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Geschichte der drei Prinzen und des bezaubernden Vogels.

»Es war einmal ein Sultan, der drei Söhne hatte. Der älteste hatte von einem Reisenden ein sonderbares Land beschreiben gehört, in welchem es einen Vogel namens Bülbül-al-Syak gäbe, der die Macht hätte, alle, die sich ihm nahten, in Stein zu verwandeln. Der Prinz faßte den Entschluß, diesen Wundervogel zu sehen, und bat seinen Vater um die Erlaubnis, reisen zu dürfen, die ihm dieser ungern erteilte, worauf er von ihm Abschied nahm. Bei seiner Abreise nahm er einen Ring vom Finger, der einen magischen Stein enthielt, gab ihn seinem zweiten Bruder und sagte zu ihm: »Wenn du fühlst, daß der Ring dich heftig drückt, so sei versichert, daß ich mich in rettungsloser Gefahr befinde.« Nachdem er sich nun auf den Weg gemacht hatte, hörte er nicht auf zu reisen, bis er den Ort erreichte, wo sich der Käfig des Vogels befand, in welchem dieser die Nacht zuzubringen pflegte, während er bei Tage nach Nahrung und zur Lust umherflog.

Es war die Gewohnheit des Vogels, bei Sonnenuntergang in seinen Käfig zurückzukehren und dann, wenn er jemand erblickte, in klagendem Tone zu sagen: »Wer wird zu einem armen Wanderer sagen: »Ruhe aus?« Wer wird zu einem unglücklichen Bülbül sagen: »Ruhe aus?«, und wenn jener nun erwiderte: »Ruhe aus, armer Vogel!«, so flog dieser sogleich über des Sprechenden Haupt, bewarf es mit etwas Erde, die er in seinem Schnabel hatte, und der Mensch wurde sogleich in Stein verwandelt. So erging es dem unglücklichen Prinzen.

Kaum hatte diese Verwandlung des ältesten Prinzen stattgefunden, als der Finger des zweiten auch sogleich von dem Ringe heftig gedrückt wurde und er ausrief: »Ach, mein Bruder ist verloren! Aber ich will reisen und nicht rasten, bis ich ihn gefunden habe!« Vergebens widersetzten sich der Sultan, sein Vater, und die Sultanin, seine Mutter, diesem Vorsatze. Er reiste ab, nachdem er den Zauberring seinem jüngeren Bruder übergeben hatte, und hörte nicht auf zu reisen, bis er den Käfig des Vogels erreicht hatte, der ihn ebenfalls dazu brachte, die Worte: »Ruhe aus!« auszusprechen, und dann etwas Erde auf sein Haupt streute, wodurch auch er in Stein verwandelt wurde.

In diesem Augenblicke saß der jüngste Prinz eben mit seinem Vater bei einem Festmahle, als der Ring seinen Finger so heftig drückte, daß er ihm viel Schmerz verursachte. Er stand auf und rief aus: »Es ist keine andere Hilfe als bei Gott; denn sein sind wir, und zu ihm müssen wir zurückkehren!« Der Sultan befragte ihn um die Ursache seines Kummers, worauf er erwiderte: »Mein Bruder ist ums Leben gekommen!«

Der alte Sultan beklagte laut den Verlust seiner beiden Kinder, als der jüngste Sohn sagte: »Ich will reisen und das Schicksal meiner Brüder kennen lernen.« – »Ist es denn nicht genug,« entgegnete der Vater, »daß ich die beiden verloren habe, willst auch du ins Verderben rennen? Ich bitte dich, mich nicht zu verlassen!« – »Vater,« erwiderte der Prinz, »das Schicksal treibt mich, meine Brüder aufzusuchen, die ich vielleicht noch zu retten vermag. Geh ich aber unter, so hab' ich nur meine Pflicht getan.« Als er dies gesagt hatte, reiste er trotz den Klagen und Tränen seiner Eltern, bis er den Wohnort des Vogels erreicht und dort seine Brüder in Stein verwandelt gefunden hatte. Bei Sonnenuntergang fragte der Vogel wie gewöhnlich; aber der Prinz enthielt sich, Unrat merkend, des Sprechens, bis der Vogel endlich in seinen Käfig flog und einschlief, worauf der Prinz sich leise näherte und die Tür des Käfigs zumachte. Der Vogel erwachte von dem Geräusche und sagte, als er sich gefangen sah: »Du hast den Preis gewonnen, o glorreicher Sohn eines mächtigen Sultans.« – »Wenn dem so ist,« erwiderte der Prinz, »so sage mir, durch welche Mittel du so viele Menschen, die ich um mich her als Marmorbilder sehe, bezaubert hast, und wie ich sie aus ihrem unglücklichen Zustande zu erlösen vermag.« – »Sieh,« entgegnete der Vogel, »jene zwei Erdhaufen, einer weiß und der andere blau: der blaue verwandelt, und der andere hebt die Verwandlung wieder aus.«

Der Prinz nahm sogleich von der weißen Erde, und sowie er sie auf mehrere Standbilder streute, wurden sie wieder belebt und ganz in ihren vorigen Zustand hergestellt. Er umarmte seine beiden Brüder und empfing sowohl ihren Dank für ihre Wiederbelebung als auch den der Söhne mehrerer Sultane, Paschas und anderer vornehmen Personen. Sie erzählten ihm, daß sich in der Nähe eine Stadt befände, deren Einwohner sämtlich gleich ihnen in Stein verwandelt wären. Dorthin begab er sich, und das Volk machte ihm, der es aus seiner Bezauberung erlöst hatte, aus Dankbarkeit reiche Geschenke und wollte ihn zu seinem Herrscher erwählen; aber er lehnte dies Anerbieten ab und beschloß, seine Brüder in Sicherheit zu ihrem Vater zurückzugeleiten.

Obgleich die beiden älteren Prinzen ihrem Bruder ihre Entzauberung verdankten, so beneideten sie ihm doch die erhaltenen kostbaren Geschenke und den Ruhm, welchen er in der Heimat für sein Vollbringen ernten würde. Sie sagten zueinander: »Wenn wir die Hauptstadt erreichen, wird das Volk ihm Beifall spenden und ausrufen: »Sehet, die beiden ältesten Brüder sind von ihrem jüngsten aus dem Verderben gerettet worden!«

Da der jüngste Prinz mit Pferden, Kamelen und Fuhrwerken für sich und seine Brüder versehen war, so trat er seinen Heimweg an und näherte sich in bequemen Tagereisen der Hauptstadt seines Vaters. Eine Tagereise weit von dieser befand sich ein schöner mit Marmor eingefaßter Teich. Am Ufer desselben befahl der Prinz, die Zelte aufzuschlagen, und er beschloß, die Nacht dort zuzubringen und sich mit seinen Brüdern schmausend zu ergötzen. Ein zierliches Mahl wurde bereitet, und er saß mit ihnen auf, bis es Schlafenszeit war, wo sich jeder in sein Zelt begab und er sich mit einem Ringe am Finger, den er im Käfig des Bülbül-al-Syak gefunden hatte, schlafen legte.

Die neidischen Brüder sahen das als eine gute Gelegenheit an, ihren großmütigen Retter umzubringen, standen in der Todesstille der Nacht auf, ergriffen den Prinzen, warfen ihn in den Teich und schlüpften unbemerkt wieder in ihre Zelte. Am Morgen gaben sie Befehle zum Aufbruch; da jedoch das Gefolge den jüngsten Prinzen vermißte, so fragten sie nach ihm, worauf die Brüder entgegneten, er schliefe noch, und man sollte ihn nicht stören. Dabei beruhigte man sich, und der Zug erreichte die Hauptstadt des Vaters, der voll Freuden über ihre Rückkehr war und die Schönheit des Bülbül-al-Syak, den sie mitgenommen hatten, bewunderte, aber da er seinen jüngsten Sohn nicht sah, begierig nach diesem fragte.

Die Brüder erwiderten: »Wir wissen nichts von ihm und erfahren erst jetzt, daß er eine Reise unternommen hat, um den Vogel aufzusuchen, den wir mitgebracht haben.« Der Sultan liebte seinen jüngsten Sohn innigst, und da er hörte, daß seine Brüder ihn nicht gesehen hätten, schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen und rief aus: »Ach! ach! Es ist keine Hilfe als bei dem Allmächtigen, von welchem wir kommen, und zu welchem wir zurückkehren müssen!«

Wir wenden uns nun wieder zu dem jüngsten Bruder. Als er in den Teich geworfen wurde, erwachte er und rief, indem er sich in Gefahr sah, aus: »Ich suche Rettung bei dem Gotte, der seine Diener aus den Schlingen der Gottlosen rettet!« Sein Gebet wurde erhört, und er erreichte unverletzt den Boden des Teiches, wo er sich in eine Blende setzte und sprechen hörte. Eine Stimme sagte zu der andern: »Es ist ein Menschensohn in der Nähe!« – »Ja,« erwiderte die andere, »er ist der jüngste Sohn unseres tugendhaften Sultans, der, nachdem er seine Brüder entzaubert hat, verräterischerweise in diesen Teich geworfen worden ist.« – »Nun,« antwortete die erste Stimme, »er wird leicht gerettet werden; denn er trägt einen Ring an seinem Finger, den er nur zu reiben braucht, um einen Geist herbeizuzaubern, der alle seine Befehle vollziehen muß.«

Der Prinz hatte kaum diese Worte gehört, als er den Ring mit der Hand rieb, worauf sogleich ein guter Geist erschien und zu ihm sagte: »Prinz, was ist zu deinem Befehle?«

»Ich befehle,« versetzte der Prinz, »daß du mir sogleich Zelte, Kamele, Diener, Wachen und alles meinem Stande Angemessene besorgest.« – »Alles ist bereit,« antwortete der Geist, der ihn zugleich aus der Blende nahm und ihn in ein glänzendes Lager führte, wo ihn die Truppen mit Jubelruf begrüßten. Er befahl, zum Aufbruche zu blasen, und zog nach der Hauptstadt seines Vaters, vor welcher er ein Lager aufzuschlagen befahl. Sein Befehl wurde sogleich befolgt, die Zelte – für ihn ein höchst prächtiges – wurden errichtet, man sprengte mit Wasser, um den Staub zu löschen, und die Köche zündeten ihre Feuer an, so daß ein gewaltiger Rauch die Ebene erfüllte.

Die Bewohner der Stadt waren über die Annäherung des Heeres erstaunt und fürchteten, als sie das Lager sahen, es wäre ein mächtiger Feind vor den Toren, der ihnen mit einem schrecklichen Sturme drohte. Man benachrichtigte den Sultan von diesem Heere, der, als er davon hörte, ein Vergnügen fühlte, welches er sich nicht erklären konnte, und sagte: »Gnädiger Allah, mein Herz ist voll Freude, und ich weiß doch nicht, warum!« Er befahl seinem Hofe, ihm zu folgen, und begab sich in das Lager seines Sohnes, zu welchem er geführt wurde; da jedoch der Prinz sehr reich und ganz anders als sonst gekleidet war, so erkannte ihn der Sultan nicht.

Der Prinz empfing seinen Vater mit den seinem Range gebührenden Ehrenbezeigungen und fragte ihn, als sie sich beide gesetzt und ein Gespräch begonnen hatten, was aus seinem jüngsten Sohne geworden wäre. Kaum hatte er diese Frage getan, als der Sultan ohnmächtig zur Erde fiel. Sobald er wieder zu sich gekommen war, rief er aus: »Ach, die Unvorsichtigkeit meines Sohnes veranlaßte ihn zu reisen, und er ist sicher eine Beute der Tiere des Waldes geworden.« – »Tröste dich,« versetzte der Prinz, »das Mißgeschick hat deinen Sohn nicht erreicht; denn er lebt und ist gesund.« – »Ist das möglich?« rief der Sultan, »o sage mir, wo finde ich ihn?« – »Er steht vor dir,« sagte der Prinz; worauf der Sultan ihn näher betrachtete, erkannte, ihm um den Hals fiel, weinte und vor Entzücken zur Erde sank.

Als der Sultan wieder zu sich gekommen war, forderte er seinen Sohn auf, seine Abenteuer zu erzählen, was er von Anfang bis zu Ende tat. Als er eben fertig war, kamen die älteren Brüder, und da sie ihn in seinem Glanze sahen, ließen sie, beschämt und unfähig zu reden, aber neidischer als je, die Köpfe sinken. Der alte Sultan wollte sie wegen ihrer Verräterei töten lassen, aber der jüngste Prinz sagte: »Überlassen wir sie dem Allmächtigen; denn wer sündigt, wird seine Strafe in sich selbst finden.«

Als der Reisende diese Erzählung beendet hatte, war der Sultan so sehr davon ergötzt, daß er ihm eine große Geldsumme und eine schöne, von ihm noch unberührte Sklavin schenkte und ihn zugleich fragte, ob er ihm nicht eine andere Geschichte erzählen könnte, was der Reisende bejahte, der an einem anderen Abend, als sie wieder beisammen waren, folgende Geschichte erzählte.

 


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