über ihren Anblick und solch eine Täuschung und schämte mich meiner törichten Leichtgläubigkeit; aber ich durfte mich nicht beklagen, da ich sie freiwillig von dem Oberrichter zur Frau angenommen hatte. Ich saß still in dem einen Winkel des Zimmers und sie in dem andern; denn ich konnte mich nicht überwinden, mich ihr zu nahen, da sie gar zu widrig aussah und meine Seele ihre Gesellschaft nicht zu ertragen vermochte.

Bei Tagesanbruch verließ ich das Haus meines Schwiegervaters, verfügte mich in meinen Laden, den ich öffnete, und setzte mich mit sehr bekümmertem Gemüt und mit wie von einem Rausche betäubten Haupte nieder, als plötzlich die Dame erschien, die mir einen so abscheulichen Streich gespielt hatte. Sie trat ein und grüßte mich mit dem gewöhnlichen Gruße. Ich war wütend, schalt und fragte sie, warum sie mich so schändlich hintergangen hätte, worauf sie erwiderte: »Elender, gedenke des Tages, an welchem ich dir ein Päckchen brachte, und wo du mich zum Danke dafür ergriffst, schlugst, schaltest und mit Verachtung fortjagtest. Zur Wiedervergeltung einer solchen Behandlung habe ich mich dadurch gerächt, daß ich dir eine so liebliche Braut verschaffte.« Ich fiel ihr nun zu Füßen, flehte um ihre Vergebung und gab ihr meine Reue zu erkennen, worauf sie mich anlächelte und sagte: »Beruhige dich, ich will dich aus der Klemme befreien, in die ich dich gebracht habe. Geh zu dem Aga der Lederbereiter, gib ihm eine Summe Geldes und verlange von ihm, daß er dich Sohn nenne; sodann begib dich mit ihm, seinen Dienern und Musikanten in das Haus des Oberrichters. wenn er nach der Veranlassung dieses Besuches fragt, so laß den Aga sagen: »Herr, wir kommen, um deinem Schwiegersohne, der mein liebes Kind ist, wegen der Verheiratung mit deiner Tochter Glück zu wünschen und uns mit ihm zu ergötzen.« Der Richter wird in Wut geraten und sagen: »Hund, ist es möglich, daß du, der du nur ein Lederbereiter bist, es wagen kannst, die Tochter des Oberrichters zu heiraten?« Antworte du hierauf: »Herr, es war mein Ehrgeiz, durch Eure Verwandtschaft geadelt zu werden, und da ich die Tochter Eurer Herrlichkeit geheiratet habe, wird die gemeine Benennung eines Lederbereiters bald vergessen und in dem Titel Eures Schwiegersohnes erloschen sein; ich werde unter Eurem Schutze befördert, von dem Geruche der Gerberlohe gereinigt, und meine Kinder werden süß duften.«

Ich tat, wie die Schöne mir befahl, und nachdem ich das Oberhaupt der Lederbereiter bestochen hatte, begleitete er mich mit seiner Zunft und einer großen Anzahl Musikanten und Sänger zu dem Hause meines Schwiegervaters, vor welchem sie mit großem Lärm zu singen und zu tanzen begannen, indem ein jeder dann und wann ausrief: »Lange lebe unser edler Verwandter! Lange lebe der Schwiegersohn des Oberrichters!«

Dieser fragte nach der Ursache dieses jubelnden Überfalls, worauf ich ihm erwiderte, es wären meine Verwandten, die mir zu der Verbindung mit seinem glorreichen Hause Glück wünschen und ihm für die Ehre danken wollten, welche er in meiner Person der ganzen Zunft der Lederbereiter erwiesen hätte.

Als der Oberrichter dies hörte, geriet er in heftige Wut und schalt mich; da er jedoch bedachte, daß ohne meine Einwilligung die vermeintliche seinem Hause widerfahrene Schmach nicht getilgt werden könnte, so beruhigte er sich und bot mir Geld, damit ich mich von seiner Tochter scheiden ließe. Ich stellte mich anfangs, als wollte ich nicht, und gab erst nach einer Weile seinen ernstlichen Bitten nach, nahm vierzig Beutel mit Gold, die er mir gab, damit ich mein mißgestaltetes Weib verstoßen möchte, und kehrte mit erleichtertem Herzen heim.

Am folgenden Tage kam die Schöne wieder in meinen Laden. Ich dankte ihr, daß sie mich von meiner lächerlichen Heirat wieder frei gemacht hätte, und bat sie, mich zum Manne zu nehmen. Sie gab ihre Einwilligung dazu, meinte aber doch, sie wäre von zu niedriger Geburt für mich, da ihr Vater nur ein Koch wäre, obschon ein vortrefflicher und sehr reich. Ich erwiderte, daß, wenn er auch ein Lederbereiter wäre, ihre Reize doch einen Thron zieren würden. Kurz, Herr, wir heirateten uns und lebten glücklich bis auf den heutigen Tag. Das ist meine Geschichte, aber sie ist minder erstaunlich als die des Weisen und seines Schülers, deren Abenteuer, die ich dir nun erzählen will, zu den Wundern unserer Zeit gehören.

 


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