Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierhundertundneunundsiebenzigste Nacht.

Geschichte des Opiumessers und seiner Frau.

»Es lebte in der Nähe von Bagdad ein Mensch von wenigem Verstand, den er noch durch häufigen und unmäßigen Gebrauch des Opiums schwächte. Verarmt, mußte er das wenige ihm übrig gebliebene Besitztum verkaufen. Eines Tages ging er auf den Markt, um eine Kuh loszuschlagen; da sie aber sehr schlecht genährt war, so fand sich kein Käufer dazu. Auf dem Heimwege setzte er sich unter einen Baum, band die Kuh an einen Zweig, aß ein Stück Brot und trank sodann einen Aufguß von Opium, den er immer bei sich führte. In kurzem begann das Opium zu wirken, so daß es ihn des wenigen Verstandes, den er besaß, vollends beraubte und sein Kopf mit den lächerlichsten Träumereien angefüllt wurde. Während er so dasaß, fing eine Elster, die dort ihr Nest hatte, zu plaudern an; er bildete sich ein, es wäre eine menschliche Stimme, und sagte: »Meine gute Mutter des Soliman, wollt Ihr meine Kuh kaufen?« Der Vogel plapperte aufs neue. »Wohlan,« sagte er, »was wollt Ihr geben? Wir wollen den Handel abmachen.« Der Vogel wiederholte sein Geplapper. »Wenn Ihr auch,« sagte der Narr, »Euren Geldbeutel vergessen habt, so will ich Euch doch, da ich Euch für ein ehrliches Weib halte, die Kuh überlassen und Freitag kommen und mir das Geld holen.« Der Vogel plauderte wieder, was jener für Danksagungen wegen seines Zutrauens hielt. Er ließ demnach die Kuh an den Ast gebunden stehen und kehrte voll Freuden über den guten Handel, den er gemacht hatte, nach Hause zurück.

Als nun seine Frau ihn fragte, was er für die Kuh bekommen, erwiderte er, er hätte sie an eine ehrliche Frau namens Am Soliman verkauft, die ihm versprochen, am nächsten Freitage zehn Goldstücke dafür zu bezahlen. Die Frau war zufrieden damit, und am Freitage begab sich ihr Mann, der wie gewöhnlich eine Dosis Opium genommen hatte, zu dem Baume und sagte, als er den Vogel wie früher plappern hörte: »Wohlan, meine gute Mutter, habt Ihr das Geld mitgebracht?« Der Vogel krächzte. Da er sich nun einbildete, die Frau, von der er träumte, wollte ihn nicht bezahlen, so ward er böse und warf seinen Spaten nach dem Vogel, der nun erschrocken aus seinem Neste flog und sich in einiger Entfernung auf einen Misthaufen setzte. Er bildete sich nun ein, daß Am Soliman von ihm verlangte, er sollte das Geld aus dem Haufen nehmen, grub darin mit seinem Spaten und fand eine kupferne Vase, die mit Goldmünzen angefüllt war. Diese Entdeckung überzeugte ihn von der Wahrheit dessen, was er sich einbildete, und da er trotz seiner Verstandesschwäche doch sehr ehrlich war, so nahm er nur zehn Goldstücke, bedeckte die Vase wieder mit dem Miste und sagte: »Möge Allah dich für deine Pünktlichkeit belohnen, gute Mutter!«, dann kehrte er heim zu seiner Frau, der er das Geld gab, indem er ihr zugleich von dem großen Schatze erzählte, den seine Freundin Am Soliman besäße, und wo er verborgen läge. Die Frau wartete bis zum Abend und holte sich dann die Vase mit dem Golde, worauf ihr Mann sagte: »Es ist unredlich, jemand, der uns so pünktlich bezahlt hat, zu berauben; und wenn du es nicht wieder an seinen Ort trägst, so werde ich's der Polizei anzeigen.«

Die Frau lachte über seine Torheit; da sie jedoch fürchtete, er möchte seine Drohung ausführen, so ersann sie eine List, um das abzuwenden. Sie ging auf den Markt, kaufte einige gekochte Fleischspeisen und zubereitete Fische, trug das Essen heim und verbarg es. Als der Mann am Abend sein Opium zu sich genommen, legte er sich nieder, um seinen Rausch zu verschlafen; aber um Mitternacht streute sie die geholten Speisen vor die Türe und rief, ihren Gatten weckend, mit scheinbarem Erstaunen: »Lieber Mann, es hat sich etwas höchst Wundervolles begeben: während du schliefst, erhob sich ein mächtiger Sturm, und es hat gekochtes Fleisch und gekochte Fische geregnet, die vor der Türe liegen.« Der Mann, der von dem Opium noch in einer Art von Betäubung war, stand auf, ging vor die Tür und war, als er die Speisen liegen sah, von der Wahrhaftigkeit seiner Frau überzeugt. Er las Fleisch und Fisch von der Erde auf und verzehrte es mit vieler Freude, drohte aber doch noch seiner Frau, bei der Polizei zu melden, daß sie den Schatz der alten Frau Am Soliman gestohlen hätte.

Am Morgen erfüllte der törichte Mann wirklich diese Drohung; der Polizeibeamte ließ die Frau vor sich kommen, welche leugnete, bis ihr mit dem Tode gedroht wurde. Sie sagte hierauf: »Herr, die Gewalt ist in Euren Händen; ich aber bin ein unglückliches Weib, und wenn Ihr meinen Mann verhört, werdet Ihr bald merken, daß sein Gehirn zerrüttet ist. Fraget ihn nur, wann ich den Diebstahl begangen habe.« Der Polizeibeamte tat es, worauf der blödsinnige Mann versetzte: »Es war in der Nacht, in welcher es gekochtes Fleisch und gekochte Fische regnete.« – »Elender,« sagte der Beamte, »wie kannst du solch eine unsinnige Lüge vor mir behaupten! Wann hat es je etwas anderes geregnet als Wasser?« – »Bei meinem Leben,« sagte der Opiumesser, »ich rede die Wahrheit; denn ich und meine Frau, wir aßen von dem Fleische und von den Fischen, welche aus den Wolken gefallen waren.« Die Frau leugnete die Behauptung ihres Mannes.

Da der Beamte nun überzeugt war, daß der Mann toll wäre, ließ er die Frau gehen und den Mann ins Tollhaus sperren, wo er einige Tage blieb, bis die Frau, die mit seiner Lage Mitleid hatte, ihn durch folgende List befreite. Sie besuchte ihren Mann und sagte ihm, wenn jemand ihn fragen würde, ob er hätte Fleisch und Fische regnen sehen, sollte er nur sagen: »Nein, wer hat jemals etwas anderes regnen sehen als Wasser!« Sie sagte nun dem Aufseher, er wäre wieder bei Sinnen, und bat ihn, ihm die besagte Frage vorzulegen. Als er vernünftig antwortete, kam er in Freiheit.«

 

Vierhundertundachtzigste Nacht.

Dem Sultan gefiel die Geschichte. Er schickte den Kadi nach Hause und behielt den Fischer bei sich. Dieser war noch nicht lange in seinen Diensten, als er eines Tages bei dem Hause eines angesehenen und reichen Kaufmanns vorbeiging, dessen Tochter eben aus dem Fenster schaute. Der närrische Kauz wurde ganz vernarrt in ihre Schönheit und ging wochenlang Tag für Tag bei dem Hause vorbei in der Hoffnung, sie wieder am Fenster zu sehen, aber vergebens. Endlich wirkte seine Leidenschaft so heftig auf ihn, daß er krank wurde, sich zu Bett legte und zu rasen begann, wobei er ausrief: »Welche reizenden Augen, welche schöne Haut, welche anmutige Gestalt besitzt meine Geliebte!« Eine alte Frau, die ihm aufwartete, fühlte, als sie diese Ausrufungen hörte, Mitleid mit ihm und verlangte von ihm, daß er ihr die Person nennen sollte, die ihn so begeisterte.

»Meine liebe Mutter,« sagte er, »ich danke dir für deine Güte; wenn du mir jedoch nicht helfen kannst, so muß ich sterben.« Er erzählte ihr hierauf, was er gesehen hatte, und beschrieb ihr das Haus des Kaufmanns. Sie sagte: »Mein Sohn, beruhige dich – denn niemand kann so bereitwillig sein, dir in diesem Falle Hilfe zu leisten als ich. Eine kleine Geduld, und ich kehre schnell mit einer Nachricht von deiner Geliebten zurück.« Sie ging nach Hause und kleidete sich, wie sich die Frommen zu kleiden pflegen, in ein grobes wollenes Gewand, nahm in die eine Hand einen Rosenkranz, in die andere einen Wanderstab und ging so vor das Haus des Kaufmanns, woselbst sie in frommem Tone ausrief: »Gott ist Gott, es ist kein andrer Gott als Gott; sein heiliger Name sei gelobt, und Gott sei mit euch!«

Als die Tochter des Kaufmanns diese frommen Ausrufungen hörte, kam sie an die Türe, grüßte die alte Frau mit vieler Ehrfurcht und sagte: »Liebe Mutter, bete für mich!«, woraus jene erwiderte: »Allah schütze dich, mein geliebtes Kind, vor allem Ungemache!« Das Mädchen nahm sie sodann ins Haus, wies ihr einen Ehrenplatz an und setzte sich mit ihrer Mutter zu ihr. Sie sprachen bis Mittag über religiöse Gegenstände, wo sodann die alte Frau Wasser verlangte, ihre Abwaschungen verrichtete und Gebete von ungewöhnlicher Länge hersagte, worauf Mutter und Tochter gegeneinander die Bemerkung machten, die Matrone müßte eine sehr fromme Frau sein. Als die Gebete zu Ende waren, setzten sie ihr einen Imbiß vor, von welchem sie jedoch nichts genoß, weil sie, wie sie sagte, einen Fasttag hätte. Dies vergrößerte ihre Achtung und die Bewunderung ihrer Heiligkeit, so daß sie in sie drangen, doch bis Sonnenuntergang zu bleiben und dann ihr Fasten mit ihnen zu brechen, worein sie willigte. Als nun die Sonne untergegangen war, betete sie aufs neue und erteilte dann manche fromme Ermahnungen. Kurz, Mutter und Tochter waren so zufrieden mit ihr, daß sie sie baten, die ganze Nacht zu bleiben. Am Morgen stand sie zeitig auf, verrichtete ihre Abwaschungen, betete eine Zeitlang und schloß mit einem Segen, den sie in fremder unverständlicher Sprache über ihre Wirtinnen sprach. Als sie aufstand, griffen sie ihr ehrfurchtsvoll unter die Arme und baten sie, noch länger zu bleiben; aber sie verweigerte es, nahm Abschied und ging, versprach jedoch, mit Allahs Beistand wiederzukommen.

An dem dritten Tage begab sich die Alte wieder in das Haus des Kaufmanns und wurde von Mutter und Tochter freudig aufgenommen, die ihr Hände und Füße küßten und sie willkommen hießen. Sie betrug sich wie das vorige Mal und flößte noch mehr Ehrfurcht vor ihrer Heiligkeit ein. Ihre Besuche wurden nun immer häufiger, und sie war der Familie des Kaufmanns stets ein willkommener Gast. Endlich sagte sie eines Abends, als sie eintrat: »Ich habe eine einzige Tochter, deren Hochzeit heute gefeiert wird. Ich wünsche, daß meine liebe junge Freundin der Feier beiwohne und ihr dabei der Segen meiner Gebete zuteil werde.« Die Mutter wollte die Tochter nicht gehen lassen, da sie befürchtete, daß ihr irgend ein Unfall begegnen möchte, worauf die vorgebliche Fromme ausrief: »was kannst du fürchten, solange ich und andere fromme Frauen mit ihr sind?« Da nun die Tochter große Lust bezeigte, der Hochzeitsfeier beizuwohnen, so willigte ihre Mutter endlich ein.

Als die Tochter des Kaufmanns sich nun in ihren schönsten Anzug gekleidet hatte, begleitete sie die Alte, welche sie durch mehrere Straßen in die Wohnung des ehemaligen Fischers und jetzigen Günstlings des Sultans führte, der ihre Ankunft begierig erwartete. Das junge Mädchen war erstaunt, einen hübschen Mann zu sehen, der, wie sie wohl bemerkte, sein Entzücken über ihren Anblick kaum zurückhalten konnte. Ihre erste Bestürzung über die ihr von der scheinheiligen Alten gelegte Schlinge war sehr groß; da sie aber viel Gegenwart des Geistes besaß, so verbarg sie ihre Furcht und überlegte, wie sie wohl entwischen könnte. Sie setzte sich und sagte, nachdem sie sich im Zimmer umgesehen hatte, mit verstelltem Lachen: »Es ist gebräuchlich, daß ein Liebhaber, wenn er seine Geliebte zu sich einladet, ein Festmahl bereit hält; denn was ist Liebe, wenn kein Fest sie feiert? Wenn Ihr daher wollt, daß ich den Abend bei Euch zubringen soll, so gehet und holet einige Erfrischungen herbei, damit unsere Lust vollkommen werde. Ich will indessen hier bei meiner guten Mutter bleiben und auf Eure Rückkehr warten.«

Der Günstling rief voll Freuden über ihr Begehren aus: »Dein Wille ist mir Gesetz«, worauf er nach dem Markte ging, um ein köstliches Mahl zu besorgen. Als er fort war, schloß das Mädchen die Türe hinter ihm zu, bedankte sich bei der Alten, daß sie ihr zu einem so hübschen Liebhaber verholfen hätte, und ging im Zimmer auf und ab, über ihre Entwischung nachsinnend. Endlich bemerkte sie in einem Winkel einen scharfen, bloßen Säbel, streifte sich die Ärmel bis an die Ellbogen auf, ergriff die Waffe und hieb damit so kräftig nach ihrer falschen, auf einem Sofa ruhenden Freundin, daß sie der verworfenen Kupplerin das Haupt spaltete und diese sich in ihrem Blute wälzte, um nie wieder aufzustehen.

Die Tochter des Kaufmanns durchsuchte nun das Zimmer, und da sie einen reichen Anzug fand, den der Günstling zu tragen pflegte, wenn er den Sultan besuchte, rollte sie ihn in ein Bündel zusammen, nahm dieses unter ihren Schleier, schloß die Türe auf und eilte heim. Sie erreichte glücklich und ohne aufgehalten zu werden ihres Vaters Haus. Ihre Mutter hieß sie freudig willkommen, als sie jedoch das Bündel sah, sagte sie: »Liebes Kind, was hast du denn auf der Hochzeit der armen Frommen erhalten?« Das Mädchen, deren Gemüt durch das vorgefallene überreizt war, vermochte nicht zu antworten, ihre Lebensgeister verließen sie bei dem Gedanken an ihre gefährliche Flucht, und sie fiel in Ohnmacht. Die Mutter schrie laut um Hilfe; ihr Gatte und ihre Leute eilten herbei und wandten allerlei Mittel zur Wiederherstellung des Mädchens an, das endlich, nachdem es wieder zu sich gekommen war, das Vorgegangene erzählte. Der Kaufmann verwünschte das Andenken der Alten ihres scheinheiligen Betruges wegen, tröstete seine tugendhafte Tochter und eilte mit dem Anzuge, den er kannte, und von dem er wußte, wem er gehörte, zum Sultan.

 

Vierhundertundeinundachtzigste Nacht.

Als der Sultan die Klage des Kaufmanns vernommen hatte, erzürnte er über seinen unwürdigen Günstling und befahl, ihn sogleich herbeizuholen. Er war jedoch nirgends zu finden; denn als er, nach Hause gekommen, die Alte in ihrem Blute schwimmend gefunden hatte, erriet er, was vorgefallen war, und entwischte, weil er sich fürchtete, zur Rechenschaft gezogen zu werden, in einer gemeinen Verkleidung aus der Stadt. Zum Glücke für ihn reiste eben eine Karawane ab, und mit ihr zog er fünf Tage hintereinander mit einem Gemüte, von getäuschter Liebe und der Furcht, entdeckt zu werden, gleich gequält. Endlich überschritt die Karawane die Grenzen seines vormaligen Gebieters und lagerte sich vor einer großen Stadt, in welche er ging, sich ein Zimmer in einer Karawanserei mietete, um auszuruhen, und nachher eine minder gefährliche Beschäftigung zu suchen beschloß als Liebeshändel und Fürstendienst.

Als er einige Tage ausgeruht hatte, ging er auf einen Markt, wo Arbeiter standen, um sich mieten zu lassen. Er hatte noch nicht lange gewartet, als ein Weib auf ihn loskam und ihn fragte, ob er Arbeit suchte, was er denn bejahte. Sie sagte hierauf: »Ein Teil der Mauer, die den Hof meines Hauses umgibt, ist so verfallen, daß ich sie muß niederreißen und neu aufbauen lassen, und wenn du die Arbeit übernehmen willst, so will ich sie dir anvertrauen.« Als er einwilligte, führte sie ihn zu ihrem Hause, zeigte ihm die Mauer, gab ihm eine Spitzhacke und wies ihn an, wie er die Steine in einen Haufen und den Schutt in einen andern zusammenlegen sollte. Er erwiderte: »Dein Wille ist mir Gesetz!« Sie brachte ihm hierauf etwas Mundvorrat und Wasser, womit er sich erfrischte und sodann, Gott dafür dankend, daß er ihn hatte entwischen lassen, und daß er fähig wäre, sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben, seine Arbeit begann und bis Sonnenuntergang damit fortfuhr. Die Frau, die ihn gedungen hatte, bezahlte ihm sein Tagewerk, und er ging zufrieden nach Hause.

Am folgenden Morgen ging er wieder an die Arbeit und wurde mit derselben Güte behandelt wie am vorigen Tage. Um die Mittagszeit, als er den Grund der Mauer aufhackte, fand er ein kupfernes Gesäß, mit Goldmünzen angefüllt. Er trug es nach Hause, wo er das Geld zählte, welches etwa hundert Dinare betrug, und zu seiner Arbeit zurückkehrte. Als er am Abend heimging, sah er eine Menge Leute einem Manne folgen, der aus seinem Kopf eine große Kiste trug, welche er für hundert Dinare ausbot, ohne jedoch ihren Inhalt nennen zu wollen.

Der Fischer fühlte sich unwiderstehlich angetrieben, die Kiste zu kaufen, und obgleich ihm nach dem Kaufe nur ein kleines Silberstück, eines Pfenniges wert, übrig blieb, sagte er doch zu sich selbst: »Ich will mein Heil versuchen; vielleicht enthält die Kiste etwas von Wert; wo nicht, so will ich meinen Irrtum nicht beklagen.« Und so befahl er, sie nach seiner Wohnung zu bringen, und bezahlte den verlangten Preis. Er verschloß hierauf seine Türe und öffnete die Kiste, in welcher er ein schönes und reich gekleidetes, aber dem Anscheine nach lebloses Mädchen fand. Als er jedoch seine Hand an ihren Mund legte, bemerkte er, daß sie atmete und nur in tiefen Schlaf versunken war, aus welchem sie zu erwecken er sich vergebens bemühte. Er nahm sie nun aus der Kiste, legte sie sanft auf einen Teppich und ließ nicht ab, ihre Reize anzustaunen, bis sie endlich gegen Mitternacht erwachte und voll Erstaunen ausrief: »Barmherziger Allah, wo bin ich?«

Als der erste Schrecken der Frau vorüber war, fragte sie den Fischer, wie er sie in seine Wohnung gebracht hätte; und als sie das Nähere erfuhr, beruhigte sich ihr Gemüt; denn der Fischer behandelte sie mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit. Sie verbarg für jetzt noch ihren Stand und ihre Abenteuer und sagte: »Diese Wohnung ist zu klein, morgen mußt du eine größere suchen. Diene mir treu, erfülle mein Verlangen, und du wirst reichlich belohnt werden.« Der Fischer, durch sein letztes Liebesabenteuer vorsichtig gemacht, wagte es nicht, sich Freiheiten herauszunehmen, machte, von ihrem wundervollen Benehmen in Ehrfurcht gehalten, eine tiefe Verbeugung und bekannte sich als ihren Sklaven. Er setzte ihr die besten Erfrischungen vor, die er zu erhalten vermochte, verließ sie, als sie zu Abend gegessen hatte, und ging in eine Kammer, um dort zu schlafen.

Am folgenden Morgen ging er aus und mietete ein anständiges Haus, in welches er sie in einer bedeckten Sänfte bringen ließ und ihr zwanzig Tage lang diente, indem sie ihn hinlänglich zur Anschaffung alles Nötigen mit Geld versorgte.

Es muß hier erwähnt werden, daß die vom Fischer in der Kiste gekaufte Frau die Lieblingin des Sultans war, der ihretwegen alle seine anderen Weiber verließ, welche nun neidisch wurden; aber die Sultanin, welche vor der Ankunft Kut-al-Kulubs (denn so hieß sie) im Harem den Vorrang gehabt hatte, war aufgebrachter als die übrigen und beschloß, ihre Entfernung zu bewirken. Es fand sich dazu für sie bald eine günstige Gelegenheit, da der Sultan eine Jagdreise von zwanzig Tagen unternahm. Einen oder zwei Tage nach seiner Abreise lud die Sultanin Kut-al-Kulub zu einem Festmahl ein, bei welchem sie ihr mit einem Schlaftrunke gemischten Sorbet zu trinken gab. Die beabsichtigte Wirkung erfolgte augenblicklich, die Sultanin legte die fest Entschlafene in eine Kiste und übergab sie einem Makler, der sie für hundert Dinare verkaufen sollte, wobei sie die Hoffnung hegte, daß jeder Käufer von den Reizen Kut-al-Kulubs so bezaubert würde, um sein Glück im geheimen zu genießen, und daß sie so, ohne einen Meuchelmord zu begehen, eine Nebenbuhlerin los würde.

Als der Sultan von seiner Jagd heimkehrte, fragte er gleich bei seinem Eintritte in den Palast nach seiner Lieblingin, worauf die Sultanin mit verstellter Betrübnis sagte: »Ach, Herr, die schöne und zärtliche Kut-al-Kulub vermochte die Qualen der Trennung von dir nicht zu ertragen; drei Tage nach deiner Abreise erkrankte sie, und nachdem sie sieben Tage lang geschmachtet hatte, wurde sie in die Gnade des Schöpfers aufgenommen.« Der Sultan verfiel, als er dies vernahm, in heftige Verzweiflung und rief aus: »Nur bei Gott ist Hilfe, von Gott kamen wir, und zu Gott müssen wir zurückkehren!« Er war voll Betrübnis und brachte die ganze Nacht in Schwermut zu. Am Morgen ließ er seinen Wesir rufen und befahl ihm, am Ufer des Flusses eine passende Stelle zur Errichtung eines Gebäudes aufzusuchen, in welchem er zurückgezogen leben und seiner geliebten Kut-al-Kulub gedenken könnte. Der Wesir erwiderte: »Dein Wille ist mir Gesetz!« und suchte eine angenehme Stelle aus, auf welcher nach seinem Befehl ein Baumeister einen Raum von hundert Fuß Länge und siebzig Fuß Breite für das verlangte Gebäude abstecken sollte. Das nötige Bauzeug, Marmor und andere Steine wurden schnell zugeführt, und der Bau, über welchen der Minister selber zwei Tage lang die Aufsicht führte, begann. Am dritten kam der Sultan, um den Fortschritt des Baues zu sehen. Er war mit dem Plane zufrieden und fand ihn sehr schön, aber solch ein Gebäude nur wert, der Aufenthalt Kut-al-Kulubs zu sein, worauf er bitterlich weinte. Der Wesir sagte, als er den Sultan so betrübt sah: »Herr! gedenke der Worte des Weisen: Sei mäßig im Glück und im Unglück geduldig.«

Der Sultan versetzte: »Es ist wahr, o Wesir, daß Entsagung preiswürdig und Ungeduld tadelnswert ist; denn ein Dichter hat richtig gesagt: »Sei ruhig im Mißgeschick; denn nur Ruhe kann dich der Gefahr entziehen. Oft folgt der Betrübnis Freude und auf Unruhe Ruhe.« – Aber ach, die menschliche Natur kann nicht fühllos sein; und Kut-al-Kulub war mir so teuer und ergötzte meine Seele so sehr, daß ich fürchte, nie eine andere Geliebte zu finden, die ihr an Schönheit und Trefflichkeit gleichkommt.« Der Wesir tröstete seinen Gebieter und brachte ihn endlich dahin, daß er sein Unglück mit einer Art von Entsagung ertrug.

Der Sultan und der Wesir gingen täglich hin und sahen den Fortschritt des neuen Gebäudes, von welchem sich die Nachricht in der ganzen Stadt verbreitete und endlich auch zu Kut-al-Kulub gelangte, die zu dem Fischer sagte: »Wir geben täglich unser Geld aus und nehmen nichts ein: wie wär's, wenn du Beschäftigung bei dem Gebäude suchtest, welches der Sultan errichten läßt? Man sagt, er sei freigebig, und du kannst vielleicht Vorteil aus seiner Freigebigkeit ziehen.« Der Fischer erwiderte: »Meine teure Gebieterin, wie könnte ich die geringste Abwesenheit von Euch ertragen?«, denn er liebte sie; und sie, die es bemerkte, fürchtete oft, daß er ihr seine Liebe auf rohe Weise zu erkennen geben möchte: aber die Erinnerung an das, was er durch die Tochter des Kaufmanns erlitten hatte, machte ihn vorsichtig. Sie versetzte: »Liebst du mich wirklich?« – »Kannst du daran zweifeln?« entgegnete er; »du bist mein Leben und meiner Augen Licht!« – »Wenn das wirklich der Fall ist,« rief sie aus, »so nimm dieses Halsband, und wenn du bei der Arbeit an mich denkst, so betrachte es, und es wird dich bis zu deiner Heimkehr trösten.«

Der Fischer gehorchte den Befehlen Kut-al-Kulubs, begab sich nach dem Platze, auf welchem das Gebäude errichtet wurde, und erblickte den Sultan und den Wesir, die den Arbeitern zusahen. Der Sultan fragte den Fischer, ob er Arbeit suchte, und als dieser es bejahte, wurde er gedungen. Er ging nun an die Arbeit; aber sein Gemüt war von seiner Gebieterin so erfüllt, daß er alle Augenblicke sein Werkzeug weglegte, das Halsband hervorzog und es tief aufseufzend betrachtete, was der Sultan bemerkte, der zu seinem Wesir sagte: »Dieser Mann ist vielleicht unglücklicher als ich; wir wollen ihn herrufen und ausfragen.« Der Wesir holte ihn und sagte zu ihm, er sollte ehrlich gestehen, warum er so tief geseufzt hätte. »Ach!« erwiderte er, »ich bin entfernt von meiner Geliebten, die mir dieses Halsband gegeben hat, um es anzusehen, wenn ich ihrer gedächte; und meine Seele ist so voll von ihr, daß ich mein Werkzeug weglegen muß, um das Halsband immerfort zu bewundern.«

Als der Sultan das Halsband sah, erkannte er es sogleich als ein von ihm für Kut-al-Kulub um hundert Dinare erkauftes. Er verbarg seine Bewegung und sagte: »Wem gehört dieses Halsband?« – »Meiner Sklavin,« erwiderte der Arbeiter, »der ich es für hundert Dinare gekauft habe.« – »Kannst du uns,« versetzte der Sultan, »in deine Wohnung führen, damit wir sie zu sehen bekommen?« – »Ich fürchte,« erwiderte der Arbeiter, »ihre Züchtigkeit zu verletzen; doch ich will sie befragen und Euch, wenn sie einwilligt, in meine Wohnung einladen.« – »So ist es recht und schicklich,« sagte der Sultan.

Der Arbeiter ging mit Sonnenuntergang heim und benachrichtigte Kut-al-Kulub von dem Vorgefallenen, worauf sie ihn ersuchte, am Morgen alles Nötige zu einem anständigen Mahle einzukaufen, zu welchem Behufe sie ihm fünf Dinare gab. Er besorgte morgens den Einkauf, ging an seine Arbeit und sagte dem Sultan und dem Wesir, sie würden zur Hausmannskost seiner Sklavin willkommen sein, »oder,« sagte er, »vielmehr meiner Göttin; denn als solche hab' ich sie in demütiger Entfernung verehrt.«

Der Sultan und der Wesir begleiteten den Arbeiter in sein Haus, wo sie zu ihrem Erstaunen eine zierliche Mahlzeit bereitet fanden, an welcher sie teilnahmen und nachher Sorbet und Kaffee tranken. Der Sultan verlangte, die Sklavin zu sehen, die sich nur eben blicken ließ und sogleich wieder verschwand. Der Sultan erkannte sie jedoch und fragte den Arbeiter: »Willst du dieses Mädchen verkaufen?« – »Ich kann nicht, Herr; denn ich liebe sie von ganzer Seele, obgleich ohne Erwiderung.« – »Möge deine Liebe belohnt werden!« rief der Sultan aus; »aber komm nach Sonnenuntergang in den Palast und bringe sie mit.« – »Dein Wille ist mir Gesetz!« erwiderte der Arbeiter.

Mit Sonnenuntergang führte der Arbeiter seine Sklavin in den Palast, woselbst Verschnittene sie schon erwarteten und in den Harem führen wollten; aber der arme Mann schlang seine Arme um sie und rief aus: »Sie ist meine Geliebte, und ich kann nicht von ihr lassen.« Hierauf erzählte ihm der Sultan, wie er sie verloren hätte, und bat ihn, sie aufzugeben. Da er wohl wußte, daß er sich seinem Oberherrn nicht widersetzen durfte, so unterwarf er sich seinen Befehlen mit Ergebung, worauf der Sultan ihm hundert Dinare, einen reichen Anzug und eine schöne Sklavin schenkte, indem er ihn zugleich unter seine höheren Beamten aufnahm. Auch zeichnete er sich in seiner neuen Stellung so aus, daß er zu dem Range eines ersten Ministers emporstieg und die Pflichten dieses hohen Postens mit solcher Geschicklichkeit und Redlichkeit erfüllte, daß man ihn nur vorzugsweise den gerechten Wesir nannte.

 


 << zurück weiter >>