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Fortsetzung der Geschichte der Prinzessin Ameny.

»Eure Abenteuer sind sehr rührend,« sagte ich zu der jungen Prinzessin, »und ich schätze mich glücklich, daß ich imstande war, Euch das Leben zu retten. Diese Tat bringt mir nicht minder Vorteil als Euch: solange der elende Schwarze in dieser Höhle war, konnte ich mich nicht darin ausruhen; übrigens hat er Mundvorrat mitgebracht, der mir sehr nützlich sein wird. Hunger und Müdigkeit heilen von allen Vorurteilen; ich werde nicht erröten, von dem zu essen, was ein Sklave übrig gelassen hat; die muselmännische Religion, zu welcher ich mich bekenne, verbietet zwar, gestohlene Lebensmittel zu essen und Wein zu trinken; aber der Koran ist in Mekka und Medina und nicht in der Wüste im Grunde einer Höhle geschrieben worden.«

Meine arme Gefährtin hatte sich ein wenig erholt, sie setzte sich neben mich, und wir aßen, bis wir satt waren, das heißt, viel und lange. Unsere Stühle und unser Tisch dienten uns zugleich als Bette: denn wir streckten uns auf die Erde.

 

Fünfhundertundvierte Nacht.

Unser Schlaf war lang und ruhig; ich erwachte zuerst, und nachdem ich allen meinen Mundvorrat zusammengerafft hatte, rief ich meine Gefährtin und fragte sie, ob sie den Weg kennte, und nach welcher Seite sie ihre Schritte richten wollte.

»Wohin es Euch beliebt,« antwortete sie mir; »denn ich werde Euch nicht verlassen.«

Dieser Entschluß stimmte nicht ganz zu meinem Vorhaben; ich wollte mich nicht zu erkennen geben, und es war sehr zu befürchten, daß meine Gefährtin früher oder später mein Geschlecht entdecken möchte. Ich nahm mir also vor, alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen.

Nachdem wir uns mit einem guten Frühstücke gestärkt hatten, zog meine Gefährtin die Kleider des Sklaven an und versuchte es, sein Pferd zu besteigen. Sie konnte sich aber nicht darauf halten, weil sie niemals reiten gelernt hatte; ich nahm sie also auf mein Pferd hinter mich: ihre Arme waren um meinen Gürtel geschlungen, und ich verbot ihr, sie höher zu heben unter dem Vorwande, daß ich sonst vom Pferde fallen würde; aber Ihr merkt wohl, glorreicher Sultan, daß ich andere Gründe hatte.

Da wir die Wege nicht kannten, mußten wir uns unserem Pferde überlassen, und am Ende einiger sehr beschwerlicher, uns durch ungeheure Wüsten führender Reisetage fehlte es uns an Mundvorrat. Ich fing nun an zu jagen und erlegte mehrere Tiere, die uns zur Fristung unseres Lebens sehr nützlich waren. Da es uns an Feuer fehlte, so waren wir nahe daran, sie roh zu essen; aber das Bedürfnis macht erfinderisch: meine Gefährtin sammelte trockne Wurzeln und Blätter, während ich durch Reiben eines spitzen Stockes in dem Loche eines anderen Stückes Holz ein baumwollenes Tuch zum Brennen brachte, und mit diesem entzündeten wir den Haufen brennbaren Stoffes, den wir auf einen großen weißen Stein gelegt hatten. Sobald dieser Stein gehörig durchglüht war, legten wir unser Wildbret darauf und bedeckten dieses mit einer kleinen Umgebung von Steinen. Wir verbrannten auf dieser Art von Dache noch viele Wurzeln. Als wir nun dieses kleine Gebäude zerstörten, sahen wir mit Vergnügen, daß das Fleisch ebensogut wie in einem Ofen gekocht war, und wir machten daraus ein köstliches Mahl. Es ist wahr, daß die Furcht vor der Zukunft und der ungeheure Raum, der sich auf allen Seiten unseren Blicken darbot, uns von Zeit zu Zeit zu traurigen Betrachtungen veranlaßten, die wir uns nicht mitteilen wollten.

Meine Gefährtin strengte sich an, ihre Seufzer zu ersticken und ihre Tränen zu verbergen. Ich war nicht gefaßter als sie; inzwischen zwang mich die Lust, das Geschlecht, dessen Kleidung ich angenommen hatte, nicht zu verleugnen, daß ich einen Schein von Festigkeit annahm.

»Wir wollen dahin,« sagte ich zu ihr, »wohin das Schicksal uns führt; bedenket, daß wir in dieser Wüste wie inmitten einer Moschee in der Hand Gottes sind.«

Zugleich stiegen wir alle beide wieder zu Pferde. Nach einer langen Strecke sah ich in der Ferne Reisfelder, und bald verkündeten uns sorgfältig bebaute Felder, daß Wohnungen nicht fern wären. Wir gelangten gegen Abend in einen recht wohlgebauten Burgflecken, und meine erste Sorge war, mich zu erkundigen, ob wir eine Wohnung finden würden, in welcher wir die Nacht zubringen könnten.

Hierauf nahte sich uns ein ehrwürdiger Greis. »Junger Fremdling,« sagte er zu mir, »warum wollet Ihr in einer Karawanserei absteigen? Mein Haus wird Euch dazu dienen, wenn Ihr die Güte haben wollt, diesen Vorschlag anzunehmen.«

Obgleich der einfache und offene Ton dieses Greises mir viel Zutrauen eingeflößt hatte, so befragte ich doch erst die junge Prinzessin, die mir sagte, ich möchte tun, was ich wollte, wenn sie nur die Erlaubnis hätte, mir zu folgen.

»Gott verhüte,« sagte ich zu unserem Wirte, »daß ich Euer großmütiges Anerbieten durch eine abschlägige Antwort zurückweisen sollte.«

Hierauf verneigte er sich tief und bat uns, ihm zu folgen.

Indem wir durch den Flecken ritten, fragte ich unsern Führer, in welchem Lande wir uns befänden.

»Ihr seid,« sagte er zu mir, »an den Grenzen des Königreiches Balch.«

»Ist der König Kara-Oglu noch immer auf dem Throne?« fragte meine Gefährtin.

»Dem Himmel sei Dank,« erwiderte der Greis, »haben wir noch unseren Vater; aber wir fürchten, ihn nicht mehr lange zu behalten: der Verlust seiner geliebten Tochter, die ein nichtswürdiger schwarzer Sklave entführt hat, wird ihm wohl bald das Leben kosten.«

Inzwischen traten wir in sein Haus, welches uns angenehm und bequem schien; es waren zahlreiche Herden dabei; denn der Greis war einer der reichsten Landwirte. Er führte uns in ein bequemes Zimmer, seine Sklaven kamen, um uns aufzuwarten, und er selbst bediente uns. Er zündete Feuer an, man brachte Wasser herbei, und er wusch uns die Füße. Hierauf bot er uns Wäsche und Kleider an, indem er uns sagte, daß wir zu ermüdet wären, um unsere Felleisen zu öffnen; aber da ich befürchtete, daß er unser Geschlecht entdecken möchte, dankte ich ihm unter dem Vorwande, daß wir erst am Abend zuvor Wäsche gewechselt hätten. Man reichte uns Erfrischungen, deren wir ebensosehr als der Ruhe bedurften. Der Herr hieß seine Sklaven sich entfernen und bat um die Erlaubnis, nachzusehen, ob man das Abendessen bereitete. Er hatte einen schönen fetten Hammel zurichten lassen, um unsere Ankunft zu feiern. Während seiner Abwesenheit empfahl ich meiner Gefährtin, sich weder durch Reden noch durch Handlungen zu verraten; denn es war mir wichtig, daß man weder ihr Geschlecht noch ihren Rang erriet. Wir kamen überein, daß sie den Namen Aladdin annehmen sollte; ich sagte ihr, daß ich mich Mahmud nenne. Sie versprach mir, sich wohl in acht zu nehmen. Aber urteilet, Herr, wie groß mein Zwang und meine Unruhe war: ich mußte mich gleich sorgfältig vor meiner Gefährtin und meinem Wirte verbergen; denn keines von beiden wußte mein Geheimnis.

Wir besprachen uns miteinander über die Mittel, uns unbekannt an den Hof des Königs von Balch zu begeben, als Sklaven erschienen und vor unseren Füßen einen großen Teppich ausbreiteten, auf welchem sie sodann eine große Schüssel Pillau, einen halben gebratenen Hammel und im Ofen mit Zwiebeln gekochte Hühner setzten. Wir ersparten unserem Wirte die Mühe der Nötigung, und seine hauptsächlichste Beschäftigung war, uns zu bedienen. Meine Gefährtin konnte sich nicht sättigen; sie rief mehrmals aus: »Nie hab' ich so guten Pillau gegessen und mit solchem Wohlgeschmack, selbst nicht in der ...« und plötzlich biß sie sich in die Lippen. Der Greis sah sie an, ohne ein Wort zu sagen. Am Ende der Mahlzeit trug man uns zum Getränke Sorbet und Wein auf, und ich konnte, obgleich Muselmännin, diesem Rebensaft nicht widerstehen.

Die Nacht rückte vor, und wir baten um die Erlaubnis, uns entfernen zu dürfen. Alsbald geleiteten uns vier Sklaven in ein geweißtes Gemach. Man hatte auf dem Fußboden zwei Betten nebeneinander ausgebreitet; es war eine Matratze auf einem Teppich mit einer kleinen Decke von Kamelhaar. Meine Gefährtin wagte es nicht, sich niederzulegen; und erst nachdem ich sie tausendmal gebeten hatte, ruhig zu sein, und ihr zugeschworen, sie wie eine Schwester zu achten, brachte ich sie dahin, sich zu Bette zu legen; aber auskleiden wollte sie sich nicht. Obgleich es kalt war, schliefen wir doch sehr gut, weil das an das unsrige anstoßende Gemach mit Tieren angefüllt war, deren Atem uns in der Nacht erwärmte.

Am andern Morgen kam unser Wirt selbst, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen. Er brachte ein Handtuch und Wasser mit, damit wir uns das Gesicht waschen könnten; wir tranken eine Tasse Kaffee, und man führte uns zum Frühstücke in den Saal, in welchem wir den Abend vorher gegessen hatten.

 

Fünfhundertundfünfte Nacht.

Wir bedurften nicht weniger als acht Tage, um uns von den Strapazen unserer Reise zu erholen. Unsere Begierde, an den Hof zu kommen, und die Befürchtung, überlästig zu werden, bestimmten uns, unsere Abreise zu beschleunigen. Unser ehrwürdiger Wirt wollte uns nicht fortlassen. Er war so bescheiden gewesen, uns nicht zu fragen: »Welchen Standes seid ihr? Woher kommt ihr? Wohin geht ihr? Wie lange bleibt ihr bei mir?« Solche Fragen legen die Leute aus seinem Lande niemand vor; sie würden glauben, dadurch die erste Pflicht der Gastfreundschaft zu verletzen. – Als er uns fest entschlossen sah, uns wieder auf den Weg zu begeben, verbreitete sich ein Ausdruck von Traurigkeit über sein Gesicht, und er begnügte sich, uns mit bewegter Stimme zu sagen:

»Ihr Herren, da mein Haus euch nicht länger gefällt, so steht es euch frei, es zu verlassen; aber gewähret mir noch einen Tag, das ist die einzige Gefälligkeit, um welche ich euch bitte.«

Zugleich zeigte er uns Vorbereitungen, die er gemacht hatte, um uns gut zu bewirten und uns zu längerem Verweilen zu bestimmen. Dieser gute Landwirt hatte den schönsten Hammel aus seiner Herde geschlachtet, und das tat uns ausnehmend leid, nicht bloß wegen des Aufwandes, sondern auch weil wir eine besondere Zuneigung zu diesem Tiere hatten. Sein Schweif war so groß und schwer, daß man, um ihn zu unterstützen, hinten ein Brett auf zwei Rollen an ihn befestigte. Es würde undankbar gewesen sein, diese edle Einladung zu verschmähen.

Das Mittagessen war zeitig fertig, und der festliche Teppich blieb lange ausgebreitet, und auf ihm wurden die angenehmsten Getränke in großen Fluten in Gefäße von Kristall und vergoldetem Silber gegossen.

Die große Wohlhabenheit unseres Wirtes hatte sich hinlänglich in der Art gezeigt, mit welcher er die Gastfreundschaft gegen uns ausgeübt hatte; aber diese Verschwendung, dieser Aufwand setzten uns in Erstaunen. Die junge Prinzessin betrachtete alles mit Aufmerksamkeit und wußte nicht, was sie dabei denken und dazu sagen sollte. Unser Wirt erfreute sich sehr an diesem Erstaunen. Er nahm uns nach der Mahlzeit bei der Hand und sagte zu uns: »Meine Kinder, ich will, daß ihr vor eurer Abreise mindestens den angenehmsten Teil meiner kleinen Besitzungen kennen lerntet.«

Eine prächtige Pforte öffnete sich, und wir traten in einen ungeheuer großen Garten, der mit Fruchtbäumen und Blumen angefüllt war und von Springbrunnen befeuchtet wurde; von Raum zu Raum fand man dichte Lauben, und auf den höchsten Stellen schützte man sich vor der Hitze des Tages in köstlichen Kiosken, frisch wie die Grotten Ägyptens, und von welchen man die herrlichste Aussicht hatte. Ein köstlicher Imbiß und Erfrischungen aller Art erwarteten uns in einem der Kioske, und während die Sklaven uns Zuckerwerk und Sorbet darboten, richtete ich das Wort an unsern Wirt und sprach zu ihm:

»Wenn ich nicht fürchten müßte, unbescheiden zu sein, so möchte ich Euch wohl eine Frage vorlegen.«

»Redet ohne Furcht,« antwortete er; »aber es sei mir erlaubt, stillzuschweigen, wenn besondere Gründe mich verhindern sollten, Euch Genüge zu leisten.«

»Ich nehme die Bedingung an,« erwiderte ich. »Ich wollte Euch fragen, ob Ihr inmitten aller dieser Reichtümer nicht eine innere Leere empfindet, da doch Eurem Glück etwas fehlt. Um es vollkommen zu machen, müßtet Ihr es mit einer Gefährtin teilen.« Der Greis nahm mich seufzend bei der Hand, und Tränen stahlen sich aus seinen Augen.

»Unvorsichtiger Jüngling,« versetzte er, »warum mir diese schmerzliche Erinnerung zurückrufen! Ja, ich hatte eine Gefährtin, die ich immer beweinen werde, und ein Kind, so schön, so sanft wie seine Mutter, in welchem ich mich wieder aufleben sah. Aber ach! wichtige Geschäfte entfernten mich weit von meinem Vaterlande; mein Sohn war zwölf Jahre alt, als ich abreiste, und ich fand ihn nicht wieder, als ich heimkehrte; man meldete mir seinen und seiner Mutter Tod. Ich habe geschworen, mich nie wieder zu verbinden. Oh! ich werde diesen Schwur halten. Es würde mich zu viel kosten, wenn ich ihn bräche.«

Schluchzen und Tränen hemmten seine Worte, und ich wartete, bis er sich etwas gefaßt hatte. Hierauf bat ich ihn, um seinen Schmerz zu zerstreuen, mir doch seine anderen Besitzungen zu zeigen. Er stand auf, ohne meine Hand loszulassen, die er heftig drückte, und führte uns in einen weiten Hofraum, mit Ställen umgeben, die fünfzehnhundert Kamele enthielten. Ich bewunderte, mit welcher Sorgfalt man sie pflegte; und als wir in einen dieser Ställe traten, kam ein weibliches Kamel nebst seinem Jungen fröhlich an uns heran; sie liebkosten ihren Herrn und wollten ihn nicht verlassen, als er Miene machte, fortzugehen.

»Diese Tiere sind Euch sehr zugetan,« sagte ich zu ihm.

»Sie kennen mich besser, als ich sie kenne: ich fand sie nach meiner Wiederkehr von meiner großen Reise, ohne zu wissen, woher sie kamen; denn ich habe sie nicht gekauft: aber sie kommen mich wegen der Sorgfalt, welche sie verlangen, sehr teuer zu stehen; niemals haben die Kameltreiber es vermocht, sie auf die Weide zu treiben; alle Stockschläge sind unnütz gewesen: man ernährt sie jetzt hier mit den Samenkörnern der Baumwolle und mit Stroh.«

»Ihr habt doch Eurer Frau ein schönes Grabmal errichten lassen?« sagte meine Gefährtin zu ihm.

»So schön, als meine Kräfte es erlaubten; ich habe ein Bethaus mit einer Kuppel erbauen lassen, und ich gebe den Vorlesern, welche darin bis zur Stunde des Abendessens Verse aus dem heiligen Koran vorlesen, täglich ein Goldstück. Alle Feiertage wird ein Gottesdienst darin gehalten; die Ulemas, die Fakire und die Derwische führen ein geistliches Konzert auf.«

»Würde es uns wohl vergönnt sein,« fügte sie hinzu, »den kostbaren Überbleibseln, welche dieses traurige Denkmal einschließt, unsere Verehrung zu bezeigen?«

»Junger Fremdling,« sagte der Greis, »Ihr begehrt eine Gunst, welche ich sonst nur den Dienern unserer heiligen Religion erweise. Indessen, wie soll ich Euch etwas abschlagen? Kommet, folget mir in diesen langen Platanengang.« Dieser führte zu dem kleinen Bethause; unser Wirt ging mit langsamen Schritten und nachdenklicher Miene vorwärts. Endlich öffnete er uns die Pforte dieses Trauergebäudes, und wir sahen zwei Marmorgrabmäler, eines neben dem andern. Auf dem größten hatte man einen Frauenschleier mit Sprüchen aus dem Koran ausgehauen, deren Buchstaben erhaben und vergoldet waren; auf dem kleineren befand sich nur ein Turban.

Ich nahte mich meiner Gefährtin und sagte ihr ins Ohr: »Ihr werdet etwas Außerordentliches sehen«; und indem ich mich hierauf zu unserem Wirte wandte, sagte ich zu ihm: »Ihr müßt mir einen Gefallen erzeigen, dessen Erfüllung für Euch sehr wichtig ist: ich beschwöre Euch, lasset diese Gräber öffnen.«

Mein Wirt sah mich verächtlich an, ohne sein Gebet zu unterbrechen, und wandte hierauf die Augen von mir ab. Aber ich ließ mich nicht abschrecken und sagte: »Ihr erhört also meine Bitte nicht? Ja, Ihr antwortet mir nicht einmal?«

»Verpflichten mich,« versetzte er mit Strenge, »die Gesetze der Gastfreundschaft, den Launen eines jungen Toren Genüge zu leisten? Wozu die Ruhe der Toten stören?«

»Um sie dem Leben zurückzugeben«, rief ich aus.

»Mein Freund, in meinem Alter glaubt man nicht mehr an die Gaukeleien eines Menschen, wie Ihr seid.«

»Ich verzeihe,« entgegnete ich, »Eurem Schmerz eine Ungerechtigkeit, welche ich nicht verdient habe; bewilliget mir nur, was ich verlange, und wenn ich Euch nicht mein Versprechen halte, so überliefert mich dem Kadi wie einen Unheiligen, der dem Zufluchtsorte der Toten Gewalt antut.«

Der Greis betrachtete mich mit irrem Blicke, indem er ausrief: »Mein Freund, was sagt Ihr: sollte es möglich sein? Meine Frau, mein Sohn, ich sollte euch noch umarmen?«

 

Fünfhundertundsechste Nacht.

Augenblicklich rief er zwei mit Hacken und Hämmern versehene Sklaven herbei: die beiden marmornen Grabdeckel werden aufgehoben, die Laken werden aufgetrennt, welche anstatt einer Leiche jedes ein Stück Holz in sich enthalten. Hierauf sagte ich zu ihm: »Wo sind nun Eure Frau und Euer Kind?«

Der unglückliche Greis fing an, in Tränen zu zerschmelzen, ohne ein einziges Wort herauszubringen. »Ihr werdet sie heute noch sehen,« fügte ich hinzu, »fasset Euch in Geduld und setzet Euer ganzes Vertrauen auf Gott.«

»Ach!« rief er aus, »Gott zürnt seinem Diener: er hat meine Frau und meinen Sohn in Holz verwandelt.«

Hierauf begab er sich weinend wieder auf den Weg nach Hause, und wir folgten ihm stillschweigend.

Als wir uns in seinem Zimmer niedergesetzt hatten, fragte ich ihn, ob er nicht Münzen von Ismael hätte mit dem Gepräge eines Kamels.

»Ich habe nie dergleichen gesehen und kenne sie gar nicht«, antwortete er mir.

Da erinnerte ich mich, daß meine alte Lehrerin, von welcher ich in den Wissenschaften der Araber unterrichtet worden war, mir vor meiner Abreise zwei von diesen Münzen gegeben hatte, indem sie mich versicherte, sie wären so selten, daß der Kalif selbst keine in seinem Schatze hätte. Ich nahm sie aus meinem Gepäck und legte sie ins Feuer. Sie erhitzten sich, während ein Sklave das weibliche Kamel und sein Junges holte, die wir in dem Stalle am Ende des Gartens gesehen hatten. Als sie kamen, nahm ich meine Goldstücke aus dem Feuer und warf sie ins Wasser, und das Gepräge zeigte nun statt eines Kamels eine menschliche Gestalt; hierauf besprengte ich mit diesem Wasser den Kopf des Kamels und seines Jungen, indem ich die Worte aus jener alten von Abraham gesprochenen Sprache hersagte: »Kirtuuna suret ol barak eloha,« d. h. »nehmet die erste Gestalt wieder an, in welcher euch Gott geschaffen hat.«

 

Fünfhundertundsiebente Nacht.

Während ich diese Worte hersagte, richtete sich das weibliche Kamel und sein Junges auf den Hinterbeinen empor, das Haar, welches sie bedeckte, fiel herab wie ein Kleidungsstück, ihr Rücken wurde gerade, aus ihren gespaltenen Hufen wurden fünf Finger und Zehen von ungleicher Größe, und ein menschliches Antlitz trat an die Stelle der Kamelschnauze.

Kaum hatte diese Verwandlung stattgefunden, als beide in die Arme unseres Wirtes fielen, der vor Staunen und Entzücken in eine Ohnmacht sank, aus welcher ihn jedoch geistige Wasser bald wieder zu sich brachten. Als seine Frau bemerkte, daß sie nackt war, errötete sie, sich den Blicken zweier junger Fremden ausgesetzt zu sehen, und ergriff die Flucht. Ihr Gatte folgte ihr und brachte sie bald in ihren Kleidern zurück; denn er hatte nichts von den Sachen verkauft, welche Personen angehörten, deren Verlust er so herzlich betrauerte.

Als sie in das Zimmer zurückkamen, sahen sie das Kind auf meinen Knieen. »Wie glücklich der Knabe doch ist,« rief die Mutter aus, »daß er Euch seine Erkenntlichkeit bezeigen kann! Welchen Beweis soll ich Euch von der meinigen geben? Der mächtigste Herrscher der Erde wäre nicht imstande, einen solchen Dienst zu belohnen.«

»Der größte Herrscher der Erde hätte die Gastfreundschaft auf keine edlere Weise gegen uns ausüben können als Euer Gatte,« sagte ich zu ihr; »also waren wir früher belohnt als nützlich. Wenn Ihr Euch jedoch gegen mich verpflichtet glaubt, so will ich Euch ein sicheres Mittel sagen, diese Verpflichtung vollkommen zu lösen: Habet nur die Güte, mir zu sagen, auf welche Weise Ihr in diesen elenden Zustand versetzt worden seid; denn die Wissenschaft, welche mir die Übel und deren Heilmittel anzeigt, läßt mich deren Ursachen nicht erkennen.«

»Ich wollte das meinem Gatten in einem besonderen Gespräche erzählen,« sagte die Frau des Greises zu uns; »da Ihr aber neugierig seid, mich zu hören, so will ich von früherer Zeit anfangen.

 


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