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Geschichte der drei Schwestern und ihrer Mutter, der Sultanin.

»Wir sind, mein Gebieter, in einer Stadt Iraks geboren. Unser Vater war Herrscher dieses Landes und unsere Mutter die schönste Frau ihres Zeitalters, und zwar in so hohem Grade, daß der Ruf ihrer Schönheit sich bis in die entferntesten Gegenden verbreitete. Es begab sich in unserer frühen Kindheit, daß unser Vater eine große, sich weit verbreitende Jagd anstellte, die ihn auf mehrere Monate aus seiner Hauptstadt entfernte, weshalb er den Wesir zum Reichsverweser während dieser Zeit ernannte. Nicht lange nach der Abreise meines Vaters schöpfte unsere Mutter auf dem Dache des Palastes, der an den des Wesirs grenzte, frische Luft. Der Wesir saß eben auch auf der Terrasse und sah in einem Spiegel, den er in seiner Hand hielt, das Bild meiner Mutter. Ihre Schönheit bezauberte ihn, und er faßte den verbrecherischen Entschluß, sie wo möglich zu verführen.

Am folgenden Tage sandte er die Oberaufseherin seines Harems mit einem Päckchen, welches einen höchst prachtvollen Anzug und viele unschätzbare Juwelen enthielt, zu der Sultanin mit der Bitte, das Geschenk anzunehmen und ihm zu erlauben, daß er sie besuchen dürfte, oder daß sie ihn durch einen Besuch erfreuen möchte. Meine Mutter empfing in der Voraussetzung, daß sie ihr irgend eine an den Wesir gelangte Botschaft ihres Mannes brächte, die alte Frau mit vieler Freundlichkeit.

Die Abgesandte verneigte sich ehrfurchtsvoll, öffnete ihr Bündel und packte den Anzug und die Edelsteine aus, worauf meine Mutter nach dem Preise und nach dem Kaufmanne fragte, der sie gesendet hätte. Die elende Alte, voraussetzend, daß die Tugend der Sultanin gegen solch ein kostbares Geschenk nicht Stich halten würde, eröffnete ihr auf unverschämte Weise die Leidenschaft des Wesirs. Meine Mutter, voll Unwillen über diese ihrer Ehre und Würde angetane Beschimpfung, zog einen Säbel, der bei der Hand war, und mit aller Kraft, die ihr zu Gebote stand, schlug sie der Kupplerin das Haupt ab und befahl, dieses nebst dem Rumpf in die Kloake des Palastes zu werfen.

Der Wesir sandte, da seine Botin nicht zurückkam, den folgenden Tag eine zweite ab, um nachzufragen, ob das Geschenk richtig abgegeben wäre. Meine Mutter ließ dieses elende Weib erdrosseln und mit ihrer Leiche ebenso wie mit der ersten verfahren, machte aber des Wesirs Nichtswürdigkeit in der Hoffnung, daß er sich bessern würde, nicht bekannt. Dieser sandte jedoch täglich eine Dienerin ab, mit welchen Botinnen meine Mutter auf dieselbe Weise wie mit den beiden ersten verfahren ließ: weil sie aber den Untergang des Wesirs nicht wollte und noch immer glaubte, er würde sein Betragen bereuen, und weil er sonst ein treuer und kluger Minister war, hielt sie seinen Verrat vor meinem Vater verborgen.

Einige Jahre nachher unternahm mein Vater eine Wallfahrt nach Mekka und übertrug dem Wesir wieder die Regierung des Reichs. Als der Sultan zehn Tage fort war, sandte der Wesir, der noch immer die Erfüllung seiner Wünsche hoffte, aufs neue eine Dienerin ab, welche, als meine Mutter sie vorgelassen hatte, sagte: »Habe doch um des Himmels willen Mitleid mit meinem Herrn; denn sein Herz ist von Liebe verzehrt, seine Sinne sind zerstört, und sein Leib schwindet dahin. Beherzige seine traurige Lage und richte ihn durch das Lächeln der Herablassung wieder auf.«

Als meine Mutter diese unverhoffte Botschaft angehört hatte, befahl sie in ihrer Wut, die unglückliche Botin zu ergreifen, sie zu erdrosseln und dann ihren Leichnam im äußersten Hofe des Palastes öffentlich zur Schau auszustellen, ohne jedoch die Ursache ihres Unwillens bekanntzumachen. Ihre Befehle wurden vollzogen. Als die Staatsbeamten und andere die Leiche sahen, benachrichtigten sie den Wesir von dem Gesehenen, der, entschlossen, sich zu rächen, ihnen befahl, für jetzt zu schweigen, weil er erst nach der Heimkehr des Sultans bekanntmachen wollte, weshalb die Sultanin seine Dienerin, wie sie bezeugen könnten, hätte töten lassen.

Als nun die Zeit herannahte, daß der Sultan von Mekka heimkehren sollte, und der verräterische Wesir ihn auf der Heimreise vermutete, schrieb er ihm folgenden Brief:

»Nachdem ich dem Himmel für deine glückliche Rückkehr Dank gesagt, melde ich dir, daß während deiner Abwesenheit die Sultanin fünfmal zu mir gesendet und Unziemliches von mir verlangt hat, was ich nicht zu tun vermochte, und daß ich ihr antwortete, ich könnte, wie sie auch meinen Herrn und Herrscher betrügen und beleidigen wollte, ihren Wünschen kein Gehör geben, da er mich zum Wächter seiner Ehre und seines Reiches eingesetzt hätte. Mehr zu sagen ist überflüssig!«

Der Überbringer dieses Schreibens erreichte das Lager des Sultans, als es noch acht Tagereisen von der Stadt entfernt war. Als mein Vater den Brief erhielt und las, erblaßte er, seine Augen rollten zornig umher, er befahl, sogleich die Zelte abzubrechen, und beschleunigte seine Reise, bis er noch zwei Tagereisen von seiner Hauptstadt entfernt war. Dann machte er Halt und sandte zwei vertraute Diener mit dem Befehl ab, unsere unschuldige und unglückliche Mutter mit uns drei Schwestern eine Tagereise weit von der Stadt zu führen und uns dann zu töten. Wir wurden demnach aus dem Harem gerissen und aufs Land geschleppt; als wir aber an dem zu unserer Hinrichtung bestimmten Ort angelangt waren, wurden die Herzen der damit beauftragten Diener zum Mitleide bewegt; denn unsere Mutter hatte diesen Männern und ihren Familien viel Gutes getan. Einer sagte zu dem andern: »Himmel, wir können sie nicht ermorden!«, und sie erzählten uns, was der Wesir an unsern Vater geschrieben hatte, worauf die Sultanin ausrief: »Gott weiß, daß ich höchst fälschlich angeklagt bin!« und erzählte ihnen dann treulichst alles, was sie getan hatte.

Die Männer wurden über das Unglück zu Tränen gerührt und sagten: »Wir sind überzeugt, daß du wahrhaft gesprochen hast.« Sie fingen hierauf einige Antilopenkälber, töteten sie, und nachdem sie jeder von uns ein Unterkleid ausgezogen hatten, tauchten sie es in das Blut der Tiere und kochten ihr Fleisch zur Stillung unseres Hungers. Unsere Erhalter sagten uns nun Lebewohl, indem sie hinzufügten: »Wir vertrauen euch dem Schutze des Allmächtigen an, der diejenigen nie verläßt, die ihm vertrauen.« Hierauf verließen sie uns. Wir wanderten zehn Tage lang in der Wüste, indem wir von Früchten lebten, die wir eben fanden, ohne eine Spur von Bevölkerung anzutreffen, bis wir endlich glücklicherweise einen grünen Fleck erreichten, der eine Menge Arten von trefflichen Früchten und Kräutern enthielt. Es befand sich daselbst auch eine Höhle, in welcher wir ein Obdach zu suchen beschlossen, bis eine Karawane vorbei käme. Am vierten Tage lagerte sich wirklich eine in der Nähe unseres Zufluchtsortes. Wir kamen nicht zum Vorschein; als aber die Karawane sich wieder auf den Weg machte, folgten wir ihrem Zuge in einiger Entfernung und erreichten nach mehreren sehr beschwerlichen Reisetagen diese Stadt, wo wir uns eine Wohnung mieteten und dem allmächtigen Beschützer unschuldiger Verlassener für unsere wunderbare Errettung aus den Gefahren des Todes und der Wüste dankten.

 

Vierhundertundeinundsiebenzigste Nacht.

Wir müssen nun auf eine Weile die unglückliche Sultanin und ihre Töchter verlassen und uns zu dem Sultan, ihrem Gatten, wenden. Als er sich der Hauptstadt näherte, kam der verräterische Wesir mit den Regierungsbeamten und den vornehmsten Einwohnern der Stadt ihm entgegen, und alle, vornehm und gering, wünschten ihm Glück zu seiner glücklichen Rückkehr von der heiligen Wallfahrt.

Als der Sultan in seinen Palast gelangt war, zog er sich mit dem Wesir zurück und befahl ihm, daß er ihm die näheren Umstände von dem schändlichen Betragen seiner Gattin erzählen sollte, worauf dieser sagte: »Herr, die Sultanin sandte einen Sklaven zu mir und verlangte, daß ich sie besuchen sollte; ich wollte das aber nicht und tötete den Sklaven, damit das Geheimnis verborgen bleiben möchte, weil ich hoffte, sie würde ihre Schwäche bereuen, was sie jedoch nicht tat, sondern ihre schändliche Einladung fünfmal wiederholte. Bei der fünften war ich für Eure Ehre besorgt und machte Euch mit ihrem verbrecherischen Betragen bekannt.«

Nach Anhörung dieses Berichtes senkte der Sultan eine Weile sein Haupt in tiefen Gedanken und befahl, als er es wieder erhoben, die beiden Diener, welchen er die Ermordung seiner Frau und seiner Kinder aufgetragen hatte, vor ihn zu bringen. Als sie kamen, fragte er sie, wie sie seinen Auftrag ausgerichtet hätten. Sie erwiderten: »Wir haben getan, was du uns zu tun befohlen hast, und als einen Beweis unserer Treue sieh hier diese mit dem Blute der Verbrecherinnen gefärbten Kleider.« Der Sultan nahm die Kleider, aber die Erinnerung an seine schöne Gemahlin, an ihre frühere große Zärtlichkeit, an das mit ihr genossene Glück und an die Unschuld seiner Kinder ergriffen sein Gemüt so sehr, daß er bitterlich weinte und in Ohnmacht sank. Als er sich erholte, fragte er den Wesir, ob er denn wirklich die Wahrheit gesprochen hätte, was dieser beteuerte.

Nach einer langen Pause sagte der Sultan zu den zwei Dienern: »Habt ihr auch wirklich meine unschuldigen Kinder und ihre schuldige Mutter getötet?« Sie schwiegen. Der Sultan rief aus: »Warum antwortet ihr nicht und schweigt?« Sie erwiderten: »Herr, ehrliche Leute können nicht lügen; denn das Lügen bezeichnet den Verräter.« Als der Wesir diese Worte gehört hatte, wechselte er die Farbe, seine ganze Haltung drückte Bestürzung aus, und ein Zittern ergriff ihn, worauf der Sultan, der dies alles gewahrte, zu den Dienern sagte: »Was meint ihr mit der Bemerkung, daß Lügen den Verräter bezeichne? Ist es möglich, daß ihr sie nicht getötet habt? Saget augenblicklich die Wahrheit, oder ihr sollt – ich schwör's bei dem Gotte, der mich zum Wächter seines Volkes bestellt hat – unter den entsetzlichsten Qualen hingerichtet werden.«

Die beiden Männer warfen sich vor dem Sultan nieder und sagten: »Furchtbarer Herrscher, wir führten, wie du uns befohlen, die unglückliche Sultanin mit ihren drei Töchtern in die Mitte der Wüste, wo wir sie von der Anklage des Wesirs und von deinem sie betreffenden Befehl unterrichteten. Nachdem die Sultanin uns mit Fassung angehört hatte, rief sie aus: »Hier kann nur der Allmächtige helfen! Von Gott kommen wir, und zu Gott müssen wir wieder zurückkehren! Wenn ihr uns aber tötet, so tut ihr es mit Unrecht; denn der verräterische Wesir hat mich fälschlich angeklagt, und er allein ist schuldig.« – Sie erzählte uns hierauf, wie er sich bemüht, sie durch reiche Geschenke zu bestechen, und daß sie seine Botinnen getötet hätte.«

Der Sultan rief nach diesen Worten in Todesangst aus: »Habt ihr sie erschlagen, oder leben sie noch?« – »Herr,« erwiderten die Diener, »wir waren von der Unschuld der Sultanin so überzeugt, daß wir's nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten. Wir fingen einige Antilopenkälber, töteten sie, und nachdem wir die der verleumdeten Mutter und Euren Kindern gehörigen Kleider in das Blut der Tiere getaucht hatten, kochten wir deren Fleisch und gaben es Eurer unglücklichen Gattin und Euren Töchtern, worauf wir zu ihnen sagten: »Wir lassen euch im Schutz eines gnädigen Gottes, der die, welche ihm vertrauen, nie verläßt; eure Unschuld wird euch beschützen.« Wir ließen sie hierauf mitten in der Wüste und kehrten in die Stadt zurück.«

Der Sultan wandte sich voll Wut zu seinem Wesir und rief aus: »Elender Verräter! Auf solche Weise hast du mich also von meinem geliebten Weibe und von meinen unschuldigen Kindern getrennt?« Der schuldbewußte Minister konnte kein Wort vorbringen, zitterte aber gleich einem vom Schlage Gerührten. Der Sultan befahl sogleich, einen ungeheuren Scheiterhaufen zu errichten, und der an Händen und Füßen gefesselte Wesir wurde ins Feuer geworfen, welches ihn sogleich zu Asche verbrannte.«

 

Vierhundertundzweiundsiebenzigste Nacht.

Wir kehren nun zu den drei Prinzessinnen und ihrer Mutter zurück. Als der Sultan von Kairo ihre Abenteuer hörte, bemitleidete er ihr Unglück, war über die Standhaftigkeit, womit sie es ertragen hatten, sehr gerührt und sagte zu dem Wesir: »Wie traurig war doch ihr Los! Aber Allah sei gepriesen, der, so wie er Freunde trennt, sie auch wieder glücklich zu vereinigen vermag.« Er ließ sodann die Sultanin und die Prinzessinnen in seinen Palast führen, sorgte für eine ihrem Range angemessene Dienerschaft und Wohnung und sandte Eilboten an den Sultan, ihren Vater, um ihn von ihrem Wohlbefinden zu benachrichtigen. Die Boten reisten möglichst schnell und überreichten, in der Hauptstadt angekommen, die Schreiben. Der Sultan öffnete sie und begann zu lesen; als ihm aber der Inhalt klar ward, war er so voll Freude, daß er einen Schrei des Entzückens ausstieß, auf den Boden fiel und ohnmächtig wurde. Seine Diener waren sehr bestürzt, hoben ihn auf und wandten Mittel zu seiner Erweckung an. Als er nun aus seiner Ohnmacht erwacht war, erzählte er seinen Leuten, daß die Sultanin und seine Töchter noch lebten, und befahl, ein Schiff zu ihrer Heimholung segelfertig zu machen.

Das Schiff, mit allem für die Bequemlichkeit der Familie Nötigen und mit reichen Geschenken für den freundlichen Sultan, der sie in Schutz genommen hatte, beladen, segelte mit günstigem Winde ab und gelangte schnell in den ersehnten Hafen.

Der Befehlshaber des Schiffes wurde von dem Sultan sehr willkommen geheißen, der ihn und seine ganze Mannschaft auf königliche Kosten zu verpflegen befahl; und nach drei Tagen nahm die Sultanin mit ihren Töchtern, voll Sehnsucht, nach so langer und so unglücklicher Abwesenheit heimzukehren, Abschied und schiffte sich ein. Der Sultan machte ihnen ein kostbares Geschenk, und sie gingen bei frischem Winde unter Segel. Drei Tage hindurch blieb das Wetter günstig, aber am Abend des dritten erhob sich ein ungünstiger Wind, weshalb sie die Segel einzogen und ankerten. Der Sturm ward jedoch so heftig, daß das Ankertau zerriß, die Maste über Bord fielen und das Schiffsvolk sich verloren gab. Das Schiff wurde bis Mitternacht vom Sturme hin- und hergeworfen, bis es endlich unter dem Geheul und Geschrei aller am Bord befindlichen Personen an einem Felsen scheiterte. Wem der Tod bestimmt war, der starb; wessen längeres Leben die Vorherbestimmung Gottes angeordnet hatte, der gelangte ans Ufer, einige auf Brettern, einige auf Kisten und andere auf Schiffstrümmern, aber alle voneinander getrennt.

Die Sultanin Mutter wurde bis Tagesanbruch auf einem Brette hin- und hergeworfen, als der Befehlshaber des Schiffes, der sich mit drei Personen seiner Mannschaft auf das Boot gerettet hatte, sie gewahrte. Er nahm sie auf, und nachdem sie drei Tage gerudert hatten, erreichten sie eine gebirgige Küste, an welcher sie landeten und vorwärts ins Land gingen. Es ist unmöglich, das Wiedersehen des Sultans und seiner Gattin zu schildern, aber ihre Freude wurde durch die Ungewißheit über das Schicksal ihrer Töchter sehr getrübt. Als die ersten Entzückungen vorüber waren, weinten sie miteinander und riefen aus: »Wir sind von Gott, und zu Gott müssen wir zurückkehren!« Nach vierzigtägiger Reise gelangten sie in ihre Hauptstadt, immerfort über das Geschick der Prinzessinnen betrübt. »Ach,« sagte sie, »ach, sie sind ertrunken; aber selbst, wenn sie ans Ufer gelangten, sind sie vielleicht voneinander getrennt, und ach! was für traurige Zufälle können ihnen begegnet sein!« So klagten sie, in Gram versunken, immer zusammen und nahmen keinen Anteil an den Freuden des Lebens.

Die jüngste Prinzessin wurde, nachdem sie sich im Kampfe mit den Wellen fast gänzlich erschöpft hatte, glücklicherweise an eine freundliche Küste geworfen, auf welcher sie einige treffliche Früchte und klares frisches Wasser fand. Als sie sich gestärkt und erfrischt hatte, ruhte sie ein Weilchen aus und ging sodann von der Bucht in das Land; sie war noch nicht weit gegangen, als ein junger Mann zu Pferde, von einigen Hunden begleitet, ihr begegnete und sie, nachdem er gehört hatte, daß sie eine aus dem Schiffbruche Gerettete wäre, vor sich aufs Pferd nahm, sie in sein Haus brachte und sie dort der Pflege seiner Mutter übergab. Diese nahm sie mit mitleidiger Güte auf und pflegte sie einen ganzen Monat hindurch auf das sorgfältigste, bis sie nach und nach ihre Gesundheit und ihre Schönheit wieder erhielt.

Der junge Mann war der gesetzmäßige Erbe des Königreichs, aber ein Usurpator hatte ihm die Thronfolge geraubt; da dieser jedoch bald nach der Ankunft der Prinzessin starb, wurde er in seine Rechte wieder eingesetzt und gelangte auf den Thron, worauf er der Prinzessin seine Hand anbot. Sie aber erwiderte: »Wie kann ich an eine Heirat denken, solange ich nichts von meiner unglücklichen Familie weiß, oder der Ruhe genießen, während meine Mutter und meine Schwestern vielleicht im Elende leben? Sobald ich Nachrichten von ihrem Wohlergehen erhalte, will ich mich meinem Befreier dankbar beweisen.«

Der junge Sultan war so sehr in die Prinzessin verliebt, daß auch die entfernteste Hoffnung ihn tröstete, und er suchte sich in Geduld zu fassen; aber der Adel des Landes war ungeduldig, ihn vermählt zu sehen, und drang in ihn, daß er sich verheiraten sollte. Er versprach, sich ihren Wünschen zu fügen; aber da zu viel Zeit verstrich, so wurden die Großen des Reiches andringlich und unzufrieden, so daß seine Mutter, die einen Aufruhr befürchtete, die Prinzessin ernstlich bat, in eine Verbindung zu willigen, die das einzige Mittel wäre, um Unruhen vorzubeugen. Die Prinzessin, welche ihren Erhalter wahrhaft liebte, wollte die Sicherheit eines Mannes, dem sie so sehr verpflichtet war, nicht gefährdet sehen und gab endlich ihre Einwilligung, worauf dann die Heirat mit großer Pracht und Freude gefeiert wurde. Nach drei Jahren gebar die Sultanin zwei Söhne, deren Geburt das Glück der Verbindung noch vermehrte.

 

Vierhundertunddreiundsiebenzigste Nacht.

Die zweite Prinzessin wurde nach langem Hin- und Hertreiben der Wellen auf ihrem Brette endlich an ein Ufer in der Nähe einer großen Stadt geworfen, in welche sie sich begab, und wo sie glücklicherweise auf eine mitleidige Matrone stieß, welche sie in ihr Haus einlud und an die Stelle ihrer unlängst verstorbenen Tochter als Kind annahm. Hier stellte sich ihre Gesundheit und ihre Schönheit bald wieder her. Es begab sich, daß der Sultan dieser Stadt, der wegen seiner gelinden Regierung und wegen seiner Freigebigkeit sehr beliebt war, erkrankte und ungeachtet der Geschicklichkeit der berühmtesten Ärzte täglich schlechter ward, so daß man zum großen, allgemeinen Kummer des Volkes an seinem Aufkommen zweifelte. Als die Prinzessin ihre ehrwürdige Beschützerin über die Gefahr des Sultans Klagen hörte, sagte sie: »Meine teure Mutter, ich will einen Trank kochen, und wenn Ihr ihn dem Sultan bringen und bewirken wollt, daß er ihn zu sich nimmt, so wird er mit Allahs Hilfe geheilt werden.« – »Ich fürchte,« sagte die Mutter, »daß ich keinen Zutritt in den Palast erhalten und noch weniger werde dem Sultan den Trank übergeben können.« – »Versuche es nur,« erwiderte die Prinzessin, »selbst der Versuch, eine gute Handlung zu begehen, ist Gott angenehm.« – »Wohlan,« sagte die Alte, »so bereite nur deinen Trank, und ich will mich bemühen, Zutritt zu erhalten.«

Die Prinzessin bereitete den aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzten Trank, und die alte Frau trug ihn, als er fertig war, in des Sultans Palast. Die Wachen und Verschnittenen fragten sie, was sie brächte, worauf sie erwiderte: »Einen Trank, den ich euch dem Sultan zu geben und ihn zugleich zu ersuchen bitte, er möge davon, so viel er vermag, zu sich nehmen; denn Gottes Hilfe wird ihn dadurch wieder herstellen.« Die Verschnittenen führten sie in das Zimmer ihres kranken Herrschers, und nachdem die alte Frau den Deckel von dem Gefäße genommen, verbreitete sich ein angenehmer Duft, der die Lebensgeister des Kranken stärkte. Als er erfuhr, was die ehrwürdige Matrone brachte, dankte er ihr und kostete den Trank, der so angenehm duftete, daß er einen großen Teil davon mit einem Gelüste genoß, wie er es lange nicht gefühlt hatte. Er beschenkte hierauf die Überbringerin mit einem Beutel voll Dinaren, worauf sie sich zur Prinzessin begab und sie von der freundlichen Aufnahme und dem Geschenke benachrichtigte.

Bald nachher fühlte der Sultan eine Neigung zur Ruhe und sank in einen erquickenden mehrstündigen Schlaf. Als er erwachte, fühlte er sich auf wunderbare Weise gekräftigt und genoß, da er noch Gelüste hatte, den Überrest des Trankes. Er wünschte noch mehr davon zu haben und fragte nach der alten Frau; aber keiner seiner Diener wußte ihm ihre Wohnung zu sagen. Sie brachte jedoch am Abend eine neue von der Prinzessin bereitete Speise, welche der Sultan mit neuem Gelüste verzehrte, worauf er, der vorher ganz Hilflose, nun imstande war, sich zu erheben und sogar zu gehen. Er fragte die alte Frau, ob sie selbst das Überbrachte zubereitet hätte. Sie erwiderte: »Nein, Herr, meine Tochter hat es bereitet und mich gebeten, es dir zu bringen.« Der Sultan versetzte: »Sie kann nicht deine Tochter sein; denn ihre Geschicklichkeit gibt zu erkennen, daß sie von viel höherem Stande ist.« Er machte ihr ein Geschenk und bat sie, ihm jeden Morgen neue Stärkung zu bringen, worauf sie erwiderte: »Dein Wille ist mir Gesetz!« und fortging.

Die Prinzessin sandte sieben Morgen nacheinander regelmäßig das Verlangte, und der Sultan beschenkte ebenso regelmäßig ihre Pflegemutter mit einem Beutel voll Dinaren; denn seine Wiederherstellung ging so schnell vonstatten, daß er nach Ablauf des sechsten Tages sich vollkommen wohl befand und am siebenten zu Pferde stieg und nach seinem Lustschloß auf dem Lande ritt, um dort zu baden und der frischen Luft zu genießen. Er hatte die alte Frau während ihrer Besuche oft nach ihrer Pflegetochter befragt, und sie hatte ihre Schönheit, ihre Tugenden und ihre Talente so geschildert, daß sein Herz davon entzückt und er höchst begierig war, sie zu sehen.

Der Sultan, um seiner Neugier zu genügen, verkleidete sich als Derwisch, begab sich nach dem Hause der alten Frau und klopfte an die Tür. Als er gefragt wurde, was er begehrte, sagte er: »Ich bin ein wandernder Derwisch, fremd in dieser Stadt und sehr hungrig.« Die alte Frau, die sich fürchtete, eine unbekannte Person aufzunehmen, wollte ihn fortschicken; aber die Prinzessin sagte: »Es ist unsere Pflicht, gastfrei zu sein, besonders gegen fromme Arme.« Er wurde also eingelassen, und nachdem die Prinzessin ihn ehrfurchtsvoll ersucht hatte, sich niederzulassen, setzte sie ihm Speise und Trank vor. Als er gesättigt war, wusch er sich, stand auf, bedankte sich bei der alten Frau und ihrer vermeintlichen Tochter für ihre Güte und entfernte sich; aber sein Auge war von der Schönheit der Prinzessin bezaubert und sein Herz voll Liebe zu ihr.

Nach seiner Rückkehr in seinen Palast schickte der Sultan nach der alten Frau und gab ihr, als sie gekommen war, ein Bündel mit einem reichen Anzuge und wertvollen Juwelen, wozu er die Bitte fügte, sie möchte beides ihrer Tochter geben und sie bewegen, daß sie sich damit schmückte. Die Alte versprach zu gehorchen und sagte auf dem Heimwege zu sich selber: »Wenn meine Pflegetochter klug ist, so wird sie das Begehren des Sultans erfüllen und den Schmuck und Anzug anlegen; tut sie es aber nicht, so jage ich sie aus meinem Hause.« Heimgekommen, breitete sie die Geschenke vor der Prinzessin aus. Diese weigerte sich anfangs, sie anzunehmen, bis sie es endlich nach vielem Bitten ihrer Beschützerin, die sie doch nicht kränken wollte, tat, worüber die Alte sich innigst freute.

Der Sultan, der in einen weiblichen Anzug geschlüpft war und sich mit einem dichten Schleier bedeckt hatte, folgte der Alten bis zu ihrem Hause und horchte an der Tür, um zu erfahren, ob die Tochter sein Geschenk annähme. Als er nun hörte, daß sie den Anzug angelegt hätte, war er vor Entzücken außer sich und schickte, in den Palast zurückgekehrt, nochmals nach der alten Frau, welcher er seinen Wunsch, sich mit ihrer Tochter zu verheiraten, zu erkennen gab. Als die Prinzessin dies Anerbieten erfuhr, willigte sie ein, und der Sultan, von einem glänzenden Reitergefolge begleitet, führte sie noch denselben Abend in seinen Palast, wo der Kadi den Ehevertrag schloß. Ein allgemeines Fest wurde sieben Tage hintereinander für die Einwohner der Stadt veranstaltet, und der Sultan und die Prinzessin waren auf dem Gipfel des Glücks. Im Laufe von fünf Jahren beglückte sie der Allmächtige mit einem Sohn und zwei Töchtern. –

Die älteste der Prinzessinnen war, nachdem sie sich an ein großes Stück Holz geklammert hatte, nach vieler Angst an eine Küste gelangt, auf welcher sie einen männlichen Anzug fand; und da sie diesen für eine passende Verkleidung zur Beschützung ihrer Ehre hielt, so zog sie ihn an und ging in eine nahe an der Küste gelegene Stadt. Sie begegnete einem Taschenmacher, der sie als fremd erkannte und sie, da er sie für einen Mann hielt, fragte, ob sie zu ihm ziehen wollte, weil er einen Gehilfen brauchte. Erfreut, einen Zufluchtsort zu finden, nahm sie sein Erbieten und den täglichen Lohn, welchen er ihr zusicherte, an. Er führte sie nach Hause und behandelte sie mit vieler Güte. Am nächsten Tage trat sie ihr Geschäft an und machte so gute Arbeit, daß in kurzer Zeit ihres Meisters Laden besuchter war als irgend ein andrer.

Zufällig war dieser Laden nicht weit vom Palaste des Sultans gelegen. Als eines Morgens dessen Tochter durch ein Gitter ihres Balkons den jungen Mann mit bloßen Armen sah, fand sie diese so weiß und glänzend wie Silber und sein Antlitz so glanzreich wie die unumwölkte Sonne.

Sie konnte nicht aufhören, den jungen Mann zu betrachten, solange er bei der Arbeit blieb, und als sie nachher in ihrem Zimmer war, fühlte sie sich von seinen Reizen so bezaubert, daß sie ganz unruhig und endlich unwohl ward. Ihre Amme, die ihr aufwartete, fühlte ihr an den Puls und legte ihr mehrere Fragen vor, konnte jedoch keine Anzeichen leiblicher Krankheit an ihr entdecken. Sie sagte: »Meine liebe Tochter, ich bin überzeugt, daß dich nichts krank gemacht hat als das Verlangen nach irgend einem Jüngling, in den du dich verliebt hast.« Die Prinzessin rief aus: »Liebe Mutter, da du mein Geheimnis entdeckt hast, so wirst du es hoffentlich nicht nur heilig bewahren, sondern mir auch den Mann, den ich liebe, herbringen.« Die Amme erwiderte: »Niemand kann ein Geheimnis heiliger bewahren als ich, so daß du mir es sicher anvertrauen kannst.« Die Prinzessin sagte hierauf: »Mutter, mein Herz ist von dem jungen Manne bezaubert, der in dem Laden meinen Fenstern gegenüber arbeitet, und wenn ich nicht mit ihm zusammenkommen kann, so sterb' ich vor Gram.«

Die Amme versetzte: »Er ist unstreitig der schönste Jüngling unserer Zeit, und alle Frauen in der Stadt sind von seinen Reizen entzückt; dabei ist er aber so verschämt, daß er kein Entgegenkommen erwidert und sich wie ein Schulknabe zurückzieht: doch will ich versuchen, seine Scheu zu überwinden und dir eine Zusammenkunft mit ihm zu verschaffen.« Nachdem sie dies gesagt, ging sie sogleich zu dem Taschenmacher, gab ihm ein Goldstück und sagte ihm, er solle ihr doch zwei Reisetaschen und seinen Gehilfen mitgeben. Der Mann war über ihre Großmut sehr erfreut, suchte seine beste Ware aus und befahl seinem Gehilfen, die Amme zu begleiten.

Die alte Amme führte die verkleidete Prinzessin auf Nebenwegen insgeheim in den Palast und in die Zimmer der Tochter des Sultans, welche ihren vermeintlichen Geliebten mit einer Bewegung empfing, die zu heftig war, um verborgen bleiben zu können. Unter dem Vorwande, die Ware zu bewundern, fragte sie ihn mancherlei und forderte ihn auf, indem sie ihm zwanzig Goldstücke gab, am folgenden Abend mit mehr Ware wiederzukommen, worauf der vorgebliche Handwerksgeselle antwortete: »Dein Wille ist mir Gesetz!«

Die verkleidete Prinzessin gab, als sie nach Hause gekommen war, die zwanzig Goldstücke ihrem Meister, der darüber unruhig ward und nachfragte, wo sie das Geld her hätte. Sie erzählte ihm nun das Vorgefallene, worüber der Taschenmacher nur noch mehr erschrak und zu sich selber sagte: »Wenn dieser Liebeshandel fortdauert, so wird ihn der Sultan entdecken, ich werde hingerichtet und meine Familie dieses jungen Menschen wegen zugrunde gerichtet werden.« Er bat ihn hierauf, seinen Besuch nicht zu wiederholen; aber der Jüngling erwiderte: »Ich kann das nicht, obwohl ich fürchte, daß mein Tod die Folge davon sein wird.« Kurz, die verkleidete Prinzessin ging alle Abende zu einer bestimmten Stunde mit ihrer Amme in die Zimmer der Sultanstochter, bis endlich der Sultan eines Abends eintrat, und da er, wie er voraussetzte, einen Mann bei der Prinzessin traf, so befahl er, ihn zu ergreifen und ihm Hände und Füße zu binden.

Der Sultan schickte nach dem Scharfrichter, entschlossen, den Schuldigen hinrichten zu lassen. Der Scharfrichter ergriff, als er gekommen war, die verkleidete Prinzessin: aber wie sehr erstaunten alle, als beim Abnehmen des Turbans und beim Ausziehen ihrer Jacke ihr Geschlecht entdeckt wurde. Der Sultan befahl, sie in seinen Harem zu führen, und verlangte ihre Geschichte zu erfahren, welche sie nun auch, da ihr nichts anderes übrig blieb, sogleich erzählte.

Als die Prinzessin dem Sultan alles getreulich berichtet hatte, den Verrat des Wesirs, das darauf folgende Benehmen ihres Vaters, das Elend ihrer Mutter, ihrer Schwestern und ihr eignes, ihre Befreiung, ihre Errettung aus dem Schiffbruch, und was sich seitdem begeben: so befahl er voll Verwunderung und Mitleid seiner Tochter, sie in ihrem Harem freundlich aufzunehmen. Die Liebe der letzteren hatte sich nun in aufrichtige Freundschaft verwandelt, und die glückliche Prinzessin erhielt unter ihrer Sorge und Pflege in wenigen Monaten ihre frühere Schönheit wieder. Es begab sich, daß der Sultan, der seine Tochter besuchte, von den Reizen der Prinzessin bezaubert wurde, aber, da er die Gesetze der Gastfreundschaft nicht verletzen wollte, seine Liebe verbarg, bis er gefährlich krank ward, wo denn die Tochter, welche die Sache merkte, ihn dahin brachte, daß er ihr die Ursache seiner Krankheit entdeckte. Sie unterrichtete nun ihre Freundin davon und bat sie, ihren Vater zu heiraten; aber die Prinzessin sagte bitterlich weinend: »Mein Mißgeschick hat mich von meiner Familie getrennt, ich weiß nicht, ob meine Schwestern, mein Vater und meine Mutter noch leben, und in welchem Zustande. Wie kann ich glücklich oder fröhlich sein, wenn sie vielleicht im Elende sind?«

Die Tochter des Sultans ließ nicht ab, die unglückliche Prinzessin zu trösten, und stellte ihr zugleich den hoffnungslosen Zustand ihres Vaters vor, bis sie endlich in die Heirat willigte. Diese freudige Nachricht heilte den Sultan schnell, und die Hochzeit wurde mit großer Pracht und Freude vollzogen. –

 

Vierhundertundvierundsiebenzigste Nacht.

Der alte Sultan und die alte Sultanin beweinten den Verlust ihrer Töchter mehrere Jahre lang, als endlich der Sultan beschloß, eine Reise zu machen, um sie aufzusuchen, und, nachdem er seiner Frau die Regierung übertragen hatte, allein von seinem Wesir begleitet, abreiste. Sie verkleideten sich beide als Derwische, und nach einer monatelangen ununterbrochenen Reise erreichten sie eine große Stadt, die sich längs der Seeküste ausdehnte, in deren Nähe der Sultan ein prächtiges Lustschloß hatte erbauen lassen, wo die vorgeblichen Derwische ihn in einem der Pavillons mit seinen zwei Söhnen, der eine von sechs und der andere von sieben Jahren, sitzen sahen. Sie näherten sich, verbeugten sich und riefen nach der Weise der Mönche den Himmel für sein Heil an. Der Sultan erwiderte ihren Gruß, forderte sie auf, sich zu setzen, und entließ sie, nachdem er sich bis zum Abend mit ihnen unterhalten hatte, mit einem Geschenke, worauf sie sich in einen Gasthof begaben und ein Zimmer mieteten. Als sie sich am folgenden Tage mit Besichtigung der Stadt ergötzt hatten, gingen sie abends wieder zur Bucht und sahen den Sultan wie am vorigen Abend mit seinen Kindern sitzen. Während sie die Schönheit des Baues bewunderten, kam der jüngere Prinz, von einem unwillkürlichen Antriebe gereizt, auf sie zu, sah sie begierig an und folgte ihnen, als sie gingen, in ihre Wohnung, was sie nicht eher bemerkten, als bis er mit ihnen ins Zimmer getreten war und sich niedergelassen hatte. Der alte Sultan war über das Betragen des Kindes erstaunt, nahm es in seine Arme, küßte und hätschelte es und sagte dann zu ihm, es möchte nur zu seinen Eltern zurückkehren; aber der Knabe bestand darauf, zu bleiben, und blieb wirklich vier Tage, während welcher Zeit die vorgeblichen Derwische ihre Karawanserei nicht verließen.

Der Sultan glaubte, als er seinen Sohn vermißte, er wäre zu seiner Mutter gegangen, und diese bildete sich dagegen ein, daß er bei dem Vater wäre: aber als dieser in den Harem kam, wurde der Verlust entdeckt, und Boten wurden nach allen Seiten ausgeschickt; es kam jedoch keine Nachricht von dem Knaben. Die Eltern setzten nun voraus, er wäre ins Meer gefallen und ertrunken. Man fischte drei Tage lang mit Netzen, aber vergeblich. Am fünften Tage wurden Befehle gegeben, jedes Haus in der Stadt zu durchsuchen, wo denn der kleine Prinz endlich in der Karawanserei und in dem Zimmer der vorgeblichen Derwische entdeckt wurde, die man nun vor den Sultan schleppte.

Der Sultan war über das Wiederfinden seines Sohnes vor Freuden außer sich; da er jedoch voraussetzte, die Derwische hätten ihn stehlen wollen, so befahl er, sie auf der Stelle hinzurichten. Die Henkersknechte ergriffen sie, banden ihnen die Hände auf den Rücken und waren im Begriff, sie zu töten, als das Kind mit lautem Geschrei herbeilief, und indem es sich an die Kniee des älteren Hinzurichtenden klammerte, konnte es nicht von ihm losgemacht werden. Der Sultan war darüber höchlich erstaunt, befahl, die Hinrichtung für jetzt aufzuschieben, ging hin und unterrichtete die Mutter des Kindes von seinem wunderbaren Betragen.

Als die Sultanin das Vorgefallene hörte, war sie nicht weniger verwundert als ihr Gemahl und ward sehr neugierig, von dem Derwisch selbst zu erfahren, weshalb er ihren Sohn verlockt und ihr abspenstig gemacht hätte. Sie fand es außerordentlich seltsam, daß der Knabe so viel Liebe und Zutrauen zu einem fremden Derwisch haben sollte. Sie bat ihren Gemahl, ihn in sein Kabinett holen und sich von ihm sein Abenteuer erzählen zu lassen, welcher Erzählung sie hinter einem Vorhange zuhorchen wollte.

Der Sultan schickte nach dem vorgeblichen Derwisch, befahl allen seinen Dienern, sich zu entfernen, zog sich mit ihm in sein Kabinett zurück und ließ ihn sich niedersetzen, worauf er zu ihm sagte: »Gottloser Derwisch, was kann dich bewogen haben, meinen Sohn an dich zu locken und mein Königreich zu besuchen?« Er erwiderte: »Der Himmel ist mein Zeuge, o Sultan, daß ich ihn nicht an mich gelockt habe. Der Knabe folgte mir in meine Wohnung, wo ich ihn aufforderte, zu dir zurückzukehren; aber er wollte durchaus nicht, und ich blieb in beständiger Furcht, bis geschah, was des Höchsten Wille war.« Der Sultan fühlte sich nun besänftigt, sprach freundlich mit dem Derwisch und bat ihn, ihm seine Abenteuer zu erzählen, worauf der Derwisch erwiderte: »Meine Geschichte ist eine höchst wunderbare! Ich hatte einen Freund, den ich, als ich eine Wallfahrt nach Mekka unternahm, als meinen Statthalter und den Beschützer meiner Familie zurückließ; aber ich war kaum zehn Tage vom Hause entfernt, so versuchte er, der zufällig meine Gemahlin gesehen hatte, sie zu verführen, schickte eine alte Frau mit einem reichen Geschenke zu ihr und ließ ihr seine ehebrecherische Liebe erklären. Meine Gattin geriet in Wut und tötete die Botin. Er sandte eine zweite und dritte, denen es nicht besser erging.«

Kaum hatte der Derwisch die letzten Worte gesprochen, als die Sultanin hervorstürzte und ihm um den Hals fiel, worüber der Sultan, ihr Gemahl, in Wut geriet, Hand an sein Schwert legte und ausrief: »Was bedeutet dieses schamlose Betragen?« Die Sultanin, die vor Entzücken zu gleicher Zeit lachte und weinte, sagte ihrem Gemahle nun, der Derwisch wäre ihr Vater, worauf der Sultan ihm zu Füßen fiel und ihn willkommen hieß. Er befahl hierauf, den anderen Derwisch (den Wesir) freizulassen, seinem Schwiegervater königliche Kleider zu bringen, im Palast eine Reihe von Zimmern für ihn zu bereiten und ihm eine seiner Würde angemessene Dienerschaft zu geben.

Als der alte Sultan einige Zeit bei seiner jüngsten, so glücklich wiedergefundenen Tochter zugebracht hatte, drängte es ihn, die andern beiden aufzusuchen, und er gab seinen Vorsatz abzureisen zu erkennen; aber sein Schwiegersohn erklärte, daß er ihn auf dieser Reise mit einem Teil seiner Edlen und mit einem Heere begleiten wollte, weil ihm, wenn er unbegleitet reiste, leicht etwas Unangenehmes zustoßen könnte. Man bereitete sich zum Abmarsche, die beiden Sultane lagerten sich vor der Stadt und begannen in wenigen Tagen ihre Reise, welche ganz ihren Wünschen entsprechend ausfiel. Als der alte Monarch seine Kinder wiedergefunden hatte, zog er sich in sein eigenes Königreich zurück, wo er glücklich herrschte, bis der Engel des Todes ihn ins Paradies rief.

 


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